Neil Howe über Steve Bannons Weltsicht

Lesedauer 8 Minuten
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Deutsche Übersetzung des am 25. Februar 2017  auf The Burning Platform veröffentlichten Gastbeitrages “Woher hat Steve Bannon seine Weltsicht? Aus meinem Buch”. von Neil Howe. Der Originaltitel lautet Where did Steve Bannon get his worldview? From my book.

Vorab zur Übersetzung des Artikels von Neil Howe möchte ich anmerken, dass ich schon am 25. November 2016 in meinem Beitrag Unkonventionelle Kommentare zur Wahl Donald Trumps – Generationsdynamik auf den Film Generation Zero  und auf den offensichtlichen Einfluss des Buches “The Fourth Turning” von Howe und Strauss hingewiesen hatte.

Dem Optimismus von Neil Howe, den er in dem folgenden Artikel zum Ausdruck bringt, kann ich mich vor dem Hintergrund der anderen Artikel auf www.freizahn.de nicht so recht anschließen. D.h., ich sehe im Moment nicht, dass und wie die westlichen Industriestaaten angesichts ihrer verschiedenen Verwundbarkeiten und Schwächen einen Weltkrieg gewinnen könnten.  Auch sehe ich nicht, wo man nach 2030 noch die Energie für einen Wiederaufbau und für die Schaffung neuen Wohlstand hernehmen könnte. Trotzdem fände ich es gut und vernünftig, wenn man sich mit den Krisen- und Kriegsgefahren intensiv beschäftigen würde und wenn sich Deutschland und die anderen Länder Europas so gut es noch geht darauf vorbereiten würden.

Christoph Becker, Kelberg den 26. Febr. 2017

Ab hier nun die Übersetzung des Artikels von Neil Howe, ergänzt um einen kleinen Einschub mit drei Beispielen von Artikeln der deutschen Mainstreampresse zu diesem Thema.

Neil Howe ist zusammen mit William Strauss der Autor der Bücher Generations: The History of America’s Future, 1584 to 2069 (dt.: Generationen: Die Geschichte von Amerikas Zukunft, 1584 bis 2069), The Fourth Turning: What the Cycles of History Tell Us About America’s Next Rendezvous with Destiny (dt.: Die Vier Wendungen: Was die Zyklen der Geschichte uns über Amerikas nächstes Rendezvous mit dem Schicksal erzählen.) und Millennials Rising: The Next Great Generation: The Next Great Generation (dt.: Generation Y im Aufstieg: Die nächste große Generation).
Die Titelüberschriften in diesem Monat waren alarmierend. „Steve Bannons Besessenheit mit einer dunklen Geschichtstheorie sollte beunruhigend sein“ (Business Insider). „Steve Bannon glaubt dass die Apokalypse kommt und Krieg unvermeidlich ist“  (the Huffington Post). „Steve Bannon will den dritten Weltkrieg beginnen“ (the Nation).


Einschub zur deutschen Übersetzung.  Beispiele mit vergleichbaren Titeln aus deutschen Medien:

Ende des Einschubs.


Ein üblicher Faden in diesen Berichten ist, dass Präsident Trumps Chefstratege ein eifriger Leser ist und dass das Buch, das seine Weltsicht am meisten inspiriert hat “The Fourth Turning: An American Prophecy” ist.
Ich habe dieses Buch zusammen mit William Strauss 1997 geschrieben. Es ist wahr, dass Bannon von ihm begeistert  ist. 2010 veröffentlichte er eine Dokumentation, „Generation Zero“ der um unsere Theorie herum gebaut ist, dass die Geschichte in Amerika (und mit Erweiterungen, in den meisten anderen modernen Gesellschaften) sich nach einem wiederkehrenden Zyklus entfaltet, der aus vier Generationen langen Abschnitten besteht. Weil dieser Zyklus eine Zeit bürgerlicher und politischer Krisen – eine vierte Wendung (engl. Fourth Turning) in unserer Sprechweise – beinhaltet, war die Berichterstattung über das Buch absurd apokalyptisch.

Ich kenne Bannon nicht gut. Ich habe mit ihm über die Jahre bei verschiedenen Filmprojekten zusammengearbeitet, einschließlich „Generation Zero“. Ich war von seinem kulturellen Sachverstand und seiner kulturellen Klugheit beeindruckt. Ich war überrascht, als er die Führung von Breitbart übernahm und für die Sichtweisen warb, die von dieser Seite vertreten werden. Wie viele Leute, lernte ich erst über die alt-right (eine rechtsextreme Bewegung mit Verbindungen zu Breitbart und einem locker definierten weiß-nationalistischen Programm) durch die Mainstream-Medien. Strauss, der 2007 starb, und ich haben Bannon nie gesagt, was er sagen oder denken sollte. Aber wir haben ihn vielleicht mit der Einsicht versehen,  dass Populismus, Nationalismus und staatlicher Autoritarismus bald zunehmen würden, nicht nur in Amerika, sondern überall auf der Welt.

Weil wir nie versucht haben, ein politisches Manifest zu schreiben, waren wir von der Popularität überrascht, die das Buch unter gewissen Kreuzzüglern sowohl der Linken als auch der Rechten erfuhr. Als „The Fourth Turning” herauskam, waren unsere größten parteigebundenen Fans von der Partei der Demokraten, die in unserer Beschreibung einer aufkommenden “Millennial Generation” (ein Begriff, den wir definierten)  die Art  von gemeinschaftsgestimmten Optimisten, die Amerika zu den progressiven Idealen hinziehen würden. Jedoch hatten wir ebenfalls konservative Fans, die von einer anderen Lektion angezogen wurden: dass die neue Ära wahrscheinlich dazu führen würde, dass sich die Ökonomie des linken Flügels mit den sozialen Werten des rechten Flügels verbinden würde.

Abgesehen von der Ideologie, denke ich, dass es einen anderen Grund für das steigende Interesse an unserem Buch gibt. Wir weisen die tief verwurzelte Grundannahme der modernen Historiker des Westens zurück, nach der die gesellschaftliche Entwicklung entweder linear (kontinuierlicher Fortschritt oder Niedergang) oder chaotisch (zu komplex, um irgend eine Richtung erkennen zu können) verläuft. Stattdessen übernehmen wir die Einsicht nahezu aller traditionellen Gesellschaften: dass die gesellschaftliche Entwicklung ein sich wiederholende Zyklus ist, in dem Ereignisse nur in dem Maße eine Bedeutung bekommen, dass der Philosoph Mircea Eliade “Wiederaufführungen” (engl.: “reenactments”) nennt. Wenn man die unwesentlichen Unfälle und die Technologie weg denkt,  verbleiben  einem im zyklischen Betrachtungsraum nur eine begrenzte Anzahl gesellschaftlicher Modi, die in einer festen Reihenfolge wieder vorzukommen pflegen.

Entlang dieses Zyklus können wir vier “Wendungen” identifizieren, die jeweils ungefähr 20 Jahre, also  die Länge einer Generation,  dauern. Man stelle sich diese als wiederkehrende Jahreszeiten vor, beginnend mit dem Frühling und endend mit dem Winter. In jeder Wendung wird eine neue Generation geboren und jede ältere Generation altert in die nächste Lebensphase.

Der Zyklus beginnt mit der ersten Wendung, einem „Hoch“, das nach einer Krisenzeit kommt. In einem Hoch sind die Institutionen stark und der Individualismus ist schwach. Die Gesellschaft ist zuversichtlich im Bezug auf das Ziel, das sie kollektiv anstrebt, sie kann sich sogar durch die vorherrschende Konformität gedämpft fühlen. Viele heute lebende Amerikaner können sich an das Hoch nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern (post-World War II American High,  Begriff des Historikers William O’Neil), zusammenfallend mit den Präsidentschaften von Truman, Eisenhower und Kennedy. Frühere Beispiele sind das hoch nach dem Bürgerkrieg (post-Civil War Victorian High) mit industriellem Wachstum und stabilen Familien und das hoch nach der Staatsgründung (post-Constitution High) mit Demokratischen Republikanismus und einer Ära guter Gefühle.

Die zweite Wendung ist eine “Erweckung”, in der Institutionen im Namen höherer Prinzipien und tieferer Werte angegriffen werden. Gerade dann, wenn die Gesellschaft den Höhepunkt des öffentlichen Fortschritts erreicht, werden die Menschen plötzlich all der sozialen und gesellschaftlichen Disziplinen müde und möchten ein Gefühl der persönlichen Authentizität wieder erlangen. Erlösung durch Glaube, nicht durch Arbeit, ist der Schlachtruf der Jugend. Eine solche Ära war die Bewusstseinsrevolution der späten 1960er und 1970er Jahre. Einige Historiker nennen diese Amerikas vierte oder fünfte große Erweckung, abhängig davon, ob sie mit der Zählung im 17. Jahrhundert mit John Winthrop oder im 18. Jahrhundert mit Jonathan Edwards beginnen.

Die dritte Wendung ist ein „Aus-den-Fugen-geraten” (engl. unravling), in vieler Hinsicht das Gegenteil des Hochs. Institutionen sind schwach und genießen kein Vertrauen, während der Individualismus stark ist und blüht. Die Dekaden der dritten Wendung waren die 1990er, die 1920er und die 1850er Jahre, in denen Zynismus, schlechte Manieren und eine schwache staatliche Autorität notorisch waren. Der Regierungsapparat schrumpft typischerweise und spekulative Manien,  wenn sie vorkommen, sind wahnsinnig.

Schließlich kommt die vierte Wendung, die eine Krisenperiode ist. Das ist, wenn unserer institutionelles Leben von Grund auf rekonstruiert wird – was immer als Antwort auf eine Bedrohung erfolgt, von der man den Eindruck hat, dass sie das Überleben der Nation grundsätzlich infrage stellt. Wenn die Geschichte keine derartige Bedrohung produziert, werden die Führer der vierten Wendung unentdeckt eine finden – oder sogar eine fabrizieren – um die kollektive Aktionsbereitschaft herzustellen. Bürgerliche Autorität wird wiederbelebt und Einzelpersonen und Gruppen beginnen in einer größeren Gemeinschaft mit anzupacken. Wenn diese prometheischen (himmelstürmend, an Kraft und Gewalt alles übertreffend) Ausbrüche bürgerlicher Anstrengung sich wieder auflösen, dann erneuern die vierten Wendungen die nationale Identität und definieren diese neu. Die Jahre 1945 1865 und 1794 schlossen alle eine Ära ab, in der sich neue „Gründungsmomente“ der amerikanischen Geschichte konstituierten.

Gerade so wie eine zweite Wendung unsere innere Welt (der Werte Kultur und Religion) neu formt, so formt eine vierte Wendung unsere äußere Welt (der Politik, Wirtschaft und des Empires).

In unserem Paradigma kann man vorausschauen und andeuten, dass die kommende Zeitperiode – sagen wir eine bestimmte Dekade – in ihrer essenziellen menschlichen Dynamik einer Zeitperiode in der Vergangenheit ähneln wird. In „The Fourth Turning” haben wir vorausgesagt, dass beginnend um 2005, Amerika wahrscheinlich eine „Große  Abwertung“ in den Finanzmärkten erleben wird, ein Katalysator, der Amerikas Eintritt in eine Ära markieren wird, deren erste Dekade wahrscheinlich Parallelen zu den 1930er Jahren haben wird.

Wenn wir über die Dekade reflektieren, die wir gerade durchlebt haben, können wir wahrscheinlich darin übereinstimmen, dass der Vergleich mit den 1930er Jahren zutrifft. In der Wirtschaft entfalteten sich beide Dekaden im Schatten einer globalen Finanzkrise und sie waren durch ein langsames und enttäuschendes wirtschaftliches Wachstum und chronische Unterbeschäftigung der Arbeitskräfte und des Kapitals charakterisiert. Beide sahen schwache Investitionen, Deflationsängste, wachsende Ungleichheit und die Unfähigkeit der Zentralbanker den Konsum wieder zu entfachen.

In der Geopolitik waren wir weltweit Zeugen eines Anstiegs von Isolationismus, Nationalismus und rechtem Populismus. Der Geostratege Ian Bremmer sagt dass wir nun in einer „G-Zero” Welt leben, in der jede Nation für sich selbst steht. Diese Geschichte ist wie ein Echo der1930er Jahre, die von einer schwindenden Autorität der großen macht Allianzen und einer neuen Bereitschaft autoritärer Regime zeugte, mit erschreckender Straflosigkeit zu agieren.

In den gesellschaftlichen Trends zeigen die beiden Dekaden ebenfalls Parallelen: sinkende Geburtenraten und sinkenden Eigenheimbesitz, den Anstieg von Mehrgenerationenhaushalten, die Ausbreitung von Lokalismus und der Identifikation mit Gemeinschaften, ein dramatischer Rückgang von Jugendgewalt (eine Tatsache die scheinbar den Präsidenten ausgelassen hat), und eine fade populäre Jugendkultur. Über allem registrieren wir weltweit bei den Wählern eine Sehnsucht nach Führern die eine größere Autorität zur Geltung bringen und die eher Taten als Geschäftigkeit liefern, eher Resultate als Abstraktionen.

Wir leben in einer zunehmend unbeständigen und ursprünglichen Ära, in der die Geschichte sich beschleunigt und die liberale Demokratie schwächer wird. Wie Vladimir Lenin schrieb, „in manchen Jahrzehnten passiert nichts; in manchen Wochen passieren Jahrzehnte”. Machen Sie sich bereit für die kreative Zerstörung öffentlicher Institutionen, etwas das jede Gesellschaft periodisch erfordert um auszusondern was obsolet, verknöchert und disfunktional ist – und um das Spielfeld des Wohlstandes und der macht fort von dem alten und zurück zu dem Jungen zu kippen. Wälder benötigen periodische Feuer; Flüsse benötigen periodische Fluten. Gesellschaften ebenso. Das ist der Preis den wir für ein goldenes Zeitalter bezahlen müssen.

Wenn wir die breiteren Rhythmen der Geschichte betrachten, haben wir Grund von diesen Trends ermutigt zu sein, nicht entmutigt. Die angloamerikanische Geschichte hat in den letzten paar Jahrhunderten in einem ziemlich regelmäßigen Zyklus gesellschaftliche Krisen erlebt, nämlich ungefähr alle 80-90 Jahre, oder grob gerechnet ein langes menschliches Lebensalter. Dieses Muster zeigt sich in den Intervallen die die koloniale Glorious Revolution, die amerikanische Revolution, den amerikanischen Bürgerkrieg, und die große Depression und den Zweiten Weltkrieg trennen. Schneller Vorlauf für die Länge eines langen menschlichen Lebens von 1930 an, und wir enden da wo wir heute sind.

Amerika betrat 2008 eine neue vierte Wendung. Sie wird wahrscheinlich bis um 2030 dauern. Unser Paradigma legt nahe dass die gegenwärtigen Trends sich bis zur Halbzeit verstärken werden.

Weitere widrige Ereignisse, vielleicht eine andere Finanzkrise oder ein großer bewaffneter Konflikt, wird die öffentliche Meinung wachrütteln und Führer dazu bringen entscheidender Aktionen zu unternehmen. Zunehmende Regionalismus und Nationalismus auf der ganzen Welt könnte zur Fragmentierung großer politischer Einheiten (vielleicht der Europäischen Union) und zum Ausbruch von Feindseligkeiten (vielleicht im südchinesischen Meer, der koreanischen Halbinsel, den baltischen Staaten oder dem persischen Golf) führen.

Trotz einer neuen Neigung zum Isolationismus könnten die USA sich selbst in einem Krieg wiederfinden. Ich hoffe gewiss nicht dass es Krieg gibt. Ich mache nur eine nüchterne Beobachtung: jeder totale Krieg in der Geschichte der USA fand während einer vierten Wendung statt, und noch hat sich keine vierte Wendung ohne Krieg entfaltet. Amerikas Ziele in so einem Krieg werden wahrscheinlich sehr breit definiert sein.

Am Ende der 2020er wird die Krise der vierten Wendung ihren Höhepunkt erreichen und sich einem Ende zu neigen. Abmachungen werden ausgehandelt werden, Verträge werden unterzeichnet werden, neue Grenzen werden gezogen werden, und vielleicht (wie in den späten 1940ern) wird eine haltbare neue Weltordnung kreiert. Vielleicht werden wir in den frühen 2030ern ebenso gut in Zeit einer  neuen ersten Wendung  eintreten:  junge Familien werden frohlocken, die Geburtenrate wird wieder steigen, wirtschaftliche Gleichheit wird steigen, eine neue Mittelklasse wird entstehen, öffentliche Investitionen werden zu der neuen Infrastruktur des 21. Jahrhunderts wachsen, und geordneter Wohlstand wird wieder beginnen.

In der ersten Wendung, potenziell dem nächsten amerikanischen Hoch, werden Millenials in die nationale Führung eintreten und ihren Optimismus, ihre Klugheit Qualifikation und Selbstvertrauen zur Schau stellen. Irgendwann in den späten 2030ern wird der erste der Millenials  ins Weiße Haus gewählt und dazu führen das von einem neuen Kamelott-Moment gesprochen wird. Last einige Jahre mehr vorbeigehen und diese Organisationsbesessenen Millenials werden mit einem passionierten und äußerst unerwarteten Angriff einer neuen jungen Generation konfrontiert.

Willkommen zur nächsten Erweckung. Der Kreislauf der Geschichte dreht sich unerbittlich weiter.

Neil Howe ist, zusammen mit William Strauss, der Autor von “Generations”, “The Fourth Turning” und “Millenials Rising”.

Deutsche Übersetzung von Christoph Becker, www.freizahn.de

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