Starkregen und Sturzfluten

Der Artikel “Keine Lange Vorwarnzeit – Bundeswehrstudie fordert Schutz vor kommunalen Sturzfluten / Mehr Versickerungs- und Rückhaltebecken nötig” von Paul Leonhard, auf S. 21, in der Wochezeitung Junge Freiheit vom 26. Mai 2017 hatte mich neugierig gemacht.

Dem Artikel liegt hauptsächlich eine an der  Bundeswehrhochschule in München, unter der Führung einer Professorin für Journalistik, im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe angefertigte Studie zu Grunde. Außerdem wird am Ende des Artikels ein Hinweis auf die Webseite www.starkregen-ews.de gegeben. Dabei handelt es sich um eine Firma, die darauf spezialisiert ist, Simulations-Software und Beratung für die Planung und den Bau von Versickerungs- und Rückhaltebecken zu liefern.

Erst habe ich mir die Webseite dieser Firma angesehen und darüber gestaunt, dass die halt nur teure Technik und Beratungsleistungen verkaufen wollen, die meines Erachtens nur in größeren Städten und Industriegebieten mit sehr weitgehend zu betonierten, asphaltierten und bebauten Flächen Sinn machen, in denen die von mir hier weiter unten noch einmal angesprochenen Maßnahmen keinen Sinn machen.

Wenn die Software dieser Firma das hergibt und die Nutzung detaillierter Versickerngsraten erlaubt, dann könnte man damit allerdings auch den Nutzen von Maßnahmen der Bodenverbesserung im Bezug auf Starkregenereignisse und Sturzfluten im Detail simulieren und zeigen. Neben landwirtschaftlichen Nutzflächen könnte man schließlich auch Gärten und öffentliche Grünflächen optimieren, indem man die Bodenqualität und damit auch die Versickerungsrate steigert.

Die “Bundeswehrstudie”, deren vollständiger Titel “Die unterschätzten Risiken„Starkregen“ und „Sturzfluten“  Ein Handbuch für Bürger und Kommunen” lautet, und die von der verlinkten Seite als pdf-Datei kostenlos heruntergeladen werden kann, habe ich nach etwas Suchen gefunden und mir heruntergeladen. Das Handbuch ist aus dem Jahre 2015. Ich habe etwas darin gelesen (wer und was sind die Autoren? Inhaltsverzeichnis? Anhänge? und und dann mit Hilfe der erweiterten Suchfunktion von Acrobat-Reader etwas  untersucht, und dann gezielt weiter gelesen). Ich habe die Studie mit ihren 400 Seiten also nicht ganz gelesen.

Mit den Stichwörtern bzw. Wortteilen Humus, versicker und Liter bin ich schnell fündig geworden:

Auf S. 196, “Ganzjährige Nutzung von Agrarflächen”, findet man zunächst:

Jeder natürliche Boden funktioniert grundsätzlich wie ein Wasserspeicher, da in den Hohlräumen und Poren zwischen
den Bodenpartikeln das Wasser wie von einem Schwamm aufgesaugt wird. Je nach Humusgehalt, Art des Bodens und der
Dichte kann die Aufnahmefähigkeit variieren. Im günstigsten
Fall wird das Wasser einfach vom Boden aufgenommen oder
kann auf den weiten Außenflächen verdunsten. Bei Starkregen
ergibt sich das Problem, dass das Wasser nicht schnell
genug vom Boden aufgenommen werden kann und somit
oberirdisch abfließt, obwohl die Speicherkapazität nicht ausgeschöpft ist. Der Grund hierfür liegt in der landwirtschaftlichen
Nutzung vieler Böden, die dadurch stark komprimiert
und meist auf schnelles Wachstum (Monokulturen) ausgelegt
sind. Die Bodenschichten sind weniger heterogen und verdichten
sich schneller durch eher oberflächlichen Wurzelwuchs.
Um den Boden auch für Starkregen so aufnahmefähig
wie möglich zu gestalten, können gegen dieses Problem verschiedene Maßnahmen ergriffen werden: Zum einen durch
eine Umstrukturierung der Flächen, zum anderen durch eine
Umstrukturierung der Böden. Die Ziele sind die Steigerung
der Aufnahmekapazität sowie die Vergrößerung der Verdunstungsflächen.

Zahlen dazu?

Die Suche mit “Liter” führte zu Seite 198, Zitat:

Eine ganzjährige Bepflanzung (z. B. Dauergrünland) kann bewirken, dass der Boden sich wieder auflockert (Durchwurzelung), fruchtbarer wird und somit mehr Wasser aufnehmen kann. So können Grasflächen zwei, Wälder bis zu fünf Liter Regen pro Quadratmeter aufnehmen. In dichten Waldbeständen können so 60 bis 75 Liter/m² versickern, auf einer Weidefläche nur 20 Liter.

Was denn nun? Grasfläche zwei Liter aber  Weide  20 Liter und in welcher Zeit?  Wald fünf Liter oder 60 bis 75 Liter und in welcher Zeit? Von Leuten die vielleicht mal Generalstabsoffizier oder sogar General werden wollen und auch von einer Professorin für Journalismus, erst recht an einer Bundeswehrhochschule, habe ich mehr Präzision im Detail erwartet.

Die per Fußnote angegebene Quelle, auf die in dem gesamten Buch übrigens fünf mal verwiesen wird ist laut Literaturverzeichnis:

GRAW, MARTINA (2005): Hochwasser – Naturereignis oder Menschenwerk? Schriftenreihe der Vereinigung
Deutscher Gewässerschutz, Band 66, 3. Auflage, Bonn.

Das hat mir dann gereicht, weil ich ganz andere Daten in Erinnerung hatte.

Auf Youtbube findet man mit “Infiltration rate” einige Beispiele für Infiltationstests. Ich habe die Suche dann noch auf “Infiltration rate archeluta” erweitert und habe mir noch einmal Ray Archelutas “Soil Slake and Infiltration Test” (dt. Mutterboden-Zerfall und Infiltrationstest) angesehen.

Dann habe ich noch einmal Gabe Browns Vortrag Key to Building healthy Soil – Holisctic Regeneration of Our Lands: A Producer’s Perspectiv (dt.: Schlüssel zum Aufbau von gesundem Mutterboden – Ganzheitliche Regeneration unseres Landes: Aus der Perspektive eines Erzeugers) gescannt und nach der Stelle gesucht, wo er auf die Verbesserung der Versickerungsrate auf seinen Flächen und auf die Wirkung extremer Starkregenereignisse auf seinem Land und bei seinem Nachbarn eingeht.  Das ist etwa ab Position Minute 20.

Am 15 Juni 2009 wurde für das Gebiet von Browns Ranch Starkregen angesagt. Um 18:30 fing es an zu regnen um Mitternacht hat er 13,2 Zoll, dass sind 335 mm bzw. 335 Liter pro Quadratmeter in nur 5 1/2 Stunden, gemessen.

Das folgende Bild (Poor Infiltration, but Good for Ducks = Schlechte Infiltration, aber gut für Enten) des “Entengebietes” seines Nachbarn, womit er hier ironisch dessen Weide und Ackerland nach Starkregen meint, hat er 3 Wochen nach diesem Starkregen aufgenommen.

Das Bild folgende Bild (Adequate Infiltration: 13.6″ in 22 Hours , auf deutsch: Angemessene Infiltration: 345 Liter Regen in 22 Stunden) hat ein  Angestellter vom zuständigen Soil Conservation Service (amerikanische Bodenerhaltungsbehörde) aufgenommen. Es zeigt Gabe Browns Ackerland am nächsten Tag, nachdem am Abend und in der  Nacht davor insgesamt 345 Liter in 22 Stunden gefallen waren:

Er erwähnt dann, dass 1991, als er den Betrieb  übernommen habe, eine Wasserinfiltrationsrate von 1/2 Zoll pro Stunde, das sind 12,5 Liter pro Quadratmeter und Stunde, gemessen wurden. 2016 wurden 8 Zoll, dass entspricht 203 Liter pro Quadratmeter und Stunde, gemessen. Einen Starkregen mit 8 Zoll pro Stunde habe er noch nicht erlebt.

Landwirtschaftliche Nutzfläche kann also, mehr als 10 mal soviel Wasser bei Starkregen in einer Stunde aufnehmen, wie man an der Bundeswehrhochschule und beim Deutschen Gewässerschutz meint.

Gabe Brown erwähnt dann auch noch,  sein Land  sei auch nach dem oben erwähnten, extremen Starkregenereignis noch mit jeder seiner Maschinen befahrbar gewesen. Das Wasser, das sein Land bei dem Starkregen aufgesogen habe, hätte er natürlich zu anderen Zeiten für das Pflanzenwachstum.

Zu Gabe Brown und seinem Betrieb hatte ich auch schon in Optimierung im Getreideanbau und Hochwasserschutz durch Integration der Mutterkuhhaltung geschrieben. Damals war mir aber noch nicht bewusst, dass zwischen Hochwasser und Starkregen zu unterscheiden ist.

Mit “no till gardening” und “garden crimping” findet man auf Youtube interessante Informationen und Beispiele dafür, wie auf kleineren und auch auf großen Flächen vorgegangen werden kann, wenn man keine Herde mit Kühen oder anderen Wiederkäuern hat.

Das Crimpen der Zwischenfrüchte oder der Einsatz von Wiederkäuern mit hoher Tierdichte (Mob-Grazing) ist aber ein Teilaspekt.  Gabe Brown setzt z.B. durchweg sehr vielfältige Zwischenfrucht-Mischungen ein.

Die Methode von John Jeavons, mit seinem Biointensiven Gartenbau, der sehr wohl umgräbt und der den Boden dabei bis zu 60 cm tief mechanisch auflockert und auch die der Singing-Frogs-Farm, mit ihrem extrem intensiven und ohne Umgraben auskommendem Gartenbau und inzwischen über 90 cm tiefer Humusschicht, erreichen wohl alle auch sehr gute Wasserinfiltrationsraten und damit auch gute Beiträge zum Schutz vor Starkregen und Hochwasser.

Insgesamt kann man festhalten, dass im Bereich Landwirtschaft und Gartenbau Verbesserungen möglich sind, die gerade auch vor dem Hintergrund des Starkregenrisikos Verbesserungen erlauben, die heute in Deutschland in der Regel nicht für möglich gehalten werden.  Wie weit diese Möglichkeiten auch für Dörfer und Städte zum Schutz vor Schäden durch Starkregen und Sturzfluten geeignet sind wäre durch entsprechende Berechnungen und Simulationen zu prüfen. Der angenehme Nebeneffekt dieser Verbesserungsmöglichkeiten ist, dass damit zugleich auch die Qualität der produzierten Nahrungsmittel und damit die Gesundheit der Bevölkerung, die Ernährungssicherheit der Bevölkerung bei lange andauernden Katastrophen und auch die Ertragslage der Erzeuger verbessert werden kann, während die Bodenerosion vermindert werden kann. Die Ertragslage der Erzeuge würde dabei u.a. auch dadurch verbessert, dass sich Trockenperioden weniger auf die Erträge auswirken, dass die Niederschlagsmengen besser im Boden gehalten und genutzt werden.

Der Journalist der Jungen Freiheit hat seinen Job meines Erachtens schon gut gemacht. Aber von der Bundeswehrhochschule und einem an dieser angesiedelten Lehrstuhl für Journalistik, der sich dem Thema umfassend mit Staatsmitteln gewidmet hat – und auch ganz allgemein von einer Regierung eines “so großen und reichen Landes wie Deutschland” – sollte man sehr viel mehr erwarten können.

Was ist, wenn die Hochschulen, die Führung der Bundeswehr und die Regierung auch in anderen, für das Überleben und die Zukunft des Landes noch viel wichtigeren Fragen genauso oberflächlich recherchieren und zu ähnlich irreführenden Daten und Zahlen kommen und als Folge davon angemessene und brauchbare Problemlösungen nicht sehen?

Kelberg, den 26. Mai 2017

Christoph Becker




Einige Probleme der Bundeswehr

In den Kommentaren zum Artikel Von der Leyen schickt Militärgeheimdienst gegen wütenden Bundeswehroffizier  von Florian Rötzer, auf Telepolis, fand sich ein sehr interessanter Bericht über die Qualität der Regierungsarbeit von Frau von der Leyen in ihrer Zeit als Familienministerin.

Es handelt sich um einen Link auf einen zwar etwas langen, aber vor dem Hintergrund der aktuellen Säuberung der Bundeswehr auch heute noch sehr aktuellen Bericht eines Informatikers über die Qualitäten der heutigen Verteidigungsministerin und ihren Gehilfinnen.

Der Artikel hat den Titel Wie die deutsche Internet-Kinderpornosperre zustande kam .

Hier einige  Zitate:

Im Sommer/Herbst 2008 kam dann die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen damit daher, daß sie das Internet als das Böse, das Schlechte und als Männerspielzeug identifiziert habe, und sie sich jetzt damit profilieren und verewigen wolle, diesen Sündenpfuhl auszutrocknen und die Familie wieder, naja, vielleicht so an ihrem Weltbild des häuslichen Musizierens auszurichten. Von der Öffentlichkeit wurde das bis dahin aber praktisch nicht wahrgenommen und auch so gut wie nicht darauf reagiert. In die Wahrnehmung und die ebenso heftige wie zutreffende Kritik einer breiten Öffentlichkeit kam die Sache erst im Frühjahr 2009, als man Gesetze ankündigte und plakativ Verträge mit den Providern schloß, die weder erfüllbar noch zur Erfüllung gedacht waren oder jemals erfüllt wurden, sondern deren Zweck darin bestand, Ursula von der Leyen und der Regierung das Gesicht und die Sache über den Hochpunkt des Interesses zu retten,

……

Ein drittes Problem war, daß das Ministerium, wie soll ich das jetzt formulieren, sehr „neo-industrie-feministisch” aufgestellt war. Es gibt so einen neuen Typ Karriere-Frau, den man schon äußerlich und am Auftreten erkennt. Teure Designer-Beton-Frisur, 40-60% zuviel Make-Up, immer derselbe Gesichtsausdruck, aggressive Gestik, Hosenanzug, den Blazer dabei meist eigentlich zu eng, weil’s figurbetont rüberkommen soll, hohe Absätze, Busines-Auftreten. Aggressive Sprechweise, rüpelhaftes Auftreten, muß die Nummer Eins spielen. Permanente Besserwisserei, sagt jedem, was er zu tun hat, hört aber niemandem zu. Kommunikation als Einbahnstraße. Hält die Frau für das überlegene Wesen und duldet Männer nur als niedere Gehilfen und Arbeiter. Ist fest davon überzeugt, daß sie allein schon als Frau und durch ihr hartes Auftreten einen Karriereanspruch hat, betrachtet es aber als Zeitverschwendung und Tätigkeit für Waschlappen, sich sachkundig zu machen. Hat damit Erfolg, ist unglaublich eingebildet, kommt sich ganz toll vor, hat aber eigentlich keine Ahnung wovon sie redet und merkt vor lauter Erfolgsbesoffenheit und Eigenbegeisterung nicht, wie lächerlich sie sich macht, weil sie den letzten Mist daherredet. Funktioniert meistens aber, weil sie ein Publikum um sich versammelt, das es überwiegend auch nicht merkt (oder sogar gut findet). Ursula von der Leyen ist ein Prachtexemplar dieser Gattung, aber ihre Mitarbeiterin, die diese Gruppe geleitet hat, war darin auch nicht schlecht. Man muss sich diese Art des Auftretens mal bewußt machen um zu verstehen, warum gerade aus von der Leyens Ecke die Forderung nach einer Frauenquote kommt. Das paßt ganz exakt zu der Sichtweise, daß Frausein, Businessfrisur, Hosenanzug und hartes Auftreten doch ausreichen müssen, um es ganz nach oben zu schaffen, in den Vorstand, ohne dabei irgendwelche hard-skills beherrschen zu müssen. Zuzugeben ist, daß man mit sowas durchaus Bundesministerin werden kann.

Und man merkt diesen Leuten dann auch sehr deutlich an, daß sie Männern permanent mißtrauen und verwerfliche Absichten unterstellen. Und daß sie nie gelernt haben, fachlich zuzuhören und Argumente zu verstehen und abzuwägen. Realität, Technik, Argumente kommen in deren Erlebniswelt nicht vor. Das ist alles so ein Ich will, der andere will nicht, also muß man ihn dazu bringen zu wollen. Das sind eben diese typischen Kompromiss- oder Durchsetzungstanten, die ein Problem niemals lösen, weil sie es nie als Problem auffassen, sondern nur als geringerwertige Meinung anderer. Und so sind von der Leyen & Co. an das Problem herangegangen. Die waren von vornherein davon fest und unverrückbar davon überzeugt, daß das gehen muß, weil erstens die Norweger sagten, daß es geht, weil es zweitens in ihrer Vorstellung vom DNS als Webseitenproxy plausibel war, und weil drittens sie als Frauen – die mit dem Familiensorgeprivileg-Joker der Super-Mutti – die Sperre wollten, aber alle Kritiker der Sperre männlich waren. Und wenn Männer sagen, daß etwas nicht geht, dann ist das immer gelogen und hat im besten Falle chauvinistischen Hintergrund, hier aber ganz sicher deshalb, weil die Männer sich die uneingeschränkte Pornoguckerei nicht nehmen lassen wollen.

………..

Dieser Sichtweise liegt ein ganz spezifisches Rollen- und Geschlechtsverhalten zugrunde: Sie wünscht – und sagt ja auch mehrfach, daß es „Ihr politischer Wille” sei, und die unteren Arbeiter und Dienstleister haben das gefälligst zu erfüllen und umzusetzen, ihren Wünschen nachzukommen. Daß dieses ganze Kinderpornotheater da im Ministerium von Frauen veranstaltet und von den Providern, die sie dazu zwingen wollte, nur Männer erschienen waren, störte von der Leyen kein bisschen. Während sie für Vorstände Frauenquoten fordert, findet sie es völlig normal und keiner weiteren Erwähnung wert, daß an der Erfüllung ihrer Wünsche, so wie das Implementieren von Pornosperren, nur Männer beteiligt wären. Es zeigte sich nämlich, daß die Frauen, die hier von Ministerium und BKA federführend waren, nicht die geringste Lust hatten, sich die Mühe zu machen, das Internet zu verstehen. Wenn es um Technik und die Implementierung geht, wird das durchaus als reine Männeraufgabe angesehen. Da will man keine Frauenquote. Ganz das Klischee, daß Frauen für das Wünschen und Bestimmen und die Männer für das Umsetzen, das Ausführen und die Sachkunde zuständig sind. Frau ist in keiner Weise gehalten sich zu überlegen, ob das, was sie wünscht, so überhaupt möglich ist.

Und natürlich bekam sie dabei Rückendeckung von ihren CDU-Kollegen, die zwar auch keinen blassen Schimmer hatten, wie das mit der Sperre oder überhaupt das Internet funktioniert, aber von vornherein proklamierten, daß die „argumentative Bringschuld bei den Kritikern” läge. Nun, diese argumentative Bringschuld hatte ich damals als der technisch Wortführende sogar erfüllt. Man war nur nicht willig, dem auch zuzuhören.

Zitatende.

Das passt zur G36 Geschichte. Dieses ab 1997 bei der Bundeswehr eingeführte Standardgewehr und vorher ja wohl auch von der Bundeswehr gründlich geprüfte und begutachtete Gewehr ab 2011, also nach 14 Jahren in Verruf geraten, weil es “nach einigen mehreren hundert Schuss” zu heiß würde und dann nicht mehr richtig treffen würde. Später hieß es dann schon, es würde auch nach 90 Schuss nicht mehr gut treffen. Für Frau von der Leyen war das seinerzeit Grund genug sich mit dem Hersteller anzulegen und zu behaupten, das Gewehr tauge nichts.  Doch was würde das in der Praxis bedeuten?

Es gibt für solche Gewehre zwei Möglichkeiten: Kurze Feuerstöße, die nur bei einem Sturmangriff, also im Laufen abgegeben werden, oder eben präzises Einzelfeuer. Beim Sturmangriff ist Präzision eh kein Thema. Also geht es nur um präzises Einzelfeuer. Stellen wir uns dazu vor, dass da zwei bis drei Soldaten in Deckung liegen und von Taliban oder Russen angegriffen werden. Unsere Soldaten schießen kaltblütig und präzise, denn sonst würde ein präzises Gewehr sowieso keinen Sinn machen. Wir haben also richtige Profis und da sitzt so gut wie jeder Schuss, zumal sie keinen Handwagen mit Munition hinter sich her ins Feld ziehen.  Wenn jeder “nur”   60 Schuss abgegeben hat, liegen da draußen also für jedes deutsche G36 mindestens 50 Tote oder verletzte Gegner.  Bei nur zwei deutschen Soldaten sind das dann 100 ausgefallene Gegner. Gibt es Situationen mit so vielen Gegnern überhaupt und wenn das so ist, dann sollten unsere Soldaten das vorher per Aufklärung herausgefunden haben und gleich Verstärkung, Maschinengewehre und vielleicht auch noch andere Waffen mitgenommen oder angefordert haben.

Wenn das wirklich soviel Gegner sind und da nach den ersten 60 Schuss pro Gewehr noch keine 50 ausgeschaltet sind, dann fehlt es unseren Soldaten an Nervenstärke und Ausbildung. Die Präzision des Gewehrs ist dann völlig egal.

Wenn unsere Soldaten tatsächlich einen Handwagen mit Munition hinter sich herziehen, bzw. mit einem Fahrzeug unterwegs sind, so dass sie es sich leisten können, hunderte von Schüssen abzugeben, bevor sie auf die Idee kommen, auch einmal genau zu zielen und zu treffen, dann können sie gerade bei dem leichten und preiswerten G36 gleich noch für jeden ein zweites Gewehr mitnehmen. Eins, um erst einmal ordentlich herumzuballern und Krach zu machen und das zweite für den Fall, dass sie nach ein paar hundert Schuss auch mal genau treffen wollen. Bei zwei Gewehren pro Soldat könnten sie dann außerdem immer eins abkühlen lassen, während das andere benutzt wird. Immerhin wird beim MG3 auch ein Reservelauf mitgeführt, weil der nach nur 150 Schuss zu heiß wird und gewechselt werden soll.

Das Fazit zum G36 war also, dass es im Einsatz keine Probleme mit dieser Waffe gibt, selbst wenn sie nur bei den ersten 30 Schuss ausreichend präzise schießt, geschweige denn bei 60 oder gar 90 Schuss. Der ganze Wirbel, den Frau von der Leyen wegen dem G36 veranstaltet, wäre also eigentlich nur ein Grund gewesen, diese Frau zu ersetzen und ihr Bild in den Kasernen abhängen zu lassen.

Sie ist aber Verteidigungsministerin geblieben, wie sie auch wegen der Kinderpornoseiten-Geschichte nicht gefeuert worden, sondern von der Familienministerin zur Verteidigungsministerin befördert worden ist.

Meines Erachtens ist die Aufgabe eines Verteidigungsministers eine glaubhafte  Vorbereitung der Streitkräfte auf den nächsten richtigen Krieg. Dabei sollte diese Vorbereitung so gut sein, dass sie potentielle Angreifer davon überzeugt, dass es besser ist, friedlich zu bleiben und nicht anzugreifen. Für den Fall, dass die Abschreckung nicht funktioniert,  hat der Verteidigungsminister dafür zu sorgen, dass die Streitkräfte den Gegner erfolgreich abwehren und zurückschlagen können, er hat dabei alles zu tun, um die Sach- und Personenschäden der eigenen Bevölkerung geringst möglich zu halten, wobei das Optimum, wie schon erwähnt, eine erfolgreiche Abschreckung und damit der Erhalt des Friedens ist.

Ein Verteidigungsminister, der seine Streitkräfte und deren Mitglieder zu Witzfiguren macht, der Kriegshelden des eigenen Volkes die Kriegshelden gebührende Ehre verweigert oder abspricht, weil diese das Pech hatten, dass die Ansichten der Regierung, für die sie gekämpft haben inzwischen nicht politisch korrekt sind, sollte von der Regierung abgesetzt werden, oder das Volk sollte die Regierung abwählen. Vor dem Hintergrund der Frage nach der richtigen politischen Gesinnung möchte ich hier nicht ohne diabolischen Spott auf meinen Artikel In der Folge der industriellen Zivilisation verweisen und daraus John M. Greer zitieren:

Auf die eine oder andere Weise, da habe ich keine Zweifel, werden sie [unsere Nachkommen] ihre eigenen Meinung über das bittere Erbe haben, das wir ihnen hinterlassen. Wenn sie zurück denken an die Menschen des zwanzig­s‍ten und des frühen einundzwanzig­s‍ten Jahrhunderts die ihnen die unfruchtbaren Böden und geplünderte Fischgründe gaben, das Chaotische Wetter und die steigenden Ozeane, das vergiftete Land und Wasser, die Geburtsdefekte und Krebserkrankungen die ihr Leben verbittern, wie werden sie an uns denken? Ich denke ich weiß es. Ich denke wir werden die Orks und Nazgûls ihrer Legenden sein, der kollektive Satan ihrer Mythologie, die frühere Rasse die die Erde ruiniert hat und alles auf ihr, so dass sie ein unseeliges Leben auf Ko­s‍ten der Zukunft genießen konnte.  Sie werden uns als böse Inkarnation erinnern – und aus ihrer Perspektive ist es ein in kein­s‍ter Weise leicht zu bestreitendes Urteil

Auch Frau von der Leyen und Angela Merkel werden jedenfalls von späteren Generationen verflucht und verachtet werden, da bin ich mir sehr sicher. Ein spezieller Grund werden dabei gerade im Bezug auf Frau von der Leyen und Frau Merkel aber auch die fehlende Kampfkraft der Bundeswehr und die daraus resultierenden Folgen sein, von denen z.B.  die beiden folgenden von Martin van Creveld eine Ahnung geben:

liest. Aber auch meine beiden kleinen Artikel

zeigen, dass mit  Frau Ursula von der Leyen das Phänomen auch die Bundeswehr voll erfasst hat, das die Kanadierin Karen Straughan  Femokalypse genannt hat und das in ihrem von mir übersetzten kleinen Vortrag beschrieben hat.

Was das im Ernstfall bedeuten wird, hat Martin van Creveld in den beiden oben erwähnten Bücher gut ziemlich deutlich gemacht.

Teil fünf seines Buches Kriegs-Kultur hat den Titel Kontraste und zeigt, was passiert wenn eine Armee keine Kriegskultur hat, sei es weil sie nie eine hatte, sei es weil sie sie verloren hat oder weil man sie ihr genommen hat.

Die Titel der vier Kapitel im Teil Kontraste sind:

  1. Die Wilde Horde. Das sind ziellos vergewaltigende, plündernde, folternde, brandschatzende und mordende Banden und bewaffnete Kräfte. Van Creveld bringt hier eine Reihe von Beispielen von römischen Sklavenaufständen über Bauernaufstände in Frankreich im Mittelalter bis zu den Gräueltaten im Jugoslawien-Krieg.
  2. Die seelenlose Maschine. Hier bringt van Creveld zwei Beispiele aus Deutschland: Die Entwicklung der preussischen Armee nach dem 7-jährigen Krieg, die zu ziemlich irren und hirnlosen Paraden und Ordnungs- und Putzexzessen führte, deren Folge die schändliche Niederlage gegen die Napoleonischen Streitkräfte in der Schlacht bei Jena und Auerstedt war, nach der dann auch noch bis auf die Festung Kolberg alle Festungen kampflos kapituliert haben. Zum Widerstand der Festung Kolberg siehe auch den Film Kolberg auf Youtube. Wie auch van Creveld scheibt, haben in Kolberg die Bürger den ursprünglichen Festungskommandanten zum Widerstand gegen die Franzosen gezwungen und an der Kapitulation gehindert. Danach hat dann, wie auch im Film, der spätere Generalfeldmarschall v. Geneisenau das Kommando übernommen. Das zweite Beispiel für das Militär als seelenlose Maschine ist bei van Creveld die Bundeswehr. Bei dieser sei abzuwarten wie der Verlust an Kriegskultur sich in einem richtigen Krieg auswirken wird. Der durch das femokalyptische Wüten von  Frau von der Leyen in im Mai 2017 angerichtete Schaden ist dabei noch nicht berücksichtigt.
  3. Männer ohne Rückgrat. Das sind Männer, die nicht kämpfen. Sie dessertieren, kapitulieren kampflos oder halten wie in der perversen Auslegung der Bergpredigt durch viele Christen uns sogar die andere Backe hin (siehe dazu aber meinen Artikel Die Bergpredigt, der dazu eine etwas andere Bibel und Interpretation zeigt). Van Creveld hat als Beispiel für diesen Typ Männer die Juden von der Zeit nach der Niederschlagung der jüdischen Aufstände durch die Römer bis in die Neuzeit genommen. Er zeigt dann aber auch, wie es gelang beim Aufbau der israelischen Streitkräfte den Juden wieder Kriegskultur zu geben, und auch wie diese dann in teilweise wieder degenerierte und zerfiel, so dass die Israelischen Streitkräfte im Sommer 2006 auf einmal große Schwierigkeiten im Kampf gegen die Hisbollah bekamen.
  4. Feminismus. Hier geht van Creveld auf die verheerende Wirkung ein, die Frauen auf die Kampfkraft und Kriegskultur haben können. Frau von der Leyens neueste Aktionen hat er hier noch nicht berücksichtigt. Historische Beispiele für die negative Auswirkung des Feminismus auf die Streitkräfte in richtig großen Kriegen gegen ebenbürtige Gegner gibt es noch nicht.  Aber die Indizien und Daten die man hat, geben Anlass zu großer Sorge. Es ist zu erwarten, dass der nächste große Krieg für den Westen zu einer militärischen Femokalypse wird, nach der die nächsten Jahrhunderte und Jahrtausende ganz besonders auch die Frauen kein Interesse mehr an Feminismus oder gar Gleichberechtigung beim Militär haben. Die Bundeswehr hat das Pech, alle Probleme auf einmal zu haben: Das der seelenlosen Maschine, das des Feminismus, und dazu noch eine ziemlich lange Liste weiterer Probleme und Schwächen.  Aber Frankreich ist auch nicht mehr viel besser, wie Georg Friedmans Interview auf Youtube zeigt, wonach z.B.  die Türkei heute Deutschland an einem Nachmittag und mit Frankreich in nur 2 Stunden miliärisch besiegen könnte und würde: G. Friedman: “Türkei besiegt Deutschland an einem Nachmittag und Frankreich in einer Stunde”

In Operation Troja habe ich einmal über eine mögliche Variante eines realen Ernstfalls nachgedacht und mögliche Hintergründe zusammengestellt.   In EMP-Bedrohung – Anhörung im US-Kongress findet sich einiges zu der Frage, wie ein moderner Blitzkrieg aussehen könnte. Alles Bedrohungen, auf die Frau von der Leyen als Verteidigungsministerin, das Land hätte vorbereiten sollen.  Dazu hätte natürlich auch gehört, dass sie die Kriegskultur der Bundeswehr verbessert und z.B. auch eine entsprechende Ehrung der deutschen Kriegshelden und für eine ehrenvolle Würdigung der  einmal wirklich überragenden, eben auch von den Gegnern anerkannten Leistungen der Wehrmacht sorgt.

In Von der Wehrmacht lernen habe ich mit Blick auf die in den verschiedensten Bereichen explodierenden Komplexitätskoste einiges dazu geschrieben. Die Wehrmacht hatte jedenfalls, im krassen Gegensatz zu Frau von der Leyen ein ziemlich gutes Führungssystem und sie war auch sehr gut darin Ingeniösitätslücken (( sieh dazu Thomas Homer-Dixons Buch The Ingenuity Gap: How Can We Solve the Problems of the Future? (dt.: Die Ingeniösitätslücke: Wie können wir die Probleme der Zukunft lösen?)  )) zu vermindern und die Komplexiätskosten gering zu halten.

Ein Aspekt, an den ich beim Verfassen von  Von der Wehrmacht lernen  noch nicht gedacht habe ist, dass die Wehrmacht eben auch das große historische Beispiel dafür ist, dass Wunschdenken, technischer Fortschritt, der Glaube an den technischen Fortschritt, geniale Organisation, gute Ausbildung und Spitzenleistungen auf fast allen Gebieten am Ende doch ein furchtbares, totales  Scheitern wegen fehlender fossiler Energie und anderer Rohstoffe nicht verhindern konnte. Anders ausgedrückt, die Wehrmacht hat ein beeindruckendes Beispiel dafür geliefert, dass und wie eine Organisation oder Gesellschaft scheitern kann, wenn sie zu sehr an den Gott des Fortschritts glaubt, während ihr die fossilen Energieträger und anderen Rohstoffe und auch die Zeit fehlen, die sie zur Erreichung ihrer Ziele in der Realität nötig hätte.

Insofern ist die Wehrmacht und das Deutschland der Nazi-Zeit insgesamt durchaus eine schreckliche und zugleich warnende Vorschau auf das, was letztlich allen westlichen Industriestaaten, und da ganz besonders auch der BRD blüht, wenn sie zu lange an den Gott des Fortschritts glauben und die Grenzen ignorieren, die ihnen z.B. im Energiesektor gesetzt sind.

Große Leistungen, wie die der Helden der Wehrmacht, sollte man meines Erachtens ebenso wenig vergessen, wie große tragische Fehler, für die Wehrmacht eben auch steht.

Die Wehrmacht hat sich zum Werkzeug verantwortungsloser Politiker und der politischen Korrektheit jener Zeit machen lassen. Aber was würde Mark Twains Satan heute in einem Brief von der Erde an seinen Erzengelkollegen über die Bundeswehr berichten?

Der wichtigste Grund für die Niederlage der Wehrmacht war, wie schon erwähnt, der Mangel an fossilen Energieträgern und an anderen  Rohstoffen. Die meisten Verbrechen die heute der Wehrmacht zur Last gelegt werden wurden begangen, weil man zu sehr an den Gott des technischen Fortschritts und an eine Erlösung durch Wunderwaffen geglaubt hat. Diese Wunderwaffen hatte man durchaus. Man hatte aber nicht genug Treibstoff für die technisch überlegenen Panzer und Flugzeuge. Außerdem konnte  die Industrie nicht (mehr) genug von diesen modernen Waffen liefern. Das Scheitern der Wehrmacht an den Grenzen der Energie- und Rohstoffversorgung und an einem Zuwenig-zu-spät bei den technischen Lösungen ist etwas, was Deutschland z.B. mit der Energiewende passieren wird.

Siehe dazu z.B. den hervorragenden Vortrag Energiewende ins Nichts von Hans-Werner Sinn, vom 16. Dezember 2013, auf Youtube, und dazu dann auch

Es wird aber nicht nur an fossilen Energieträgern, sondern Dank sei Frauen wie Ursula von der Leyen, vielleicht auch  an der psychischer Energie bzw. Motivation der Männer zur Verteidigung und zum Erhalt dieser Gesellschaft  fehlen, wenn es darauf ankommt.

Wir haben zusätzlich gerade angesichts der gravierenden Mängel in der Ausrüstung der Bundeswehr und auch wegen deren fehlender oder beschädigten Kriegs-Kultur, eine Ingeniösitätslücke. Von der Wehrmacht könnte man auch lernen, wie man diese Lücke reduziert.

Nur, warum sollte ein Mann, der noch klar bei Verstand ist, überhaupt für ein Land wie Deutschland im Krieg auch nur eine Schramme riskieren? Michel Houellebecqs Vision in dem Roman Unterwerfung ist doch ganz nett und attraktiv für die Männer, Zitat aus der Buchkritik in DER SPIEGEL:

Am Ende – der Erzähler steht kurz vor dem Übertritt zum Islam – entdeckt er die Vorteile der Polygamie für seine Sexualität und stellt hinfort seinen verschleierten Kursteilnehmerinnen nach: “Die muslimischen Frauen waren hingebungsvoll, unterworfen – im Grunde genommen genügte das, um Vergnügen zu bescheren.”

Warum also im Krieg nicht einfach zur Gegenseite überlaufen oder, noch viel besser und gefahrloser, sich vorher absetzen und schadenfroh aus der Ferne den Untergang Merkeldeutschlands genießen? Merkeldeutschland ist ein Land, das seine Helden nicht ehrt, sondern verachtet und leugnet – einfach so, nur weil deren Regierung damals, aus heutiger Sicht politisch nicht korrekte Ansichten hatte. Dabei ist ziemlich sicher, dass die Ansichten der heutigen Politiker in einigen Jahrzehnten auch nicht mehr politisch korrekt sein werden. Man bedenke, dass Hitler und seine “Elite” schließlich auch meinte, dass das 3.  Reich 1000 Jahre halten würde und dass Honecker noch im Spätsommer 1989 meinte, die Mauer würde noch in 100 Jahren stehen. Und dann war doch alles anders und die Inhalte der politischen Korrektheit veränderten sich. Das sollten sich alle sehr gut merken. Alle Männer, die das Zeug zu Kriegshelden  haben, kommen auch in anderen Berufen und Ländern und Kulturen gut unter.

Ein schon etwas älterer, hier  passender Artikel auf meiner Webseite, ist Freiheit und das Streben nach Macht, mit einem Auszug des gleichnamigen Kapitels, aus dem Buch Der Mensch das riskierte Wesen – Zur Naturgeschichte menschlicher Unvernunft von Irenäus Eibl-Eibesfeldt.

Kelberg, den 24. Mai 2017

Christoph Becker




Lage und Perspektive am Ölmarkt im Frühjahr 2017

Der folgende Text ist im Wesentlichen eine  Zusammenfassung eines  Interviews von Chris Martenson  mit dem texanischen Erdölspezialisten Art Berman.  Das Interview fand am 2. Mai statt und wurde am 7. Mai veröffentlicht. Der volle Titel lautet Art Berman: Don’t Get Used To Today’s Low Oil Prices – They’re a temporary anomaly. Higher prices are ahead. (dt.: Art Berman: Gewöhnen Sie sich nicht an die heutigen niedrigen Ölpreise – Sie sind eine vorübergehende Anomalie).

Chris Martenson ist der Initiator und zusammen mit Adam Taggert der Betreiber der Internetseite www.peakprosperity.com. Insbesondere hat er auch den sehr informativen und gut gemachten Crash-Course erstellt, dessen ältere aus dem Jahre 2008 stammende Version auch Deutsch synchronisiert frei verfügbar ist.
Art Berman ist ein geologischer Berater mit fast 40 Jahren Erfahrung in der Exploration und Produktion von Erdöl. Darin sind 20 Jahre bei Amoco, die heute als BP  bekannt sind, enthalten. Er hat in den letzten fünf Jahren mehr als 100 Artikel über Geologie, Technologie und die Erdöl-Industrie veröffentlicht. Er hat alleine mehr als 20 Artikel und Berichte über die amerikanischen Schiefer-Gasfelder veröffentlicht.

Chris Martenson meint zunächst, dass er den Eindruck habe, dass die USA und wahrscheinlich die Welt die Situation im Ölgeschäft nicht mehr im Blick hat, außer dass jeder zu glauben scheine, dass Öl im Überschuss angeboten würde, dass die Kosten der Ölförderung fallen, dass es reichlich Öl gäbe und dass wir einfach mehr Öl finden können, sobald wir den Bedarf dazu haben. Seine erste Frage an Art Berman, ist ob da etwas Wahres dran sei.

Berman meint dazu, selbst die verrücktesten Sachen, die wir glauben hätten eine ihnen zugrunde liegende Wahrheit, andernfalls könnten sie nicht bestehen bleiben. Die Idee vom Öl im Überfluss sei jedenfalls nicht vollständig verrückt. Wenn der Preis hoch genug sei, könne man Öl an vielen abartigen und sehr teuren Plätzen finden. Das Öl und das Erdags würde uns nicht ausgehen. Das Problem, das wir jetzt seit 20 Jahren hätten sei aber, dass das billige Öl und Gas auszugehen scheine. Das sei der Hintergrund für das Schieferöl (Fracking) und die Ölbohrungen in sehr tiefem Wasser auf See, die die Ölindustrie in den letzten 20 Jahren dominiert hätten. Man könne schon immer mehr Öl und Gas finden. Die Frage sei nur, was es kostet. Das sei ein Problem, über das wir nicht wirklich viel reden wollten.
Weiter meint Berman sei die verbreitete Vorstellung, dass Technologie uns immer irgendwie retten werde, ein Problem. Das ginge weit über das Thema Öl,  Gas und Energie hinaus. Aber, in seinem Arbeitsgebiet, nämlich Gas und Öl sei diese falsche Auffassung über Technologie sicher vorherrschend. Die Leute würden den Unterschied zwischen Technologie und Energie nicht sehen. Energie sei nicht Technologie. Technologie produziere keine Energie. Technologie sei einfach nur ein Weg, um Energie oder Ressourcen in Arbeit umzuwandeln. Man könne die Technologie verbessern, aber das würde die vorhandenen Ressourcen nicht etwa schonen, sondern nur die Geschwindigkeit von deren Ausbeutung steigern.

In der Tat ist es so, dass Vorräte an Kohle, Eröl und Erdgas in der Steinzeit und im Mittelalter gleich geblieben sind. Erst mit der Verbesserung der Technologie ist der Verbrauch gestiegen und sind die Vorräte geschrumpft. Je schneller und je weiter sich die Technologie entwickelt hat, desto mehr.

Eine Verbesserung der Technologie kann die Ausbeute von fossilen Brennstofflagern zwar schon etwas verbessern, aber insgesamt beschleunigt sie nur deren Erschöpfung. Die Verbesserung der Ausbeute ist erstaunlich gering.

Chris Martenson  hat eine Datenanalyse der globalen Entdeckung von Öl durchgeführt, bei der er Zeiträume von jeweils drei Jahren untersucht hat. Obwohl seine Datenbasis bis in die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts zurückreicht, waren die Jahre 2014,15 und 16 der Dreijahreszeitraum, in dem am wenigsten Öl neu entdeckt wurde. Er fragte Art Berman nach einer Erklärung und warum das bedenklich sei.

Art Bermans Antwort besteht aus zwei Teilen.
Erstens, die Größe der entdeckten Ölfelder ist in den letzten 40-50 Jahren geschrumpft. Dieser schon lange bestehende Trend war die Ursache dafür, dass man sich Bereichen wie Bohrungen in ultratiefem Wasser, der Verwertung von Teersanden und den mit Fracking zu erschließenden Schieferöllagern zugewendet hat. Die Ölfirmen, vor allem die großen, öffentlich an der Börse gehandelten Ölfirmen, hatten lange Zeit ein Problem die Reserven zu ersetzen, die sie verbraucht haben. Zumindest auf dem Papier waren die Schieferölvorkommen in dieser Hinsicht eine Entlastung. Sie können nun zumindest auf dem Papier wieder Reserven hinzufügen, während sie das davor nicht mehr in ausreichendem Maße konnten.

Der zweite Teil der Antwort ist, dass dass man auf kurze Sicht zu wenig investiert. Der Ölpreis lag einige Jahre bei rund 100 $, um eine glatte Zahl zu nennen, und jetzt liege er bei 45-50 $ und jeder spare. Die Firmen müssten jetzt an allem sparen. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen gebe man nur noch Geld für Sachen aus, die schnell viel einbringen. Die Wahrheit über alle größeren Entdeckungen der letzten 30,40, 50 Jahre war aber, dass sie in schwierig zu erschließenden, sehr viel Geld kostenden Gebieten lagen und es dauerte manchmal Jahrzehnte von der Entdeckung bis zur ersten Produktion. Die Wirtschaftlichkeit der Investitionen war also schlecht.
Aus dieser Sicht sind die Schieferöl-Felder eine gute Sache. Man könne für eine begrenzte Menge Geld ein paar Löcher bohren, die im Vergleich zu Ölbohrungen auf hoher See relativ preiswert sind und vergleichsweise schnell Einnahmen erwirtschaften. Aus diesem Grund sei der Schwerpunkt von den großen Projekten, die viele, viele Jahre an vorausgehende Investitionen benötigen,  bevor sie etwas einbringen, hin zu den relativ schnell und für relativ wenig Geld zu erschließenden Vorkommen gewandert. Man könne diese Schieferöl-Quellen ziemlich schnell starten, stoppen und dabei ziemlich schnell etwas herausbekommen. Das sei gut für die Firmen, weil es für sie besser als alles andere funktioniere, aber für die langfristige Versorgung sei das nicht wirklich gut. Wir würden einfach nicht mehr in die großen Sachen investieren. Das sei die einfache Antwort.

Chris Martenson meint dazu, dass es nicht nur die großen Sachen sind, in die nicht mehr investiert werde, sondern auch einige der schwierigen Gebiete, wie in-fill-Drilling, EOR (end of oil recovery), Dampfinjektion und dergleichen. Viele Investitionen seien gestoppt worden und ja, die neuen Investments würden in Schieferöl-Projekte mit schnellem Kapitalertrag fließen. Aber es seien die alten konventionellen Ölfelder gewesen, diese Felder “wo man nur einen Strohhalm in den Boden stecken” und dann jahrzehntelang Öl fördern konnte, auf denen wir die Wirtschaft unserer gesamten Industriegesellschaft aufgebaut hätten. Die großen Ölfelder seien für die Mineralölwirtschaft so etwas wie die Grundlastkraftwerke bei der Elektrizitätsversorgung. Dass in diese nun nicht mehr investiert werde, sehe er als großes Problem.

Ad Berman meint, das sei richtig, aber für den Rückgang der Investitionen in große Ölfelder gebe es einen Grund. Das läge nicht daran, dass diese von Seiten der Ölindustrie ignoriert würden oder dass man dumm sei, sondern es läge daran, dass man die großen Ölfelder schon alle gefunden habe. Die großen, guten, leicht zu erschließenden Ölfelder habe man schon vor Jahrzehnten gefunden. Man wisse einfach nicht, wo man weitere Ölfelder der Saudi-Arabien-, Prodhoe-Bay- und Cantarel-Klasse  finden könne. Wenn es sie irgendwo geben sollte, dann wüsste man nicht, wo sie sind und die Technologie, die wir haben würde uns nicht erlauben, sie zu sehen. Die Grundlast-Ölfelder würden also schwinden. Man müsse durch mit andere Quellen ersetzen oder man hätte bald gar kein Öl mehr.

Chris Martenson fragt dann, wie es denn aussehen würde, wenn man die aktuellen, rund 90 Millionen Barrel pro Tag, der Einfachheit halber auf 100 Millionen Barrel aufgerundet und dann annimmt, dass man die etwa 5 % Förderrückgang der konventionellen Ölfelder, die dann ca. 5 Millionen Barrel pro Tag und Jahr betragen würden, durch Schieferöl ersetzen wolle.

Ad Berman erklärt daraufhin, dass die amerikanische Schieferöl Produktion derzeit bei vier bis viereinhalb Millionen Barrel pro Tag liegt, aber dass man wegen der schnellen Erschöpfung von deren Bohrlöchern ständig neue Bohrungen durchführen müsse, um wenigstens den Stand zu halten. Nüchtern betrachtet sei es zumindest mit dem amerikanischen Schieferöl nicht möglich, die benötigten 5 Millionen Barrel pro Tag jedes Jahr zusätzlich zu erschließen. Es sei also zwar schön, das Schieferöl gefunden zu haben, es sei besser als nichts. Man könne vielleicht für einige Jahre noch 1 Million Barrel pro Tag zusätzlich produzieren, aber das ging dann auch vorbei. Das Schieferöl sei nicht die Antwort auf die Frage, wie wir die 5 Millionen Barrel pro Tag ersetzen können,  die wir jedes Jahr  durch die Erschöpfung der großen alten Ölfelder verlieren.

Chris Martenson meint vor diesem Hintergrund, dass die Ölpreise wieder steigen müssen.  Wir wüssten schließlich,  dass mit  ultratiefen  Bohrungen auf See noch mehr Öl zu finden ist,  aber um dies erschließen und fördern zu können, bräuchte man halt einen sehr viel höheren Ölpreis als man ihn heute hat.

Art Berman meint, das sei schon richtig und stellt die rhetorische Frage, wie hoch dieser Preis sei.  Er erwähnt, dass gerade erst jemand von BP  bei einer Konferenz über offshore-Technologie in Houston gemeint habe, dass BP zwar bei Förderungen in tiefem Wasser Kosten von 40 $ pro Barrel habe, aber bei einem Preis von weniger als 50 $ würden BP nicht bohren. Berman erklärt dann, was in den Förderkosten alles nicht enthalten ist, nämlich zum Beispiel die Kosten für die Entdeckung und Erforschung des Ölfeldes, die Kosten für den Bau der Bohrplattformen und der Förderplattformen,  die Kosten für Pipelines  und noch einiges andere.  Mit den 40 $ Förderkosten seien lediglich die Kosten für das reine Fördern und die Steuern für das geförderte Öl gedeckt. Vor diesem Hintergrund hält er selbst 70 $ pro Barrel für die Ölförderung in tiefem Wasser auf hoher See für ein sehr optimistisches Szenario.
Man muss also damit rechnen, dass die Zahlen über scheinbar niedrige Förderkosten, von denen man gelegentlich in der Zeitung oder im Internet liest, faktisch geschönt sind und nicht annähernd dem entsprechen, was eine Ölfirma im Mittel bekommen muss wenn sie keine Verluste machen will.

Chris Martenson erwähnt dann, dass die amerikanische Schieferöl-Industrie etwa 350 Milliarden $ Schulden hat und rechnet überschlägig vor, dass die dazu bei 35 $ pro Fass 10 Milliarden Fass fördern müssten um nur ihre Schulden zu bedienen. Dabei wären dann Zinsen, Löhne, Energiekosten, Ersatzteile,  Verbrauchsmaterialien, und Abschreibungen auf Maschinen, Dividenden, sowie Umweltschäden und Schäden der Infrastruktur (Straßen, Brücken usw.) nicht berücksichtigt. Nicht berücksichtigt wären dann auch die Kosten für neue Bohrungen, die in der Realität nötig sind, um das in den Schieferölfeldern meist sehr schnelle Nachlassen der Förderleistung der einzelnen Ölquellen auszugleichen.
Bei einer Förderung von 5 Millionen Fass pro Tag,  was wie oben erwähnt schon sehr optimistisch wäre, würden man bei 35 $ pro Fass 2000 Tage oder knapp fünfeinhalb Jahre fördern müssen, um nur die reinen Schulden ohne Zinsen und Bankgebühren bedienen zu können.

Art Berman erklärt dann noch, dass die in den Medien oft euphorisch technologischen Fortschritten zugeschriebenen Senkungen der Förderkosten nur zu schätzungsweise 10 % tatsächlich auf technologischen Fortschritten beruhen, während sie zu rund 90 % durch Abschreibungen, also durch Buchhaltungstricks, und durch ruinöse Preisnachlässe der Servicefirmen zustande kommen.  Die Servicefirmen, die die Öl Bohrungen und das Fracking durchführen, hätten innerhalb von zwei Jahren teilweise Preisnachlässe von 40 % hinnehmen müssen. Davon abgesehen erfassen diese Förderkosten, wie oben schon erwähnt, viele für die Unternehmen insgesamt anfallenden Kosten nicht,  ebenso wie auch  die für die Öffentlichkeit anfallenden Kosten durch Umweltschäden und Infrastrukturschäden nicht erfasst werden.

Die Diskussion dreht sich dann darum, dass die in den Medien als Rettung gefeierte Technologie bei den Ölfeldern in erster Linie eine Beschleunigung von deren Ausbeutung bedeutet und nur in geringem Maße ein Steigerung der insgesamt für das jeweilige Feld möglichen Förderung bringe.

Berman erwähnt dann, dass er kürzlich eine Studie über das Bakken-Feld in North Dakota veröffentlicht habe, in der er zu seiner eigenen Überraschung festgestellt habe, dass die Erschöpfungsphase im Bakken-Feld bereits begonnen habe. Das Ölfeld würde sicher noch lange Zeit Öl liefern, aber eine Produktionssteigerung sei wohl nicht mehr möglich. Auch habe der Wassergehalt des im Bakkenfeld geförderten Öls stark zugenommen, was die Produktionskosten in die Höhe treibe. Der Wassergehalt sei überhaupt ein Problem. Es ginge nicht um ein wenig Wasser, sondern um Milliarden Barrel Wasser, die mit dem Öl zusammen gefördert werden und die von dem Öl getrennt werden müssten. In dem Permian Basin Feld, dass viel jünger als das Bakken-Feld sein, betrage der Wassergehalt des geförderten Öl/Wassergemisches  bereits 80 bis 85 Prozent.

Diese 80 % Wassergehalt erstaunen Chris Martenson. Berman führt dazu dann weiter aus, dass die Schieferöl-Geschichte also zwei dunkle Seiten habe. Die eine Seite sei, dass all die großartige Technologie eigentlich nur dazu führe, dass man diese Ölvorräte schneller verbraucht als man es ohne diese Technologie tun würde. Die andere dunkle Seite bestehe darin, dass es halt eine unkonventionelle Ölquelle sei. Das heißt, das Öl habe anders als in konventionellen Ölquellen keine Möglichkeit, sich langsam von dem Wasser zu trennen (weil die Dichte von Öl geringer ist als die von Wasser). Damit komme ein Punkt wo die Förderung des Wassers mehr kostet als das gefördert Öl wert ist.

Chris Martenson erwähnt dazu dann, dass die Bohrlöcher im Bakken-Feld im Mittel über 3000 Meter tief sind.

Berman erklärt dann, dass das Öl/Wassergemisch beim Fracking  aus dieser Tiefe nicht gepumpt werden könne. Vielmehr nutze man das ebenfalls im Schiefergestein enthaltene und mit dem Frackingprozess frei werdende Gas, um das Öl und das Wasser an die Erdoberfläche zu drücken. Was er im Bakken-Feld gesehen habe, sei aber, dass die Gasproduktion sinke und dass damit die Energie zur Förderung des Öl/Wassergemisches nachlasse.

Chris Martenson fasst es dann wie folgt zusammen: Die Förderungen in den Schieferöl-Feldern, also das Fracking, seien bewundernswert, aber sie seien wie Berman es früher einmal gesagt habe, Abschiedsparties. Sie würden an einem gewissen Punkt auslaufen. Wo man sich bei dieser Geschichte denn derzeit befinde?

Berman meint daraufhin, nun, das stimme. Man habe weltweit über 150 Jahre historische Erfahrung mit der Förderung von Öl und Gas. Man kenne die Gesetze der Physik und diese würden auch für die Schieferölfelder gelten. Er habe noch nicht gesehen, dass die Gesetze der Physik für unkonventionelle Ölfelder ausgesetzt würden. Auch die unkonventionellen Ölfelder hätten halt einen Lebenszyklus und würden wie alle natürlichen Systeme altern.

Man könne natürlich immer noch mehr Öl fördern, die Frage sei nur, was das kosten würde und ob man bereit und in der Lage sei den nötigen Preis zu zahlen. Man werde den Energieverbrauch senken müssen. Es werde einen  Tag der Abrechnung geben, der nicht mehr all zu viele Jahre entfernt sei. Niemand wisse, wie viele Jahre es noch seien, aber  man werde ganz sicher keine 40 oder 50 Jahr mit Öl für 40, 50 oder 60 Dollar pro Barrel haben. Wobei er sich frage, was das bedeute.

Chris Martenson meint dann, dass man davon eine Ahnung bekommen habe, als der Ölpreis im Sommer 2008 auf 147 Dollar gestiegen sei und als es dann zur Finanzkrise gekommen sei. Damals habe es die 100-prozentigen Ölimporteure Griechenland, Portugal und Italien übel erwischt. Jetzt hätten wir 250 Billionen Schulden in den Büchern und eine sehr viel andere Landschaft. Wenn Berman frage, was wir zu zahlen bereit seien frage er, was wir angesichts der gesamten wirtschaftlichen Lage zu zahlen in der Lage seien. Er befragt Berman dann zur OPEC.

Berman meint, die OPEC sei wie eine unglückliche Familie mit armen und reichen Mitgliedern. Sie sei aber keinesfalls irrelevant. Die von der OPEC zusammen mit den Nicht-OPEC-Mitgliedern Russland und Mexiko vereinbarte Fördermengenbegrenzung von 1,8 Millionen Barrel täglich werde sich auswirken. Die weltweiten Lagerbestände seien allerdings sehr groß, weil es wegen der niedrigen Preise für viele attraktiver gewesen sei, Öl mit Aussicht auf steigende Preise einzulagern, als es zu verkaufen. Es würde daher seiner Meinung nach mindestens 6 Monate bis 1 Jahr dauern, bis die Preise kräftig anziehen. Es gäbe allerdings viele Unbekannte. So sei nicht klar, ob und wie weit die verschiedenen OPEC-Länder sich an die Fördermengenbegrenzung halten. Auch sei es derzeit so, dass man in den USA die bis heute schnellste Zunahme von Ölbohreinrichtungen seit dem Beginn von deren Zählung beobachte. Der Ölmarkt reagiere sehr langsam, wie ein Supertanker. Er, Berman, hoffe, dass man in einem Jahr einen Ölpreis erreiche, der zu weiteren Investitionen ermuntere und so spätere Ölpreisschocks dämpfe.  Das bringe einen aber zu der Frage, was die globale Wirtschaft sich zu leisten in der Lage ist. Kann die globale Wirtscchaft einen Ölpreis von 70 $ pro Barrel verkraften? Das sei eine andere Frage und er habe diesbezüglich ernste Zweifel.

Chris Martenson erwidert dann, dass wir es hier mit vielen bewegenden Teilen zu tun hätten, aber Öl sei das Leben spendende Blut aller wirtschaftlichen Aktivitäten. Wir wüssten, dass China heute der größte Ölimporteur der Welt sei und dass dessen Ölverbrauch weiter steige. Der Eigenverbrauch der OPEC-Länder steige ebenfalls. Er sei noch stets der Idee verbunden,  dass wir auf einen plötzlichen Lagewechsel zusteuern: Nämlich dass wir feststellen, dass die Welt nicht mit Öl überversorgt ist, sondern dass wir es zumindest im Bezug auf den Export von Öl mit einer unterversorgten Welt zu tun haben. Die Amerikaner sollten auch daran erinnert werden, dass die USA im Bezug auf Öl keineswegs energieunabhängig seien. Die USA würden ziemlich viel, nämlich täglich, je nach Woche, Monat und Jahreszeit 6 bis 8 Millionen Barrel Öl importieren. Sie seien damit noch immer ein großer Ölimporteuer. China würde aufholen, Indien würde aufholen, jeder würde Öl brauchen und das Öl, das wir in den Jahren 2014 bis 2016 nicht gefunden hätten, würde sich in der Zukunft auswirken. Die Leute sollten diesen Dingen jedenfalls Aufmerksamkeit zollen. Dies sei eine der größten Geschichten unserer Zeit und es sei schwer, Voraussagen zu machen, weil es viele bewegende Teile gebe. Jedenfalls sei es faszinierend.

Dem schließe ich mich an.

Die Webseite von Art Berman ist: www.artberman.com

Die Webseite von Chris Martenson ist: peakprosperity.com

Hier noch einmal die Adresse zu der neuen, bisher leider nur auf Englisch verfügbaren Version seines Crash-Course: www.peakprosperity.com/crashcourse

und hier die Adresse auf die deutsche Version, von Chris Martensons erster Version des Crash-Course aus dem Jahre 2008: www.peakprosperity.com/crashcourse/deutsch

Diesen Beitrag sehe ich auch als Ergänzung zu meinem Beitrag Gedanken über den Film Bauer Unser, da die moderne Landwirtschaft ohne Mineralölprodukte derzeit nicht mehr funktionieren würde. Mit “food calorie fossil energie” fand ich per google z.B. :

www.ecoliteracy.org/article/fossil-food-consuming-our-future und blogs.scientificamerican.com/plugged-in/10-calories-in-1-calorie-out-the-energy-we-spend-on-food/

Danach müssen heute in den USA für jede in Nahrungsmitteln enthalten Kalorie 10 Kalorien an fossilen Energieträgern aufgewendet werden.

Ein anderer Aspekt ist die Abhängigkeit Deutschlands vom dem auf dem Weltmarkt verfügbaren Erdöl. Außerdem hängt der Wohlstand Deutschlands sehr davon ab, was in anderen Ländern und auch in Deutschland nach der Bezahlung der Energiekosten noch an Geld etwa zum Kauf deutscher Autos und Maschinen übrig bleibt. Ein sehr guter Artikel ist Gail Tverbergs Artikel  Why We Should Be Concerned About Low Oil Prices (dt.: Warum wir wegen niedriger Ölpreise besorgt sein sollten) vom 5. Mai 2017.  Erschöpfung – Das Schicksal des Ölzeitalters, über die Studie der Hill’s Group und  Energie und Geld könnten hier ebenfalls als interessant sein.

Kelberg, den 16. Mai 2017

Christoph Becker




Elektroautos und fröhliches Autofahren

Unmittelbar vor der Podiumsdiskussion, die ich in Eine Diskussion der phantastischen Vier des Niedergangs vorgestellt habe, wurden die Diskussionsteilnehmer mit einem provozierenden Statement konfrontiert und gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Diese Episode wurde auf YouTube mit dem Titel Electric Cars and Happy Motoring veröffentlicht. Im Folgenden habe ich das Transskript größtenteils übersetzt.

Hallo alle, hier ist KMO und es ist das Wochenende vom 25. März 2017. Ich bin nach Lancaster, Pennsylvania, (USA),  gefahren, um einer Veranstaltung beizuwohnen, bei der es sich um eine Podiumsdiskussion handelt, an der eine Reihe Leute teilgenommen haben, die ich über die Jahre viele Male für den C-Realm-Podcast interviewt habe. Die Veranstaltung wurde vom Center For Progressive Urban Politics (dt. Zentrum für progressive urbane Politik) veranstaltet. Der Organisator und Moderator war Kevin Lynn  und die Herren auf der Bühne waren James Howard Kunstler, Dmitry Orlov, John Michael Greer, Chris Martenson und Frank Morris. Gerade, bevor sie zur Bühne gingen, saß ich mit ihnen in einem Konferenzraum von Triode Studios in Lancaster, Pennsylvania und stellte ihnen die folgende Frage von Eric Boyd, jemanden der ebenfalls ein Gast des C-Realm-Podcasts war und jemandem, der seine Frage über die Facebook Gruppe Friends of the C-Realm eingereicht hatte.

Hier ist die Frage von Eric. Ja, sie wird Anlass zum Lachen sein, da bin ich sicher: KMO kannst du John Michael Greer und die Diskussionsrunde über solargetriebene elektrische Autos fragen?
Mit der Übernahme von SolarCity durch Tesla ist es ziemlich klar, dass dies die langfristige Vision der Technoprogressiven ist ….
Angesichts des exponentiellen Wachstums des Marktes denke ich nicht, dass es lange dauern wird bis wir sehen, dass sie beginnen, einen ziemlich großen Einfluss auf den Markt zu bekommen …..
(~1 % im letzten Jahr, aber exponentiell wachsend)
ich denke, es ist ohne weiteres möglich, dass solarbetriebene elektrische Autos die Nachfrage nach Benzin (Öl) schnell genug reduzieren, so dass wir Hubberts Peak oder Hubberts Kurve (( das bezieht sich auf die Prognosen von King # Hubbert über Peak Oil, bzw. über den Rückgang der Ölförderung )) niederreiten können, ohne dass es zu einer wesentlichen Unterbrechung der Kultur des “fröhlichen Autofahrens” kommt….
Ich denke, das ist an dich gerichtet James (( “happy motoring cultur”, also “Kultur des fröhlichen Autofahrens ist ein von James Howard Kunstler geprägter und oft verwendeter Begriff ))….
Und es entwickelt sich außerdem perfekt: alle diese sich ausbreitenden Vorstädte eignen sich perfekt für große Solaranlagen auf den Dächern….
Die Preise, sowohl von elektrischen Autos (= hauptsächlich Batterien) und Solarpanelen sind überwältigend schnell gefallen…..
Sie sind bereits ziemlich erschwinglich, insbesondere zum Beispiel im Vergleich zu den steigenden Kosten des Wohnungsbaus….. Transport wird im wesentlichen billig im Vergleich zum Wohnungsbau, und (so sehe ich dies, obwohl ich es hasse; ich bin eine Person, die Gemeinden liebt in denen man alles zu Fuß erreichen kann)….
das impliziert eindeutig, dass fröhliches Autofahren als Trend zunehmen und nicht abnehmen wird. Ganz besonders, wenn das eigentliche Fahren autonom wird, sodass die Leute außerdem ihre ganze Zeit für sich beanspruchen können.

Kevin Lynn: Ist das eine Frage?

KMO: Dies ist eine Frage – nun, er stellt keine einfache Frage.
Ich würde hierzu gerne einige Gedanken der Diskussionsrunde hören, weil ich denke, dass es hauptsächlich Autos und Vorstädte sind, von denen die Leute meinen, dass sie nicht “nachhaltig” sind. Außerdem haben sich meine Ansichten dazu wegen der neueren Veränderungen (lies: Evidenz) stark gewandelt.
Und dann postet er einen Link zu sich rasant verbesserndem Netto-Energieertrag (Energy Return on Investment) von Solarenergie.
Nun, wer möchte darauf antworten? [2:40]

Dmitry Orlov: Ich übernehme das. O. k., bei den Autos geht es hier nicht wirklich um Technologie, es geht sehr viel um Mineralölchemie. Wenn man ein Fass Rohöl in einer Raffinerie verarbeitet, fallen 50 % davon als Benzin an, ein kleiner Anteil, vielleicht 10 % fällt als Teer (oder Asphalt) an. Daher muss man einen Weg finden, das Benzin und den Teer zu verkaufen. Wenn das nicht gelingt, geht der Preis für die wirklich wertvollen Bestandteile des Rohöls,  nämlich Kerosin, Diesel und was man sonst noch in der chemischen Industrie benötigt, nach oben und die ganze Wirtschaft macht keinen Sinn mehr. Bei Autos geht es also nicht um Transport, sondern darum, die Leute dazu zu bringen Benzin zu kaufen. Wenn Elektroautos genügend populär werden, werden sie genug von der Mineralölinfrastruktur, die auf Diesel und Flugbenzin angewiesen ist, zerstören, so dass dieser Teil der Wirtschaft versagt. Dann werden die Elektroautos nicht ausgeliefert, weil dazu Diesel erforderlich ist und die Straßen werden nicht asphaltiert, weil dazu Teer benötigt wird. Was sie dann haben, sind Elektroautos, die auf Feldwegen und kaputten Straßen fahren. Nun ist das eine brauchbare Zukunft? Ich denke nicht. Elektroautos sind nicht wirklich Geländefahrzeuge. Ich habe noch kein mit Solarstrom betriebenes Geländefahrzeug gesehen.

KMO: Also welcher Anteil von einem Barrel Öl ergibt normales Benzin?

Dmitry Orlov: 50 %.

John Michael Greer: Ich möchte hier etwas hinzufügen, wenn es Dich nicht stört.
Über Vorstädte mit Solarpanelen auf dem Dach zu diskutieren, macht viel Sinn, wenn man in Arizona wohnt. Da, wo die meisten Amerikaner wohnen, nämlich in einem Bereich von 160 km zur Küste, ist der Himmel die meiste Zeit bedeckt.
Der Nettoenergiegewinn (EROI) von Solarpanelen sieht gut aus wenn man die meisten Kosten externalisiert, wie man das heute mit jeder Art Energiequelle meistens tut.  Wenn man beteuert, dass alle Produktionskosten, alle Rohmaterialien und alles, was das System für die Produktion benötigt, nicht zählen, dann sieht der Nettoenergiegewinn (EROI) großartig aus.
Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass alles womit Elon Musk sich beschäftigt,  ein Subventionsgrab ist. Er ist wirklich ziemlich clever. Der Mann ist sehr gescheit, er hat herausgefunden, dass die sicherste Quelle für große Mengen Geld in der heutigen Wirtschaft das Abgreifen von staatlichen Subventionen ist. Alle seine Industrien sind darauf aufgebaut Subventionen abzusaugen. Die Tatsache, dass er etwas macht bedeutet nicht, dass es wirtschaftlich brauchbar ist, sondern nur dass es eine großartige Methode ist, um Subventionen zu kassieren. Wir hören diesen Müll nun schon wer weiß wie viele Jahrzehnte, nämlich dass Solarbetrieben Autos oder was sie haben, dabei sind, den Durchbruch zu schaffen und das fröhliche Autofahrerparadies unendlich fortbestehen zu lassen.
Jedes müde Jahr trottete derselbe Stamm weiter, mit den selben techno-Schlaraffenland-Träumern die sich einfach nicht mit mit der Tatsache befassen wollen, dass das furchtbare Wort “Grenzen” tatsächlich für sie gilt. Die Leute wollen weiter glauben. Sie lieben ihre Träume vom Fortschritt. Fortschritt ist ihr Gott. Sie heißen ihre Phantasien willkommen.

Chris Martenson: Und Phantasien kommen oft nicht mit Zahlen. Also hier sind einige Zahlen. Selbst wenn Musk es schafft, 500.000 Autos im Jahr zu produzieren – dieses Jahr produziert er nur 80.000 -,  dann würden die Elektroautos, so wie sie heute konfiguriert sind, das gesamte weltweit bergbaulich produzierte Lithium benötigen. Stellen sich vor, dass China, Japan, Deutschland und andere Länder noch etwas dazu zu sagen haben. Aber selbst wenn er tatsächlich 500.000 Elektroautos pro Jahr produziert – mit exponentiellem Wachstum, vergesst  das nicht. 500.000 Autos bei derzeit 17,5 Millionen verkauften Autos pro Jahr sind ungefähr 3 %. Das heißt, wenn nur 3 % des heutigen Neuwagenverkaufs in den USA auf Elektroautos entfallen würde, dann würde man dafür 100 % der weltweiten, heutigen Lithiumproduktion benötigen.

John Michael Greer: Und das ist nur eine Flasche.

Chris Martenson:  Ja, das ist nur eine Flasche. Ich habe noch mehr. [Gelächter]
Es braucht keine Phantasien, wie du sagst, es verträgt sich einfach nicht mit der Realität. Die Phantasien passen nicht zu den Zahlen. Ich wünschte, diese Leute würden einfach mit einem Stift die grundlegenden Zahlen auf einm Bierdeckel nachrechnen. Die passen einfach nicht.

Frank Morris: [7:30] Die Annahme, dass die Umstellung auf Solarenergie in den Vorstädten unvermeidlich ist, passt nicht nur nicht zur Örtlichkeit [wohl bezogen auf Greers Einwand des meist bedeckten Himmels], sondern berücksichtigt auch nicht, dass die Stromversorgungsunternehmen wegen der damit verbundenen höheren Infrastrukturkosten zusätzliche Gebühren erheben werden. Letztes Jahr gab es dazu einen exzellenten Artikel im ITT- Magazin, der die Wirtschaftlichkeit von auf Hausdächern installierten Solarpanelen mit Solarfarmen verglich und infrage stellte. Solange man keine bessere Batterietechnik entwickelt hat, sind auf Hausdächern installierte Solarpanele wahrscheinlich zu ineffizient. [Anm. d. Übers.: ziemlich unklares Englisch, habe versucht sinngemäß zu übersetzen].

James Howard Kunstler: [8:09] Der Teil, den ich amüsant finde ist die Idee, dass wir es wünschen würden unseren Vorstadt-Lebensstil fortzusetzen. Dieser ist für sich selbst betrachtet ein Lebensstil ohne Zukunft. Eine andere Eigenschaft dieser Idee ist, dass das ganze Modell des automobilen Individualverkehrs bereits auf einer finanziellen Basis versagt, weil die Mittelklasse schrumpft und finanziell fertig gemacht wird. Es gibt immer weniger Menschen, deren Kreditwürdigkeit für einen Autokredit ausreicht, während die Amerikaner es gewöhnt sind, Autos per Ratenkredit zu kaufen. Dazu kommt, dass wir in eine Periode der Kapitalknappheit eintreten, in der es weniger Geld zu verleihen gibt.  Das bedeutet, wir haben weniger Geld für weniger kreditwürdige  Kreditnehmer. Die Treibstofffrage, also wie man ein Auto betreibt, ist ein Problem, aber die Frage nach dem ganzen Geschäftsmodell, nämlich wie die Amerikaner dazu gebracht werden, an diesem Programm teilzunehmen und sich ein Auto zu kaufen, ist ein anderes Problem und ein Punkt des Versagens. Daher würde ich die ganze Idee in dem “Wunschdenken”-Odner ablegen. [9:30]   Und wisst ihr,  eines der Probleme mit diesen Dingen ist, dass es eine Menge gescheite Leute gibt, die darüber nachdenken und die dabei meines Erachtens nicht wirklich gründlich nachdenken und sich fragen was passiert, wenn man einige Ebenen tiefer nachsieht. Und dieses spezielle Problem versagt auf vielen Ebenen.

Dmitry Orlov: [9:51 ] Ich finde die Befestigung einiger Solarpanele auf dem Dach eines Autos eine wirklich gute Idee. Das sieht wirklich cool aus. Ich denke aber, dass viele Leute nicht realisieren, dass die Effizienz eines Solarpanels in der Gegenwart von Staub jäh abfällt. Wenn man also auf einer Straße, auf der auch eine Menge Sattelschlepper fahren, die Dieselabgase ausspucken, bei denen es sich im Grunde um fettigen Staub handelt, dann geht die Effizienz der Solarpanele ziemlich schnell gegen null. Man muss sie dann sorgfältig mit Seifenwasser reinigen. Ich frage mich, wie die Leute das im großen Stil mit staubigen Solarpanelen tun wollen.

James Howard Kunstler: Wir hatten gerade ein Problem. Wir sind 300 Meilen vom hohen Norden kommend durch jede Menge Regen, Schneematsch und dem überall auf der Straße dazugehörenden Salz gefahren. In den letzten zwei Tagen habe ich versucht, die Scheiben von den Salzresten zu reinigen. Ich schaffe das nicht einmal mit Scheibenreiniger, weil er Salz scheinbar nicht gut auflöst.

John Michael Greer: Noch einmal. Die Leute kommen zu der Schlussfolgerung, dass durch die Tatsache, dass es eine bestimmte Menge an ebenen Oberflächen gibt, die Sonne so viel und so oft scheinen wird, wie sie es wünschen, und dass die nötige Batterietechnologie  selbstverständlich auch vorhanden sein wird. Die Batterietechnologie ist ein riesiges Problem. Die Fixierung auf die Sciencefiction-Phantasien des Fortschritts. Die Idee, dass etwas auch realisiert werden kann, wenn wir es uns vorstellen können. Also, bei bei mir ist jeder willkommen, der erklärt, dass er so etwas kann – vorausgesetzt er kann mir ein funktionierendes Beispiel eines Perpetum Mobilepräsentieren.

Dmitry Orlov: die Standards der Leute in diesem Raum sind vielleicht etwas außerirdisch. Wir wollen tatsächlich, dass die Dinge funktionieren. Was die meisten Menschen wollen, ist sich besser zu fühlen. Um Ihnen ein gutes Beispiel zu geben: Auf dem Dach der Stadthalle von Boston befindet sich ein kleines Windrad, das Bürgermeister Menino dort hat montieren lassen. Es ist grün und produziert grüne Energie. Genug grüne Energie, um einen kleinen Ventilator auf dem Schreibtisch von Bürgermeister Menino zu betreiben. Das gibt ihm ein besseres Gefühl. Er kann damit sagen “Seht es funktioniert! Grüne Energie funktioniert!”

John Michael Greer: [12:15]  Wenn die Leute über grüne Energie reden  frage ich mich, ob man auf die Drähte sehen und beobachten kann,  wie sie grün glühen.

Kevin Lynn:  Nun, für mich selbstredend. Ich bin heute mit dem Fahrrad hingekommen. Ich fahre wirklich viel Fahrrad. Das einzige Auto, das ich habe ist das Betriebsfahrzeug, das ich für die Filmherstellung nutze. Ich habe einfach mein Leben so arrangiert, dass ich kein Auto brauche. Ich habe das hier in Lancaster so gemacht, aber ich habe es ebenso in Los Angeles getan. Das Pendeln mit dem Auto wurde so uninteressant, dass ich einfach die Notwendigkeit sah, es zulassen.

John Michael Greer: [12:52]  Du hast die Ketzerei, die Blasphemie ausgesprochen, die äußerste Abtrünnigkeit vom Glauben  in Bezug auf den amerikanischen Traum.  Du hast Deinen Lebensstil geändert. Nun, niemand möchte seinen Lebensstil ändern. Das Universum hat sich zu ändern, damit wir unsere extravaganten Gewohnheiten beibehalten können.

John Howard Kunstler: [13:09]  Nun, erinnern wir uns daran, dass wir eine Menge versenkte Kosten in all der Infrastruktur, Ausrüstung und Hilfsmitteln [Einwurf  Frank Morris “und Arbeitsplätzen”] haben … ((Kunstler vertritt die These  der Psychologie der vorangegangenen Investitionen, die Menschen und Organisationen oft an grundlegenden Änderungen hindert, obwohl eigentlich klar ist, dass ein Weiter-wie-bisher eigentlich unvernünftig ist.))

Die Diskussion geht hier dann noch kurz darum, dass man eigentlich zu einem Lebensstil zurück müsse, in dem Autos nicht mehr nötig sind und dass man eine Stadt und Gemeindplanung braucht, in der der Individualverkehr weitgehend zufuß erfolgen kann (walkable comunitys). Greer beschließt die wegen der beginnenden Podiumsdiskussion dann abgebrochene Sitzung mit dem Statement, dass gerade auch in diesem Punkt zwischen  Sagen und Tun oft ein erheblicher Unterschied sei, weil man das Leben mit dem Auto nicht aufgeben möchte].

Die ganze Diskussion scheint mir auch mit Blick auf Deutschland und da gerade auch auf ländliche Gebiete wie die Eifel interessant, die heute extrem von der Verfügbarkeit von Autos abhängen. Wie stellt man sich das Leben in der Eifel und anderen Mittelgebirgsregionen Deutschlands in Zukunft vor, wenn man sich von dem naiven Wunschdenken und Fortschrittsglauben frei macht?

Zum Thema Wunschdenken und Techno-Schlaraffenland, hatte ich schon am Ende von Donald Trumps Rede vor dem Kongress und die Lehren der Geschichte drauf hingewiesen, dass gerade die Deutschen mit den zwei verlorenen, gerade auch auf deutscher Seite von extremem Wunschdenken und Technikgläubigkeit geprägten und dann vor allem wegen Zeit und vor allem Ressourcenmangel am Ende krachend verlorenen Weltkriegen, eigentlich vernünftiger sein sollten, als sie es heute sind.

Kelberg, den 14. Mai 2017

Christoph Becker




Unbekannte und der Sinn der Meinungsfreiheit

Der auf den ersten Blick vielleicht unlogisch erscheinende Begriff der unbekannten Unbekannten ( Unkown Unkowns)  ist 2002 durch einen Ausspruch des ehemaligen amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld bei einer Pressekonferenz zum Irak-Krieg bekannt geworden (dt. Wikipedia: There are known knowns). Das Konzept ist wesentlich älter und  bei genauem Hinsehen noch differenzierter und für den Umgang mit komplexen Systemen und Situationen nützlich. Rumsfeld selbst hat den Begriff auch nicht erfunden, sondern hatte erstmals von dem NASA-Verwalter William Robert Graham davon gehört. Ich selbst habe erst vor ein oder zwei Jahren auf einer sicherheitspolitischen Fortbildung des Reservistenverbandes und in der letzten Zeit durch auf Youtube verfügbare Vorträge von Prof. Thomas Homer-Dixon und dann auch bei der Lektüre seines Buches The Ingenuity Gap: How Can We Solve the Problems of the Future? (dt. Die Ingeniösitätslücke: Wie können wir die Probleme der Zukunft lösen?), in dem den unbekannten Unbekannten ein ganzes Kapitel gewidmet ist, davon erfahren. D.h. das Konzept der unbekannten Unbekannten habe ich schon lange durch verschiedenene Erfahrungen und Literatur gekannt, aber ich bin nie auf die Idee gekommen, dafür den Begriff unbekannte Unbekannte zu bilden. Beim Programmieren von Computern und beim Umgang mit technischen Systemen überhaupt und natürlich auch beim Ausüben der Zahnheilkunde, wird man selbstverständlich immer wieder mit unbekannten Unbekannten konfrontiert. Das auf Nassim Nicholas Talebs Buch Der Schwarze Schwan zurückgehende Konzept des Schwarzen Schwans ist eine Umschreibung des Konzepts der unbekannten Unbekannten und Sun Tzu, der schon über 2200 Jahre alte Klassiker der Kriegskunst handelt, wenn man genauer hinsieht selbstverständlich auch davon, wie man für den Gegner unbekannte Unbekannte kreiert und  nutzt und wie man sich selbst gegen sie wappnet.

Bei der Recherche zum Thema unbekannte Unbekannte ist mir auch das Johari-Fenster begegnet.  Es handelt sich um ein grafisches Schema, um bewusste und unbewusster Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale zwischen einem Selbst und anderen oder einer Gruppe darzustellen.  Es geht auf die beiden amerikanischen Psychologen Joseph Luft (1916–2014) und Harrington Ingham (1916–1995) zurück.  Eine Suche per Google nach “Johari Fenster” ergibt eine Reihe interessanter Links.

Mir geht es hier aber ganz allgemein um Unbekanntes beim Umgang mit komplexen Systemen.  Man kann drei Formen von Unbekannten unterscheiden:

Bekannte Unbekannte

Das sind Messgrößen und Eigenschaften, von deren Existenz man weiß. Man kennt die aktuellen Werte nicht, aber man kennt historische Werte und kann damit den aktuellen Wert abschätzen. Zum Beispiel kann man die Durchschnittstemperatur und die Niederschlagsmenge des nächsten Monats und das Datum des ersten Frostes im kommenden Herbst nicht kennen, aber man weiß, dass es diese Daten geben wird und man kann sie mit Hilfe historischer Erfahrungen und Aufzeichnungen abschätzen. Wenn man Systemzusammenhänge und langfristige Trends kennt, kann man damit versuchen, die aus den historischen Aufzeichnungen abgeleitete Abschätzung zu optimieren.

Unbekannte Unbekannte

Hier gibt es zwei Möglichkeiten.

Unbekannte, deren Existenz man erfolgreich verdrängt. Die Existenz einer unbekannten Unbekannten dieser Art ist dem Unterbewusstsein bekannt. Unbekannt in diesem Sinn können Konstanten oder sich mehr oder wenig zufällig und willkürlich verändernde Variablen sein. In beiden Fällen können “Bauchgefühl”, Intuition, oder auch Techniken wie Pendeln, Hinweise auf diese Unbekannten geben. Das erinnert mich aber auch an eine Fortbildungsserie zum Thema zahnärztliche Hypnose. Das Unbewusste kann Negationen nicht verstehen. D.h., die besorgte Mutter die  ihrem Kind beim Zahnarzt dauernd sagt “das tut NICHT weh” oder “das ist NICHT schlimm” sagt dem Unbewussten ihres Kindes “das  tut weh”, bzw. “das IST schlimm” und steigert damit natürlich dessen Angst. Anderseits habe ich bei der Gelegenheit auch gelernt, dass Pendeln als Werkzeug zur Befragung des eigenen Unterbewussten tatsächlich funktionieren kann.

Unbekannte, die tatsächlich völlig unbekannt sind. Ein denkbares Beispiel sind technische, physikalische oder natürliche Effekte, die jemand mangels Erfahrung oder Bildung (hier als Erweiterung der eigenen praktischen Erfahrung) nicht kennt.

Bei komplexen Systemen können alle Formen von Unbekannten vorkommen und es können mehrere bekannte und unbekannte Unbekannte gleichzeitig wirken.

Sinnvollste Gegenmaßnahmen

Die Resilienz  verbessern. Resilienz ist dabei aber ganz sicher nicht nur  in psychologischer Hinsicht gemeint, sondern auch aus technischer, sicherheitspolitischer, gesellschaftlicher und landwirtschaftlich-gartenbaulicher und ökologischer Sicht. Auf der Sicherheitspolitischen Fortbildung des Reservistenverbandes Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2017, an der Führungsakademie der Bundeswehr in Koblenz, hat der dort über die Arbeit und Aufgaben der Führungsakademie berichtende Offizier drauf aufmerksam gemacht, dass das Thema Resilienz nun im neuen, 2016 erschienenen Weißbuch der Bundeswehr verankert ist und dass man dabei sei, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. In der Tat liefert die Suche nach dem Wort “Resilienz” in dem neuen Weißbuch 27 Treffer. Dazu gehören auch Wortverbindungen wie Resilenzaufbau, Resilienzbildung und Gesamtresilienz.

Mir fallen zum Thema Resilienzverbesserung insbesondere ein:

  1. Die Bundeswehrregel, die ich gleich zu Anfang im Grundwehrdienst gehört habe: Aufklären, Sichern, Verbindung halten.
  2. Die größten zukünftigen Gefahren herausfinden, mit denen man vernünftiger Weise rechnen sollte.
  3. Wenn möglich, sich auf die größtmöglichen zukünftigen Gefahren mit den geringst möglichen Mitteln aber zugleich doch ausreichend vorbereiten, und dabei darauf achten, dass man möglichst alle geringeren Gefahren mit abgedeckt. Bei den Punkten 2 und 3 denke ich z.B. an die Absicherung der großen Transformatoren der Stromversorgung gegen durch die Zündung von Atomwaffen in großer Höhe ausgelöste EMP-Ereignisse und auch an eine Reform der Landwirtschaft, die unter anderem die lokale Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung, die Probleme der Bodenerosion und den Hochwasserschutz, das Klimaproblem und den Artenschutz gleichzeitig adressiert. Zum Thema EMP siehe EMP-Bedrohung – Anhörung im US-Kongress und zum Thema Landwirtschaftsreform siehe Gedanken zum Film Bauer Unser
  4. Demokratie und Meinungsfreiheit in Wort und Schrift, sowie Freiheit von Forschung und Lehre.

Aufgabe und Sinn von Demokratie und Meinungsfreiheit, und  auch der Freiheit von Forschung und Lehre besteht  NICHT darin, nur so zu tun als hätte und schätze man sie, während man sie im Grunde ablehnt und durch Tabus, Maulkorbgesetze und “Politische Korrektheit” unterdrückt und faktisch abzuschaffen versucht, weil man den gerade Herrschenden und ihren Applaudierern das gute Gefühl vermitteln möchte, dass sie immer Recht haben, dass niemand ihr Weltbild und ihre Träume stört und dass ihre Zukunftspläne grundsätzlich klug und realisierbar sind, auch wenn sie das in Wirklichkeit überhaupt nicht mehr sind und vielleicht auch niemals waren.

Aufgabe und Sinn von Demokratie und Meinungsfreiheit sowie der Freiheit von Forschung und Lehre, ist vielmehr die Verbesserung der Zukunfts- und Überlebenschancen einer Gesellschaft, indem man die Ressourcen und Verschiedenheiten in der Gesellschaft nutzt, um möglichst viele unbekannte Unbekannte zu bekannten Unbekannten zu reduzieren und um die Ingeniösitätslücken, mit denen sich jede Gesellschaft zumindest in Zeiten knapper werdender Ressourcen und schneller Veränderungen konfrontiert sieht, zu minimieren.

Demokratie, Meinungsfreiheit, die Freiheit von Forschung und Lehre sind im Grund die Antwort auf die Erfahrung, dass Menschen und auch Mehrheiten sich tragisch irren können und dass manchmal einzelne oder Minderheiten Teile der Realität, Gefahren und auch Problemlösungen vielleicht besser erkennen als andere – wobei man oft erst hinterher weiß, wer wie sehr recht hatte oder sich geirrt hat.

Faktisch sind Demokratie, Meinungsfreiheit und die Freiheit von Forschung und Lehre,  also weder ein Luxus noch ein Wert an sich, sondern die vielleicht wichtigste Maßnahme und Voraussetzung zur Verbesserung und Sicherung der gesamtgesellschaftlichen Resilienz.

Kelberg, den 15. Mai 2017

Christoph Becker




Gedanken zum Film Bauer Unser

Am 11. Mai 2017 habe ich mir den Film Bauer Unser (Link auf Trailer) angesehen. Für eine Diskussion nach dem Film war der auch im Film vorkommende, derzeitige agrarpolitische Sprecher der Grünen/EFA im EU-Parlament eingeladen.

Der Film zeigt verschiedene Formen der Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und Vermarktung in Österreich. Dazu kommen Interviews, insbesondere mit Landwirten und Agrarpolitikern in Österreich aber auch auch EU-Ebene. Man bekommt einen guten Eindruck davon, wie die Mechanisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat und wie sie sich weiter entwickeln würde, wenn die in dem Film offenbar von allen völlig ignorierten Trends am Energiemarkt und in Bereich der Sicherheitspolitik nicht existent wären. Der Film – und auch die Diskussion, die ich nach dem Film erlebt habe – waren ein schönes Beispiel für den fanatisch-naiven Fortschrittsglauben der Bauern, der Agrarpolitiker und auch der Bevölkerung. (Zum Thema Fortschrittsglauben siehe Nach dem Fortschritt.)

Erstaunlich für mich war die Information, dass alleine in Frankreich jedes Jahr ca. 600 Bauern Selbstmord begehen. Die wirtschaftliche Lage, insbesondere auch der landwirtschaftlichen Großbetriebe scheint bedrückend zu sein. Gründe sind hohe Schulden und die Offenheit der Grenzen. Der wichtigste Hintergrund ist aber, dass die Bevölkerung und die Industrie die Kosten für Lebensmittel gering halten wollen, damit mehr Geld für Konsumgüter übrig ist. Der Inhaber eines hochmodernen Betriebes, der für 1300 Mastschweine ausgelegt ist,  sagte z.B., dass er pro Schwein einige Euro Verlust mache.

In dem Film werden auch Biobauern gezeigt. Auch hier ist die wirtschaftliche Lage teilweise so, dass ein Überleben nur mit staatlichen Subventionen möglich ist. Am Besten steht sich in dem Film noch ein kleiner Biobauer mit einem sehr vielseitigen Angebot, der offenbar keine Schulden hat. Hier hätte dem Film vielleicht der Hinweis darauf gut getan, dass die “früher” sehr vielseitigen landwirtschaftlichen Betriebe in Europa, in Flandern beginnend, sich als Folge eines Klimawandels  im frühen Mittelalter entwickelt haben, der damals in Form der kleinen Eiszeit für Missernten gesorgt hatte (Carol Deppe: The Resilient Gardener: Food Production and Self-reliance in Uncertain Times). Vorher war die Landwirtschaft in Europa offenbar sehr einseitig auf den Anbau von Getreide spezialisiert.) Jetzt stehen wir wieder am Anfang eines Klimawandels wie z.B. die Temperaturentwicklungen in Wie Unwahrscheinliches wahrscheinlich werden kann zeigen.

Aus dem Publikum, in dem relativ viele Landwirte aus der Eifel, also aus Deutschland, anwesend waren, kam kein Protest gegen diese Darstellung der Landwirtschaft und der wirtschaftlichen Lage.

Meine Hauptgedanken beim Ansehen von “Bauer Unser”

Der Film zeigt sehr gut die totale Abhängigkeit der Landwirtschaft in Österreich und wohl auch im Rest Europas von

  • der Verfügbarkeit von bezahlbarem Diesel und anderen aus Mineralöl und anderen fossilen Energieträgern hergestellten Produkten. Damit ist die Nahrungsmittelversorung indirekt vollständig von Importen aus zu großen Teilen politisch unzuverlässigen Gebieten abhängig. Außerdem hat die Abhängigkeit der Nahrungsmittelversorgung von nur endlich vorhandenen, immer schwieriger zu fördernden Rohstoffen extrem zu und nicht abgenommen.
  • einer funktionierenden technischen Infrastruktur.
  • von einem funktionierenden Welthandel.

Während ich den Film gesehen habe, drängte sich mir daher immer wieder der folgende Gedanke auf: “Die Menschen in Europa bauen sich ihr eigenes Vernichtungslager.”  Die bereiten eine Massenvernichtung der Mitglieder ihrer eigenen Zivilisation vor, verglichen mit der die Verbrechen der Nazis sich wie ein zwar extrem schreckliches, aber mit Blick auf die Zahl der Toten am Ende wohl ziemlich harmloses Vorspiel ausnehmen werden (( Der Soziologe und Ökologe William Catton hatte auf diesen Aspekt allerdings schon 1982 in seinem nach wie vor wichtigen Buch Overshoot: The Ecological Basis of Revolutionary Change hingewiesen. Die deutsche Übersetzung eines Interviews mit Catton findet sich auf meiner Webseite: Ökologisches Überschwingen – Interview mit Prof. William Catton. )).

Am nächsten Tag habe ich mir dann auch noch den Prospekt des betreffenden Kinos für den Monat Mai angesehen und dabei erstaunt registriert, dass die Betreiberin sogar dem links-alternativen Spektrum zuzuordnen ist, so ganz im Sinne von “nie wieder”, “Gegen das Vergessen” (des Holocausts) usw..

Wenn es mein Kino wäre, hätte ich auf die Diskussion nach “Bauer Unser” verzichtet und stattdessen direkt anschließend die Doku Der Impuls zum Blackout – Die EMP-Bombe gezeigt, die hin und wieder auch auf N24 gezeigt wird und auf die ich schon vor über zwei Jahren in Weitere Literatur zum Thema EMP verlinkt und eingebunden habe. Dazu hätte ich vielleicht einen Handzettel mit Links über Landwirtschaft, Gartenbau, Umwelt, EMP und Sicherheit von meiner Webseite www.freizahn.de verteilt, von denen ich hier eine Auswahl liste und verlinke:

Schließlich hätte ich darauf hingewiesen, dass ich den österreichischen Bergbauern Sepp Holzer bei einer Fortbildung 2015 im Burgenland habe sagen hören:

Es geht mir sehr gut. Für mich ist jeden Tag Sonntag, weil ich tue was mir Freude macht. Das einzige was mich ärgert ist, dass ich, wie ich ausgerechnet habe, rund 80 % Steuern bezahle.

Mit anderen Worten Holzer zahlt neben Mehrwertsteuer und anderen Steuern im Bereich Einkommensteuer den Spitzensatz und macht sich dabei über die Bauern lustig, die “kaum genug verdienen, um ihren Diesel zu bezahlen”. Sepp Holzer ist für gewöhnliche Bauern sicher kein gutes Beispiel, weil er sein Geld heute wohl hauptsächlich als Berater verdient. Anderseits war er immer ein sehr einfallsreicher und geniale Kopf, der mit seinem Krameterhof trotz dessen ungünstiger Lage ein ganzes Berufsleben als Bauer überlebt hat.

Als Ergänzung hätte ich dann auch auf Landwirte wie Gabe Brown (Browns Ranch), Greg Judy (Green Pastures Farm), Jim Gerrish (American Grazinglands ), Joe Salatin (Polyface Farms ), die Paul und Elizabeth Kaiser (Singing Frogs Farm),  Eliot Coleman und Barbara Damrosch (Four Season Farm) und Mark Shepard (derzeit Forest Agriculture Enterprises)  und deren Bücher und Vorträge hingewiesen. Alle diese gerade aufgeführten Bauern oder Gärtner kommen ganz oder fast ohne Subventionen aus, und sie können alle Beispiele dafür bieten, wie wirklich professionelle, nachhaltige, zukunftsorientierte und die Ernährungssicherheit der Bevölkerung gewährleistende Landwirtschaft funktionieren und auch wirtschaftlich rentabel sein kann.

Für die Kleingärtner, Kleinbauern und ganz besonders auch an Möglichkeiten der Verbesserung der Lage im Orient und in Afrika Interessierte, wäre dann hier auch noch auf John Jeavons und seinen Biointensiven Gartenbau hinzuweisen, zu dem neben den Büchern (vor allem sein Klassiker How to Grow More Vegetables (and Fruits, Nuts, Berries, Grains, and Other Crops) Than You Ever Thought Possible on Less Land Than You imagine.), Vorträgen und Einführungsvideos insbesondere auch die Filme des Farmer-Seminars sehr wertvoll sind.

Vor dem Hintergrund von “Bauer  Unser”, in Kombination mit dem Thema Afrika, sind von diesen Filmen sind ganz besonders diejenigen über das G-BIAK-Projekt in Kenia von Interesse:

Bemerkenswert in dem Film und ganz besonders auch in der Diskussion nach dem Film fand ich die Naivität und teilweise auch Ratlosigkeit zur Frage “wie geht das mit der Landwirtschaft weiter”?  Nicht nur die großen und kleinen Bauern, sondern auch die Agrarpoltiker sehen die Welt offensichtlich als einfache und berechenbare Maschine im Sinne von Eigenschaften einfacher Maschinen und komplexer Systeme UND sie glauben alle im Grunde ganz fest an den technischen Fortschritt im Sinne von John M. Greers Nach dem Fortschritt. Dass Diesel und andere Mineralölprodukte vielleicht schon in wenigen Jahren nicht mehr bezahlbar oder sehr knapp werden könnten, scheint nicht vorstellbar zu sein.

Die extreme Verwundbarkeit der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion durch Kriege und  Naturkatastrophen  wird ebenfalls nicht wahrgenommen.

Die Notwendigkeit der Symbiose von Bauern und Kriegern ignoriert man und damit selbstverständlich auch die Gefahren, die von dem völligen Versagen bzw. der extremen Schwäche der europäischen Streitkräfte ausgehen. Siehe dazu Nur noch Schmusekatzen und die folgenden beiden, sehr lesenswerten Bücher des israelischen Militärhistorikers Martin van Creveld:  Kriegs-Kultur  – Warum wir kämpfen: Die tiefen Wurzeln bewaffneter Konflikte  und Wir Weicheier – Warum wir uns nicht mehr wehren können und was dagegen zu tun ist  (Es handelt sich um eine Übersetzung des 2016 im Sommer auf Englisch erschienen Buches Pussycats – Why the Rest keeps beating the West and what can be done about it ).

Vor diesem Hintergrund hat die Landwirtschaft in Europa vorerst keine Zukunft mehr.

Unter der Voraussetzung, dass die Europäer und da insbesondere auch die Deutschen doch noch im Sinne von Martin van Creveld vernünftig werden und die sicherheitspolitischen Probleme meistern, könnten Landwirtschaft und Gartenbau in Deutschland und Europa vielleicht doch noch eine Zukunft haben. Die wäre dann aber wegen der Erschöpfung der Ölquellen (siehe u.a. Erschöpfung – Das Schicksal des Ölzeitalters) im besten Fall eine kontrollierte, intelligente Rückkehr in eine Art modernisiertes Mittelalter. Das heißt,  wir könnten mit dem Wissen von Leuten wie John Jeavons, Gabe Brown, Greg Judy, Jim Gerrish, Eliot Coleman, Paul Kaiser und vielen, vielen anderen sehr viel effizienter, sehr viel mehr und sehr viel nachhaltiger Landwirtschaft und Gartenbau betreiben, als das früher im Mittelalter und auch in der Römerzeit möglich war.  Wir könnten damit vielleicht sogar einen relativ hohen Zivilisationsgrad und eine relativ große Bevölkerungsdichte erhalten oder nach einem Zusammenbruch unserer heutigen Zivilisation relativ zügig wieder erlangen.

Ich habe aber weder den Eindruck noch die Hoffnung, dass man dazu in Deutschland und Europa vernünftig genug sein wird. Der Film “Bauer Unser” und die nachfolgende Diskussion haben mich in dieser pessimistischen Einschätzung bestärkt.

Was kann man tun?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten:

  1. Nichts tun, ignorieren und das Leben aus vollen Zügen genießen so lange es noch geht und dabei vielleicht auf “die da oben” schimpfen und als braver Gläubiger der allgegenwärtigen Religion des Fortschritts glauben, dass “die” (Wissenschaftler, Ingenieure usw. schon immer rechtzeitig eine Lösung finden). Der Glaube wird garantiert bitter enttäuscht, aber für ein paar fröhliche Henkersmahlzeiten reichen der Sozialstaat und die Ölvorräte noch. Der Kollaps kann durchaus noch ein, zwei oder auch 5 und vielleicht sogar noch 10 Jahre auf sich warten lassen.
  2. Auswandern, bzw. sich ein sicheres Plätzchen suchen, von dem aus man den Kollaps und Untergang Deutschlands und Europas einigermaßen ungestört aus der Ferne beobachten und das Leben weiter genießen kann. Das ist nicht jedermanns Sache und wenn mein kein “armer Syrer”, Afghane oder Afrikaner sondern ein weißer Mann ist, muss man schon einiges in die neue Heimat mitbringen, dass einen für die Menschen dort zu einer wirklichen Bereicherung macht.  Dazu ist längst nicht jeder in der Lage.
  3. Man kann hoffen, dass der Prozentsatz vernünftiger Mitmenschen lokal für lokale “Rettungsboots-Initiativen” ausreicht. Man kann z.B. lokal, auf Verbandsgemeinde oder Landkreisebene, z.B. mit Hinweis auf diesen Blogbeitrag hier schalten und eine lokale Initiative vorschlagen. Auch die Großbauern brauchen Ideen und sie brauchen im Ernstfall vor allem auch Krieger und wenn der Diesel knapp wird auch viele Hände. Insbesondere dann, wenn ich ein Großbauer wäre, würde ich z.B. nicht nur auf die Methoden von Gabe Brown, Greg Judy und Joel Salatin umstellen, vielleicht das Hauptliniensystem umsetzen und zudem viele Haselnusssträucher, Nussbäume und Obstbäume pflanzen . Ich würde vielmehr auch einen Teil meines Landes Familien aus meiner Gegend zur Verfügung stellen, damit diese dort krisensichere Gärten nach John Jeavons, Eliot Coleman, Paul Kaiser usw. anlegen. Als Pacht und Bedingung würde ich verlangen, dass zumindest die Männer Mitglieder in einem Schützenverein und im Reservistenverband werden und regelmäßig an Schießübungen und  Wehrübungen teilnehmen. Insbesondere denen, die das nicht können oder wollen und die aber trotzdem gerne mitmachen wollten, würde ich anbieten, dass sie alternativ alte Handwerke lernen und verbessern. Schließlich möchte man ja auch gerne Schuhe und etwas zum anziehen haben, wenn der Welthandel kollabiert.  Die Bevölkerung ist aber nicht von der Vernunft und Voraussicht der Bauern abhängig. Auch die Gemeinden haben zum Teil erhebliche Landflächen, die sie entsprechend nutzen und ihren Bürgern anbieten können, um die Sicherheit der lokalen Lebensmittelversorgung zu verbessern. Hier ist zu bedenken, dass man mindestens 5 bis 10 Jahre benötigt, um die Bodenqualität gründlich zu verbessern und eine lokale, resiliente Lebensmittelversorgung auf zu bauen. Mit viel Glück könnte die Zeit in Deutschland, Österreich usw. gerade noch ausreichen.

Kelberg, den 12. Mai 2017

Nachtrag am 17. Mai 2017: Meine inzwischen erstellten Artikel Elektroautos und fröhliches Autofahren und vor allem auch Lage und Perspektive am Ölmarkt im Frühjahr 2017 und die darin enthaltenen Links ergänzen das Lagebild zum Film “Bauer Unser”.

Christoph Becker




Wie Unwahrscheinliches wahrscheinlich werden kann

Wenn man im Frühjahr 2010 nach der Wahrscheinlichkeit der im Juli 2010 im Moskau tatsächlich gemessenen Durchschnittstemperatur, oder einer höheren Temperatur, gefragt hätte, dann wäre von Experten mit Hinweis auf die in der Vergangenheit gemessenen Durchschnittstemperaturen eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 1 zu 15000 genannt worden. Das heißt, man hätte gemeint, nur einmal in mehr als 15.000 Jahren, und damit so gut wie nie, könnte eine solch hohe Durchschnittstemperatur erreicht werden, wie sie dann tatsächlich gemessen wurde. Zu den politischen Folgen gehörte auch der “Arabische Frühling”. Wie ist so etwas möglich? Was den “Arabischen Frühling”, also die Unruhen im Nahen Osten und in Nordafrika angeht, so gehörte zu den Ursachen auch der Anstieg der Lebensmittelpreise, zu dem es u.a. kam, weil Russland als Folge der Hitzewelle im Sommer 2010 den Export von Getreide gestoppt hatte. Die Wirklichkeit ist auch hier ziemlich komplex. Von www.americanprogress.org gibt es dazu ein 68-seitiges Papier mit dem Titel The Arab Spring and Climate Change – A Climate and Security Correlations Series vom Februar 2013 im pdf-Format. Die Hitzewelle in Russland war danach nur ein Faktor von vielen.

Prof. Thomas Homer-Dixon erwähnt und erläutert unter anderem das  Beispiel der Hitzewelle in Moskau in seinem Vortrag der Andrews Initiative, an der Universität von Neu Braunschweig, am 19. März  2013  etwa ab Position [0:22:10]. Dazu hier die grafische Darstellung der jeweils durchschnittlichen Temperaturen im Juli in Moskau. Jeder der senkrechten Balken stellt die Durchschnittstemperatur eines Jahres dar. Die Kurve zeigt die sogenannte Gaußsche Normalverteilung der Durchschnittstemperaturen und die Skala unten die Abweichung vom Mittelwert in Grad Fahrenheit. Wie man sieht, häufen sich die Werte in der Mitte. Zum Thema Normalverteilung und Standardabweichung siehe den zugehörigen Wikipediaeintrag.

Quelle: Präsentation von Dr. Thomas Homer-Dixon: ” The Coming Energy Transition: Shock, Innovation, and Resilience.” (https://vimeo.com/66734613 )

Eine Erklärung für die zunächst als extrem unwahrscheinlich eingestufte Temperatur im Juli 2010 liefert die von Homer-Dixon erwähnte Arbeit von James E. Hansen, Makiko Sato und Reto Ruedy. Homer-Dixon hatte für seinen Vortrag eine vorläufige Version dieses Artikels benutzt, die noch den Titel “Climate Variability and Climate Change: The New Climate Dice“. Ab Position  [25:37] zeigt er daraus folgende Grafik zeigt:

Quelle: Präsentation von Dr. Thomas Homer-Dixon: ” The Coming Energy Transition: Shock, Innovation, and Resilience.” (https://vimeo.com/66734613 )

Hansen war bis 2013 leitender Wissenschaftler für Klimatologie bei der NASA. Der endgültige Artikel hat den Titel Perceptions of Climate Change: The New Climate Dice. Hier die Kurzversion der NASA: Science Briefs: The New Climate Dice: Public Perception of Climate Change und hier ein Link auf die 13-seitige Langversion für Wissenschaftler.  Die Grafik zeigt die durchschnittliche Sommertemperatur über Land, im Mittel aller Messstationen, auf der nördlichen Halbkugel. Die farbigen Flächen repräsentieren die Landfläche. Die Ziffern unten, von -5 bis 5,  geben die Anzahl der Standardabweichungen bezogen auf die Normalverteilung der Durchschnittstemperatur in den Jahren 1951 – 1980  wieder. Der Tabelle aus dem Wikipediaeintrag zur Normalverteilung und Standardabweichung habe ich dazu die folgenden Wahrscheinlichkeiten für entnommen:

Anzahl Standardabweichungen in (σ)(sprich “Sigma”) Wahrscheinlichkeit das ein Wert ausserhalb der Grenze liegt, als Bruchteil angegeben
1 1  /  3,151
2 1 / 21,977
3 1 / 370,4
4 1 / 15.787
5 1 / 1.744.278

Die grün gepunktete Kurve ist die Normalverteilung der Durchschnittstemperatur in den Jahren 1951 bis 1980. Die drei rechten Grafiken geben jeweils die Verteilung der Temperaturen in den 10-Jahreszeiträumen  1981 – 1991, 1991 – 2001 und 2001 – 2011 wieder. Wie man sieht, verschiebt sich die Kurve und es werden, bezogen auf die Werte von 1951 – 1981,  für einen immer größeren Teil der Landfläche  “extrem unwahrscheinliche” Werte, also solche mit 3 und sogar mit mehr als 4-facher Standardabweichung erreicht. 3-fach heißt dabei nach obiger Tabelle “einmal in 370 Jahren zu erwarten” und 4-fach heißt einmal in 15.787 Jahren zu erwarten.

An Position [30:15] zeigt er eine Folie mit dem daraus resultierenden Statement von Hansen und Mitarbeitern, deren Text ich hier übersetze:

Von 1951 bis 1961 kam es im Sommer auf 0,23 Prozent der Landfläche zu Hitzeextremen mit mehr als drei Standardabweichungen (σ)(sprich “Sigma”)  von der Durchschnittstemperatur. Nun betreffen solche Hitzewellen im Sommer ungefähr 10 Prozent der Landfläche. Das ist eine 30-fache Steigerung in 50 Jahren. “Wenn die Geschwindigkeit der globalen Erwärmung nicht vermindert wird, dann werden Mitte dieses Jahrhunderts 3- σ Ereignisse (sprich 3-Sigma-Ereignisse) die neue Normalität und 5- σ Ereignisse gewöhnlich sein.

Die statistische Normalverteilung, mit der solche Wahrscheinlichkeiten berechnet werden, funktioniert nämlich nur dann wie erwartet, wenn man tatsächlich zufällige Ereignisse misst. Wenn sich, wie hier beim Klima, für das Messergebnis grundlegende Werte sehr langsam und möglicherweise dazu auch noch mit wiederum von Zufällen abhängender Geschwindigkeit in eine Richtung verändern, überlagern sich diese Veränderung mit den üblichen zufälligen Schwankungen der Messergebnisse.

Die Folge ist, dass auf den ersten Blick extrem unwahrscheinliche Messwerte in Richtung der sich überlagernden langsamen Veränderung tatsächlich sehr viel wahrscheinlicher sein können, als man aus den Daten der Vergangenheit berechnet hat. Man bedenke dabei auch, dass solche plötzlich beginnenden, langsamen Veränderungen bei ihrem Beginn in der Regel zunächst unbekannt sind und daher auch nicht berücksichtigt werden können.

Solche langsamen und möglicherweise unbemerkt beginnenden Veränderungen von Teilen komplexer Systeme (siehe dazu Eigenschaften einfacher Maschinen und Komplexer Systeme), die im Mittel viel kleiner als die zufällige Schwankung der Messwerte ist, können jedenfalls dazu führen, dass vermeintlich sehr  unwahrscheinliche Ereignisse in Wirklichkeit längst sehr wahrscheinlich sind.

Eine weiteres, allgemein oft nicht bedachtes Problem, auf das  Prof. Thomas Homer-Dixon in seinem oben erwähnten Vortrag kurz eingeht, dass die wichtigen Getreidesorten beim Überschreiten bestimmter Temperaturgrenzen in bestimmten Wachstumsphasen schlagartig drastisch an Ertragskraft verlieren. Während man bisher im allgemeinen gedacht habe, dass der Klimawandel durch Temperatursteigerung und zunehmenden CO2-Gehalt der Luft die Ernten steigern könnte, ist eher damit zu rechnen, dass es zu plötzlichen Einbrüchen der Ernten komme.

Solche Phänomene sind als Kippunkt, Umschlagpunkt oder Tipping Point bekannt. Ein System kann bis zum Erreichen eines Kippunktes scheinbar bestens funktionierten und dann plötzlich vollständig versagen oder vollständig anders reagieren. Auch dieses Phänomen kann dafür sorgen, dass ein scheinbar extrem unwahrscheinliches Ereignis tatsächlich extrem wahrscheinlich bis sicher eintreten wird.

Man stelle sich vor, dass man eine wichtige Messgrösse seit langem beobachtet, dann auf Grund der Messungen Voraussagen über zu erwartende zukünftige Messwerte macht, während man nichts davon ahnt (oder wissen will), dass man sich einem Kippunkt nähert. Selbst unmittelbar vor dem Erreichen des Kippunktes wird ein hinreichend ignoranter “Experte” mit Blick auf die bisherigen Messungen mit gutem Gewissen behaupten, dass die in der Realität dann schon kurz noch dem Überschreiten des Kippunktes gemessenen Werte extrem unwahrscheinlich oder sogar völlig ausgeschlossen sind.

Gute Beispiele für diese Phänomen sind alle Tiere, die in freiwillig in eine Falle laufen sowie alle Tiere, die auf der Jagd vom Ansitz aus erlegt werden. Damit ein Jäger ein Reh vom Hochsitz aus erlegen kann, ist es zwingend notwendig, dass das Reh die Situation für ausreichend sicher hält, obwohl sie das nicht mehr ist.

In der Praxis kann das Ignorieren solcher eigentlich trivialen Einsichten durchaus zum Untergang ganzer Völker und Zivilisationen führen, weil kostbare Zeit und Ressourcen verschwendet wurden, als noch Zeit und Möglichkeiten für wirksame Gegenmaßnahmen vorhanden waren.

Kelberg, den 12. Mai 2017

Christoph Becker




Eigenschaften einfacher Maschinen und komplexer Systeme

Lange Zeit hat man “die Welt” (z.B. Gesellschaft, Wirtschaft, Ökosysteme) vorwiegend als zwar oft komplizierte, aber im Grunde doch “einfache”, auf Eingriffe proportional und berechenbar reagierende Maschine gesehen. Krasse Fehleinschätzungen und Überraschungen, die erst im Nachhinein erklärbar sind zeigen aber, dass man es in Wirklichkeit mit komplexen Systemen zu tun hat. Es kann sehr hilfreich sein, “einfache Maschinen” und komplexe Systeme voneinander unterscheiden zu können und deren grundlegende Eigenschaften zu kennen.

Grundlage und Ausgangspunkt für mich waren hier zunächst der Vortrag New Tools for Understandig a turbulent World (dt.: Neue Werkzeuge zum Verständnis einer turbulenten Welt) und das Kapitel Complexities (dt. Komplexitäten)  in dem BuchThe Ingenuity Gap: Facing the Economic, Environmental, and Other Challenges of an Increasingly Complex and Unpredictable World (dt.: Die Ingeniösitätslücke: Den Herausforderungen von unter anderem Wirtschaft und Umwelt in einer zunehmend komplexen und unvorhersehbaren Welt entgegensehen.) von Prof. Dr. Thomas Homer-Dixon.

Einfache Maschinen

Wenn Prof. Homer-Dixon seinen Studenten das Wesen einer einfachen Maschine erklären will,  bringt er eine alte mechanische Uhr mit zum Seminar. In seinem Buch über die Ingeniösitätslücke erzählt er dazu auch die Geschichte von seinem ersten Auto, einem Oldtimer, den er mit 16 von seinen Eltern bekommen hat und den er damals zerlegt, instandgesetzt und wieder zum Laufen gebracht hat. Den Studenten, denen er die Uhr mitgebracht hat sagt er, “seht, ich kann die Uhr in ihre Einzelteile zerlegen, ich kann die einzelnen Teile betrachten und ihre Funktion verstehen. Mit einem sehr präzisen Verständnis ihrer Funktion kann ich die Uhr wieder zusammenbauen und dann auch prüfen ob sie wieder richtig funktioniert. Man weiß dabei, was “richtig funktionieren” bei einer Uhr bedeutet und wenn sie nicht richtig funktioniert, kann man das in der Regel auf einen Schaden oder ein Problem im Bereich eines bestimmten Einzelteiles zurückführen. Verallgemeinernd leitet er daraus ab:

Wir nehmen in der Regel für EINFACHE MASCHINEN wie z.B. Uhren an:

  • Sie können zerlegt, analysiert und voll verstanden werden (Sie sind NICHT mehr als die Summe ihrer Teile).
  • Ursache und Wirkung sind proportional miteinander verknüpft => kleine Ursache/Veränderung ergibt kleine Wirkung, große Ursache oder große Veränderung ergibt große Veränderung. Man sagt der Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist linear
  • Sie verhalten sich “normal” oder streben typischerweise einen Gleichgewichtszustand an.
  • Sie können gesteuert werden, weil ihr Verhalten vorhersagbar ist. Ihr Verhalten ist vorhersagbar. 

Gleichgewicht

Von dieser Vorstellung, es mit einer einfachen Maschine zu tun zu haben, arbeitet man fast überall in den Sozialwissenschaften und ganz besonders in den Wirtschaftswissenschaften. Dabei geht man auch von einem einfachen Gleichgewichtsmodell,  wie Prof. Homer-Dixon es mit dem nebenstehenden Bild symbolisiert, aus: Das System strebt einen stabilen Gleichgewichtszustand an, wie eine Kugel in einem halbkugelförmigen Gefäß. Das System ist verständlich und kontrollierbar. In der Wirklichkeit hat man es aber in der Regel mit komplexen Systemen, die sich anders verhalten und die damit für Überraschungen sorgen, wenn man glaubt, sie seien “einfache Maschinen”:

Komplexe Systeme

Komplexe System sind mehr als die Summe ihrer Teile (sie haben sich entwickelnde Eigenschaften. Die Gesamtheit der Einzelteile hat neue Eigenschaften, die keines der Einzelteile hat. Bezogen auf die einfache mechanische Uhr erklärt Homer-Dixon sei das so, als ob  die Uhr nach dem Anziehen der letzten Schraube auf einmal Beine hat und sprechen und laufen kann.

Die einzelnen Teile komplexer Systeme sind miteinander vernetzt und sie wirken aufeinander. Dabei kann es Synergien geben, d.h., bestimmte vernetzte Teile können sich gegenseitig ergänzen.

Es kann positive oder negative Rückkopplungen geben. Ein Element mit positiver Rückkopplung wirkt als Verstärker. Ein Element mit negativer Rückkopplung wirkt als Drossel oder Bremse. Das kennt man auch von technischen Reglern, bei denen es sich dennoch um “einfache Maschinen” handelt und deren Verhalten man präzise vorhersagen kann, weil ihnen andere Eigenschaften komplexer Systeme fehlen.

Eine kleine Ursache kann bei komplexen Systemen eine sehr große Wirkung haben. Anderseits können sehr große Einwirkungen auch keine oder nur sehr kleine Auswirkungen haben. Man nennt das nichtlineares Verhalten. Die Kombination aus Rückkopplungen, Vernetzung und Synergien kann zu sehr heftigem nichtlinerarem Verhalten führen.

Komplexe Systeme können einem Verhaltensmuster zu einem anderen umschalten. Komplexe Systeme können viele verschiedene Gleichgewichtszustände einnehmen, wie es die folgende Grafik aus Prof. Homer-Dixons Vortrag darzustellen versucht:

Komplexe Systeme sind opak bzw. undurchsichtig. Ein Beispiele für die Opazität bzw. Undurchsichtigkeit einer Maschine sind z.B. moderne Autos und Haushaltsmaschinen mit Baugruppen, die Mikrokontroler enthalten. Hier können normale Servicetechniker nur noch defekte Baugruppen durch Probieren oder Messen erkennen und austauschen. Sie können die genaue Funktionsweise der Baugruppen aber in der Regel nicht mehr verstehen und gezielte Reparaturen oder Änderungen der Software instandsetzen. Wenn eine Reparatur überhaupt noch möglich ist, benötigt man dafür in der Regel Spezialisten.

Komplexe Systeme können NICHT einfach gesteuert werden. Ihr Verhalten ist oft unberechenbar.

Die Teile komplexer Systeme können (zu) eng gekoppelt sein, was zu großen Schäden führen kann. Ein Beispiel ist eine große Anzahl Autos auf einer Autobahn, die mit hoher Geschwindigkeit dicht auffahren. Wenn plötzlich ein Fahrzeug wegen eines technischen Defektes oder durch ein Stück Wild gestoppt wird, dann kann es zu einer Massenkarambolage kommen. Die Koppelung der Fahrzeuge war dann zu eng. In der Wirtschaft kann ein ähnlicher Effekt durch Just-in-Time-Lieferungen in Kombination mit fehlender oder zu geringer Lagerhaltung entstehen. Vergrößerung der Sicherheitsabstände bei Autos auf der Autobahn und Vergrößerung der  Lagerbestände bei Handel und Industrie vermindert die Kopplung und das damit verbundene Risiko.

Wie die Beispiele der zu engen Kopplung von Einzelteilen zeigen, ist auch eine Steigerung der Geschwindigkeit eine mögliche Problemursache und Gefahrenquelle. Je schneller die Autos fahren und je kürzer die Just-in-Time-Lieferzeiten und je größer die Produktionsgeschwindigkeiten sind, je größer sind die potentiellen Schäden bei zu dicher Kopplung. Auch wird die Zeit und Möglichkeit, bei Gefahren oder Schäden gegenzusteuern durch die höhere Geschwindigkeit geringer.

Vorteile von Komplexität

  • Sie kann eine Quelle von Innovationen sein, weil sie die Möglichkeit zu neuen Kombinationen bietet.
  • Durch Diversität, verteilte Problemlösungen und Spezialisierung können Probleme besser oder überhaupt erst gelöst werden.
  • Komplexität ermöglicht anders nicht mögliche Organisationsgrößen, und eine Steigerung der militärischen Schlagkraft, was die Überlebenschance im Kampf um knappe, begrenzte Ressourcen steigert. Siehe dazu auf Youtube 10,000 years of war increased the size of human groups: an interview with Peter Turchin (dt.: 10.000 Jahre Krieg haben die Größe menschlicher Gruppen vergrößert: Ein Interview mit Peter Turchin)
  • Komplexität verbessert unsere Fähigkeit zu Anpassung an Veränderungen in unserer Umgebung.

Nachteile komplexer Systeme

  • Aufbau und Erhaltung von Komplexität kostet Energie und andere Ressourcen. In der Regel ist damit auch eine weitere Steigerung der Komplexität verbunden. Das führt letztlich zur Erschöpfung der Energie- und Ressourcenbasis und damit zum Kollaps komplexer Gesellschaften – es sei denn, man reduziert rechtzeitig und ganz bewusst die Komplexität und damit auch deren Kosten.  Siehe dazu z.B. Kollaps komplexer Gesellschaften – Interview mit Prof. Dr. Joseph Tainter und Dem Energiedilemma auf den Grund gegangen.
  • Fragilität, Sprödigkeit oder Zerbrechlichkeit, auf Englisch “Brittleness”. Komplexe Systeme, wie z.B. unsere Industriegesellschaft sind, wenn man sie an der richtigen Stelle angreift, sehr zerbrechlich. Siehe dazu z.B. EMP-Bedrohung – Anhörung im US-Kongress. Ein anderes, sehr gutes Beispiel für ein komplexes System ist der menschliche Körper. Er ist extrem anpassungsfähig, widerstandsfähig und leistungsfähig. Aber ein winziges Ereignis an einer empfindlichen Stelle kann ihn schlagartig zerstören. Andere winzige Ereignisse, wie z.B. eine kleine Verletzung oder der Biss eines kleinen Insekts können unter bestimmen Umständen einen gesunden, starken Menschen schwer krank machen und ihn damit in einen anderen Gleichgewichtszustand bringen.
  • Komplexe Systeme sind undurchsichtig (opak)  und ihre Reaktion ist ungewiss. Sie können zu extremen Ereignissen führen. Es kann zu Systemumschaltungen kommen und auch zur Überlastung der Führung – besonders dann, wenn mehrere Störgrößen oder Störquellen gleichzeitig auf das System einwirken.

Wenn man die Nachteile komplexer Systeme bedenkt, dann sieht man, dass man Kriege auch gegen zunächst übermächtige Gegner gewinnen kann, wenn man diese geschickt zur Steigerung ihrer Komplexität veranlasst. Besonders hilfreich kann es dabei sein, wenn man die “Werte” und  “Doktrinen” des Gegners, und dessen Unfähigkeit oder Unwilligkeit diese an sich verändernde Realitäten anzupassen geschickt nutzt, um ihm eine Steigerung seiner Komplexität, mit allen damit für ihn verbundenen Nachteilen, zu verleiten.   Es ist politisch nicht korrekt praktische Beispiele zu erörtern, die zeigen, dass und wie und wo derartige Angriffe derzeit in Europa und im Westen insgesamt erfolgen.

Damit zum Abschluss ein Interview mit Prof. Peter Kruse, das man auf Youtube unter dem Titel Wie reagieren Menschen auf wachsende Komplexität? findet.

Zu diesem Interview und dem Rat von Prof. Kruse, gebe ich zu bedenken, dass Denkverbote, Sprechverbote, Tabus und Doktrinen in Deutschland, Europa und dem Rest des Westens Diskussionen und damit möglicherweise auch die Findung von brauchbaren Problemlösungen heute erschweren oder sogar vollständig unmöglich machen und damit durchaus zum Zusammenbruch unserer Gesellschaft führen können. Beim Thema Doktrinen denke ich an meine Übersetzung von William Graham Sumners schon über 100 Jahre altes Essay “Earth Hunger” (Landhunger) und an Die Grundlagen der westlichen Werte.

Kelberg, den 9. Mai 2017

Christoph Becker




Dehumanisierung und Empathie

Warum und unter welchen Umständen kann es dazu kommen, dass Menschen andere Menschen und Gruppen von Menschen nicht mehr als Mitmenschen sehen, sondern als Objekte und sie  schamlos ausbeuten, plündern und wenn die  Umstände und Gesetze es erlauben, auch physisch vernichten? Ein Nebeneffekt der Suche nach einer Antwort ist die Feststellung, dass die heute allgemein als gut  dargestellte Empathie in der Realität oft auch ein wichtiges Werkzeug zur Maximierung des Grauens ist.  Auf das Thema wieder (( wieder, weil die verschiedene Aspekte des Problems der Dehumanisierung schon durch die  einige Zeit zurückliegende Lektüre von Eugen Sorgs Die Lust am Bösen: Warum Gewalt nicht heilbar ist und von Jean Hatzfelds Zeit der Macheten: Gespräche mit den Tätern des Völkermordes in Ruanda sowie einige Zeit später William Cattons Bottleneck : Humanity’s Impending Impasse: Humanity’s Impending Impasse kannte. )) aufmerksam geworden bin ich durch den  auf Youtube verfügbaren und hier verlinkten  Vortrag des kanadischen Professors Thomas Homer-Dixon: Catastrophic dehumanization: the psychological dynamics of severe conflict (dt.: Katastrophale Dehumanisierung: Die psychologische Dynamik schwerer Konflikte). Prof. Homer-Dixon hat diesen Vortrag  am 17. April 2012 an der James Martin School, an der Universität Oxford gehalten. Bereits am 13.  Februar 2012 hatte er einen vorläufigen Artikel mit dem Titel Catastrophic Dehumanization veröffentlicht, der auf seiner Internetseite im pdf-Format verfügbar ist: www.homerdixon.com/wp-content/uploads/2012/02/CATASTROPHIC-DEHUMANIZATION-Homer-Dixon-Feb-13-draft.pdf. Obwohl darin weitere Forschungsarbeiten zu diesem Thema angekündigt wurden, konnte ich per google (Stand 14. April 2017) außer dem oben erwähnten Vortrag keine weiteren Informationen dazu finden.

Prof. Homer-Dixon hatte sich lange Zeit mit Fragen der Konfliktforschung beschäftigt. Insbesondere war er an der Universität Toronto von 1990 bis 2001 Direktor, Peace and Conflict Studies Program, University College und von 2001–2007 Director, Trudeau Centre for Peace and Conflict Studies, University College. Seit 2008 hat er einen Lehrstuhl an der Universität Waterloo in Kanada. Man kann also davon ausgehen, dass sein Modell zur Dehumanisierung ziemlich gut fundiert ist (( Zu bedenken ist allerdings, dass gerade auch die kanadischen Universitäten (genauso wie die deutschen)  heute sehr dem Zeitgeist unterworfen und extrem “politisch korrekt” sind, so dass man leider davon ausgehen muss, dass Forschung und Lehre nicht mehr so frei sind wie früher. Prof. Homer-Dixon hat mit How Free Is Academic Freedom? (dt.: Wie frei ist die akademische Freiheit) im Mai 2012, also kurz nach seinem oben verlinkten Vortrag zur Dehumanisierung, einen Artikel zur Freiheit von Forschung und Wissenschaft veröffentlicht, der darauf schließen lässt, dass er seine akademische Freiheit etwas eingeschränkt sieht. Möglicherweise ist diese ein Hinweis darauf, warum er zum Thema Dehumanisierung keine weiteren Arbeiten veröffentlicht hat. )).

Einführung zum Thema Dehumanisierung

Ich übersetze und zitiere hier die ersten beiden Absätze der Einleitung von Prof. Homer-Dixons oben verlinkten Artikel über die katastrophale Dehumanisierung:

Teilnehmer von gewaltsamen Konflikten dehumanisieren ihre Gegner. In der Tat, sind einige Formen der Dehumanisierung diskutierbar eine definierende Eigenschaft der brutalsten Formen menschlicher Gewalt, wie das Flächenbombardement von Zivilbevölkerungen, Terrorangriffe auf städtische Zentren, intensive Kampfhandlungen auf Schlachtfeldern und Völkermorde.

Menschen, die Angehörige anderer Gruppen dehumanisieren, scheinen mindesten drei kognitive Veränderungen durchzumachen, die nicht notwendigerweise in der folgenden zeitlichen Reihenfolge erfolgen:

Erstens, deindividuieren sie die Mitglieder der anderen Gruppe. Wo sie vorher vielleicht die Mitglieder der anderen Gruppe als Individuen gesehen haben, jedes mit einer bestimmten und komplexen Charakteristik, Geschichte und Zielen, sehen sie diese, wenn sie erst einmal dehumanisiert sind, undifferenziert innerhalb ihrer Gruppe.

Zweitens, sie wenden auf diese undifferenzierten Mitglieder der anderen Gruppe hochgradig vorurteilsbeladene Karikaturen oder Sterotype an, die oft Analogien mit Tieren oder Maschinen beinhalten.

Drittens, und am wichtigsten: Sie verneinen die moralische Legitimität des Lebensstils, der Interessen und Aktionen der anderen Gruppe und sogar das Existensrecht der anderen Gruppe. In diesem Prozess  verweigern sie den Mitgliedern der anderen Gruppe den Schutz der allgemeinen moralischen Prinzipien.

Als ich den Vortrag zum ersten mal gehört habe, hat sich mir der Eindruck aufgedrängt, dass die sich für anständig und zivilisiert haltenden “Kampf-Gegen-Rechts”-Kämpfer gegenüber den Anhängern und Wählern der NPD und auch der AfD eben diesem Muster der katastrophalen Dehumanisierung folgen. Dasselbe gilt für viele der nach Deutschland geflüchteten oder eingewanderten “kulturellen Bereicherungen” aus dem Orient und aus Afrika.

Dehumanisierungs-Schalter mit Hysterese

In seinem Vortag erklärt Homer-Dixon, dass es bei den meisten Menschen von Natur aus so ist, dass sie gegenüber Menschen anderer Gruppen schlagartig auf Dehumanisierung umschalten können. Zurückschalten, bei dem aus den dehumanisierten Mitgliedern einer Gruppe wieder Menschen oder gar Nächste werden ist sehr viel schwieriger. Das heißt zum Zurückschalten ist wesentlich mehr Vertrauen und “Gerechtigkeit” nötig. Diesen Unterschied nennt man Hysterese.

Ein Beispiel, das Prof. Homer-Dixon zur Illustration des möglichen evolutionären Grundes für die Fähigkeit der meisten Menschen Mitglieder anderer Gruppen schlagartig zu dehumanisieren nennt: Wenn die Mitglieder eines anderen Stammes über den Hügel kommen, ihre Keulen auspacken und vorhaben, Ihre Vorräte mitzunehmen, dann ist es vielleicht keine gute Idee, es mit gutem Zureden und Deeskalation mit Worten zu versuchen. Jedenfalls kann man sich vorstellen, dass es in solchen Situationen für die Überlebensfähigkeit oft vorteilhaft war, die anrückenden Plünderer zu Dehumanisieren und zu bekämpfen.

In seinem Vortrag zeigt Homer-Dixon auch ein Bild von einer Massenerschießung die am 14. Oktober 1942 in der Nähe des Mizocz Gettos stadtfand. Er meint dazu, dass das Personal der Einheiten, die diese Massenmorde durchgeführt haben,  sicherlich speziell ausgesucht gewesen sei, aber dass man leider durch nachfolgende Untersuchungen und Experimente, wie das Milgram-Experiment und das Stanford-Prison-Experiment festgestellt habe, dass zwar nicht alle, aber doch die meisten Menschen zu solchen Taten fähig sind, wenn die Umstände dies zu erfordern scheinen. Nach dem Milgram-Experiment haben, wie in dem verlinkten kurzen Film erwähnt wird, 65 %, also rund zwei Drittel der Versuchspersonen, dem Opfer einen im Ernstfall tödlichen Stromstoß versetzt, während man ursprünglich nur damit gerechnet hatte, dass nur 2-3 % psychisch Kranke so etwas tun würden.

Wir wissen also, dass selbst die angeblich “guten”, “anständigen”, der “Demokraten” der “Linken” und auch der “Christen”  im heutigen Deutschland, ebenso wie ein großer Teil der “Flüchtlinge” und “Einwanderer” trotz  fetter Friedenszeiten, trotz halbwegs funktionierender Demokratie und trotz halbwegs funktionierendem Sozialstaat ziemlich schamlos Angehörige anderer Gruppen dehumanisiert. Und wir wissen auch, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung als Handlanger für Verbrechen zu haben ist, wenn die Leute den Eindruck bekommen,  dass die Umstände es zu erfordern.

Vor diesem Hintergrund kann es hilfreich sein, der Frage nachzugehen, wie und wann es zu katastrophaler Dehumanisierung und dem Entstehen entsprechender Umstände kommen kann.

Empathie als Werkzeug des Bösen

Wie Prof. Homer-Dixon in seinem Vortrag und Artikel erläutert, beeinträchtigt eine Dehumanisierung NICHT die Fähigkeit zur Empathie. Die Fähigkeit zur Empathie, also die Fähigkeit sich in die Lage der anderen zu versetzen und deren Gefühle nachzuvollziehen wird nach der Dehumanisierung vielmehr oft genutzt, um die dehumanisierten Gegner besser und grausamer zu bekämpfen und zu vernichten.

Die Homer-Dixonsche Wir-Gerechtigkeits-Einschränkungs-Fläche

Homer-Dixon meint, dass für das Verständnis von Konflikten und Dehumanisierung insbesondere drei Variablen beachtet werden müssen, nämlich

  • Identität, im Sinne der Wahrnehmung des “Wir”. Die Extreme dieser Variablen sind “inklusiv / tolerant”, im dem Sinne, dass alle Menschen, ohne Rücksicht auf Rasse, Hautfarbe, Religion, Ethnie, Geschlecht, usw. als zur eigenen Gruppe gehörend betrachtet und akzeptiert werden. Der andere Extremwert ist “exklusiv / ausschließend”. Die Grenze derjenigen, die zur eigenen Gruppe gehören,  ist hierbei sehr eng gezogen.
  • Strukturelle Einschränkung, Wahrnehmung der Einschränkung der Möglichkeiten (“agency” habe ich hier als “Möglichkeiten übersetzt). Die Extremwerte sind hier, wenn ich Homer-Dixon richtig verstanden habe,  in Grunde ein maximal totalitärer orwellscher Polizei- und Überwachungsstaat einerseits und völlige Anarchie andererseits.
  • Gerechtigkeit, Wahrnehmung ethisch auffälliger Situationen und Aktionen. Die Extremwerte sind hier “ungerecht” und “gerecht”

Wenn man die Variablen stark vereinfachend in einem dreidimensionalen Würfel wie in der folgenden Zeichnung zuordnet, erhält man eine Fläche. Die dicken schwarzen, mit 1 bis 4 gekennzeichneten  Striche verlaufen dabei entlang der Außenseiten des Würfels.  Die graue, spitz zulaufende Fläche kann man sich als den Schatten vorstellen, den ein aus großer Entfernung senkrecht von oben auf die Fläche fallendes Licht werfen würde.

Erläuterung der 4 äußeren Grenzlinien:

Linie 1:  In einer extrem  totalitären und kontrollierten Gesellschaft, in der die Menschen so gut wie keinen Spielraum für eigenes, selbstbestimmtes Handeln haben, ist die Toleranz gegenüber anderen, bzw. die Wahrnehmung der zur Gruppe des “wir” gehörenden ziemlich groß – sofern die Regierung bzw. der Diktator es wünschen. Insbesondere verändert sich die Toleranz nicht mit der Wahrnehmung der Gerechtigkeit des Systems.  Ein Beispiel Homer-Dixons: Eine Krebserkrankung kann als extrem ungerecht empfunden werden, aber man wird die Schuld nicht auf eine andere Menschengruppe schieben und diese Dehumanisieren (( Tatsächlich ist dieses Beispiel mit der Krebserkrankung keinesfalls so klar und eindeutig. Man kann sich z.B. vorstellen, dass die Krebserkrankung je nach Gesellschaft auf Hexerei oder auf Umweltverschmutzung oder ähnliches geschoben werden kann und dass dafür dann sehr wohl einzelne Personen oder ganze Gruppen von Menschen dehumanisiert und verfolgt werden können. In solchen Fällen würde Linie 1 von links nach rechts abfallen. ))

Linie 2: In einem absolut gerechten System führt eine Vergrößerung der individuellen Freiheiten und Möglichkeiten sogar zu einer Steigerung der Toleranz und der Größe der als zum “wir” gehörigen Gruppe. Der Grund ist, dass die Wertschätzung der anderen steigt, wenn bemerkt wird, dass diese von ihren Möglichkeiten einem selbst und der engsten Gruppe der mam angehört zu schaden, keinen Gebrauch machen, sondern im Gegenteil sogar im Sinne einer wirklichen kulturellen Bereicherung handeln. In der Realität dürfte dieses Extrem eher nicht vorkommen.

Linie 3: Hier  fehlt jede strukturelle Einschränkung. Die Menschen sind absolut frei und werden von den Mitmenschen als für ihr Verhalten und ihre Taten voll verantwortlich wahrgenommen. Wenn das Verhalten aller trotzdem als gerecht und korrekt wahrgenommen wird, wird die Toleranz gegenüber den anderen sehr hoch sein. Man wird diese nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrnehmen. Wenn die anderen aber von ihrer Freiheit und ihren Möglichkeiten in einer als schädlich empfundenen Weise Gebrauch machen, wird die Toleranz gegenüber den anderen abnehmen.   Zunächst wird sie nur wenig abnehmen. Aber es kommt dann bald zu einem Punkt, an dem die Toleranz schlagartig sinkt. Die Menschen fallen dann von der “Friedensebene” auf die “Kriegsebene”, Das ist der Punkt, an dem Dehumanisierung stattfindet. Die vom “Wir”-Gefühl erfassten Gruppen werden kleiner. Die mit “Schatten” bezeichnete graue Fläche kann nicht erreicht, sondern nur übersprungen werden. Es gibt hier eine “Hysterese”, d.h. der Weg zurück auf die Friedensebene zu mehr Toleranz erfordert sehr viel mehr “Gerechtigkeit”, bzw. Wohlverhalten, als  der Weg von der Friedensebene zur Kriegsebene.

Treffpunkt der Linien 3 und 4: Hier erreichen alle drei Variablen ihren niedrigsten Wert.

Linie 4: Diese verläuft maximal von ungerecht, Fehlen jeder strukturellen Einschränkung und maximal andere ausschließend und intolerant, zu maximaler struktureller Einschränkung bei weiterer maximaler Ungerechtigkeit. Der dabei zu beobachtende Anstieg der Toleranz bzw. die Vergrößerung der als “Wir” wahrgenommenen Gruppe erklärt sich damit, dass “die anderen” wegen der abnehmenden Freiheit zunehmend als für ihr Verhalten, ihre Situation und ihre Taten nicht verantwortlich angesehen werden.

Das  Schema von Homer-Dixon ist stark vereinfachend  und es kann die Wirklichkeit in ihrer Komplexität nicht vollständig erklären. Das Modell von Homer-Dixon kann aber einige wichtige Zusammenhänge zeigen. Z.B. zeigt es, warum funktionierende, bzw. im inneren friedliche multikulturelle Gesellschaften in der Regel totalitäre Gesellschaften oder Diktaturen sind und es zeigt, warum das Verschwinden der Diktatur in multikulturellen,  multiethnischen Gesellschaften in der Regel zum Zerfall der öffentlichen Ordnung und zu erbitterten  Bürgerkriegen führt:  Mit dem Untergang der Diktatur, bzw. mit dem Ende des totalitären Systems sinkt nämlich die strukturelle Einschränkung der Einzelnen und der einzelnen Gruppen. Damit werden diese von den anderen zunehmend für ihre Taten und ihre Situation verantwortlich gehalten. Wenn “die anderen” Engel sind und sich sehr vorbildlich verhalten, wird das dann sogar zu einer Zunahme der als “Wir” wahrgenommenen Gruppe führen. Aber wehe es kommt zu tatsächlichen oder scheinbaren Ungerechtigkeiten, mit denen auf Grund der menschlichen Natur, auf Grund kulturelle Unterschiede und vor allem bei zunehmendem Ressourcenmangel zu rechnen ist.  Dann stürzt die Gesellschaft von der Friedens- auf die Kriegsebene und die Auswahl der als zum “Wir” gehörenden Menschen schrumpft schlagartig.

Das Extrem dieser Schrumpfung  der zum “Wir” gehörenden Gruppengröße beschreibt Collin Turnbull in seinem Buch The Mountain People bzw. in dessen deutscher Übersetzung Das Volk ohne Liebe. Der soziale Untergang der Ik. Die Ik sind ein Bergvolk im nördlichen Uganda, an der Grenze zum Sudan un zu Kenia, die ihre ursprüngliches Jagdgebiet wegen der Ausweisung eines Nationalparkes verloren haben und die dann, in der Zeit als Turnbull sie beobachtete, Opfer einer Hungersnot waren. In diesem Stadium wurden die Menschen zu maximalen Egoisten. Die einzige Freude war die Schadenfreude. Kinder wurden von den Eltern schon mit drei Jahren sich selbst überlassen, alte Menschen lässt man einfach sterben, und es kann durchaus sein, dass eine Mutter sich  freut wenn ihr Kind von einem Raubtier gefressen wird, weil das Raubtier dann erst mal satt ist und weil ein Esser weniger da ist.

Hier zu passen auch die Essays Witchcraft (dt. Hexerei) und War (dt. Krieg) des amerikanischen Soziologieprofessors William Graham Sumner, die man u.a. auf meiner Webseite unter Sumner – “War and other Essays” findet, bzw. herunterladen kann. Die Hexenverfolgung war eines der schrecklichsten Beispiele für “Dehumanisierung”.

Sumner hat die Literatur zum Thema Hexenverfolgung ziemlich gut untersucht und meint, dass man rund die Hälfte der Hexenprozesse einfacher Geldgier und den Rest naiver Leichtgläubigkeit zuschreiben kann. Entsprechend ist auch Sumners Schlußfolgerung: Er meinte 1909, als er “Witchcraft” geschrieben hat, dass das Phänomen der Hexenverfolgung keinesfalls Vergangenheit sei. Man müsse im (damals beginnenden) 20. Jahrhundert insbesondere damit rechnen, dass von Seiten der Sozialisten neue “Hexenverfolgungen” initiiert würden. Tatsächlich haben die Kommunisten in der UdSSR und auch die Nazis in Deutschland durchaus so etwas wie “Hexenverfolgungen” betrieben.

Mit “witcraft africa death” findet man per google Hinweise dafür, dass es in Afrika auch heute noch einen für europäische Begriffe mittelalterlichen Hexenglauben und Hexenverfolgungen gibt.

Hier meine Übersetzung der letzten Sätze von Sumners Essay “Witchcraft”:

Anarchisten, die fanatisch genug sind, Bomben in Theater und Restaurants zu werfen und Könige und Präsidenten zu ermorden, nur weil sie solche sind, sind fähig alles zu tun, was die Richter der Hexen und die Inquisitoren getan haben, wenn sie denken, dass der Erfolg der Partei es erfordert. Wenn wieder schlechte Zeiten über die zivilisierte Welt kommen sollten, durch Überbevölkerung oder durch unvorteilhafte wirtschaftliche Entwicklungen, dann wird die Bildung der Bevölkerung sinken und die Klassentrennung  wird größer werden. Es ist zu erwarten, dass der alte Dämonismus sich dann wieder Bahn bricht und wieder das alte Phänomen reproduziert.

In seinem Essay War, also über den Krieg, beschreibt Sumner,  die Organisation der Menschen in Friedens- bzw. Binnengruppen, in denen die Menschen sich sozial verhalten und gegenseitig helfen, und in zu diesen komplementären Außengruppen, mit denen sie konkurrieren und kämpfen. Der Mensch ist sozial und unterstützt seine Binnen- oder Friedensgruppe im Grunde nur, wenn, weil und soweit dies ein Vorteil im Kampf und Wettbewerb mit den feindlichen Außengruppen ist.  Die Größe dieser Friedens- oder Binnengruppen ist variabel. Sie reicht von der Größe einer Familie über Dorfgemeinschaften und Stämme bis zu Nationalstaaten oder auch zu Staatenbünden wie der UdSSR und der EU. Je größer eine Gruppe, je größer ist aber auch der Aufwand für deren Organisation und Aufrechterhaltung. Dieser Aufwand muss sich rechnen. Wenn er sich nicht mehr rechnet, oder wenn die Ressourcen zu knapp werden, um die Organisation einer solche großen Gruppe aufrecht zu erhalten, dann zerfällt sie. Damit schrumpft aber auch die Größe der als “Wir” wahrgenommen Gruppe.

An dieser Stelle möchte ich auch auf Sumners Essay Earthhunger  and the Philosophy of Landgrabbing hinweisen, das ich großenteils in meinem Blogbeitrag Landhunger übersetzt habe.

Dehumanisierung durch Wissen

Der Soziologe und Ökologe William Catton erläutert in seinem Buch Bottleneck : Humanity’s Impending Impasse (dt. Flaschenhals: Die kommende Unpassierbarkeit auf dem Weg der Menschheit) das Phänomen der Dehumanisierung anders. Catton bezieht sich dabei auf den französischen Soziologen Émile Durkheim und erklärt, dass und wie die berufliches Spezialisierung zur Dehumanisierung führt.  Angehörige hochspeziallisierter Berufe  bilden daher jeweils eigene Spezies oder Gruppen, die sich durch ihre Fachsprache, ihr speziallisiertes Wissen und ihre  Organisation vom Rest der Gesellschaft unterscheiden. Eine negative Folge dieser Dehumanisierung durch Wissen ist eine damit mögliche, skrupellose  Ausnutzung des Wissensunterschiedes etwa  zur Erzielung wirtschaftlicher Vorteile. Wenn Banker, Ärzte, Zahnärzte usw. als “Abzocker” auffallen, dann hat man es mit dieser Dehumanisierung durch Wissen zu tun. Auch hier versucht man durch immer mehr Vorschriften und Kontrollen, die im Homer-Dixonschen Würfel als “Strukturelle Einschränkungen” dargestellt sind,   der Dehumanisierung entgegen zu wirken.

Es gibt schließlich noch das Argument, dass eine Dehumanisierung durch Wissen zum Selbstschutz der Psyche der Spezialisten, z.B. in bestimmten Bereichen des Gesundheitswesens und der Pflegedienstleister notwendig sein kann. Man kann das aber auch verallgemeinern und sagen, dass Dehumanisierung immer zum Schutz der eigenen Psyche der Dehumanisierenden nützlich sein kann.

Neben dem Schutz der Psyche der Dehumansierenden dient das Phänomen der Dehumanisierung in der Regel zur Verbesserung der Überlebenschancen und auch zur Realisierung materieller und wirtschaftlicher Vorteile der eigenen Gruppe oder Person.

Insgesamt ist die Beschäftigung mit dem Thema der Dehumansierung und ihren möglichen Folgen und Ursachen ein Blick in die Abgründe auf die unserer Gesellschaft sich zu bewegt.

Kelberg den 20. April 2017

Christoph Becker




Weidemanagement und Rohmilch als Dünger und Bodenverbesserer

Wenn man auf Youtube mit “National Small Farm Trade Show and Conference 2012” sucht, bekommt man einige landwirtschaftliche Präsentationen gelistet, von denen ich hier auf drei besonders hinweisen möchte:

Ralph Voss ist der Inhaber der  Voss Land & Cattle Company.

Erstaunlich und neu an seinem Vortrag war für mich insbesondere, dass die Anwendung von relativ kleinen Mengen Rohmilch (ca. 2 bis 3 US-Gallon pro Acre bzw. knapp 20 bis 30 Liter pro Hektar)  zu einer deutlichen Verbesserung des Ertrages, der Weidequalität und auch zur Bodenlockerung führt.

Mit “Rohmilch Dünger” oder auch mit “Rohmilch Weide” findet google derzeit (10. April 2017) nichts. Mit “Raw milk spray pasture” findet sich aber einiges.

Die Studienergebnisse und auch die Meinungen zu diesem Thema sind unterschiedlich.  Ich fand z.B. den Bericht über eine Untersuchung der Universität Vermont aus dem Jahre 2014 und den Artikel Field trials show applying milk to pasture is increasing Brix values, reducing compaction and increasing tonnage  (dt.: Feldversuche zeigen, dass die Ausbringung von Milch auf Weiden die Brixwerte steigert, die Bodenverdichtung reduziert und zu einer Steigerung der Trockenmasse führt.)

Zum Thema Brix-Werte

Weil es bei Landwirten in Deutschland nicht unbedingt bekannt ist, möchte ich darauf hinweisen, dass der Brixwert oder Brix, der in den USA offenbar häufig zur Messung der Qualität oder Qualitätsverbesserung von Weiden verwendet wird, einen Hinweis auf den Nährstoffgehalt der Pflanzen liefert. Gemessen wird er in der Regel mit einem Refraktometer, das dazu einen Messbereich von 0 bis ca. 25 oder besser 30 Prozent hat.  Um Gras und Kräuter für solche Messungen auspressen zu können, habe mir zwei kleine Platten aus einer Legierung für die Herstellung von Modellgußprothesen gegossen und galvanisch poliert,  man könnte aber genauso gut  zwei dicke Edelstahlblechstücke nehmen. Wenn man die Pflanzenteile, von denen man den Brixwert messen möchte zwischen diese Platten legt und diese z.B. mit einem Knippex-Zangenschlüssel (weil sich bei diesem die Backen parallel bewegen), oder auch mit einer einfachen Wasserpumpenzange zusammendrückt, kann man damit leicht die nötige Menge Saft für die Messung erzeugen, und man kann die Platten anschließend leicht für die nächste Messung reinigen.

Ralph Voss erwähnt in seinem Vortrag auch noch andere Möglichkeiten wie Melasse, Fischlösungen, Komposttee und Seesalz. Rohmilch scheint aber besonders gut zu wirken, wenn ……

Warum könnte Rohmilch als Dünger wirken?

Warum könnte es tatsächlich sein, dass Rohmilch den Ertrag und die Bodenqualität verbessert und wie kann man sich erklären, dass die Ergebnisse  bei unterschiedlichen Studien und Landwirten sehr unterschiedlich sind?

Ralph Voss ist ein Nachbar und Schulkamerad  von Dr. Robert Kinkhead, einem pensionierten Tierarzt und Hobby-Farmer, der bei der National Small Farm Trade Show and Conference 2012 ebenfalls einen Vortrag gehalten hat und zwar über Mob-Grazing oder rationales Beweiden, wie André Voisin es in  seinem 1958 auch ins Deutsche übersetzten, aber leider vergriffenen Klassiker Die Produktivität der Weide genannt hat. Ich beziehe mich dabei auf die mir nur vorliegende amerikanische Ausgabe Grass Productivity: An Introduction to Rational Grazing. Allan Savory, der auf darauf aufgebaut hat nennt es, oder besser seine Erweiterung,  Holistic Management: Holistic Management: A New Framework for Decision-making. Man könnte auch ganzheitliches Weidemanagement sagen. Dr. Kinkhead empfiehlt übrigens jedem, der dieses Weidesystem wirklich verstehen und anwenden will,  zunächst die vollständige Lektüre der beiden genannten Bücher von Voisin und Savory, auch wenn diese nicht immer ganz einfach und teilweise langweilig sei.

Wie der oben verlinkte Vortrag von Robert Kinkhead gut erklärt, sind die Resultate dieses Beweidungssystems:

  • Steigerung des Kohlenstoffgehaltes im Boden, was u.a. wegen der extremen Oberfläche des Kohlenstoffs zu einer drastischen Steigerung der Wasseraufnahme und damit auch dem Hochwasserschutz dient und das Regenwasser für Trockenperioden auf der Wiese des Bauern hält.
  • Ein reges Leben von Mikroorganismen und Kleinlebewesen im Boden. Dadurch können insbesondere auch Mineralien aus dem Boden gelöst werden, was u.a. den Düngerverbrauch reduziert. Das heißt, ein wesentliches Merkmal und Ziel dieses  Beweidungssystems ist, ein für die Mikroorganismen und Kleinlebewesen im und auf dem Boden förderliches Mikroklima zu schaffen und diese gut zu füttern. Ein Ergebnis davon ist, dass insbesondere auch Mineralien und Spurenelemente aus dem Boden gelöst und für die Pflanzen verfügbar gemacht werden, die für die Pflanzen sonst nicht verfügbar wären bzw., die sonst der Bauer oder Gärtner als Industrieprodukte kaufen und aufbringen müsste.
  • Der Netto-Ertrag entsprechend bewirtschafteter Flächen kann wesentlich besser sein als bei konventionell-industrieller Landwirtschaft. Dr. Kinkhead hat z.B. mit einer betriebswirtschaftlichen Analyse seines Betriebes festgestellt, dass er ca. 250 kg schwere Kälber für ungefähr die Hälfte der in den USA üblichen, durchschnittlichen Kosten produziert hat.

Das Vorhandensein von reichlich Mikroorganismen und Kleinlebewesen im Boden dürfte der entscheidende Faktor für die Wirksamkeit von Rohmilch und auch von Komposttees usw. sein. Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass die Milch biologische Bausteine und Katalysatoren (Enzyme), enthält, die für manche Bakterien und Kleinlebewesen sehr förderlich sind und die ohne Rohmilch  nicht oder nur in wesentlich geringerer Menge vorhanden sind. Auf solche Katalysatoren weisen auch die Versuchsergebnis mit unterschiedlichen Milchmengen hin. Es bringt nichts, die Menge auf mehr als 20 bis 30 Liter pro Hektar zu steigern. Das sind zwei bis drei ml  pro Quadratmeter. Ein Teelöffel sind ca. 5 ml und ein Esslöffel sind ca. 10 bis 15 ml (Wikipedia-Küchenmaße).  Es geht hier also um nur einen einzigen Teelöffel Rohmilch für rund 2 Quadratmeter.

In einem Boden,  wie ihn die industrielle Landwirtschaft z.B. durch Umpflügen, Pestizide, Herbizide, Monokulturen, hohen Bodendruck mit sehr schweren Maschinen usw. produziert, also in einem Boden, in dem die Mikroorganismen und Kleinlebewesen tot sind oder hungern und verdursten, wird Rohmilch  voraussichtlich keinen oder nur einen vergleichsweise sehr geringen Effekt haben, weil eben keine oder nicht genug Mikroorganismen und Kleinlebewesen vorhanden sind, die von der Milch und dergleichen profitieren können.

Der oben verlinkte Vortrag von Mark Bader, einem Biochemiker, der offenbar auch selbst Rinder hält und sich mit der Firma Free Choice Enterprises, einem seit über 60 Jahren bestehenden Familienbetrieb, auf Nahrungsergänzungsstoffe für Rinder spezialisiert hat, passt zu diesem Themenkomplex. Baders Vortrag habe ich mir nicht jetzt, sondern schon im letzten Herbst angehört und fand ihn damals sehr informativ. Baders Vortrag passt hier, weil er auch das Thema Mikroorganismen im Boden anspricht.

Jeder der drei, verlinkten und inzwischen schon ca. 5 Jahre alten Vorträge wäre im Grunde einen eigenen Artikel wert. Alleine schon Dr. Kinkheads Bemerkung, dass eine Kuh, die ein Jahr  auf knappen halben  Hektar weidet, 1000 Pflanzen töten kann, aber dass 1000 Kühe, die einen Tag auf einem knappen halben Hektar grasen keine einzige Pflanze töten,  wäre einen Artikel wert. Allerdings habe ich dazu im Prinzip schon in Was würde der alte deutsche Weidepapst sagen? etwas geschrieben. Das Bittere dabei ist, dass dieses Wissen hier in der Eifel, auf dem Versuchsgut Rengen, das dessen damaligem Leiter, Prof. Ernst Klapp, der auch André Voisin gut kannte, sehr wohl bekannt war.

Das ganze erinnert etwas an Sag mir wo die Blumen sind:

Verstehen wird man in Deutschland wohl immer erst viel zu spät oder zumindest unnötig spät.

Kelberg, den 10. April 2017

Christoph Becker

 

 




Die Symbiose von Bauern und Kriegern

Am 7. März 2017 hat Alice Friedemann in ihrem Blogbeitrag After a collapse will people grow their own food or plunder others? (dt. Werden die Menschen nach einem Kollaps ihre Nahrungsmittel selbst anbauen, oder werden sie andere plündern?)  auf den schon über ein Jahr alten Blogbeitrag The Neopaleolithic: Hunter-Gatherers of the 21st century (dt. Die Neu-Frühsteinzeitlichen Jäger und Sammler des 21. Jahrhunderts) hingewiesen, hinter dem der anonyme niederländische Autor des Webblogs thesenecaeffect.wordpress.com steht.

Ich übersetzte hier die letzten vier Absätze  des Artikels dieses anonymen Niederländers:

Ein Szenarium in dem die Menschen ihre Lebensmittel selbst anbauen erscheint mir sehr viel unwahrscheinlicher als ein Szenarium, in dem umherwandernde Gruppen von Menschen beginnen, die ländlichen Gegenden zu plündern. Dies ist es, was tatsächlich im römischen Reich passiert zu sein scheint, wo herumwandernde Stämme eingedrungen sind und wo lokale Banden römischer Bürger, bekannt als Bagauden, damit begannen, die ländlichen Gegenden zu plündern.

Schließlich, wenn die Lebensmittel, die aus den Häusern und von den Feldern geplündert werden können, zur Neige gehen, werden die Leute gezwungenermaßen ausschließlich von dem abhängen, was in den ländlichen Gegenden wild wächst. Der Klimawandel kann bedeuten, dass sich dies als eine brauchbarere Strategie herausstellt, als man erwarten sollte.

In Europa haben einige Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sich bereits an einen Wanderung-Lebensstil angepasst, der wild wachsende Lebensmittel als Teil der Diät einschließt. Ein Spitzenwert von Pilzvergiftungsfällen wurde in Deutschland registriert, weil Flüchtlinge wilde Pilze gegessen haben.

Es scheint mir, dass wir auch in den kommenden Jahren viel mehr von dieser Art erwarten sollten. Unser Nahrungsmittelproduktionssystem hat sich in einer Weise entwickelt, die eine Rückentwicklung selbst dann schwierig macht, wenn sie notwendig wird. Es sieht eher danach aus, dass die Nahrungsmittelproduktion vollständig aufhört als dass sie weniger komplex wird.

Als ich vor einiger Zeit einem alten Mann aus meinem Dorf, der die Nahrungsmittelknappheit nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, von meinen Bedenken bezüglich eines plötzlichen Systemzusammenbruchs erzählt habe, meinte er trocken: “dann wird nur noch zu essen haben, wer eine Pistole hat”.

Ein Landwirt, mit dem ich darüber diskutiert habe, ob man nicht vielleicht doch etwas unternehmen könnte, um die Ernährungsicherheit der Bevölkerung lokal zu verbessern, meinte “das hat doch alles keinen Sinn, Diebstahl und Vandalismus waren und sind schon jetzt ein Problem, wie soll das erst mal sein, wenn es den Leuten wirklich richtig schlecht geht”.
Auch von Winzern an der Mosel weiß ich, dass Diebstahl und Vandalismus schon jetzt,  in fetten Friedenszeiten, ein Problem sind und dass der Staat schon jetzt keinen Schutz dagegen bietet.

Überhaupt werden Eigentumsdelikte und Betrug schon heute oft nicht mehr von Staats wegen verfolgt und es macht oft keinen Sinn mehr, diese überhaupt auch nur anzuzeigen, weil der Staat  sehr offensichtlich schon jetzt einfach unfähig ist und seine Aufgaben in einigen Bereichen nicht mehr erfüllt.

Ich selbst habe mich, wie man verschiedenen Artikeln meines Blogs entnehmen kann, sehr für Landwirtschaft und Gartenbau interessiert, aber ich sehe keinen Sinn mehr darin, irgendetwas von dem was ich herausgefunden habe, praktisch umzusetzen, weil ich nicht sehe, dass und wie Felder, Gärten, Viehbestände und Nahrungsmittelvorräte im Ernstfall gegen Plünderung und Diebstahl gesichert werden könnten. Die Leute müssen wohl leider erst massenhaft verhungern und Opfer von brutalen Plünderungen werden, bevor sie entsprechende Maßnahmen für sinnvoll halten.

John M. Greer hat in seinem Buch Dark Age America, aus dem ich u.a. das erste Kapitel in In der Folge der industriellen Zivilisation übersetzt habe, folgende klassische Lösung beschrieben, auf die die Leute voraussichtlich irgendwann in der Zukunft kommen werden:

Man rechne diese Muster zusammen, folge ihnen über die üblichen ein bis drei Jahrhunderte der Abwärtsspirale und man hat das Standardbild einer Gesellschaft in einem dunklen Zeitalter: eine größtenteils verwüstete ländliche Gegend mit kleinen verstreuten Dörfern, wo selbst versorgende Bauern, die verarmt sind und nicht lesen und schreiben können, darum kämpfen, die Fruchtbarkeit zurück in den ausgelaugten Mutterboden zu bringen. Ihre Regierung besteht aus der persönlichen Machtausübung lokaler Kriegsherren, die im Tausch für den Schutz vor Plünderern ihren Teil der jährlichen Ernte fordern,  und die eine raue Rechtsprechung im Schatten jedes passenden Baumes anwenden.

Das Fazit aus alledem ist für mich, dass Bauern und Gärtner zwingend eine Symbiose mit Kriegern eingehen müssen oder sie müssen – wenn ihnen ihre Freiheit etwas wert ist – wohl oder übel selbst Krieger werden.

Der Staat ist – solange er funktioniert, wie man Jack Donovans Gewalt ist Gold wert entnehmen kann, die Verkörperung des Kriegers und Kriegsherrn. Solange er zumindest im Großen und Ganzen noch funktioniert und die Schäden durch Diebstahl, Plünderung und Vandalismus zumindest aus Sicht der Mehrheit der Bauern und Gärtner noch erträglich sind, funktioniert das System noch.

Doch was ist, wenn das System nicht mehr funktioniert? Außerdem ist es schon jetzt so, dass Investitionen in Landwirtschaft und Gartenbau für Leute, die etwas vorausdenken sinnlos sind, weil bzw. so lange kein überzeugendes Konzept zu einer wirksamen  lokalen Verteidigung von Nahrungsmittelvorräten, Gärten, Feldern und Viehbeständen vorhanden ist.

Ein anderer Aspekt ist, dass die Bauern und Gärtner, wenn sie die Verteidigung ihres Eigentums in Zukunft Kriegern überlassen, ihre Freiheit wieder verlieren werden. Sie und ihre Nachkommen werden wieder zu Leibeigenen und vielleicht sogar Sklaven der Krieger und Kriegsherren werden.

Die Bauern haben ihre Befreiung von der Leibeigenschaft in erster Linie der durch die Entdeckung und Nutzung der fossilen Brennstoffe möglich gewordenen Industrialisierung zu verdanken. Durch die Industrialisierung wurde es nützlich, die Bauern zu befreien, weil sie als freie, mobile und gebildete Bürger flexibler und besser in der Industrie einsetzbar waren. Das heißt, ohne die Industrialisierung hätten wir vermutlich noch immer Leibeigenschaft und auch Sklaverei. Wenn man eine Rückentwicklung zu Leibeigenschaft und Sklaverei ebenso wie einen Rückfall Europas in eine frühsteinzeitliche Gesellschaft der Jäger und Sammler verhindern möchte, wird man auch dafür sorgen müssen, dass die Bauern und Gärtner ebenso wie deren (potentielle) Arbeiter zugleich auch Krieger sind.

Selbstverständlich ist es aber auch so, dass die Krieger Bauern und Gärtner benötigen weil diese drastisch mehr Nahrungsmittel auf einer  gegebenen Fläche produzieren können, als durch eine Gesellschaft von Jägern und Sammlern geerntet werden kann. Bauern und Gärtner brauchen also die Krieger genauso, wie umgekehrt die Krieger Bauern und Gärtner brauchen. Allerdings ist die Gewalt, zu deren Anwendung die Krieger per Definition ja sogar da sind, ein Mittel mit dem die Krieger den Bauern die Preise und Vertragsbedingungen diktieren können, wenn die Bauern zu faul, zu geizig, zu feige oder zu bequem sind, selbst auch Krieger zu sein.

Angenommen, man wäre heute klug genug das einzusehen und wollte entsprechend handeln. Was könnte man tun?

Die Bauern und Gärtner und auch der Rest der Bevölkerung könnten und würden dann zuerst und vor allem auch  Mitglieder im Reservistenband und in diesen angeschlossenen schießsportlichen Arbeitskreisen. Ungediente können übrigens im Reservistenverband  als Fördermitglieder mitmachen.

Darüber hinaus könnten die Leute sich in Schießsportvereinen organisieren und deren Möglichkeiten nutzen.

Insgesamt bietet der deutsche Staat erstaunlich gute Möglichkeiten, die aber kaum genutzt werden.

Kelberg, den 8. April 2017

Christoph Becker




Eine Diskussion der phantastischen Vier des Niedergangs

Am 25. März 2017 fand in Lancaster, Pennsylvania, USA, eine Podiumsdiskussion mit dem Titel Our Reality Is No Longer An Option: Why Our Way of Life Is Not Sustainable (dt. Unsere Realität ist nicht länger nur eine Option:  Warum unsere Lebensart nicht nachhaltig ist) statt . Ich habe mir die insgesamt 2 Stunden und 36 Minuten dauernde Diskussion inzwischen zweimal angehört und werde sie sicher noch einmal anhören, …

Hier zu nächst die Übersetzungen der Beschreibung der Diskussion auf Youtube und die Übersetzung einiger Kommentare auf Youtube:

Beschreibung auf Youtube:;

Dieses Spitzentreffen brachte eine bewundernswerte Diskussionsrunde zusammen. Sie bestand aus John Michael Greer, James Howard Kunstler, Chris Martenson, Frank Morris, und Dmitry Orlov. Die Diskussion umfasste Themen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, unserer Ernährung, Einwanderung, Arbeit, Armut, Minderheiten, Krieg, und viele mehr. …..

Der Kommentar auf Youtube, der mich zur Überschrift inspririerte

Oh ja, Die Fantastischen Vier (nur spaßeshalber) + Frank Morris, Neuzugang, mit einem Auftritt von KMO vom C-Realm podcast, alle zu Ihnen gebracht durch den CFPUB (Center for Progressive Urban Politics, (dt. etwa Zentrale für progressive städtische Politik). Diese sagenhafte Diskussion deckte die ganze Skala der Zwangslagen, die das moderne Amerika plagen, ab: fortschreitender Zerfall der politischen und physikalischen Infrastruktur, die Auswirkung der steigenden Verschuldung der Studenten, Einwanderungsschmerzen, zukünftige Herausforderungen für das wirtschaftliche und soziale System, politischer Kollaps, usw. Jeder Teilnehmer bot einige seiner erprobten und wahren argumentativen Standpunkte an (zum Beispiel, James Howard Kunstlers neuartiges and ziemlich nützliches Instrument der sogenannten “Psychologie der vorhergehenden Investitionen”); antwortete auf die Kritik der jeweils anderen, des Moderators und der Zuhörerschaft; lieferte ergreifende Vorhersagen der zukünftigen Realität, die auf die Einwohner Nordamerikas wartet, und das alles während der Humor beibehalten wurde, der es zu einem so großen Vergnügen macht, dieser Konversation zuzuhören. Wahrscheinlich eines der wichtigsten Videos, die YouTube.com seit der Finanzkrise von 2008 veröffentlicht hat. Es sollte nicht verpasst werden. Sehr zu empfehlen.

Die Diskussion ist insgesamt sehr umfassend und vielfältig, so dass ich es keine gute Idee finde, sie in einem Blogbeitrag nachzuerzählen.

Ich möchte nur einige wenige Aspekte heraus greifen.

Die Diskussion beginnt mit eine Analyse der Gründe für den Wahlsieg von Donald Trump. Greer hatte den Sieg Donald Trumps schon im Januar 2016 für den wahrscheinlichsten Wahlausgang gehalten (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Donald Trump als Klassenkämpfer). Greer erklärt warum, und auch die anderen Diskussionsteilnehmer haben zu diesem Thema interessante Ansichten.  Erstaunlich fand ich dabei insbesondere, wie Orlov erklärt, dass und warum Trump im Grunde eine sehr pessimistische Sicht auf die USA pflegt,  wobei Trump aber jemand sei, der eher zerstören möchte, was nicht funktioniert und eher keine Ideen zum Aufbau von neuen Strukturen und Institution hat, die funktionieren.

Wichtige Aspekte der Diskussion, die ich nach zweimaligem Anhören in besonderer Erinnerung habe:

Klassenkampf

Klassenkampf: Die Klasse der Gehaltsempfänger (und der Reichen und Freiberufler) hat sich auf Kosten der Lohnempfänger bzw. der einfachen Arbeiter schamlos, insbesondere auch mit Hilfe von Zuwanderung und Globalisierung bereichert.

Geld, Kapital und Reichtum

Ein Teil der Diskussion befasst sich mit dem Umstand, dass Geld nichts weiter als ein Symbol und eine Rechnungseinheit ist, mit der man mache Dinge messen und berechnen kann. Geld ist kein Wert an sich. Kapital und Reichtum haben nicht zwingend etwas mit Geld zu tun. Eine Gesellschaft kann extrem viel Geld haben, aber es kann ihr an Reichtum und echtem Kapital fehlen.

Martenson zählte insgesamt 8 verschiedene Formen von Kapital auf, von denen Geld nur die achte ist. Andere sind z.B. Lebendes Kapital (Gesundheit, Artenreichtum usw.), Wissen, Sozialkapital, reale Energie und Rohstoffe.

Die USA haben heute auf dem Papier extrem hohe Geldwerte, aber das reale Kapital und der reale Reichtum sind drastisch geringer und sie schrumpfen. Man war sich darüber einig, dass die amerikanische Wirtschaft faktisch schrumpft und dass sie dies auch weiter tun wird. Die Zeit des Wirtschaftswachstums ist vorbei und es wird wegen der sich verschlechternden Nettoausbeute der Förderung  fossiler Energieträger auch nicht wiederkommen, es sei denn,  man würde – was so gut wie ausgeschlossen ist – eine Methode finden extrem billige, extrem leistungsfähige, umweltfreundliche  Batterien aus Materialien zu bauen, die faktisch unbegrenzt zur Verfügung stehen. Wenn man das würde, hätte man für einige Zeit Ruhe – bis einen die negativen Folgen dieser Erfindung einholen würden.

Einige Zitate und Informationen, teilweise nur sinngemäß:

  • An unbegrenztes Wachstum glauben nur Verrückte und Wirtschaftswissenschaftler. In der begrenzten, realen Welt in der wir nun einmal leben, ist das Wachstum begrenzt.
  • Ein großes Problem ist, dass es für unser Geldsystem, systembedingt, Wachstum oder Kollaps gibt. Für eine schrumpfende Wirtschaft ist das Geldsystem nicht ausgelegt.
  • Konstruktionen aus Stahlbeton haben systembedingt nur eine Lebensdauer von ca. 100 Jahren. Der Grund ist, dass eindringender Sauerstoff zu Rost führt, der zu einer Volumensvergrößerung führt, die zur Zerstörung des Betons führt. Jedenfalls sollte man bedenken, dass alle Stahlbetonkonstruktionen in diesem Zeitrahmen unbrauchbar werden und ggf. erneuert werden müssen, was entsprechende Mengen an Energie und Material erfordert, die man dann voraussichtlich nicht mehr haben wird.
  • Die meisten großen Erfindungen wurden in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts gemacht. Die Ausbeute an bahnbrechenden Erfindungen nimmt seitdem ab. (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Dem Energiedilemma auf den Grund gegangen).
  • Einwanderungspolitik sollte emotionslos diskutiert werden und sie sollte sich an den realen Interessen und Notwendigkeiten der eigenen, schrumpfenden und zugleich zunehmend automatisierten Wirtschaft orientieren. Man sollte bedenken, dass die USA, nach gut 70 Jahren ungebremster Einwanderung während des Aufbaus der amerikanischen Industrie, die Einwanderung 1923 radikal gedrosselt bis gestoppt haben, weil man allgemein der Ansicht war, dass man in Sachen Einwanderung eine Pause bräuchte. Die Argumente für die Einwanderung, die von den Linken und dem linken Establishment heute vorgebracht würden, seien kindisch-idiotisch oder scheinheilig egoistisch (mit dem Ziel die Arbeiterklasse zum Vorteil des gehobenen Mittelstandes und der Reichen weiter zu ruinieren). Orlov gab zu bedenken, dass Einwanderung auf Weisen reversibel und unkontrollierbar sein kann, an die man zunächst nicht denkt. So würden z.B. hochqualifizierte Ausländer in die USA kommen, um dort zu arbeiten, aber wenn sie Kinder bekämen oder und die Situation sich verschlechtere, würden sie das Land wieder verlassen – diese Leute würden die Identität ihrer Heimatländer oft behalten wollen und diese nicht aufgeben.  Wie die Diskussion auch zeigte, werden Amerikaner von Universitäten aus verschiedenen Gründen oft gegenüber Ausländern diskriminiert.
  • Ein Schrumpfen der Wirtschaft und des Wohlstandes muss nicht so schlimm sein wie viele denken. Wenn sich materielle Armut breit macht, passen sich zumindest die Überlebenden daran an.
  • Wir haben ein Glaubensproblem. Die Hauptreligion in den westlichen Industriestaaten ist nicht das Christentum, sondern der Glaube an den Gott des Fortschritts (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Nach dem Fortschritt und meine Übersetzung des Interview von Chris Martenson mit John M. Greer mit dem Titel Der Gott des technischen Fortschritts könnte tot sein).
  • Menschen lernen zu 99 Prozent leider nur durch Schmerzen und Schäden und nur zu einem Prozent durch Einsicht.
  • Insbesondere, wenn man einfache Leute überzeugen möchte sollte man eine verständliche, einfache “30 Sekundenversion” seiner Überlegungen haben und diese geduldig von Zeit zu Zeit vorbringen.
  • Mit einer Revolution von oben oder mit einer klugen Politik sollte man besser nicht rechnen. Aussichtsreicher sei lokal, im Kleinen Veränderungen anzustreben. Das erinnert mich an das Interview mit Richard Heinberg zu dem Film What a Way to Go. Ich hatte zu diesem Film einen kleinen Blogbeitrag (Der Film What a Way To Go) verfasst und dort alle Interviews zu diesem Film verlinkt.

Mein Aufzählung ist sehr unvollständig und es lohnt sich meines Erachtens, diese Podiumsdiskussion selbst anzusehen und auch etwas in den Kommentaren zu dieser Diskussion auf Youtube zu lesen. Teilweise werden dort auch einzeln Punkte der Diskussion gezielt verlinkt und kommentiert.

Kelberg, den 8. April 2017

Christoph Becker

 




Die Große Schrumpfung – Interview mit J.H.Kunstler

Am 30. März 2017 erschien The Big Contraction – An Interview with James Howard Kunstler mit Erico Matias Tavares. Ich habe hier aus diesem Interview den Europa und den Nahen Osten betreffenden Teil übersetzt. Kunstlers Webseite ist www.kunstler.conm. Er ist unter anderem  Autor der Sachbücher The Long Emergency: Surviving the End of Oil, Climate Change, and Other Converging Catastrophes of the Twenty-First Century (dt.: Der Lange Notfall: Das Ende des Öls, des Klimawandels und der zusammentreffenden Katastrophen des 21. Jahrhunderts überleben) und Too Much Magic: Wishful Thinking, Technology, and the Fate of the Nation (dt.: Zu viel Magisches Denken: Wunschdenken, Technologie und das Schicksal der Nation), sowie der Romane der World Made By Hand Reihe.

Abkürzungen der Interviewpartner:

ET = Erico Matias Tavares

JHK = James Howard Kunstler

Ab hier nun die Übersetzung:

Kunstler: Das Leben ist tragisch. Wie ich zu Beginn des Interviews gesagt habe, können Gesellschaften ziemlich schlechte Entscheidungen treffen. …..

ET: Sie sprachen von  einem “Überschießen der Bevölkerung” [population overshoot] im Zusammenhang mit der Bevölkerungsexplosion in Afrika und im Mittlern Osten, von dem Sie behaupten, dass er angesichts der vorhandenen Ressourcen in diesen Regionen nicht nachhaltig sein kann. Was sagen Sie dazu?

JHK: Vieles von dieser Region ist wüstenartiges Ödland.  Die Bevölkerung der “Nationen” (Viele Grenzen sind willkürlich von den Siegern des ersten Weltkrieges gezogen)  in diesem Gebiet ist zahlenmäßig explodiert.  Die Region kann sich weder selber ernähren noch mit Wasser versorgen. Noch können Sie er explodierte Bevölkerung beschäftigen. Es ist ein reines Produkt des fossilen Pseudo-Fortschritts. Es ging auf diese Weise weniger als ein Jahrhundert und dann wird es vorbei sein. Momentan explodieren diese Bevölkerungen (besonders die jungen Männer) mit politischer Gewalt. Wir sehen bereits den umfassenden Zerfall ganzer Gesellschaften. Das wird sich beschleunigen.

ET: Die obige Grafik zeigt die Beschäftigung der Jugend (15-24 Jahre alt) pro Quartal in Prozent der selben Altersgruppe für ausgewählte Gruppen und Länder. Eine Schrumpfung ist hier ziemlich offensichtlich, besonders nach der Finanzkrise von 2008. Die Aussichten scheinen im Vergleich zu früheren Generationen nicht so rosig zu sein. Stimmen Sie zu?

JHK:Einige Dinge sind einfach selbsterklärend. Die Beziehungen zwischen Energieflüssen, Energiekosten, Kapitalbildung, und produktiven Unternehmen lösen sich auf, und damit die wirtschaftlichen Rollen die die Leute spielen, zum Beispiel Arbeitsplätze.
Das Resultat ist kein weiteres wirtschaftliches „Wachstum“ oder Ausweitung der produktiven Aktivitäten. Die „Tätigkeit“ hat sich hin zu finanziellen Betrügereien verlagert, die weil sie vollständig und seriös und nicht produktiv sind nur eine begrenzte Zeit andauern werden. Die Dynamik führt hier bereits zu politischen Unruhen, die schlimmer werden. Es kann wie ein historisches Erdbeben enden wie der Fall des römischen Reiches.
Ich habe vorausgesagt dass Japan die erste hochentwickelte Nation sein wird die zurück ins Mittelalter geht. Sie hatten in der vormodernen Edo-Periode eine liebenswerte Kultur hochentwickelter Kunstfertigkeit. Sie werden das Glück haben zu etwas wie diesem zurückkehren zu können. (Ich denke sie vermissen es, und dass die Modernität wie eine große Strafe für sie war.)

ET: Eine Region der entwickelten Welt die mit Sicherheit auf dem Weg zu einer großen Schrumpfung ist, ist Europa. Während es ein Kraftzentrum Lebensmittelproduktion ist, schwinden seine fossilen Brennstoffreserven schnell. In vielen Ländern altert die Population rapide und es sind nicht genug Babys da um die wachsenden Sozialleistungen zu bezahlen. Und um noch mehr angst machendes hinzuzufügen, werden diese massiven Flüchtlingsströme aus Afrika und dem mittleren Osten wahrscheinlich dort bleiben, was weitere soziale Spannungen und wahrscheinlich sogar Konflikte verursachen wird. Was denken Sie sich zu all diesem?

JHK: Es ist ziemlich klar dass auf Europa sehr harte Zeiten zukommen. Sie haben das ganze Ding mit den EU/EZB Schuldenspiel am Laufen gehalten und eine Zeit lang haben sie versucht ihre demographischen Probleme mit Einwanderung auszugleichen, aber das ist ebenfalls schrecklich außer Kontrolle geraten. Ich gehe soweit zu sagen, dass Westeuropa in einigen Jahren versuchen wird seine nicht angepasste muslimische Bevölkerung auszuweisen.  Es wird  wieder wie die Vertreibung der Mohren werden, nur viel weiter verbreitet und blutiger. [Kunstler meint die Reconquista]
Die Moderne, wie wir sie kennen, ist in Europa vorbei. Keine fossilen Brennstoffe mehr und keine neue Welt mehr in die man Bevölkerungsüberschüsse exportieren kann.  Die Europäer waren früher schon einmal in diesem Film vom dunklen Zeitalter.

Insbesondere zu Kunstlers letztem Satz hier siehe auch meine Übersetzung des Interviews mit dem Soziologen und Öklogen William Catton: Ökologisches Überschwingen – Interview mit Prof. William Catton  und mein Übersetzung u.a. des ersten Kapitels aus John M. Greers Buch Dark Age Amerika: In der Folge der industriellen Zivilisation

Kelberg, den 4. April 2017

Christoph Becker