Das Gelächter der Wölfe

Im Folgenden habe ich das am 20. März 2024 veröffentlichte Essay “The Laughter of Wolves” (dt. Das Gelächter der Wölfe”) von John Michael Greer übersetzt. Ich denke, es passt gut in unsere Zeit und es kann helfen, einige besorgniserregende Entwicklungen unserer Gesellschaft besser zu verstehen und mit mehr Gelassenheit zu sehen.

Link auf das Original:  www.ecosophia.net/the-laughter-of-wolves/

Die Bilder aus dem Original lasse ich mit Blick auf Abmahnanwälte weg. Stattdessen beschreibe ich die Bilder an den betreffenden Stellen kurz und übersetze dazu den Text unter dem jeweiligen Bild. Wer die Bilder selbst sehen möchte, kann dies über den obigen Link auf John Michael Greers englischsprachigen Originaltext.

Beginn der Übersetzung.

Das Gelächter der Wölfe

Während ich diese Zeilen schreibe, schreiten schlanke graue Wölfe durch eine regennasse Landschaft im Osten Europas. Das dumpfe Grollen in der Ferne, wie ein Sommergewitter, das sich in die falsche Jahreszeit verirrt hat, stört sie nicht. Es stört sie auch nicht, dass der Wald um sie herum mit den verfallenden Ruinen von Gebäuden übersät ist, die vor einem halben Jahrhundert verlassen wurden. Etwas anderes stört sie auch nicht, aber dazu kommen wir noch. Behalten Sie die Wölfe im Hinterkopf, wenn wir fortfahren.

Bild 1: Zwei  Wölfe in einer Wald und Seenlandschaft
Bildunterschrift: Halten Sie sie im Gedächtnis

Es mag wie ein unwahrscheinlicher Sprung von Wölfen, die durch den Wald rennen, zu einer aufgeregten Rede eines der verwöhnten Lieblinge der Unternehmensaristokratie der westlichen Welt erscheinen, aber es gibt eine Verbindung. Bei dem verwöhnten derzeitigen Liebling handelt es sich um Yuval Noah Harari, den Chefintellektuellen der Davos-Gruppe. Ich hoffe, man wirft mir nicht vor, ich würde einen Strohmann erfinden, wenn ich erwähne, dass er ein schwuler, veganer Atheist ist, der Achtsamkeitsmeditation praktiziert und die Art von Geschichtsbüchern mit großem Anspruch schreibt, die bei den Konzernmedien bewundernde Ohnmachtsanfälle hervorrufen und bei echten Gelehrten für Stirnrunzeln sorgen. Sein berühmtestes Buch trägt den Titel Homo Deus: Eine kurze Geschichte der Zukunft. Darin geht er davon aus, dass selbst die feuchtesten Träume der internetbegeisterten Tech-Brüder von heute mit Sicherheit in Erfüllung gehen werden. Intellektuelle Hybris? Sein Bild sollte neben dem Eintrag in Ihrem Wörterbuch stehen.

Das ist der Mann, der vor einiger Zeit in einem Interview eine schöne Demonstration von Perlenklauberei [Link auf einen englischsprachigen Artikel] ablieferte, indem er darauf bestand, dass die Wiederwahl von Donald Trump in diesem Jahr “der Todesstoß für das, was von der globalen Ordnung übrig ist”, sein wird. Es war nicht nur der König in Orange [Anm. siehe auch Greers Buch “The King in Orange: The Magical and Occult Roots of Political Power” über die Wahl von Donald Trump. D.h.,  mit dem ” orangen König” ist hier Donald Trump gemeint[  ist , der Harari in bester viktorianischer Manier auf dem Sofa in Ohnmacht fallen ließ, obwohl das sicherlich eine Rolle spielte. Was Hararis Welt zu erschüttern scheint, ist, dass Trump und die Menschen, die ihn unterstützen, nicht nur mit den spezifischen Institutionen und Idealen nicht einverstanden sind, die Hararis Freunde vom Weltwirtschaftsforum in diesen Tagen vorantreiben. Sie lehnen das gesamte Konzept einer geplanten globalen Ordnung ab.

Als ich über Hararis Wutausbruch las, musste ich nicken und murmelte: “Er hat es fast verstanden. Bei allem Spott, den ich über ihn geäußert habe, muss man dem Mann zugute halten, dass er einen intellektuellen Sprung gemacht hat, zu dem die meisten Menschen seiner Klasse nicht fähig zu sein scheinen. Diese Unfähigkeit, die Ablehnung der globalen Ordnung zu begreifen, ist alles in allem ein recht neues Phänomen. Das gesamte Projekt einer internationalen Ordnung, die hinter den Kulissen von einer wirtschaftlichen und politischen Elite geplant und gesteuert wird, gibt es übrigens erst seit etwas mehr als einem Jahrhundert.

Bild 2:  Ein Bild  von Yuval Noah Harar vor dem Hintergrund eines Posters mit dem Text “World Economic Forum, committed to improving the state of the world” (dt. “Weltwirtschaftsforum, das sich für die Verbesserung des Zustands der Welt einsetzt” )
Bildunterschrift: Yuval Noah Harari. Er ist nicht ganz so ahnungslos wie der durchschnittliche WEF-Teilnehmer.

Frühere Versuche, dem brodelnden Chaos der menschlichen Angelegenheiten eine dauerhafte Struktur zu geben, erfolgten zumeist in Form von imperialen Eroberungen einerseits oder von Verträgen, die durch sorgfältige Kompromisse zwischen den politischen und militärischen Großmächten geschlossen wurden, andererseits. Es bedurfte erst des gigantischen Blutbades des Ersten Weltkriegs, um viele Menschen in den wohlhabenden Schichten davon zu überzeugen, dass diese beiden älteren Optionen die Welt für die Plutokratie nicht sicher machen würden. Dies führte in Großbritannien und den Vereinigten Staaten zur Gründung von gemeinnützigen Organisationen – dem Royal Institute for International Affairs und dem Council on Foreign Relations – und in der Folge zu ähnlichen Organisationen, von denen der Club of Rome und das Weltwirtschaftsforum heute vielleicht die bekanntesten sind.

Bild 3 : Ein Redner beim Weltwirtschaftsforum.
Bildunterschrift:  Für einige Werte des Wortes “Verbesserung” vielleicht.

Sie alle folgen demselben Grundmuster: Sie bringen hochrangige Führungskräfte aus der Wirtschaft und Inhaber von vererbtem Reichtum mit Politikern und Bürokraten zusammen, um Ereignisse im Sinne ihrer gemeinsamen Interessen voranzutreiben. Eine Folge dieser gemeinsamen Tradition ist, dass unabhängig vom Problem die einzige Lösung, die diese Organisationen erkennen können, darin besteht, weiter in dieselbe Richtung zu gehen, die sie schon die ganze Zeit vorantreiben. Globale Koordinierung durch riesige bürokratische Strukturen, die die Grenzen zwischen Regierung, Unternehmen und gemeinnützigem Sektor verwischen: Das ist das einzige Mittel, das sie anzubieten haben, und die bloße Tatsache, dass es bisher nicht funktioniert hat, hält sie nicht davon ab.

Der Club of Rome ist hier ein gutes Beispiel. Ich habe vor einigen Jahren in einem Aufsatz an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Die Grenzen des Wachstums, die einzige Publikation des Club of Rome, von der jeder gehört hat, nur das erste einer langen Reihe von Büchern war, die alle die globale Koordination durch riesige Bürokratien als Lösung für die im ersten Buch beschriebenen Probleme propagierten. Das Faszinierende an dieser Besessenheit ist, dass die Probleme, die in Die Grenzen des Wachstums erörtert werden, nicht durch globale Koordinierung durch riesige Bürokratien gelöst werden können. Sie können eigentlich überhaupt nicht gelöst werden.

Bild 4:  Umschlagseite des Buches “Die Grenzen des Wachstums”.
Bildunterschrift:  Es ist beschämend, wie viele Menschen immer noch nicht wissen, was in diesem Buch steht.

Was Die Grenzen des Wachstums gezeigt hat, ist dass wenn das Wirtschaftswachstum weit genug getrieben wird, die Kosten des Wachstums schneller steigen als der Nutzen und dass diese die Weltwirtschaft in die Knie zwingen. Globale Bürokratien können das genauso wenig ändern wie das Gesetz der Schwerkraft. Eine der wenigen Optionen, die Hoffnung auf eine Verbesserung der Bedingungen bietet, ist der drastische Abbau von Bürokratie jeglicher Art, denn Bürokratie verbraucht Ressourcen, Energie und andere Güter und Dienstleistungen und bringt im Gegenzug bemerkenswert wenig ein.

Eine zukunftsfähige Welt jenseits des Spitzenwachstums ist also keine Welt mit globalen Managern, die riesige bürokratische Systeme betreiben. Sie ist weniger ressourcen- und energieintensiv und daher eine Welt, in der Politik und Wirtschaft auf lokaler, kommunaler Ebene die enorm teuren globalen Systeme ersetzen, die während des letzten extravaganten Ausbruchs des Zeitalters des unkontrollierten Wachstums entstanden sind. Doch in all den Studien, die der Club of Rome herausgibt, wird dies mit keinem Wort erwähnt.

Dass die Welt der Zukunft zwangsläufig weniger Raum für globales Management haben wird, ist etwas, das sich angehende globale Manager nicht einmal ansatzweise vorstellen können. Doch es gibt noch einen weiteren Faktor, der zu berücksichtigen ist. Wenn unsere Möchtegern-Global-Manager eines bewiesen haben, dann, dass globales Management – oder zumindest die Art von globalem Management, die sie bevorzugen, mit sich selbst am Ruder – in der Praxis erstaunlich inkompetent ist.

Wenn Sie ein gutes Beispiel dafür suchen, dann schauen Sie sich die Situation des globalen Klimawandels an. Seit Jahrzehnten ist es eines der zentralen Projekte des Davoser Clubs, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Die ganze Zeit über gab es einen ständigen Strom von Protesten und Konferenzen und lautstark gepriesenen internationalen Abkommen, die etwas gegen die Geschwindigkeit tun sollten, mit der CO2 in die Atmosphäre gelangt. Nichts davon hat einen messbaren Effekt gehabt, wie die unten stehende Grafik zeigt. Wenn dies das Beste ist, was das globale Management tun kann, ist die Welt ohne ihre Bemühungen besser dran.

Bild 5: Quelle: https://gml.noaa.gov/ccgg/trends/ (am 28.3.2024)
deutsche Übersetzung des Untertitels zu dieser Grafik in J.M. Greers Essay “Laughter of Wolves”: Der große Kreuzzug zur Begrenzung der CO2-Emissionen begann etwa in der Mitte dieses Diagramms. Nein, ich sehe auch keine Ergebnisse.

Es gibt viele andere Beispiele – das völlige Scheitern der Wirtschaftssanktionen, die Russlands Einmarsch in der Ukraine stoppen sollten, ist eines, das ich hier bereits erörtert habe -, aber eine umfassendere Sichtweise ist vielleicht sinnvoller. Seit einem Jahrhundert wird uns von der Konzernpresse erzählt, dass ein globales Management durch qualifizierte Experten uns eine bessere Welt bringen wird. Seit einem Jahrhundert haben wir keinen Mangel an globalem Management durch qualifizierte Experten. Hat es uns eine bessere Welt gebracht? Nicht im Geringsten. Vor allem in den letzten fünfzig Jahren haben sich die Bedingungen für die meisten Menschen in der industriellen Welt immer weiter verschlechtert, während diese qualifizierten Experten die Hebel der Kontrolle immer fester in die Hand genommen haben, und das gilt auch für die Krisen, die die globalen Manager angeblich lösen würden.

In einigen Kreisen ist es recht populär geworden, darauf zu bestehen, dass die von den Davoser Club und anderen Gruppierungen unserer Möchtegern-Herren und -Meister in Gang gesetzte Kaskade von Misserfolgen beweist, dass es sich bei den globalen Managern, über die wir hier sprechen, um böse Drahtzieher handelt, die absichtlich die katastrophalen Ergebnisse herbeiführen wollen, die ihre Lieblingspolitik so zuverlässig herbeigeführt hat. Eine etwas weniger verbreitete, aber wohl zutreffendere Meinung besagt, dass dieselben globalen Manager einer dekadenten Aristokratie angehören, die so sehr vor den Folgen ihres eigenen Handelns geschützt und so sehr in einer Welt der faden Abstraktionen gefangen ist, dass es ein Wunder ist, dass sie nicht noch schlimmere Katastrophen verursacht haben. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass ein anderer Faktor viel mehr erklären könnte: Die Welt, in der wir leben, ist viel zu komplex, als dass ein globales Management eine praktikable Option wäre.

Bild 6 :  steinzeitlichen Höhlenmalerei die eine Jagdszene darstellt
Bildunterschrift:  Das ist die Art von Dingen, für die sich unser Gehirn entwickelt hat.

Alles in allem sollte dies nicht überraschen. Aus der Sicht des modernen wissenschaftlichen Materialismus ist die menschliche Intelligenz schließlich keine die Natur überragende Superkraft; sie ist einfach die Gesamtheit der kognitiven Prozesse, die unsere Vorfahren durch darwinistische Auslese entwickelt haben, als sie in den langen Zeitaltern unserer prähistorischen Vergangenheit den Aufgaben nachgingen, Nahrung und Partner zu finden und Raubtiere zu meiden – sicherlich wichtige Aufgaben, aber keine besonders intellektuell anspruchsvollen. Aus der Sicht jeder beliebigen Religion wiederum ist der Mensch einfach nur eine Klasse geschaffener Wesen, die unheilbar endlich und fehlbar ist. Nur in den anmaßenden Wahnvorstellungen, für die Hararis Buch Homo Deus typisch ist, in dem missverstandene wissenschaftliche und religiöse Ideen zu einer Art verrückter Anthropolatrie zusammengewürfelt werden, gehen diese offensichtlichen Realitäten verloren. Die Tatsache, dass unsere derzeitige Kaste der globalen Manager in solche Dummheiten verfallen ist, erklärt meiner Meinung nach die weit verbreiteten Misserfolge, die aus ihren Bemühungen, die Welt zu verwalten, resultieren.

Hier kommen die bereits erwähnten Wölfe wieder in Sicht. Wie einige meiner Leser vielleicht schon erraten haben, handelt es sich bei der Landschaft, in der sie ihre Tage verbringen, um die Sperrzone von Tschernobyl an der nördlichen Grenze der Ukraine, die vor einem halben Jahrhundert nach der bisher schlimmsten Atomkraftwerkskatastrophe verlassen wurde. Als die Zone zum ersten Mal evakuiert wurde, spekulierten viele Menschen darüber, dass sie zu einer radioaktiven Wüste werden würde, in der es kein Leben mehr gibt oder die nur noch von verkrüppelten, mutierten Lebensformen bevölkert wird.

Bild 7 : Blick auf verlassene Gebäude in Tschernobyl, die allmählich in einer üppigen Vegetation von Bäumen und Sträuchern versinken.
Bildunterschrift:  Heutzutage ist es sogar bemerkenswert grün.

Wie wir heute wissen, ist das nicht geschehen. Stattdessen bildete sich der osteuropäische Wald aus früherer Zeit in der Sperrzone rasch wieder heraus, der die bröckelnden Überreste der menschlichen Präsenz beiseite schob und mit dem erhöhten Strahlungsfluss problemlos zurechtkam. Rehe fanden ihren Weg dorthin, Pferde, die von ihren Besitzern verlassen wurden, schüttelten die jahrhundertelange Domestizierung ab, fanden Partner und bildeten Herden von Wildpferden. Wo es Pflanzenfresser gibt, gibt es auch Fleischfresser, und Wölfe schlüpften durch die dicht besiedelte Landschaft zu beiden Seiten der Zone, bildeten Rudel und begannen, Hirsche, Pferde und andere schmackhafte Beutetiere davon abzuhalten, das Gebiet zu übervölkern.

Da sie an der Spitze der Nahrungskette stehen, nehmen die Wölfe von Tschernobyl zwangsläufig mehr Radionuklide auf als alles andere in der Gegend. Unter normalen Umständen würde sie das schrecklich anfällig für Krebs machen. Wildbiologen, die die Wolfsrudel erforschen, haben jedoch kürzlich etwas Beunruhigendes entdeckt: Die Wölfe haben eine robuste Resistenz gegen Krebs entwickelt. Noch versteht niemand die Biochemie, und es ist möglich, dass dies auch nie der Fall sein wird. Tatsache ist, dass die Wölfe auf eine tödliche Gefahr reagiert haben, indem sie sich in aller Stille um sie herum entwickelt haben. Dabei haben sie etwas erreicht, was die moderne Medizin seit mehr als einem Jahrhundert ohne nennenswerten Erfolg zu erreichen versucht.

Bild 8 : Ein in Richtung des Fotografen zurückblickender Wolf in einer wilden Waldlandschaft.
Bildunterschrift:  Trotz der Radionuklide völlig gesund.

So beeindruckend das auch ist, es ist keineswegs einzigartig. Die Natur macht solche Dinge ständig. Es gibt Bakterien und Algen, die in dem Wasser gedeihen, das in Kernreaktoren zirkuliert, und sich in Strömen hochintensiver Gammastrahlen sonnen, die uns auf der Stelle braten würden. Es gibt Lebewesen, die auf der Außenseite von Raumschiffen in der Umlaufbahn wachsen und mit dem harten Vakuum, der tödlichen Kälte und der brutzelnden Strahlung des Weltraums perfekt zurechtkommen. Es gibt Pilze, die sich von krebserregenden Giftabfällen ernähren und immer wieder zurückkehren, um einen Nachschlag zu bekommen. Wir sind zu nichts von alledem fähig. Die Natur macht sich über unsere Unfähigkeit lustig und zeigt uns, wie es geht.

Und dann ist da noch die Insel Ascension. Vor fast zwei Jahrhunderten, als die HMS Beagle dort vor Anker ging, war sie ein ödes Stück Vulkangestein mitten im Südatlantik, so weit von jedem anderen Stück Land entfernt und so wasserlos, dass die einzigen Lebewesen auf ihr Seevögel und einige Farnarten waren, deren Sporen leicht genug waren, um über den Ozean zu wehen. An Bord der Beagle befand sich der Naturforscher des Schiffes, ein junger Mann namens Charles Darwin, der damals am Anfang seiner Karriere stand. Er ist zwar am berühmtesten für seine Theorie der natürlichen Auslese, aber Darwin interessierte sich auch für alle anderen Bereiche der Biologie und Ökologie; er hat herausgefunden, wie sich tropische Atolle bilden, und er hat auch als erster gezeigt, wie Regenwürmer Erde erzeugen. Er ist auch der einzige Mensch in der Geschichte, der einen tropischen Wald erfunden hat, und das mehr oder weniger zufällig.

Bild 9: Bild eine weitgehend vegetationslosen Geröll und Vulkanlandschaft.
Bildunterschrift:  So sah die Insel Ascension bei Darwins Ankunft aus…

Das ist eine bemerkenswerte Geschichte. Nach seinem Besuch auf der Insel Ascension schrieb Darwin an die britische Admiralität und schlug vor, dass, wenn jemand Bäume auf der Insel pflanzen würde, der erhöhte Wasserdampf, den die Bäume in die Luft abgeben würden, das lokale Klima so verändern würde, dass es sich für einen Marinestützpunkt eignen würde. Die Admiralität, die für ihren blasierten Enthusiasmus, für den Großbritannien seit langem berühmt ist, bekannt ist, griff den Vorschlag auf die dümmste Art und Weise auf: Sie wies jedes Schiff, das die Insel Ascension passieren wollte, an, im letzten Hafen, den es verließ, Pflanzen abzuholen und sie zu pflanzen, sobald es dort angekommen war. Britische Kapitäne, die überall auf der Welt Häfen anliefen, schickten gehorsam jemanden an Land, um eine zufällige Auswahl an Pflanzen zu holen, hielten sie danach an Bord mehr oder weniger am Leben und schickten dann einen zweiten Leutnant und ein Langboot voller Matrosen an Land, um sie in den Boden zu stecken, sobald sie den Anker fallen ließen. So endete die Insel mit einem Sammelsurium an invasiven Arten, die sie aus den Küstenökosystemen der halben Welt zusammengeklaubt hatten.

Theoretisch hätte das zu einem ökologischen Chaos führen müssen. In der Praxis verwandelte sich ein Großteil der Insel Ascension innerhalb weniger Jahrzehnte in ein grünes Tropenparadies mit üppigen Hochlandwäldern. Die gängige Theorie besagt, dass dies unmöglich ist und dass ein stabiler Tropenwald Millionen von Jahren langsamer Anpassungen seitens der Lebewesen, aus denen er besteht, erfordert. Aber niemand hat die Pflanzen über die aktuelle Theorie aufgeklärt, also haben sie es einfach getan. Die Insel Ascension erhielt nicht nur in einem Wimpernschlag geologischer Zeit einen tropischen Wald, sondern auch eine der ausgewogensten Formen – einen Nebelwald, der von Wasserdampf lebt, der auf den Blättern der Bäume in großer Höhe kondensiert. Und Darwin hatte Recht: Der Wald veränderte das lokale Klima und sorgte für ausreichend Wasser, und Ascension Island wurde zu einem wichtigen Marinestützpunkt.

Bild 10:  Ein Steg/Pfad in einem  tropischen Wald.
Bildunterschrift:  …und der zentrale Berg der Insel sieht heute so aus

Wissenschaftler haben wiederholt versucht, Ökosysteme zu planen und zu schaffen. Diese Versuche scheitern zuverlässig, denn Ökosysteme sind zu komplex, um sie rational zu planen. Es hat sich herausgestellt, dass es besser funktioniert, wahllos Pflanzen auf eine karge Insel zu setzen und sie die Dinge selbst regeln zu lassen. Wissenschaftler haben auch immer wieder versucht, einen Weg zu finden, um Menschen resistenter gegen Krebs zu machen. Diese Versuche sind ebenfalls gescheitert, und ich vermute, dass der Grund dafür darin liegt, dass die Biochemie von Krebs zu komplex ist, um sie rational zu verstehen. Einigen Wölfen den Weg in eine radioaktive Sperrzone zu ermöglichen, scheint dagegen recht gut zu funktionieren.

Ich möchte vorschlagen, dass dieselbe Regel allgemeiner angewandt werden kann und dass sie die kaskadenartigen Misserfolge der Führungselite erklärt, die gerade jetzt angesichts der Beweise behauptet, die Welt in eine bessere Zukunft führen zu können. Diese Misserfolge sind eingetreten und werden auch weiterhin eintreten, weil die Welt zu komplex ist, um sie rational zu verstehen. Sie ist so voller unvorhersehbarer Variablen und komplizierter Rückkopplungsschleifen, dass kein menschliches Fachwissen, kein Satz abstrakter Prinzipien, kein Konzept der Weltordnung genaue Vorhersagen liefern und die Schaffung einer lebensfähigen und produktiven Ordnung im globalen Maßstab ermöglichen kann.

Das bedeutet nicht, dass die Menschen nicht eine relativ stabile, erfolgreiche und gedeihliche Ordnung in der Welt mitgestalten können. Es bedeutet nur, dass dieses Projekt am besten auf lokaler Ebene verfolgt wird und sich auf persönliche Erfahrung, Volksweisheit und genaue Beachtung der lokalen Bedingungen stützt. Das ist genau das, was die verweichlichte Manageraristokratie, die glaubt, die Welt zu regieren, nicht leisten kann. Je fester die Möchtegern-Globalmanager die Welt im Griff haben wollen, desto mehr entgleitet ihnen, weil die Welt nicht einfältig genug ist, als dass sie sie kontrollieren könnten.

Bild 11:  Alphornbläser auf der Bühne des World Economic Forums.
Bildunterschrift:  Sie können in ihre eigenen Hörner blasen, so viel sie wollen, aber das wird nichts an der Tatsache ändern, dass die Welt nicht das tut, was sie ihr sagen.

Das wiederum ist der Hauptgrund, warum Yuval Noah Harari wie ein überdrehter Sechsjähriger schreit. Die Welt weigert sich nicht nur, den abstrakten Modellen zu folgen, die er ihr vorlegt, sondern sie weigert sich, überhaupt irgendwelchen abstrakten Modellen zu folgen. Er wurde dazu erzogen, die Welt als passives Medium zu betrachten, das privilegierte Intellektuelle nach Belieben formen können, und wird nun mit der erschreckenden Entdeckung konfrontiert, dass die Welt sich buchstäblich nicht weniger für ihn, seine Referenzen oder seine Ideen interessieren kann. Zugegeben, er geht nicht besonders gut damit um, aber nur wenige Menschen können mit der platten Bestätigung der Überzeugungen, die ihnen ihr Status und ihre Privilegien in der Welt verschaffen, würdevoll umgehen.

Natürlich steckt mehr hinter seinem Treiben, genauso wie hinter den ebenso albernen Possen anderer Mitglieder seiner privilegierten Clique. In der Welt gibt es schließlich auch viele normale Menschen, die die pompöse Anmaßung der Klasse, für die Harari spricht, satt haben. Sie wissen, dass Harari, wenn er von globaler Ordnung spricht, meint, dass er will, dass sie von seinen reichen Freunden nach einer Reihe von modischen Abstraktionen herumkommandiert werden, die von den lokalen Realitäten losgelöst sind. Sie glauben, dass es besser ist, normale Menschen ihr Leben leben zu lassen und stattdessen ihre eigenen, selbst definierten Ziele zu verfolgen – wie Wölfe in der Sperrzone von Tschernobyl oder Pflanzen auf Ascension Island -, als die Welt in den Händen einer unfähigen Elite zu lassen. Mehr noch, die Beweise sprechen dafür, dass sie Recht haben.

Das Besondere an all dem ist, dass viele von ihnen bereit sind, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wie Napoleon Bonaparte gesagt haben soll: Kriege entstehen, wenn die Regierung dir sagt, wer der Feind ist; Revolutionen entstehen, wenn du es selbst herausfindest. In den Vereinigten Staaten haben viele Menschen die Dinge selbst in die Hand genommen, und viele von ihnen scheinen bereit zu sein, Donald Trumps monumentales Ego als Rammbock zu benutzen, um einem System, das ihnen seit Jahrzehnten nichts als Elend beschert hat, etwas Vernunft einzuimpfen. Wenn das scheitert, werden sie einfach zu einem anderen Instrument greifen, und es lohnt sich, daran zu denken, dass ihre nächste Wahl für Harari und seine reichen Freunde noch weniger willkommen sein könnte.

Bild 12:  Nahaufnahme eines aufmerksam den Fotografen beobachtenden Wolfes.
Bildunterschrift:  Er ist nicht beeindruckt, Mr. Harari. Und etwa acht Milliarden Ihrer Mitmenschen sind es auch nicht.

Währenddessen laufen die Wölfe in der Tschernobyl-Zone unbeschadet durch eine radioaktive Landschaft. Diese Wölfe lachen über Sie, Herr Harari, und über den ganzen elitären Allmachtswahn, auf den Sie Ihre Karriere und Ihr Leben gesetzt haben. Vielleicht sollten Sie auf sie hören. Ihr Lachen könnte die einzige Warnung sein, die Sie erhalten, bevor sie Sie zur Strecke bringen.

Ende der Übersetzung

Kelberg, den 28.3.2024

Christoph Becker

Einige hier vielleicht auch interessierede Artikel hier auf Freizahn.de:




Pepe Escobar: Wie der Westen geschlagen wurde

Übersetzung des am 18.1.2024 auf Sputnik International veröffentlichten Artikels “Pepe Escobar: How the West Was Defeated” über Emmanuel Todds neues Buch La Défaite de L’Occident (“Die Niederlage des Westens”).

Link auf das Original: sputnikglobe.com/20240118/how-the-west-was-defeated-1116245840.html

Beginn der Übersetzung (mit Hilfe von deepl, überarbeitet):

Emmanuel Todd, Historiker, Demograf, Anthropologe, Soziologe und politischer Analyst, gehört zu einer aussterbenden Art: Er ist einer der wenigen verbliebenen Vertreter der französischen Intelligenzia der alten Schule – ein Erbe von Leuten wie Braudel, Sartre, Deleuze und Foucault, die die jungen Generationen des Kalten Krieges vom Westen bis zum Osten faszinierten.

Das erste, was sein neuestes Buch La Défaite de L’Occident (“Die Niederlage des Westens”) betrifft, ist das kleine Wunder, dass es letzte Woche in Frankreich veröffentlicht wurde, und zwar genau in der NATO-Sphäre: eine Handgranate von einem unabhängigen Denker, die auf Fakten und überprüften Daten beruht und die ganze Russophobie, die um die “Aggression” von “Zar” Putin herum aufgebaut wurde, in die Luft jagt.

Zumindest einige Teile der streng oligarchisch kontrollierten Konzernmedien in Frankreich konnten Todd dieses Mal aus mehreren Gründen einfach nicht ignorieren. Vor allem, weil er der erste westliche Intellektuelle war, der bereits 1976 in seinem Buch “La Chute Finale” den Untergang der UdSSR vorhersagte, wobei er sich auf die sowjetische Kindersterblichkeit stützte.

Ein weiterer wichtiger Grund war sein 2002 erschienenes Buch Apres L’Empire, eine Art Vorschau auf den Niedergang und Fall des Imperiums, das einige Monate vor Shock & Awe im Irak veröffentlicht wurde.

In seinem letzten Buch (“Ich habe den Kreis geschlossen”) geht Todd nun aufs Ganze und schildert minutiös die Niederlage nicht nur der USA, sondern des gesamten Westens – wobei sich seine Recherchen auf den Krieg in der Ukraine konzentrieren.

In Anbetracht des toxischen NATO-Umfelds, in dem Russophobie und Abschaffungskultur ( Cancel Culture ) vorherrschen und jede Abweichung strafbar ist, hat Todd sehr darauf geachtet, den aktuellen Prozess nicht als russischen Sieg in der Ukraine darzustellen (obwohl dies in allem, was er beschreibt, impliziert ist, von verschiedenen Indikatoren für sozialen Frieden bis hin zur allgemeinen Stabilität des “Putin-Systems”, das “ein Produkt der Geschichte Russlands und nicht das Werk eines einzelnen Mannes” ist).

Vielmehr konzentriert er sich auf die Hauptgründe, die zum Untergang des Westens geführt haben. Dazu gehören: das Ende des Nationalstaats, die Deindustrialisierung (was das Defizit der NATO bei der Waffenproduktion für die Ukraine erklärt), der “Nullpunkt” der religiösen Matrix des Westens, der Protestantismus, der starke Anstieg der Sterblichkeitsrate in den USA (viel höher als in Russland), zusammen mit Selbstmorden und Tötungsdelikten, und die Vorherrschaft eines imperialen Nihilismus, der sich in der Besessenheit von ” Ewigen Kriegen” ausdrückt.

Der Zusammenbruch des Protestantismus

Todd analysiert methodisch, der Reihe nach, Russland, die Ukraine, Osteuropa, Deutschland, Großbritannien, Skandinavien und schließlich das Empire. Konzentrieren wir uns auf die 12 größten Hits seiner bemerkenswerten Arbeit.

1. Zu Beginn der militärischen Sonderoperation ( = des Ukrainekriegs ) im Februar 2022 betrug das kombinierte BIP von Russland und Weißrussland nur 3,3 % des kombinierten Westens (in diesem Fall die NATO-Sphäre plus Japan und Südkorea). Todd ist erstaunt, dass diese 3,3 %, mehr Waffen produzieren können als der gesamte westliche Koloss, und dass sie damit nicht nur den Krieg gewinnen, sondern auch die vorherrschenden Vorstellungen der “neoliberalen politischen Ökonomie” (BIP-Raten) zunichte machen.

2. Die “ideologische Einsamkeit” und der “ideologische Narzissmus” des Westens, der nicht in der Lage ist zu verstehen, dass “die gesamte muslimische Welt Russland eher als Partner denn als Gegner zu sehen scheint”.

3. Todd verschmäht den Begriff der “Weberschen Staaten” – was eine köstliche Kompatibilität der Visionen von Putin und dem US-Realpolitiker John Mearsheimer heraufbeschwört. Weil sie gezwungen sind, in einem Umfeld zu überleben, in dem nur Machtbeziehungen zählen, handeln die Staaten jetzt als “Hobbessche Agenten”. Und damit sind wir bei der russischen Vorstellung von einem Nationalstaat, die sich auf “Souveränität” konzentriert: die Fähigkeit eines Staates, seine Innen- und Außenpolitik unabhängig und ohne jegliche Einmischung von außen zu bestimmen.

4. Die schrittweise Implosion der WASP-Kultur,  (die “seit den 1960er Jahren” zu “einem Imperium ohne Zentrum und Projekt, einem im Wesentlichen militärischen Organismus, der von einer Gruppe ohne Kultur (im anthropologischen Sinne) geleitet wird”, führte. So definiert Todd die amerikanischen Neocons.

5. Die USA als “post-imperiales” Gebilde: nur noch eine Hülle aus Militärmaschinen, die einer intelligenzgesteuerten Kultur beraubt sind, was zu einer “akzentuierten militärischen Expansion in einer Phase der massiven Schrumpfung ihrer industriellen Basis” führt. Wie Todd betont, ist “moderner Krieg ohne Industrie ein Oxymoron“.

6. Die demografische Falle: Todd zeigt, wie die Strategen in Washington “vergaßen, dass ein Staat, dessen Bevölkerung ein hohes Bildungs- und Technologieniveau hat, auch wenn es abnimmt, seine militärische Macht nicht verliert”. Das ist genau der Fall von Russland während der Putin-Jahre.

7. Hier erreichen wir den Kern von Todds Argumentation: seine post-Max-Weber-Neuinterpretation von Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, veröffentlicht vor etwas mehr als einem Jahrhundert, 1904/1905: “Wenn der Protestantismus die Matrix für den Aufstieg des Westens war, dann ist sein Tod heute die Ursache für den Zerfall und die Niederlage.”

Todd legt klar dar, wie die englische “Glorreiche Revolution” von 1688, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und die französische Revolution von 1789 die wahren Pfeiler des liberalen Westens waren. Folglich ist ein erweiterter “Westen” historisch gesehen nicht “liberal”, weil er auch den “italienischen Faschismus, den deutschen Nazismus und den japanischen Militarismus” hervorgebracht hat.

Zusammenfassend zeigt Todd, wie der Protestantismus den von ihm kontrollierten Bevölkerungen die allgemeine Alphabetisierung auferlegte, “weil alle Gläubigen direkten Zugang zur Heiligen Schrift haben müssen. Eine gebildete Bevölkerung ist zu wirtschaftlicher und technologischer Entwicklung fähig. Die protestantische Religion modellierte zufällig eine überlegene, effiziente Arbeiterschaft”. Und in diesem Sinne stand Deutschland “im Zentrum der westlichen Entwicklung”,  auch wenn die industrielle Revolution in England stattfand.

Todds zentrale Formulierung ist unumstritten: “Der entscheidende Faktor für den Aufstieg des Westens war das Festhalten des Protestantismus an der Alphabetisierung.”

Darüber hinaus ist der Protestantismus, wie Todd betont, in zweifacher Hinsicht das Herzstück der Geschichte des Westens: durch den erzieherischen und wirtschaftlichen Antrieb – wobei die Angst vor der Verdammnis und das Bedürfnis, sich von Gott auserwählt zu fühlen, eine Arbeitsethik und eine starke, kollektive Moral hervorbringen – und durch die Vorstellung, dass die Menschen ungleich sind (man erinnere sich an die Bürde des weißen Mannes).

Der Zusammenbruch des Protestantismus konnte nicht umhin, die Arbeitsethik zugunsten der Massengier zu zerstören: das ist der Neoliberalismus.

Transgenderismus und der Kult der Fälschung

8. Todds scharfe Kritik am Geist von 1968 wäre ein ganzes neues Buch wert. Er verweist auf “eine der großen Illusionen der 1960er Jahre – zwischen der angloamerikanischen sexuellen Revolution und dem Mai 68 in Frankreich”: “zu glauben, dass das Individuum größer sein würde, wenn es sich vom Kollektiv befreit”. Das führte zu einem unvermeidlichen Debakel: “Jetzt, wo wir massenhaft von metaphysischen Überzeugungen befreit sind, von grundlegenden und abgeleiteten, kommunistischen, sozialistischen oder nationalistischen, leben wir die Erfahrung der Leere.” Und so sind wir “eine Schar mimetischer (=nachahmender) Zwerge geworden, die es nicht wagen, selbst zu denken – aber sich als ebenso intolerant erweisen wie die Gläubigen vergangener Zeiten.”

9. Todds kurze Analyse der tieferen Bedeutung des Transgenderismus zerstört die “Church of Woke” vollständig – von New York bis in die EU-Sphäre – und wird serienweise Wutanfälle hervorrufen. Er zeigt, wie Transgenderismus “eine der Flaggen dieses Nihilismus ist, der den Westen jetzt bestimmt, dieser Drang, nicht nur Dinge und Menschen zu zerstören, sondern auch die Realität.”

Und es gibt einen zusätzlichen analytischen Bonus: “Die Transgender-Ideologie besagt, dass ein Mann zu einer Frau und eine Frau zu einem Mann werden kann. Dies ist eine falsche Behauptung und in diesem Sinne nahe am theoretischen Kern des westlichen Nihilismus”. Es wird noch schlimmer, wenn es um die geopolitischen Verzweigungen geht. Todd stellt eine spielerische mentale und soziale Verbindung zwischen diesem Kult der Fälschung und dem wackeligen Verhalten des Hegemons in den internationalen Beziehungen her. Beispiel: Das iranische Nuklearabkommen unter Obama wird unter Trump zu einem Hardcore-Sanktionsregime. Todd: “Die amerikanische Außenpolitik ist auf ihre Weise geschlechtsneutral.”

10. Europas “assistierter Selbstmord”. Todd erinnert uns daran, dass Europa anfangs ein deutsch-französisches Paar war. Nach der Finanzkrise 2007/2008 wurde daraus “eine patriarchalische Ehe, in der Deutschland als dominanter Ehepartner nicht mehr auf seine Partnerin hört”. Die EU gab den Anspruch auf, die Interessen Europas zu verteidigen, indem sie sich von der Energieversorgung und dem Handel mit ihrem Partner Russland abschnitt und sich selbst mit Sanktionen belegte. Todd stellt richtig fest, dass die Achse Paris-Berlin durch die Achse London-Warschau-Kiew ersetzt wurde: Das war “das Ende Europas als eigenständiger geopolitischer Akteur”. Und das geschah nur 20 Jahre nach dem gemeinsamen Widerstand von Frankreich und Deutschland gegen den Neokonservativen Krieg gegen den Irak.

11. Todd definiert die NATO korrekt, indem er in “ihr Unbewusstes” eintaucht: “Wir stellen fest, dass ihr militärischer, ideologischer und psychologischer Mechanismus nicht existiert, um Westeuropa zu schützen, sondern um es zu kontrollieren.”

12. In Übereinstimmung mit mehreren Analysten in Russland, China, Iran und unter den Unabhängigen in Europa ist sich Todd sicher, dass die seit den 1990er Jahren bestehende Besessenheit der USA, Deutschland von Russland abzuschneiden, zum Scheitern verurteilt ist: “Früher oder später werden sie zusammenarbeiten, da “ihre wirtschaftlichen Spezialisierungen sie als komplementär definieren”. Die Niederlage in der Ukraine wird den Weg ebnen, da eine “Gravitationskraft” Deutschland und Russland wechselseitig verführt.

Davor und im Gegensatz zu praktisch allen westlichen “Analysten” in der Mainstream-Sphäre der NATO versteht Todd, dass Moskau gegen die gesamte NATO und nicht nur gegen die Ukraine gewinnen wird, indem es von einem Zeitfenster profitiert, das Putin für Anfang 2022 ausgemacht hat. Todd setzt auf ein Zeitfenster von 5 Jahren, d.h. ein Endspiel bis 2027. Aufschlussreich ist der Vergleich mit Verteidigungsminister Schoigu, der letztes Jahr zu Protokoll gab, dass die Militärische Sonderoperation [= der Ukrainekrieg] bis 2025 beendet sein wird.

Unabhängig von der Frist ist in all dem ein totaler russischer Sieg enthalten, bei dem der Sieger alle Bedingungen diktiert. Keine Verhandlungen, kein Waffenstillstand, kein eingefrorener Konflikt – so wie es der Hegemon jetzt verzweifelt anstrebt.

Davos inszeniert den Triumph des Westens

Todds großes Verdienst ist es, das falsche Bewusstsein der westlichen Gesellschaft mit Hilfe von Geschichte und Anthropologie auf den Teppich zu bringen. Indem er sich beispielsweise auf die Untersuchung ganz bestimmter Familienstrukturen in Europa konzentriert, gelingt es ihm, die Realität auf eine Weise zu erklären, die den gehirngewaschenen kollektiven Massen des Westens, die im Turbo-Neoliberalismus verharren, völlig entgeht.

Es versteht sich von selbst, dass Todds realitätsbezogenes Buch bei den Davoser Eliten keinen Anklang finden wird. Was diese Woche in Davos passiert ist, war ungemein aufschlussreich. Alles liegt offen auf dem Tisch.

Von den üblichen Verdächtigen – der giftigen EU-Medusa von der Leyen, dem kriegstreiberischen NATO-Chef Stoltenberg, BlackRock, JP Morgan und anderen Bonzen, die ihrem verschwitzten Sweatshirt-Spielzeug aus Kiew die Hand schütteln – ist die Botschaft vom “Triumph des Westens” monolithisch.

Krieg ist Frieden. Die Ukraine verliert nicht (Hervorhebung von mir) und Russland gewinnt nicht. Wenn Sie mit uns nicht einverstanden sind – bei irgendetwas – werden Sie wegen “Hassrede” zensiert. Wir wollen die Neue Weltordnung – was auch immer ihr niederen Bauern denkt – und wir wollen sie jetzt.

Und wenn alles scheitert, kommt eine vorgefertigtes Krankheit X, um Sie zu holen.

Ende der Übersetzung.

Kelberg, den 26.01.2024

Christoph Becker




Was der Abschied von den fossilen Energieträgern bedeutet

Gail Tverberg hat am 15.12.2023 mit “Ten Things that Change without Fossil Fuels” einen wie ich meine sehr realistischen Artikel zum Thema “Abschied von den fossilen Brennstoffen” geschrieben, den ich im Folgenden übersetzt habe.

Übersetzung des Artikels von Gail Tverberg

Link auf das Original: https://ourfiniteworld.com/2023/12/15/ten-things-that-change-without-fossil-fuels/

Gail Tverberg ist eine amerikanische Versicherungsmathematikerin, die sich seit Jahren sehr mit den Themen Energie und Rohstoffe befasst hat. Sie hat dazu auf ihrem Blog ourfiniteworld.com sehr viele Artikel geschrieben,  die in der Regel sehr viel kommentiert werden. In der Vergangenheit habe ich schon einige Artikel von ihr übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Zehn Dinge, die sich ohne fossile Brennstoffe ändern

Veröffentlicht am 15. Dezember 2023 von Gail Tverberg

Der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zur Verhinderung des Klimawandels ist heute ein beliebtes Thema. So ziemlich das gleiche Ergebnis tritt ein, wenn uns die fossilen Brennstoffe ausgehen: Wir verlieren fossile Brennstoffe, aber nur, weil wir sie nicht mehr fördern können. Praktisch niemand sagt uns jedoch, in welchem Maße das derzeitige System von fossilen Brennstoffen abhängig ist.

Die Wirtschaft ist außerordentlich abhängig von fossilen Brennstoffen. Wenn nicht genügend fossile Brennstoffe zur Verfügung stehen, wird es wahrscheinlich zu Kämpfen um das, was verfügbar ist, kommen. Einige Länder werden wahrscheinlich weit mehr als ihren gerechten Anteil bekommen, während der Rest der Weltbevölkerung nur noch sehr wenig oder gar keine fossilen Brennstoffe mehr zur Verfügung haben wird.

Wenn der völlige oder fast völlige Verzicht auf fossile Brennstoffe für einen Teil der Weltbevölkerung ein Risiko darstellt, könnte es nützlich sein, über einige der Dinge nachzudenken, die schief gehen könnten. Im Folgenden finden Sie einige meiner Ideen zu den Dingen, die sich in einer Wirtschaft ohne fossile Brennstoffe verändern, meist zum Schlechteren.

[1] Banken, wie wir sie kennen, werden wahrscheinlich scheitern.

Bevor die Banken in Gebieten, in denen es praktisch keine fossilen Brennstoffe gibt, zusammenbrechen, werden wir meiner Einschätzung nach generell eine Hyperinflation erleben. Die Regierungen werden die Geldmenge stark erhöhen in dem vergeblichen Versuch, die Menschen glauben zu machen, dass mehr Waren und Dienstleistungen produziert werden. Diese Methode wird angewandt werden, weil die Menschen mehr Geld mit der Möglichkeit gleichsetzen, mehr Waren und Dienstleistungen zu kaufen. Leider wird es ohne fossile Brennstoffe sehr schwierig sein, sehr viele Waren zu produzieren.

Mehr Geld führt einfach zu mehr Inflation, weil für den Betrieb von Maschinen aller Art zur Herstellung von Waren physische Ressourcen, einschließlich der entsprechenden Energiearten, benötigt werden. Die Herstellung von Dienstleistungen erfordert ebenfalls Energie aus fossilen Brennstoffen, aber im Allgemeinen in geringerem Umfang als die Herstellung von Waren. Eine Schere zum Haareschneiden beispielsweise wird mit fossiler Energie hergestellt. Die Person, die die Haare schneidet, muss bezahlt werden; ihr Lohn muss hoch genug sein, um die energiebedingten Kosten wie den Kauf und die Zubereitung von Lebensmitteln zu decken. Der Laden, in dem das Haareschneiden durchgeführt wird, muss auch für die fossile Energie bezahlen, die für Wärme und Licht benötigt wird, sofern diese Energie überhaupt verfügbar ist.

Die Banken werden zusammenbrechen, weil ein zu großer Teil der Schulden nicht mit Zinsen zurückgezahlt werden kann. Ein Teil des Problems wird darin bestehen, dass die Löhne zwar steigen werden, die Preise für Waren und Dienstleistungen aber noch schneller steigen werden, so dass die Waren unerschwinglich werden. Ein weiterer Teil des Problems besteht darin, dass die Dienstleistungswirtschaften, wie die der USA und der Eurozone, unverhältnismäßig stark von einer rückläufigen Wirtschaft betroffen sein werden. In einer solchen Wirtschaft werden sich die Menschen weniger oft die Haare schneiden lassen. Stattdessen werden sie ihr Geld für das Nötigste ausgeben, einschließlich Lebensmittel, Wasser und Kochzubehör. Dienstleistungsunternehmen wie Friseursalons und Restaurants werden aus Mangel an Kunden schließen, was zu Zahlungsausfällen führen wird.

[2] Die heutigen Regierungen werden scheitern.

Wenn die Banken scheitern, werden auch die heutigen Regierungen scheitern. Zum Teil werden sie an den Versuchen scheitern, die Banken zu retten. Ein weiteres Problem werden sinkende Steuereinnahmen sein, weil weniger Waren und Dienstleistungen produziert werden. Die Finanzierung der Rentenprogramme wird immer schwieriger werden. All diese Probleme werden zu einer zunehmend kontroversen Politik führen. In einigen Fällen werden sich die Zentralregierungen auflösen und die Bundesstaaten und andere kleinere Einheiten, wie die heutigen Provinzen, auf sich allein gestellt zurücklassen.

Zwischenstaatliche Organisationen, wie die Vereinten Nationen und die NATO, werden immer weniger Gehör finden, bevor sie schließlich scheitern. Es wird für sie immer schwieriger werden, ausreichende Finanzmittel von den Mitgliedstaaten zu erhalten.

Diktaturen mit Führern, die absolute Macht ausüben, und Aristokratien, die von Führern mit erblichen Rechten regiert werden, sind die Regierungsformen mit dem geringsten Energiebedarf. Diese werden ohne fossile Brennstoffe wahrscheinlich häufiger werden.

[3] Fast alle heutigen Unternehmen werden scheitern.

Fossile Brennstoffe sind für alle Arten von Unternehmen unerlässlich. Sie werden bei der Gewinnung von Rohstoffen und beim Transport von Waren eingesetzt. Wir verwenden fossile Brennstoffe, um Straßen zu befestigen und fast alle heutigen Gebäude zu bauen. Ohne fossile Brennstoffe werden selbst einfache Reparaturen an der bestehenden Infrastruktur unmöglich. Ohne ausreichende fossile Brennstoffe laufen vor allem internationale Unternehmen Gefahr, in kleinere Einheiten zu zerfallen. Sie werden es unmöglich finden, in Teilen der Welt zu operieren, in denen es praktisch keine fossilen Brennstoffe gibt.

Fossile Brennstoffe werden sogar bei der Herstellung von Solarzellen, Windturbinen und Ersatzteilen für Elektrofahrzeuge verwendet. Von Solar- und Windenergie als “erneuerbaren Energien” zu sprechen, ist in hohem Maße irreführend. Bestenfalls kann man sie als “Verlängerer” der fossilen Brennstoffe bezeichnen. Sie können vielleicht das Problem eines geringen Angebots an fossilen Brennstoffen lösen, aber sie sind bei weitem kein adäquater Ersatz.

[4] Die Stromnetze und das Internet werden verschwinden.

Fossile Brennstoffe sind für den Betrieb des Stromübertragungsnetzes wichtig. Für die Wiederherstellung heruntergefallener Stromleitungen nach Stürmen werden zum Beispiel fossile Brennstoffe benötigt. Der Anschluss von Solarzellen oder Windturbinen an das Stromnetz erfordert fossile Brennstoffe. Haussolaranlagen können so lange betrieben werden, bis ihre Wechselrichter ausfallen. Sobald die Wechselrichter ausfallen, ist ihr Nutzen stark beeinträchtigt. Für die Herstellung neuer Wechselrichter werden fossile Brennstoffe benötigt.

Fossile Brennstoffe sind auch für die Aufrechterhaltung aller Teile des Internetsystems wichtig. Außerdem ist es ohne das Stromnetz unmöglich, Computer für die Verbindung mit dem Internet zu nutzen.

[5] Der internationale Handel wird stark zurückgehen.

In dieser Zeit des Jahres erinnern sich viele von uns an die Geschichte von den drei Königen aus dem Morgenland, die das Jesuskind mit wertvollen Geschenken besuchen. Wir erinnern uns auch an die Geschichten in der Bibel über Paulus, der in ferne Länder reiste. Aus diesen und vielen anderen Beispielen wissen wir, dass internationaler Handel und Reisen auch ohne fossile Brennstoffe möglich sind.

Das Problem ist, dass einige Teile der Welt ohne fossile Brennstoffe nur noch sehr wenig als Gegenleistung für Waren anbieten können, die mit fossilen Brennstoffen hergestellt wurden. Länder mit fossilen Brennstoffen werden schnell herausfinden, dass Staatsschulden von Ländern ohne fossile Brennstoffe nicht viel wert sind, wenn es um die Bezahlung von Waren und Dienstleistungen geht. Infolgedessen wird sich der Handel auf die verfügbaren Exporte beschränken. Für Teile der Welt, die ohne fossile Brennstoffe auskommen, wird der Export von Waren wahrscheinlich sehr begrenzt sein.

[6] Die Landwirtschaft wird sehr viel weniger effizient sein.

Die heutige Landwirtschaft ist durch den Einsatz großer mechanischer Geräte, die in der Regel mit Dieselkraftstoff betrieben werden, und einer Vielzahl von Chemikalien wie Herbiziden, Insektiziden und Düngemitteln unglaublich effizient geworden. Darüber hinaus werden mit fossilen Brennstoffen hergestellte Zäune und Netze verwendet, um unerwünschte tierische Schädlinge fernzuhalten. In einigen Fällen werden Gewächshäuser verwendet, um ein kontrolliertes Klima für Pflanzen zu schaffen. Mit Hilfe fossiler Brennstoffe wird spezielles Hybridsaatgut entwickelt, das Eigenschaften hervorhebt, die die Landwirte für wünschenswert halten. All diese “Hilfsmittel” werden in Zukunft verschwinden.

Ohne diese Hilfen wird die Landwirtschaft viel weniger effizient sein. Abbildung 1 zeigt, dass selbst bei einem geringen Rückgang der Nutzung fossiler Brennstoffe im Jahr 2020 der Anteil der Landwirtschaft an der Beschäftigung zunimmt.

Abbildung 1. Weltweite Beschäftigung in der Landwirtschaft in Prozent der Gesamtbeschäftigung, wie von der Weltbank zusammengestellt.

Die Beschäftigung in der Landwirtschaft ist wichtig. Diese Arbeitskräfte wurden nicht entlassen, auch wenn Beschäftigte im Tourismus und in der Bekleidungsindustrie ihren Arbeitsplatz verloren, so dass der Anteil der landwirtschaftlichen Arbeitsplätze an der Gesamtbeschäftigung stieg.

[7] Der künftige Arbeitskräftebedarf wird wahrscheinlich überproportional im Agrarsektor liegen.

Die Menschen müssen essen. Selbst wenn die Wirtschaft sehr ineffizient arbeitet, werden die Menschen Nahrung brauchen. Es ist zu erwarten, dass der Anteil der Menschen, die in der Landwirtschaft (einschließlich Jagen und Sammeln) tätig sind, beträchtlich steigen wird.

Manche Menschen hoffen, dass eine Umstellung auf Permakultur das Problem der Abhängigkeit der Landwirtschaft von fossilen Brennstoffen lösen wird. Ich sehe in der Permakultur eher eine Verlängerung der fossilen Brennstoffe als eine Lösung, um ohne fossile Brennstoffe auszukommen, denn sie setzt die Verwendung vieler auf fossilen Brennstoffen basierender Geräte voraus, wie z. B. moderne Zäune und die heutigen Werkzeuge. Außerdem löst die Permakultur das Problem der Ineffizienz bestenfalls teilweise, da sie eine große Menge an praktischer Arbeit erfordert.

Abbildung 2. Vergleich der Beschäftigung in der Landwirtschaft in den USA, als Anteil an der Gesamtbeschäftigung, mit einer vergleichbaren Relation für die am wenigsten entwickelten Länder der UN, basierend auf den Daten der Weltbank.

Heute besteht eine große Kluft zwischen dem Anteil der Beschäftigung in der Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten und in der gleichen Statistik für die UN-Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder. Die meisten dieser Länder befinden sich in Afrika südlich der Sahara. Sie verbrauchen sehr wenig fossile Brennstoffe.

In den USA lag der Anteil der Beschäftigung in der Landwirtschaft zuletzt bei etwa 1,7 %. In dem Teil Europas, der den Euro verwendet, lag der Anteil der Beschäftigung in der Landwirtschaft in letzter Zeit im Durchschnitt bei 3,0 %. Sowohl in den USA als auch in Europa wäre ein enormer Wandel in der Beschäftigung erforderlich, um den Anteil der Landwirtschaft an der Gesamtbeschäftigung auf 70 % (wie Anfang der 90er Jahre in der am wenigsten entwickelten Gruppe der Vereinten Nationen) oder sogar auf 55 % (wie in letzter Zeit in derselben Gruppe) zu erhöhen.

[8] Das Heizen von Häusern wird zu einem Luxusgut, das nur den Wohlhabenden vorbehalten ist.

Ohne fossile Brennstoffe wird Holz wegen seines Heizwertes sehr gefragt sein. Holz wird zum Kochen von Lebensmitteln benötigt werden; es ist sehr schwierig, sich ausschließlich von Rohkost zu ernähren ( Link auf Catching Fire: How Cooking Made Us Human von Richard Wrangham). Holz wird auch für die Herstellung von Holzkohle gefragt sein, die wiederum zum Schmelzen bestimmter Metalle verwendet werden kann. Angesichts dieser Nachfrage nach Holz wird die Abholzung der Wälder in vielen Teilen der Welt wahrscheinlich zu einem großen Problem werden. Holz wird im Allgemeinen recht teuer sein, da die Kosten für die Ernte und den Transport über weite Entfernungen ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe beträchtlich sind.

Menschen, die in dünn besiedelten Waldgebieten leben, können vielleicht ihr eigenes Holz für die Hausheizung sammeln. Für andere Menschen wird das Heizen zu Hause wahrscheinlich zu einem Luxus, den sich nur die sehr Reichen leisten können.

[9] Alleinleben wird der Vergangenheit angehören.

Ohne genügend Wärme und mit kaum genügend Holz zum Kochen werden sich die Menschen (und ihre Tiere) noch mehr zusammendrängen müssen. Mehrgenerationenhäuser, die über einem Platz für die Haltung von Nutztieren gebaut werden, könnten wieder populär werden. Es wird effizienter sein, für große Gruppen zu kochen als für jeweils eine Person. Menschen in kalten Gegenden werden sich in Betten zusammenkuscheln, um sich warm zu halten. Oder sie kuscheln sich mit ihren Hunden zusammen, wie in dem Sprichwort “Three Dog Night” (dt. “Drei Hundenacht”), das eine Nacht meint, die so kalt ist, dass man drei Hunde braucht, um eine Person warm zu halten.

Selbst in den warmen Teilen der Welt werden die Menschen in Gruppen zusammenleben, weil die Führung eines Haushalts für eine einzelne Person einfach zu teuer wird. Lebensmittel und Brennstoff zum Kochen werden einen großen Teil des Familieneinkommens verschlingen. Für andere Ausgaben wird wenig übrig bleiben.

[10] Regierungen und ihre Gesetze werden an Bedeutung verlieren. Stattdessen werden neue Traditionen und neue Religionen eine größere Rolle bei der Aufrechterhaltung der Ordnung spielen.

Die Regierungen haben Dutzende von Versprechungen gemacht, aber ohne ein wachsendes Angebot an fossilen Brennstoffen (oder einen adäquaten Ersatz) werden sie diese nicht einhalten können. Die Renten werden wegfallen. Die Regierungen werden wahrscheinlich nicht mehr in der Lage sein, Eigentumsrechte durchzusetzen. Ohne einen guten Ersatz für fossile Brennstoffe sind Massenunruhen wahrscheinlich.

Die Menschen sehnen sich nach Ordnung. Ohne Ordnung ist es unmöglich, Geschäfte zu machen. Aus jüngster Erfahrung wissen wir, dass “Nachhaltigkeitsgruppen”, die von Menschen mit einem gemeinsamen Interesse an Nachhaltigkeit gebildet werden, nicht gut genug funktionieren, um für Ordnung zu sorgen. Sie neigen dazu, sich aufzulösen, sobald Hindernisse auftauchen.

Was in der Vergangenheit offenbar funktioniert hat, um für Ordnung zu sorgen, ist eine Kombination aus Traditionen und Religionen. In einer sich wandelnden Welt werden sich wahrscheinlich sowohl die Traditionen als auch die Religionen ändern müssen. In dem Buch Communities that Abide von Dmitry Orlov et al. weisen die Autoren darauf hin, dass ein starker (nicht gewählter) Führer und gemeinsame religiöse Überzeugungen den Zusammenhalt einer Gruppe fördern. Es ist sogar hilfreich, wenn die Gruppe ein wenig verfolgt wird. Der Kampf für eine gemeinsame Sache ist Teil dessen, was die Gruppe zusammenhält.

Die Zehn Gebote in der Bibel werden in einer Weise ausgelegt, die stark darauf hindeutet, dass es sich um Regeln für das Verhalten innerhalb der Gruppe und nicht für das Verhalten im Allgemeinen handelt. Zum Beispiel gilt “Du sollst nicht töten” für andere Mitglieder der Gruppe; Kriege gegen andere Gruppen wurden sehr wohl erwartet. In diesen Kriegen wurde die Tötung von Mitgliedern einer anderen Gruppe erwartet. Dies scheint die Tötung von Mitgliedern der Hamas durch Israel heute zu erlauben. Da es nicht genügend fossile Brennstoffe gibt, werden die Kämpfe immer häufiger.

Fazit

Meiner Meinung nach steht die Welt heute vor einem Problem, mit dem auch kleinere Volkswirtschaften in der Vergangenheit immer wieder konfrontiert waren: Die Bevölkerung ist zu groß für die Ressourcenbasis der Wirtschaft geworden, zu der jetzt auch die fossilen Brennstoffe gehören. Die heutigen Staats- und Regierungschefs formulieren das Problem so, dass sie sich freiwillig von fossilen Brennstoffen abwenden, um den Klimawandel zu verhindern, damit die Situation weniger beängstigend klingt.

Meines Erachtens muss die Welt ihren Verbrauch an fossilen Brennstoffen reduzieren, denn letztlich bestimmen die Gesetze der Physik die Verkaufspreise für fossile Brennstoffe. Wir fördern zuerst die kostengünstig zu produzierenden fossilen Brennstoffe. Das Problem ist, dass die Verkaufspreise für fossile Brennstoffe nicht beliebig hoch ansteigen können. Die Preise müssen beides sein:

  • Hoch genug, damit die Produzenten einen Gewinn erzielen können, wobei Mittel für Reinvestitionen und angemessene Steuern für ihre Regierungen übrig bleiben.
  • Niedrig genug, damit die Verbraucher es sich leisten können, Lebensmittel und andere Konsumgüter zu kaufen, die mit diesen fossilen Brennstoffen hergestellt wurden.

Wenn wir davon ausgehen, dass alle fossilen Brennstoffe, die sich unter der Erde zu befinden scheinen, tatsächlich abgebaut werden können, könnte der Klimawandel durch ihre Verbrennung tatsächlich ein Problem darstellen. Aber es ist schwer vorstellbar, dass sie wirklich abgebaut werden können, wenn man die Frage der Bezahlbarkeit bedenkt. Die Politiker werden die Preise niedrig halten, um die Wähler dazu zu bringen, für sie zu stimmen, wenn sonst nichts [dagegen spricht].

Die Forscher haben fleißig nach Lösungen gesucht, aber bisher mit wenig Erfolg. Jede vermeintliche Lösung erfordert einen erheblichen Einsatz von fossilen Brennstoffen. Wir müssen also darüber nachdenken, was passieren könnte, wenn wir gezwungen sind, ohne fossile Brennstoffe und ohne einen angemessenen Ersatz auszukommen.

Ende der Übersetzung.

Nachbemerkung des Übersetzers

Zum Thema Energie und Arbeitsproduktivität möchte ich hier insbesondere auf das Beispiel mit den drei verschieden Energieintensiven Methoden des Kühemelkens in Zum Thema CO2-Bepreisung hinweisen. Wie man dort sehen kann, schrumpft die Produktivität energieintensiver Methoden bei steigenden Energiepreisen rasant.

Weil Deutschland so gut wie keine eigenen Rohstoffe mehr hat und z.B. im Vergleich zu Indien relativ weit im Norden liegt, können die Deutschen nur hoffen, dass das Klima wirklich wärmer wird und dass die Winter in der höheren Breiten milder werden, weil damit der Energieaufwand wegen der Winter reduziert und zugleich die Wachstumstperiode der Pflanzen verlängert werden kann. Dass man in Deutschland einen großen Aufwand treibt um eine Klimaerwärmung zu verhindern ist vor dem Hintergrund des Endes des wirtschaftlich nutzbaren fossilen Energiequellen sehr unvernünftig. Klimaerwärmung bedeutet nämlich nur, dass das Klima in den höheren Breiten ausgelichener und dem Klima am Äquator etwas ähnlicher wird. Das Klima am Äquator wird sich dagegen bei einer “globalen Erwärmung” NICHT wesentlich ändern.  Siehe dazu auch meinen Artikel Die Klimaschlittenfahrt.

Was man angesichts des Versiegens der wirtschaftlich nutzbaren fossilen Energiequellen tun könnte wäre

Es gibt natürlich auch noch einige anderem Möglichkeiten. Für den Bereich Medizin könnten z.B. meine Artikel Mehrzweckwaffe gegen Viren und Bakterien sowie Das Universelle Gegenmittel inspirierend sein.

Im Zeitalter fossiler Brennstoffe ist auch sehr viel zeitloses, über dieses Zeitalter hinaus wichtiges und wertvolles Wissen gewonnen worden. Das kann man sammeln, ordnen und nutzen lernen. Wenn man das gut macht, kann man den Lebensstandard, die Lebensqualität und die Gesundheit in der Zeit nach dem Ende der Verfügbarkeit billiger fossiler Energieträger sehr verbessern.

Die Erschöpfung der wirtschaftlichen noch nutzbaren fossilen Energiequellen ist nicht auf zu halten. Man kann aber die Geschwindigkeit und die Höhe der Kollateralschäden auf dem Weg in das postfossile Zeitalter durchaus noch sehr positiv beeinflussen und man kann auch das dann noch hier in Deutschland und Europa mögliche zivilisatorische Niveau auf verschiedene Weise positiv beeinflussen.

Das aktuelle Wichtigste wäre aus deutscher Sicht ein politischer Seitenwechsel, ähnlich wie bei der Konvention von Tauroggen, bei der am 30.12.1812 der preußische General York faktisch aus dem Zwangsbündnis Preußens mit Napoleon ausgetreten ist. Gut ein Jahr später, am 1.1,.1813 hat das eben diesem General York unterstellte preußische  Armeekorps  dann mit Hilfe russischere Pioniertruppen bei Kaub den Rhein überquert. Yorks Armeekorps war damals eines von 4 Korps der schlesischen Armee, die von dem preußischen Marschall Blücher geführt wurde. Die anderen Korps dieser Armee, die ebenfalls Anfang Januar 1813 den Rhein überquert haben, waren  russische Korps. Der Krieg in dem diese schlesische Armee mit ihren preußischen und russischen Truppen 1813/1814 kämpfte war Teil der deutschen Befreiungskriege. Russland war somit 1812/1813 ebenso wie 1941/1945  ganz entscheidend an der Befreiung Deutschlands beteiligt.

Wenn Deutschland heute noch eine Zukunft haben und das Ende der Verfügbarkeit fossiler Energieträger mit alle seinen Folgen hinauszögern will, dann wird man in Deutschland an die Geschichte der Konvention von Tauroggen anknüpfen müssen. Wenn man das, wie derzeit leider zu erwarten, nicht tun wird, dann wird die von Gail Tverberg beschriebene Entwicklung beschleunigt und verschlimmert.  Eine Ironie der Geschichte wird dann sein, dass eben nicht die AfD sondern die Folgen der Politik von Grünen, SPD, FDP und CDU/CSU   sehr, sehr viele Zugewanderte dazu bringen wird Deutschland wieder zu verlassen. Und dass dann nicht weil sie, wie von den bösen Rechten geplant dafür belohnt werden, sondern weil sie aus Angst vor Hunger, Kälte und Not fliehen. Man bedenke dazu, dass  Deutschland bis zum Beginn der Nutzung billiger fossiler Energie ein Auswanderland war. Das heißt,  früher sind Deutsche nach Amerika, nach Russland und auf den Balkan ausgewandert, weil in dem damals, in der Zeit vor der Nutzung fossiler Energieträger, noch drastisch dünner besiedelten  Deutschland Hunger, Elend und Not das Leben schwer und oft unerträglich gemacht haben.

Hier in der Eifel gibt es eine kleine Kapelle und eine Infotafel die daran erinnert, dass dort noch vor 170 Jahren ein  Dorf war, das verschwunden ist weil seine Bewohner alle ausgewandert sind weil sie so arm waren und hier in Deutschland keine Zukunft mehr sahen: Zur Geschichte des untergegangenen Dorfes Allscheid.

Kelberg den 25.1.2024

Christoph Becker

Nachträge

  • www.anti-spiegel.ru/2024/die-gasknappheit-in-europa-duerfte-sich-verschaerfen/
  • tkp.at/2024/01/27/warum-die-energiewende-zurueck-ins-mittelalter-fuehrt/
  • www.artberman.com/blog/draining-america-first-the-beginning-of-the-end-for-shale-gas/  Zitat “Die Schiefergasvorkommen [der USA] sehen allmählich wie ein Friedhof aus. Die einstigen Weltklasselagerstätten Barnett und Fayetteville werden in den USA nicht mehr als Schiefergasvorkommen bezeichnet. Utica scheint auf den gleichen Zombie-Status zuzusteuern.Diese Studie deutet darauf hin, dass die Erwartungen an die künftige Schiefergasproduktion in den USA möglicherweise zu hoch sind und die Reserven zu hoch angesetzt sind. Die geplante Steigerung der Exporte um 15 Mrd. Kubikmeter pro Tag wird das künftige Angebot ernsthaft unter Druck setzen, unabhängig davon, ob die Produktion bereits zurückgegangen ist oder nicht.

    In einem kürzlich erschienenen Beitrag habe ich darauf hingewiesen, dass die Signale für die Zukunft der Tight Oil-Produktion gelb, wenn nicht sogar rot blinken. Jetzt scheint es, als gäbe es ähnliche Gefahrenzeichen für Schiefergasvorkommen.

    Ich hoffe, dass das US-Energieministerium seine Einschätzung der künftigen Gasversorgung überprüft und aktualisiert, bevor es weitere Exportanträge genehmigt. Amerika zuerst auszutrocknen ist eine schreckliche Idee.”

     

    Faktisch können und sollten sich die USA  die Steigerung der Flüssiggas-Exporte nach Europa nicht mehr leisten.




Die Klimaschlittenfahrt

Angeregt durch John Michael Greers Essay “Riding the Climate Toboggan” (dt. Die Klima-Rodelschlittenfahrt)  vom 6.9.2023, habe ich einiges zur Klimageschichte der Erde recherchiert und gelernt, was vor dem Hintergrund der Klimapolitik und der Angst vor einem Klimawandel von Interesse ist.

John Michael Greers Essay zur Klimadebatte

John Michael Greer hat in seinem Essay “Riding the Climate Toboggan” (dt. Die Klima-Rodelschlittenfahrt)  vom 6.9.2023  unter anderem auf das Phänomen des global gleichmäßigen Klimas in prähistorischen Zeiten (engl.: equable climate) hingewiesen und er hat dazu auch auf eine diesem Phänomen gewidmente Webseite der Harvard-Universität hingewiesen.  Greers Essay habe ich übersetzt und als pdf-Datei hochgeladen: www.freizahn.de/wp-content/uploads/2023/09/Die-Klima-Rodelschlittenfahrt.pdf  .

Die Grabungen im Eckfelder Maar in der Eifel

Das Essay von John M. Greer hat mich an Berichte über die Ausgrabungen am Eckfelder Maar und an die zugehörige Ausstellung im Maarmuseum in Manderscheid erinnert. Ich habe das Maarmuseum aus diesem Grund noch einmal besucht.

Hier die Links:

Zitate von der Webseite des Maarmuseums in Manderscheid:

Im Eozän, der Zeit vor 55 bis 34 Millionen Jahren, herrschte auf der Erde ein Klima, das Züge des von vielen für die Zukunft vorausgesagten “Treibhausklimas” trug.

Die Einflüsse des Menschen auf die künftige Entwicklung des Klimas und die Dynamik von Ökosystemen sind nur dann realistisch abzuschätzen, wenn deren erdgeschichtliche Entwicklung bekannt ist. Das Zeitfenster des Eozän – das ist das Erdzeitalter, das 55 bis 33 Millionen Jahre zurückliegt – ist dabei von herausragendem Interesse. Denn zu dieser Zeit herrschte letztmalig global ein weitgehend gleichmäßig warmes Klima, das Züge des von vielen für die Zukunft erwarteten “Treibhausklimas” trug. Zudem begann damals die explosive Entwicklung der Blütenpflanzen und Säugetiere.

Bei dem Besuch des Maarmuseums habe ich auch die folgende, aus den Funden zur Vegetationsgeschichte an anderen Stellen abgeleitete Grafik zur Entwicklung der Mittleren Temperatur in der Eifel fotographiert:

Fotographiert im Maar-Museum Manderscheid, am 10.9.2023. In der Jungsteinzeit und Bronzezeit war es demnach hier in der Eifel  wesentlich wärmer als heute. Anderseits war Deutschland damals im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens “klimaneutral”. Autos, Kohlekraftwerke usw. gab es überhaupt nicht.

Die Funde in den Sedimentschichten des Eckfelder Maares sind sehr viel älter, sie betreffen die Flora und Fauna in der Eifel vor ca.  45 bis 44 Millionen Jahren. Bis zur Verlandung sind wahrscheinlich ca. 250 Tsd. Jahre vergangen. Gefunden wurden  Palmen, Bienen, eine große Pflanzenvielfalt, Nagetiere, ein Vorläufer unserer heutigen Pferde, Halbaffen vor allem auch Krokodile. Krokodile benötigen ein Klima, bei dem die Temperatur selbst im kältesten Monat nicht unter 10 Grad Celsius sinkt. Es gab damals hier in der Eifel also weder Schnee noch Frost. Die Funde von Halbaffen zeigen, dass das Klima auch für Menschen gut erträglich gewesen wäre.

Ein Buch eines Greenpeace Mitbegründers

Der sehr vernunft- und wissenschaftsorientierte,  Umweltaktivist und Mitbegründer von  Greenpeace, Dr. Patrick Moore hat in seinem Buch Fake Invisible Catastrophes and Threats of Doom (dt.: Eingebildete unsichtbare Katastrophen und Untergangsdrohungen )  unter anderem ein längeres Kapitel zum Thema CO2 und Erderwärmung (Climate of Fear and Guilt , dt. Klima der Angst und Schuldgefühle), in dem er die aktuelle Klimapolitik und die Verteufelung von CO2-Emissionen zerlegt. Das Fazit von Dr. Moore zum Thema CO2 ist, dass eine Steigerung des CO2-Gehaltes der Atmosphäre mehr Vorteile als Nachteile hat.  

Unter anderem erwähnt er dort auch, wie schon John M. Greer in dem oben erwähnten Essay, dass bei einer Klimaerwärmung lediglich das Klima in den höheren Breiten milder und damit angenehmer und Energiekostensparender wird, während es in der Region um den Äquator ungefähr gleich bleibt.

Von Patrick Moore findet man auf den verschiedenen Videoportalen wie youtube.com, odysee.com, rumble.com und brighteon.com auch interessante Vorträge und Interviews.

Artikel zum Eozän auf der Webseite Eike

Auf der weiteren Suche zum Thema Klimaerwärmung, CO2, Eozän habe ich schließlich auch einige sehr interessante, lesenswerte  Artikel und ein Interview auf der  Webseite eike-klima-energie.eu gefunden:

Kann es durch extreme Hitze in manchen Gebieten der Erde für die Menschen zu heiß werden?

Zitat:

Unsere entfernten Vorfahren, die ersten Primaten, entwickelten sich vor etwa 56 Millionen Jahren während einer der wärmsten Zeiten im Känozoikum. Dies war das Paläozän-Eozän-Thermalmaximum (PETM), als es global im Durchschnitt möglicherweise zehn Grad wärmer war als heute. Damals entwickelten sich die Primaten nicht nur, sondern sie gediehen auch. Fossilien zufolge verbreiteten sie sich rasch über die ganze Welt, und dass es uns heute noch gibt, ist ein Beweis für ihren Erfolg. Säugetierfossilien, vielleicht sogar Primatenfossilien, finden sich im Abschnitt Polecat Bench in Wyoming und in PETM-Abschnitten in Europa. Es liegt auf der Hand, dass die tropischen Temperaturen während des PETM nicht viel anders gewesen sein können als heute.

Meridionale Strömung, die fundamentalste aller Klima-Variablen

Zitat:

Zusammenfassung der Daten

Die globale durchschnittliche Temperatur der Erde schwankt jedes Jahr um 3,8 °C. Die Höchsttemperatur ist im Juli, die Tiefsttemperatur im Januar. Daher ist es schwierig, die Warnungen des IPCC vor einer Erwärmung um zwei Grad in den nächsten 100 Jahren ernst zu nehmen.

Die Tropen der Erde erhalten viel mehr Sonnenenergie, als sie in den Weltraum abstrahlen können. Dadurch werden viele ausgeklügelte natürliche Prozesse in Gang gesetzt, um die Energie in Richtung der Pole zu lenken, wo der Netto-Energiefluss in den Weltraum erfolgt. Veränderungen in diesem Energiefluss können zu Klimaveränderungen führen.

Geologen haben ein Verfahren entwickelt, die sich der Klimagürtel von Wladimir Köppen bedient, um die vergangenen globalen Durchschnittstemperaturen zu rekonstruieren. Die Rekonstruktionen haben eine sehr geringe zeitliche Auflösung und bestimmen nur eine globale durchschnittliche Temperatur alle fünf Millionen Jahre, aber das Verfahren ist vernünftig. Unser heutiges Klima ist in der Erdgeschichte ungewöhnlich kalt, kälter als 90 % der letzten 540 Millionen Jahre. Die Temperaturen in den Tropen schwanken nicht sehr stark, die globale Erwärmung oder Abkühlung findet hauptsächlich in den mittleren und hohen Breitengraden statt.

Die Stürme nehmen in Perioden mit einem größeren Temperaturgefälle in der Breite zu, da der größte Teil der überschüssigen tropischen Energie aus den Tropen in Stürmen transportiert wird. Da die globale Erwärmung den Gradienten verringert, sind weniger Stürme zu erwarten.

Die Sonnenaktivität beeinflusst das Klima der Erde, aber die Korrelation ändert sich mit der Zeit. Manchmal ist sie positiv, d. h. die Erde erwärmt sich mit zunehmender Sonnenaktivität, und manchmal kühlt sich die Erde mit zunehmender Sonnenaktivität ab. Die Wechsel scheinen alle 80-120 Jahre zu erfolgen. Die Änderungen der Klima/Solar-Korrelation deuten darauf hin, dass der solare Einfluss auf das Klima nicht direkt auf Änderungen der Sonneneinstrahlung zurückzuführen ist, wie der IPCC vorschlägt, sondern auf solarinduzierte Änderungen großer atmosphärischer Prozesse, die vernachlässigt werden.

Die Sommertemperaturen in der Arktis ändern sich kaum, wahrscheinlich weil jede Zunahme des meridionalen Transports einfach mehr Polareis zum Schmelzen bringt. Die Wintertemperaturen ändern sich, da zusätzliche Energie, die in die Arktis transportiert wird, die Oberfläche erwärmt. Wenn im Sommer aufgrund des verstärkten meridionalen Transports zusätzliches Eis schmilzt, führt das erneute Gefrieren des Eises im Winter dazu, dass die freigesetzte latente Wärme in den Weltraum gestrahlt wird.

Zusammenfassung der Probleme der Klimamodelle

….

Diese Modelle können nicht erklären, warum die Häufigkeit der kalten Winter in den mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre zugenommen hat. Sie können die warmen Bedingungen des frühen Eozäns nicht simulieren, ohne unrealistische CO2-Werte und eine hohe CO2-Empfindlichkeit des Klimas zu verwenden.

Sie können nicht erklären, warum die Artenvielfalt, insbesondere die der Säugetiere, im frühen Eozän zunahm, als die globalen Temperaturen zehn Grad höher lagen. Sie können nicht erklären, warum es keine Erwärmung der Arktis gab, als die globale Erwärmung zwischen 1980 und 1997 ihren Höhepunkt erreichte, während sie nach 1997, als sich die Erwärmung verlangsamte, zunahm.

 

Mein Fazit

Das Klima hat sich immer wieder geändert und es war gerade auch in vorindustriellen Zeiten, als alle fossilen Energieträger noch in der Erde lagen, oft wesentlich wärmer als heute.

Eine Klimaerwärmung würde das Klima in der Region um den Äquator nicht wesentlich verändern. Wohl aber würden bei einer globalen Klimaerwärmung die Winter in den höheren Breiten milder. Das ist aber genau das, was wir angesichts der zur Neige gehenden Vorräte wirtschaftlich nutzbarer fossiler Energie und anderer Bodenschätze unbedingt bräuchten.

Auch würde eine weitere Steigerung der CO2-Konzentration das Wachstums der Pflanzen verbessern, was dann zur Verbesserung des lokalen Klimas beitragen könnte, weil man damit die Wasserspeicherkapazität der Böden verbessern kann.  Siehe dazu u.a. meine verschiedenen Artikel am Ende von Anmerkungen zu einer grünen Wahlkampfveranstaltung für Landwirte und da insbesondere meine Artikel

Das Argument, dass ein durch mehr CO2 in der Lauft angetriebenes, schnelleres Pflanzenwachstum zu nährstoffärmeren Pflanzen führen würde ist vor diesem Hintergrund Unsinn. Wenn man die Böden richtig bewirtschaftet (wie es z.B. Dr. Christine Jones und Dr. Elaine Ingham gezeigt haben) hat man fast überall auf der Welt genügend Nährstoffe verfügbar.

Das eigentliche Problem unserer Gesellschaft ist nicht der Klimawandel, sondern das Schrumpfen der wirtschaftlich noch nutzbaren fossilen Energiequellen, für die es sehr wahrscheinlich keinen ausreichenden Ersatz geben wird. Siehe dazu z.B. meine Artikel Zum Thema CO2-BepreisungDer aufziehenden Sturm am Ölhimmel und Die Illusion, dass erneuerbare Energien uns retten. Durch die hysterische, bei nüchterner Betrachtung ungerechtfertigte Angst vor einer Klimaerwärmung verschwendet man unnötig knappe Ressourcen.

Jedenfalls ist eine Klimaerwärmung und auch eine Zunahme des CO2-Gehaltes der Atmosphäre nichts, was man fürchten sollte. Das Leben wird auch im Falle einer Klimaerwärmung weiter gehen und es wird auch auch im Gebiet des heutigen Deutschlands weiter Menschen geben.

Man könnte aber einige Unfälle und üble Verletzungen im Verlauf der “Klimarodellschlittenfahrt” vermeiden. Wenn die Ressourcen knapper werden, dann sollte man vernünftigerweise versuchen, die Komplexität der Gesellschaft wo immer möglich zur reduzieren, um den einen “Kollaps durch Komplexität” vermeiden. Siehe dazu z.B. Kollaps komplexer Gesellschaften – Interview mit Prof. Dr. Joseph Tainter  und  Dem Energiedilemma auf den Grund gegangen. Stattdessen wird durch die Angst vor dem Klimawandel die Komplexität der Gesellschaft weiter gesteigert (Heizungsgesetz, CO2-Abgaben usw.), was den Kollaps letztlich beschleunigt. Ein Kollaps ist übrigens eine ungewollte, unkontrollierte, massive Reduzierung der Komplexität der Gesellschaft. Will man das wirklich?

John M. Greers Bild einer einer  “Klimarodelschlittenfahrt”  scheint mir als Bild jedenfalls sehr passend.

Kelberg, den 12. November 2023

Christoph Becker




Die Wirtschaftssanktionen sind Geschenke für Putin und Xi

Die Wirtschaftssanktionen wirken anders als deren Befürworter im Westen gedacht und gehofft haben.  Eigentlich ist das schon lange bekannt, wie ich www.freizahn.de/2017/10/wem-wirtschaftssanktionen-nuetzen/  erklärt habe. Trotzdem erscheint es wegen der aktuellen Entwicklungen sinnvoll, sich noch einmal mit dem Thema zu beschäftigen.

Was mich in letzter Zeit zum Thema Sanktionen besonders erstaunt und zu diesem Blogartikel motiviert hat war der Umstand, dass  Bundeskanzler Scholz und der französische Präsident Macron darüber erstaunt waren, dass Putin sich überhaupt nicht über die Wirtschaftssanktionen beschwert hat (www.bild.de/politik/inland/politik-inland/ukraine-krieg-was-scholz-nach-seinem-putin-telefonat-besonders-quaelte-85191144.bild.html ). Ich denke, dass Putin, der selbst promovierter Wirtschaftswissenschaftler ist,  seinerseits sehr erstaunt darüber war, dass man im Westen tatsächlich einfältig genug war, sich durch die russische Militäraktion in der Ukraine zu weiteren wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland provozieren zu lassen.

Warum?

John Michael Greer hatte vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass es im amerikanischen Bürgerkrieg vor allem auch darum ging, dass die Südstaaten Freihandel wollten, weil sie einerseits mit ihrer Baumwollproduktion ein insbesondere von Großbritannien begehrtes Exportprodukt hatten, während sie für die Erlöse möglichst günstig Industrieprodukte von Großbritannien, der damals führenden Industriemacht, kaufen wollten.

Die Nordstaaten dagegen hatten eine noch junge, aufstrebende Industrie, die auf dem freien Weltmarkt noch nicht mit den Produkten der britischen Industrie mithalten konnten.  Die Nordstaaten hatten daher ein Interesse daran, dass die Südstaaten  statt der besseren oder/und preiswerteren britischen Industrieprodukte teurere oder/und schlechtere Produkte der sich noch in Entwicklung befindlichen Industrie der Nordstaaten kaufen und so den Aufbau der Industrie der Nordstaaten fördern. Die Nordstaaten brauchten also zum Schutz ihrer Wirtschaft praktisch Schutzzölle oder andere Formen von Einfuhrbeschränkungen für europäische Industrieprodukte.

In der EU war es etwas anders. Die deutsche Industrie war der Industrie in Frankreich, Italien, Griechenland usw. überlegen.  Durch einen “gemeinsamen Markt”, bzw. durch die Beseitigung von nationalen, die nationale Industrie schützenden  Handelshemmnissen und durch eine Wechselkursenkung zum Schutz schwacher nationaler Wirtschaftsräume unmöglich machende, gemeinsame, EU-weite Währung hat Deutschland versucht, die Produktivitätsvorteile seiner eigenen Industrie zu nutzen, um die Entwicklung der Konkurrenz der deutschen Industrie in anderen EU-Staaten zu behindern und um die EU zu dominieren. Siehe dazu auch meinen Blogartikel Wie Deutschland doch noch den Krieg gewann.

Das Prinzip ist also:

  1. wenn man selber eine starke, überlegene, produktivere Industrie als die anderen hat, dann macht es Sinn, sich für Freihandel einzusetzen und die anderen dazu zu überreden, sich an einem gemeinsamen Markt und an einer gemeinsamen Währung zu beteiligen. Dass man damit Ungleichgewichte produziert, die letztlich zu Aufständen, Bürgerkriegen und Zusammenbruch führen können, ist ein längerfristiges Risiko. Aber zunächst kann man so die Überlegenheit der eigenen Industrie ausbauen, die Wirtschaft in den anderen Ländern schwach halten und die anderen Länder dazu bringen, sich zu überschulden.
  2. wenn man selbst eine schwache, sich noch entwickelnde Wirtschaft hat, dann sollte man versuchen, diese mit Schutzzöllen und anderen Handelshemmnissen vor der noch überlegenen ausländischen Konkurrenz zu schützen. Wenn man das aus irgendwelchen politischen Gründen nicht kann, dann kann man alternativ versuchen, wichtige Lieferländer zu Sanktionen gegen das eigene Land zu provozieren, vor allem wenn damit auch noch andere wichtige Ziele erreicht werden können.

Die Sanktionen des Westens gegen Russland haben aber noch  weitere, aus Sicht des Kremls sehr positive, Wirkungen:

  1. Die Sanktionen  waren auch eine im Sinne von Putin wirksame Strafaktion gegen reiche Russen, die ihr Geld lieber im Ausland als in Russland angelegt und investiert haben.  Dank der Sanktionen werden die reichen Russen  ihr Geld in Zukunft  lieber in Russland und eher nicht mehr im westlichen Ausland anlegen und ausgeben.
  2. Die Sanktionen und auch die sehr wahrscheinlich von Verbündeten Deutschlands (USA(?!?) durchgeführte Sprengung der Nord Stream Pipeline reduzieren die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und anderer EU-Staaten auf dem Weltmarkt. Das stärkt relativ auch die Stellung der russischen Wirtschaft auf den Weltmärkten.  Noch wichtiger dürfte aber sein, dass die Wirtschaftssanktionen und die Sprengung der Pipelines indirekt die militärischen Fähigkeiten der europäischen NATO-Länder reduzieren. Je teurer die Energie in Deutschland und in anderen NATO-Ländern im Vergleich zu Russland ist, und je mehr damit deren Produktivität und Konkurrenzfähigkeit sinkt, desto weniger können sie für ihr Militär ausgeben. Zur Auswirkung von Energiepreissteigerungen auf die Produktivität (und damit auch auf den Wohlstand und auf die Fähigkeit in Militär zu investieren) siehe meinen Artikel   Zum Thema CO2-Bepreisung.
  3. Die Wirtschaftssanktionen und die steigenden Energiepreise können zur gesellschaftlichen Destabilisierung und Verarmung der EU- und NATO-Staaten betragen. Damit wird die NATO  geschwächt, was unter anderem dazu betragen kann, dass der Krieg in der Ukraine zu Gunsten Russlands entschieden wird.
  4. Die westlichen Sanktionen gegen Russland führen über die Deindustrialisierung Deutschlands und anderer EU-Staaten schließlich dazu, dass Unternehmen und Fachkräfte abwandern. Momentan oder zumindest vordergründig profitieren davon vor allem die USA. Wegen verschiedener Probleme der USA könnte aber gerade Russland  zu einem der wichtigsten Auswanderungsziele deutscher Unternehmen und Fachkräfte werden. Russland hat diesbezüglich eine lange Tradition.
  5. Durch die antirussischen Wirtschaftssanktionen und den vom Westen unterstützten Krieg in der Ukraine wurde ganz allgemein den Reichen dieser Welt gezeigt, dass Geldanlagen im Westen unsicher sind und dass anderseits aber auch die Zeit der Überlegenheit der westlichen Militärtechnik und Rüstungsindustrie zu Ende ist. Die Sanktionen und der Krieg dürften der Umsetzung von Putins Vision einer Multipolaren Weltordnung sehr dienlich sein. Gleichzeitig tragen die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland dazu bei, den Dollar und auch den Euro als Handels- und Reservewährung zurückzudrängen. Das könnte für die USA ähnlich wie ein verlorener Krieg wirken und sehr zur Schwächung des Westens beitragen.

Wahrscheinlich sehen gescheite Leute im Kreml in den vom Westen gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktion sogar noch weitere Vorteile.

Erstaunlich ist bei alledem eigentlich nur, dass die hoch bezahlten Politiker und Spitzenbeamten der Bundesrepublik und der EU überhaupt diese Sanktionen gegen Russland initiiert und dann auch noch immer mehr erweitert haben. Man könnte meinen, sie würden heimlich im Dienste Russlands arbeiten.

Jedenfalls sind die antirussischen Sanktionen der deutschen Bundesregierung und der EU nicht mit einer rationalen, an den Interessen Deutschlands und er der anderen EU-Staaten orientierten Politik zu erklären, während sie aber durchaus den Interessen Russlands dienen. Nur warum unterstützt dann die Mehrheit der Politiker und der Wähler in Deutschland diese Sanktionen?

Die Sanktionen gegen Russland werden jedenfalls auf längere Sicht tatsächlich den Krieg in der Ukraine entscheiden und beenden – nur eben eher zu Gunsten Russlands und damit nicht so wie man sich das im Westen gedacht hat.

Das Beispiel der chinesischen Halbleiterindustrie

Auf ein  für den Westen erschreckendes und ernüchterndes Beispiel für die Wirkung von Wirtschaftssanktionen wird von Alex Christoferou in dessen Videokommentar “Oil price cap failure. Huawei chip shocks west. Blinken gifts $1B to Kiev. Russia trolls UK MoD. ” vom Mittwoch den 6.9.2023 hingewiesen. Man hatte gedacht, dass China durch die westlichen Sanktionen bei der Chipproduktion auf dem Stand der 28nm Technologie verharren würde. Der in dem neuen Huawei Mate 60 und Mate 60 Pro Mobiltelefonen verbaute, in China entwickelte und produzierte Chip wird aber in großen Stückzahlen in 7nm Technik gefertigt. China hat damit seinen technologischen Rückstand sehr viel schneller aufgeholt als man im Westen gedacht hat.  Man befürchtet, dass China in der Halbleiterproduktion in ein bis zwei Jahren auch den aktuellen westlichen Stand erreicht. Natürlich können und werden die Chinesen ihren technologischen Fortschritt nicht nur zur Produktion von Chips für Mobiltelefonen, sondern auch für die Produktion von Chips für Waschmaschinen, Werkzeugmaschinen, Industrieanlagen, Autos, Raketen, Panzer, Kampfflugzeugen usw. nutzen.

Eine für China vorteilhafte und für den Westen nachteilige Wirkung der Sanktionen ist dabei auch, dass Entwickler und Hersteller in Zukunft nicht nur wegen der niedrigeren Preise lieber chinesische Chips verbauen werden, sondern auch weil das Beispiel der Sanktionen gegen Russland und China gezeigt hat, dass die zukünftige Produktion und die Ersatzteilversorgung bei der Verwendung westlicher Technologien unsicher ist, weil sie durch Sanktionen unterbrochen werden könnte. Die Sanktionen gegen Russland und China werden daher dafür sorgen, dass westliche Produkte außerhalb des Westens, weltweit wo immer möglich verdrängt werden.

Insgesamt beschleunigen die vom Westen gegen Russland und China verhängten Wirtschaftssanktionen den Untergang des Abendlandes während sie zugleich Putins Vision einer multipolaren Weltordnung unterstützen.

Mich erinnert das alles an den Song “Father and Son” von Cat Stevens:

I was once like you are now, and I know that it’s not easyTo be calm when you’ve found something going onBut take your time, think a lotWhy, think of everything you’ve gotFor you will still be here tomorrow, but your dreams may not
und es erinnert mich auch den dänischen Film über den deutsch-dänischen Krieg und die Schlacht an den Düppelner-Schanzen (Battle of Dybbøl 1864 [EN SUB] ). Gegen Ende des Films wird erklärt, dass die dänische Dänische Regierung nach der von Dänemark verlorenen Schlacht bei den Düppelner Schanzen die militärische Lage verkannt und den in London ausgehandelten Friedensvorschlag zurückgewiesen hat. Als Folge davon überquerten die Preußen dann am 29.6.1864 den Alsensund und es kam zur Schlacht von Alsen, bei der Dänemark ca. 3000 Soldaten verlor.  Die Lage Dänemarks wurde daraufhin derart hoffnungslos, dass Dänemark nun einen sehr viel härteren als den zu vor in London ausgehandelten Frieden akzeptieren musste. Für Dänemark war  das, wie der Film erklärt, eine totale Niederlage und der Abstieg zum Kleinstaat.

Kelberg, den 9.9.2023

Christoph Becker




Die Deindustrialisierung Deutschlands hat begonnen

 Ich habe hier eine am 3. Juli 2023 unter dem Titel The deindustrialization of Germany has begun (dt.: Die Deindstrialsierung Deutschlands hat begonnen) veröffentlichte, gut 19 Minuten dauernde Diskussion von Alex Christoferou und Alexander Mercouris auf The Duran übersetzt und ich habe diese durch einige weiterführende Links und Anmerkungen ergänzt.

Die Diskussion auf The Duran

Titel des Originals:  The deindustrialization of Germany has begun

Links auf das Original:

Alex Christoforou: [00:00:00] Also gut, Alexander, lass uns über die Deindustrialisierung Deutschlands sprechen, ein Begriff, den wir, glaube ich, geprägt haben. Ich glaube, das waren wir.

Alexander Mercouris: [00:00:12] Ja, ich glaube, das haben wir.

Alex Christoforou: [00:00:12] Von Deutschland? [00:00] Ja. Vor über einem Jahr haben wir angefangen, darüber zu reden. Und tatsächlich, jetzt ist es soweit. Es sieht so aus, als ob wir am Anfang vom Ende der einst großartigen [00:00:30] Produktionswirtschaft angekommen sind. Der Grund dafür ist, glaube ich, ein Bericht der Financial Times über die Kapitalflucht, die in Deutschland stattfindet. So gut wie niemand will mehr in Deutschland investieren. Das ist ganz einfach.

Alexander Mercouris: [00:00:49] Auf jeden Fall. Nun, ich kann nur sagen, dass das erstaunlich ist. Das ist eine unglaubliche Situation. Kapitalflucht aus Deutschland. Wann hat es das zuletzt gegeben? Ich meine, Deutschland ist [00:01:00] der Ort, zu dem das Kapital geht. Es ist nicht die Art von Ort, wo das Kapital abwandert. Kapitalflucht aus Deutschland ist ein fast unerhörtes Konzept. Ich meine, soweit ich mich erinnern kann, muss man bis zur Krise der 1920er und 30er Jahre zurückgehen, um so etwas zu erleben. Ich meine, Deutschland war schon immer ein guter Ort für Investitionen. Es war schon immer ein guter Ort, um Geschäfte zu machen. Es mag in mancher Hinsicht sehr reguliert sein, aber die Dinge sind sehr geordnet, sehr strukturiert, sehr gut organisiert. Weißt du, wenn ich mit [00:01:30] Geschäftsleuten spreche. Sie werden dir immer sagen, dass es schon immer eine gute Idee war, ein Unternehmen in Deutschland zu gründen. Nun, das ist jetzt vorbei, wie es scheint. Es scheint auch, dass viele der Leute, die jetzt ihr Geld aus Deutschland abziehen, Deutsche sind, insbesondere Industrielle, die Industriekonzerne in Deutschland. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass die Zukunft der Großindustrie in Deutschland, der großen Fertigungsindustrien in Deutschland, [00:02:00] nicht gut ist. Und es ist nicht schwer zu verstehen, warum. Ich meine, sie haben den Zugang zum Gas verloren, zu billigem russischen Gas. Ihre Aussichten, ihre sehr erfolgreichen Wirtschaftsbeziehungen mit China fortzusetzen, werden nun zunehmend in Frage gestellt. Die deutsche Regierung selbst findet es extrem schwierig, mit den ständig wachsenden finanziellen Anforderungen Schritt zu halten [00:02:30]. Denk daran, dass Deutschland durch seine Verfassung gezwungen ist, nur ein sehr, sehr geringes Defizit zu haben, und dass es sein Haushaltsdefizit relativ schnell wieder in einen Überschuss umwandeln muss. Das schränkt den finanzpolitischen Handlungsspielraum Deutschlands ein. Das Land hat auch nicht viel geldpolitischen Spielraum, denn natürlich wird die deutsche Geldpolitik jetzt von der Europäischen Zentralbank betrieben, [00:03:00] die zwar ihren Sitz in Frankfurt hat, aber die für die Eurozone und nicht nur für Deutschland zuständig ist.

Ich denke, die Lage wird sehr schwierig, und natürlich wird es in Deutschland schwierig. Es wird in der gesamten Eurozone schwierig. Was die Situation in Deutschland jetzt besonders schwierig macht, ist, dass wir auch einen [00:03:30] weltweiten Rückgang der Produktion erleben. Ich meine, die Produktion in Europa schrumpft jetzt. In China sehen wir auch eine Schrumpfung, oder zumindest läuft es auch dort nicht gut. Die Daten zum verarbeitenden Gewerbe in China waren schwach. Die Zahlen aus den Vereinigten Staaten haben viel Verwirrung gestiftet. Es gibt Hinweise darauf, dass die Beschäftigungszahlen in den Vereinigten Staaten falsch sind. Ich denke, dass viele Leute das erwartet haben und glauben, dass es [00:04:00] Anzeichen dafür gibt, dass die Produktionstätigkeit in den Vereinigten Staaten wieder etwas aufflackert. Aber ich habe gesehen, dass Peter Schiff sagt, dass dies nur die Folge der Versuche ist, die Militärproduktion zu erhöhen, um Aufträge für die Ukraine zu erfüllen. Das ist also alles, was offenbar vor sich geht. Ich meine, ich bin mir da nicht sicher, aber in den USA sieht es auch nicht sehr gut aus. Natürlich sehen wir auch, dass trotz der wiederholten Kürzungen der Ölproduktion durch die [00:04:30] OPEC-Plus die Ölpreise nicht steigen können. Ich muss sagen, es sieht für mich immer mehr so aus, als ob wir auf eine sehr, sehr große Rezession zusteuern, eine globale Rezession, in der Tat. Und wenn Deutschland, das mit all diesen speziellen Problemen bereits ein Ausreißer ist, mit einer globalen Rezession konfrontiert wird, die vor allem [00:05:00] das verarbeitende Gewerbe treffen wird, dann wird das natürlich den ganzen Prozess, über den wir gerade gesprochen haben, in Gang setzen. Eine weitere Spirale nach unten.

Alex Christoforou: [00:05:08] Richtig. Du denkst also, dass die Ursache für diese Flucht nicht so sehr mit Russland und der Ukraine zu tun hat, sondern eher mit den globalen Aussichten

Alexander Mercouris: [00:05:21] Nein, ich denke, das hängt alles miteinander zusammen. Ich denke, dass die Ukraine-Krise, [00:05:30] die Russland-Krise und der Sanktionskrieg die Probleme, die nach der Pandemie und nach all den langen Jahren der hohen Liquidität im Geldsystem ohnehin aufgetreten wären, massiv verschärft haben. Und natürlich die massiven Mehrausgaben, die die Regierung Biden in ihrem ersten Jahr getätigt hat. Aber all das [00:06:00] hätte sich in Grenzen halten lassen. Aber natürlich die Auslösung eines globalen Wirtschaftskriegs, der sich übrigens weiter verschärft, ein globaler Wirtschaftskrieg, in dem überall Sanktionen verhängt und Menschen mit Sanktionen an allen möglichen Orten bedroht werden, bringt das Welthandelssystem völlig durcheinander und führt, wie wir in vielen Sendungen besprochen haben, zu einem Zusammenbruch der Dollar-Dominanz. Ich denke, das führt zu [00:06:30] Zukunftszweifeln in der ganzen Welt, weshalb wir einen allgemeinen weltweiten Rückgang der Produktion beobachten, außer paradoxerweise in Russland, das hier einen Ausreißer darstellt. Aber ich denke, dass Deutschland, wenn man so will, an der Spitze dieser Entwicklung steht, denn was Deutschland mit den russischen Sanktionen und der Politik, die es [00:07:00] betrieben hat, und einigen seiner innenpolitischen Maßnahmen wie der Abschaltung seiner Atomkraftwerke und all dem Rest. Ich denke, das hat dieser ganzen Sache eine massive zusätzliche Wendung gegeben, die besonders Deutschland betrifft.

Wie ich schon sagte, besteht die Gefahr, dass man in eine Schleife gerät. Deutschlands Handlungen haben Deutschland also nach unten gezogen. Deutschlands Handlungen in Verbindung mit allen anderen Staaten, den westlichen Staaten, tragen [00:07:30] zu einer weltweiten Rezession bei. Und diese Rezession wird dann auf Deutschland zurückwirken und es noch weiter und schneller nach unten ziehen. Man sieht also, wie so etwas passieren kann. Weißt du, eine Sache kommt zu der anderen. Nebenbei bemerkt ist es immer noch Zeit, den Kurs zu ändern, aber die Zeit läuft schnell ab.

Und ich würde sagen, du hast absolut Recht. Wir haben diesen Satz (mit der Deindustrialisierung) letztes Jahr geprägt, aber ich bin überrascht, wie schnell sich die Ereignisse jetzt [00:08:00] abspielen.

Alex Christoforou: [00:08:01] Ja. Und das Ziel ist nicht, das Problem zu beheben. Es geht sogar in die entgegengesetzte Richtung. Das kann man am 11. Sanktionspaket sehen, das zeigt, dass die EU-Führung völlig außer Kontrolle ist. Zwei Deutsche sind in dieser Führung, Ursula von der Leyen und Olaf Scholz. Wenn man Olaf Scholz als EU-Führer betrachtet – Deutschland ist der EU-Führer.

Alexander Mercouris: [00:08:26] Oh, absolut.

Alex Christoforou: [00:08:27] Wir haben also zwei Deutsche, die nicht nur [00:08:30] ihr Land zerstören, sondern auch die Europäische Union und die Welt in eine globale Rezession treiben, die im Wesentlichen die Welt außerhalb des kollektiven Westens dazu zwingt, die kollektiven westlichen Strukturen zu verlassen .[undeutlich].. BRICs, die SCO und BRICs Bank und all diese Dinge. Ja, das ist eine Katastrophe, aber niemand ist bereit, diese Leute zu entfernen, damit man [00:09:00] die Dinge wieder auf Kurs bringen könnte. Niemand.

Alexander Mercouris: [00:09:02] Nein, niemand tut das. Du hast es perfekt zusammengefasst. Ich meine, du hast eine absolut korrekte Zusammenfassung dessen geliefert, was passiert. Aber in einem politischen System, wie wir es jetzt im Westen haben, in dem Optionen und Alternativen blockiert sind, ist es unglaublich schwierig, den Kurs zu ändern. Und das ist das Problem, das wir sehen. Es gibt Zeit und Raum, in dem das möglich ist. Eine Wende wäre möglich, wenn [00:09:30] wir einen neuen Bundeskanzler in Deutschland hätten, der andere Prioritäten hätte und sofort sagen würde: “Das ist weit genug gegangen, wir müssen zum Telefon greifen und mit den Russen reden, versuchen zu klären, was wir mit Nord Stream machen können, alle Sanktionen beiseite legen, eine vernünftige Verhandlungslösung für die Ukraine aushandeln, nach einer Sicherheitsstruktur suchen, einer neuen Sicherheitsstruktur in Europa. All diese Dinge. Übrigens, früher wäre das alles nicht so [00:10:00] schwierig gewesen. Ich meine, ein Willy Brandt hätte es tun können. Ein Helmut Schmidt hätte es in einer anderen Weise tun können, aber auch ein Konrad Adenauer hätte es tun können. Aber nichts davon passiert jetzt, weil die politischen Systeme, natürlich nicht nur in Deutschland, sondern so ziemlich überall, außer vielleicht in den Vereinigten Staaten, die Art von Debatten [nicht] zulassen, die diese Art von Veränderung [00:10:30] möglich machen. Die einzige Möglichkeit, wie es dazu kommen könnte, wäre, dass das politische System komplett umkippt, zum Beispiel durch einen Sieg der AfD in Deutschland, was etwas wahrscheinlicher wird, obwohl es immer noch sehr unwahrscheinlich ist, dass es in der näheren Zukunft passiert. Eine Frage ist außerdem, ob die AfD im Moment überhaupt in der Lage wäre, in Deutschland eine Regierung zu bilden. [00:11:00] Und natürlich ist da auch noch die Frage von Marine Le Pen. Wenn es nicht zu einem sofortigen Zusammenbruch in Frankreich kommt, dann kann sie frühestens 2027 Präsidentin werden, und das ist noch sehr weit weg. Allerdings gab es in den britischen Medien heute Artikel, die darauf hindeuten, dass es zu einem baldigen Zusammenbruch in Frankreich kommen könnte.

Alex Christoforou: [00:11:22] Ja. Weißt du, eine andere Sache, die wir gesagt haben, als dieser ganze Konflikt begann, war, dass der Zweck [00:11:30] des Konflikts tatsächlich darin besteht, Russland draußen zu halten, die USA drinnen zu halten – das NATO-Mantra, die USA drinnen zu halten und Deutschland zu zerstören.

Ich denke auch, das klar wird, dass ein anderer Teil des Konfliktes darin besteht, dass der kollektive Westen es scheinbar in Ordnung findet dass die Ukraine zerstört wird. Ich denke es wird nun ebenfalls klar, dass das was sie in der der Ukraine jetzt sehen, nicht gewinnbar ist. Daher ist der Wechsel der Politik nun dahingehend, dass wir was auch immer die Russen von der Ukraine wegnehmen, nennen wir es Neurussland, besser zerstören und dass wir nicht versuchen, es zu erhalten oder dass wir versuchen, diese Sache zu gewinnen.

Also, ich meine, sie zerstören definitiv Deutschland. Sie zerstören die Ukraine. Sie [00:12:30] halten die USA in Europa, was nicht gut für die Amerikaner ist. Es klingt, als wäre das eine gute Sache, wenn die Amerikaner sagen: Ja, wir haben jetzt Europa. Großartig. Nein, nein. Das Letzte, was man sich wünscht, ist eine dysfunktionale Europäische Union. Ich meine, das ist keine gute Sache für die Vereinigten Staaten von Amerika. Aber das ist es, was sie jetzt bekommen. Sie besitzen Europa. Ihnen gehört, was von der Ukraine übrig ist. Und die 150 oder 300 Milliarden, [00:13:00] welche Zahl man auch immer nehmen will, von allem, was sie in die Ukraine gesteckt haben – eine Katastrophe.

Alexander Mercouris: [00:13:05] Nun, auf jeden Fall. Ich meine, ein zerrüttetes Europa ist absolut nichts, was die Vereinigten Staaten wollen sollten. Ich meine, das wäre sogar eine komplette Umkehrung der US-Politik. Es gab einmal eine Zeit, in der die USA von ganz anderen Leuten geführt wurden, von Leuten wie George Marshall, Dwight Eisenhower, John Kennedy, die daran glaubten, Europa aufzubauen und nicht zu zerstören. Und, weißt du, das [00:13:30] schuf eine große Periode des Wohlstands und der Prosperität, die den Wohlstand in den Vereinigten Staaten erhöhte. Ein zerrüttetes Europa wird für die Vereinigten Staaten eine Last und keine Stütze sein. Es wird sie nach unten ziehen. Und natürlich, wenn es politisch immer instabiler wird, was es mit der Zeit zwangsläufig wird, dann käme zu den wirtschaftlichen Problemen noch eine Reihe weiterer hinzu. Das ist also eine völlig falsch verstandene, fehlgeleitete [00:14:00] Politik. Aber ich stimme dem zu, was du sagst. Und ich stimme zu, dass dies so funktioniert, wie es sich vielleicht einige Leute erhofft haben, auch wenn sie Amerika ein vergiftetes Geschenk machen. Aber ich möchte auch sagen, dass ich froh bin, dass du die Ukraine angesprochen hast. Ich bin sicher, du hast diese Umfrage dieses Instituts in Kiew gesehen. Es ist wichtig zu betonen, dass dies eine ukrainische Umfrage ist. Man hat in der ganzen Ukraine [00:14:30] eine Umfrage durchgeführt. Ob die Leute jemanden kennen, der im Laufe des Konflikts getötet oder verwundet wurde. Die Zahlen sind erschreckend. Sie sind von etwa 9 % der Befragten im Herbst auf, ich glaube, 78 % angestiegen. Ich meine, es sieht wirklich so aus, als ob die Ukraine dabei ist, völlig zerstört zu werden. Dabei sollte dieser ganze Konflikt [00:15:00] eigentlich dazu dienen, die Ukraine zu erhalten. Er bewirkt genau das Gegenteil.

Alex Christoforou: [00:15:07] Das ist es nicht. Wir wissen es. Nun, wir haben es von Anfang an gesagt. Ja, ich weiß. Das ist es, was sie den Leuten verkauft haben. Weißt du, Tucker Carlson hat neulich seinen Monolog auf Twitter gehalten und das Gleiche gesagt. Sie haben dem amerikanischen Volk verkauft, dass es bei diesem ganzen Konflikt um die ukrainische Demokratie und die Bewahrung der ukrainischen Demokratie und all diese Dinge geht, und dann hat er festgestellt, dass Selenskyj die Wahlen abgesagt hat. [00:15:30] Offensichtlich geht es also nicht um Demokratie, aber es ging immer um einen Regimewechsel in Russland. Das haben wir letztes Wochenende mit der ganzen Prigoschin-Sache gesehen. Wir werden das nicht noch einmal thematisieren. Aber wie begeistert waren sie von der Aussicht auf eine Art Regimewechsel, denn darum ging es bei dieser ganzen Sache. Regimewechsel in Russland und dann Plünderung und Ausbeutung aller russischen Ressourcen. Und dann, wenn sie mit der Plünderung und Ausbeutung aller russischen Ressourcen fertig sind, [00:16:00] zerlegen sie Russland in 100 verschiedene Mikrostaaten, genau wie sie es mit dem Balkan gemacht haben. Ja, sie nehmen den Plan, den sie auf dem Balkan aufgestellt haben und übertragen ihn auf Russland. Dabei ist er auf ganzer Linie gescheitert. Sie sollten diese Sache in Ordnung bringen. Es ist ganz einfach. Du und ich, wir könnten Europa in Ordnung bringen. Ganz einfach. Stoppt das Geld für die Ukraine, stoppt die Waffen [00:16:30] für die Ukraine, zwingt Selenskyj, zwingt ihn. Innerhalb von 24 Stunden wird er gezwungen sein, Putin anzurufen und zu sagen: Putin, bitte, bitte lass mich nach Moskau kommen und mich mit dir treffen. Das ist das eine, was man tun muss. Und dann entlässt man van der Leyen, man entlässt Scholz, man entlässt die Grünen, man entledigt sich all dieser Leute. Das ist alles, was man tun muss. Von der Leyen und die Scholz-Grüne-Regierung müssen weg, und die Dinge werden anfangen, sich in die richtige Richtung zu bewegen.

Alexander Mercouris: [00:17:00] Absolut.

Alex Christoforou: [00:17:01] Ich übertreibe ein bisschen, aber.

Alexander Mercouris: [00:17:04] Nein, das tust du nicht.

Alex Christoforou: [00:17:04] Du verstehst was ich meine.

Alexander Mercouris: [00:17:05] Du übertreibst überhaupt nicht. Ich kann nur sagen, wenn man all diese Dinge tut und wie du gesagt hast, bleibt das im Bereich des politisch Möglichen oder dessen, was früher einmal politisch möglich war. Ich meine, weißt du, wenn wir einen JFK (John F. Kennedy) im Weißen Haus hätten, wäre es machbar. Ich meine, es wäre absolut machbar.

Alex Christoforou: [00:17:25] Wir haben einen RFK Jr. (Robert F. Kennedy Jr.).

Alexander Mercouris: [00:17:26] Nun, vielleicht. Wir werden sehen, vielleicht. Aber wenn [00:17:30] man so jemanden hätte und ein politisches System, das ihn unterstützt, wie wir es einst hatten, dann wäre so etwas möglich. Ich meine, man erinnere sich: Richard Nixon ist nach Peking gereist. Ich meine, das war eine mindestens ebenso große politische Kehrtwende wie die, von der du sprichst. Aber ich möchte noch etwas anderes sagen. Wenn wir all diese Dinge tun würden, all die Dinge, die du gesagt hast. Dann würde sich die Weltwirtschaft sofort wieder erholen. Wir würden sehen, dass aus dem derzeitigen Abwärtssog [00:18:00] eine Welle des Vertrauens entstehen würde. Die Menschen würden anfangen, Geld auszugeben, zu investieren und Unternehmen zu gründen. Und wenn man versuchen würde, den Geldüberhang zu beseitigen, der durch das Jahrzehnt von QE (Quantitative Easing) und die überhöhten Staatsausgaben entstanden ist, die wir ebenfalls gesehen haben. Es gibt viele Möglichkeiten, dieses Geld aufzusammeln. Es ist nicht so herausfordernd oder [00:18:30] so schwierig, wie die Leute denken. Die gesamte Weltwirtschaft könnte unglaublich schnell ihre Richtung ändern, so wie es nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 1980er Jahren der Fall war. 

Alex Christoforou: [00:18:40] Ja, ich stimme zu. Ich stimme zu. Die Dinge würden sich sehr, sehr schnell ändern. Aber wir bewegen uns in die komplett entgegengesetzte Richtung. 

Alexander Mercouris: [00:18:49] Ganz genau. Wir verstärken die Positionen, die die Dinge noch schlimmer machen. 

Alex Christoforou: [00:18:56] Ja. Also gut. Wir werden es an dieser Stelle beenden.

Der Umfang der Kapitalflucht

125 Milliarden Euro entsprechen 125.000 Millionen. Das ist so als hätten 125.000 Bürger reiche Bürger jeweils eine ganze Million Euro ins Ausland transferiert um das Geld dort zu investieren.

Deutschsprachige  Artikel zur Kapitalfluchtmeldung

  1. https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/kapitalflucht-aus-deutschland-investoren-verlassen-das-land-und-wetten-auf-die-naechste-euro-krise-li.363821
  2. https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/703788/Institut-der-deutschen-Wirtschaft-Investoren-fluechten-aus-Deutschland
  3. https://www.telepolis.de/features/Kapitalabfluss-auf-Rekordniveau-Standort-Deutschland-wird-unattraktiv-9204852.html

Das zu wenig beachtete Energieproblem

In einem Punkt kann ich Alexander Mercourius und Alex Christoferou nicht zu zustimmen:

Einen großen Aufschwung kann es meines Erachtens nicht mehr geben, weil die Kosten für die Produktionskosten für die fossilen Energieträger aus Sicht der westlichen Staaten inzwischen zu hoch sind. Energie ist nicht irgend ein Rohstoff, sondern es ist das wichtigste Betriebsmittel menschlicher Gesellschaften. Fossile Energie ist dabei nach wie vor die mit sehr weitem Abstand beste und wichtigste Energiequellen. Man kann die fossile Energie in der Praxis nicht ersetzen. Die “erneuerbaren Energien” sind letztlich nur Spielereien, die man sich überhaupt nur leisten kann, weil und solange man genug billige fossile Energie hat. Ausnahme sind die Techniken und Methoden, mit denen man Wind, Sonne und Wasserkraft vor Beginn des Industriezeitalters genutzt hat: Die klappernde Mühle am rauschenden Bach, die hölzernen Windmühlen, die man früher in den Niederlanden, in Flandern und in Norddeutschland verwendet hat sowie Segelschiffe.

Alle modernen Formen der Nutzung “erneuerbarer Energien” erfordern dagegen große Mengen ausreichend billiger fossiler Energie. Dazu einige Beispiele: Die Bergwerke und Tagebaue für die Erzgewinnung (siehe z.B. Monster Truck: größter Muldenkipper der Welt – Welt der Wunder https://youtu.be/MB6DeGV7TWo)

Es geht über die Straßenbaumaschinen, Schwertransporter und Kräne und andere fast immer mit Diesel getriebene Fahrzeuge für die Montage, Instandhaltung, Reparatur und Demontage von Windkraftanlagen.  Andere Beispiele sind Zementfabriken und Stahlfabriken, ohne deren Produkte man weder moderne Wasserkraftanalgen noch noch moderne Windkraftanlagen bauen kann.

Ich denke dabei z.B. an eine Schautafel an der Olef-Talsperre in der Eifel (https://de.wikipedia.org/wiki/Oleftalsperre ), die 1954 – 1959 gebaut wurde und die dann 1962–1965 und 1982–1986 aufwendig verstärkt bzw. repariert werden mußte. Oder ich denke an den Bauern, den ich hier in der Eifel dabei beobachtet habe, wie er mit einem mit Diesel angetriebenen Traktor mit Anhänger zu einem in einem Getreidefeld stehenden Windkraftwerk fuhr, um dort dann die zu dem Windkraftwerk gehörtende Grasfläche mit einem Benzin getriebenen Aufsitzrasenmäher zu mähen.

Ein anderer grüner Wahnsinn sind die die so gut wie immer leeren, über 10 Tonnen schweren, dieselgetriebenen Omnibusse, die hier in der Eifel nun seit einigen Jahren an 7 Tagen in der Woche alle 2 Stunden fahren und völlig unnötig die Luft verpesten und kostbares fossile Energie verschwenden, weil irgend welche völlig praxisfernen rot-grünen Verkehrsplaner das für eine gute Idee halten.

Der Ukrainekrieg ist natürlich das Sahnehäubchen rot-grün-westlicher Umwelt-, Energie, Menschlichkeit und Friedenspolitik.

Einen sehr guter Kommentar von Douglas MacGregor (Politikwissenschaftler, Oberst a.D. der US-Army, spricht Deutsch und war lange in Deutschland, war von US-Präsident Donald Trump als amerikansicher Botschafter in Deutschland vorgesehen) zum Sinn und Ziel des Ukrainekrieges, den ich heute auf de.rt.com gefunden habe: Worum es im Ukraine-Krieg wirklich geht: BlackRock-Eliten und Petrodollar stehen vor dem Aus.

Ziel des Ukrainekrieges, war also, genauso wie bei Hitlers Angriff auf die UdSSR, letztlich der Zugriff auf die russischen Rohstoffe (siehe meine Übersetzung Blut für Öl) . Wie neulich auf dem Telegramkanal von Alina Lipp zu erfahren war, waren die Vorkommen fossiler Energie im Donbas-Gebiet auch der Grund dafür, warum die Ukraine und der Westen Zugriff auf diese Gebiete behalten bzw. haben wollten:

  1. https://t.me/neuesausrussland/15024
  2. https://t.me/neuesausrussland/15026
  3. https://t.me/neuesausrussland/15028

Es ist schon megakrass und unerträglich, dass eine von den deutschen Grünen gestellte Aussenministerin sich vor diesen Hintergründen dafür einsetzt, die offenbar gegen die Interessen der Bevölkerung und Umwelt in der Ukraine agierende Regierung mit deutschen Geschützen, Panzern, Munition und massiver Finanz- und Militärhilfe zu versorgen, anstatt im Sinne des deutschen Grundgesetzes und im Sinne der Tradition bismarckscher Aussenpolitik, die Interessen aller Seiten zu erkunden und so weit wie irgendmöglich zu beachten, um so auch optimal die Interessen Deutschlands zu vetreten.

Damit bin ich etwas vom Thema abgekommen. Das Zentrale Problem ist nämlich die zunehmende Erschöpfung der fossilen Energiequellen kombiniert mit der Unmöglichkeit diese zu ersetzen.

Dazu habe ich auf hier auf freizahn.de in der Vergangenheit eine eine ganze Menge zusammengetragen. Hier einige Beispiele, zusätzlich zu dem oben schon verlinkten Blut für Öl:

  • Erschöpfung: Das Schicksal des Ölzeitalters. Hier geht es im Wesentlichen darum, dass der Energieaufwand für die Produktion von Öl immer weiter steigt. Man kann Anhand der historischen Entwicklung des Ölpreises, kombiniert mit dem Energieinhalt von einem Fass Erdöl zeigen, dass die Ölförderung irgendwann zwischen 2025 und 2032 im globalen Mittel unrentabel wird. Man wird von da im Durchschnitt mehr Energie für die Ölförderung aufwenden müssen als mit der Förderung gewonnen wird. Die Ölförderung ist dann im globalen Mittel keine Energiequelle mehr. Einzelne Ölfelder werden natürlich auch danach noch wirtschaftlich nutzbar sein, aber dennoch wird die geopolitische und wirtschaftliche Auswirkung wahrscheinlich ziemlich  gravierend sein.
  • Der aufziehende Sturm am Ölhimmel. In der dort zitierten Studie wird gezeigt, dass die Entwicklung der Ölförderung in Russland und in anderen Staaten der ehemaligen Sowjetuntion und die Entwicklung von deren Eigenverbrauch in den nächsten Jahren dazu führen werden, dass diese Länder kein Öl mehr haben werden, das sie in die EU exportieren können.
  • Zum Thema CO2-Bepreisung. Unter anderem wird dort an einem praktischen Beispiel gezeigt, wie sehr die Rentabilität leistungsstarker moderner Maschinen und Produktionsprozesse von der Entwicklung des Energiepreises abhängt.

Vor dem Hintergrund der absehbaren Entwicklung am Energiemarkt glaube ich nicht, dass es noch einmal einen Wirtschaftsaufschwung wie nach 1945 geben kann.

Man könnte allerdings die Höhe der Verluste und die Geschwindigkeit des Absturzes Deutschlands und der deutschen Wirtschaft ganz erheblich reduzieren, wenn man den Krieg in der Ukraine beenden, mit Russland so gut es noch geht verhandeln und eine kluge Realpolitik betreiben würde.

Das Problem mit der Pandemie

Was Alexander Mercouris und Alex Christoferou auch nicht beachten, sind die Folgen des Umgangs mit der Coronapandemie:

Dank der Massenimpfungen ist die Pandemie noch NICHT beendet. Vielmehr ist es nach Dr. Geert Vanden Bossches sehr gut begründeter, finsterer Prognose weiterhin sehr wahrscheinlich, dass es zu verheerenden, die Staaten mit hohen Impfquoten wirtschaftlich und gesellschaftlich in die Knie zwingenden Mutationen kommen wird. Siehe dazu z.B. auch Warum die Pandemie nicht vorbei ist und Corona Orkanwarnung Teil 4. Man bedenke, dass unter anderem nicht nur fast alle Ärzte und Mitarbeiter im Gesundheitswesen, sondern auch die Streitkräfte der NATO fast vollständig geimpft sind.

Auch war und ist diese Massenimpfung und der Umgang mit der Pandemie dem Vertrauen in die staatlichen und wissenschaftlichen Institutionen der westlichen Gesellschaften nicht gerade förderlich.

Man stelle sich einmal vor, dass Dr. Vanden Bossche Recht behält UND dass es in der russischen Fühung genug gescheite und verantwortungsbewußte Leute gibt, die das Problem und die Gefahr verstanden haben und die stillschweigend die sehr wohl möglichen Gegenmaßnahmen zum Schutz der eigenen Bevölkerung und der eigenen Streitkräfte vorbereitet haben.

Vielleicht ist das auch einer der  Gründe, warum das russische Militär nach Möglichkeit defensiv agiert. Die Führung im Kreml kennt und versteht mit Sicherheit die Energieprobleme Europas und der USA und sie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Bezug auf die Folgen der Massenimpfungen gegen Covid informiert.

Wenn das Kapital flieht, fliehen auch Fachkräfte

Der Vater meiner Mutter hatte aus den Weltkriegen und den Inflationen, die er erlebt hatte den Schluß gezogen, dass das sicherste und beste Kapital nicht Geld, Gold oder Land ist, sondern das was man im Kopf hat, bzw. das was gelernt hat und kann.

John Michael Greer hatte in einem Interview gemeint, wenn die apokalyptischen Reiter kämen, dann solle man ihnen Bier anbieten (können).

Nun wird in den deutschen Artikeln über die Kapitalflucht angegeben, dass einer der Gründe der Fachkräftemangel in Deutschland sei. Das stimmt sicher mit Blick auf den Mangel an echten Fachkräften in der Bundesregierung und in anderen Institutionen.

Aber wenn die Milliardäre und Millionäre ihr Kapital ins Ausland bringen, weil sie in Deutschland keine Zukunft mehr sehen, dann werden auch viele der wirklichen Fachkräfte Deutschlands gehen, zumal diese ihr wichtigstes Kapital sehr einfach mitnehmen können, da sie es als Wissen und Können in ihrem Kopf haben.

Zugleich werden von den wirklichen Fachkräften im Ausland, die für Deutschland tatsächlich eine Bereicherung wären, kaum noch welche nach Deutschland kommen wollen.

Die Konvention von Tauroggen

Mit Blick auf die Entwicklung im Energiesektor glaube ich nicht, dass man den Absturz und die Deindustrialisierung Deutschlands verhindern kann.

Ich bin mir aber sehr, sehr sicher, dass man das  Ausmaß und die Geschwindigkeit des Niedergangs stark reduzieren könnten,  wenn sich wider Erwarten im Bundestag eine vernünftige, an echter Realpolitik und an Frieden und Guten Beziehungen zu Russland interessierte Mehrheit finden würde.

Ich möchte dazu an die Konvention von Tauroggen erinnern, mit der Preussen am 31.12.1812, nach der Niederlage von Napoleons Großer Armee in Russland, faktisch die Seite gewechselt hat. Einige Links zur Konvention von Tauroggen:

Meine Schlußfolgerung

Die massive Kapitalflucht von sage und schreibe ca. 125.000 Millionen in nur einem einzigen Jahr, zeigt dass es auch unter den Reichen und Superreichen in Deutschland viele gibt, die in Deutschland keine Zukunft mehr sehen und die kein Vertrauen in die  Politik der derzeitigen der Bundesregierung haben.

Die Zukunft sieht wegen der absehbaren Entwicklung am Energiemarkt und wegen der absehbaren Niederlage der Ukraine und des Westens im Krieg gegen Russland ziemlich schlecht aus.

Deutschland kann und sollte sich in dieser Situation keinen Krieg gegen Russland leisten, sondern zu einer rationalen Aussen- und Sicherheitspolitik zurückkehren.

Bei Beginn des durch die Nutzung der fossilen Energie möglich gewordenen Industriezeitalters hat Deutschland durch die Konvention von Tauroggen und durch die daraus folgenden Freiheitskriege gegen die damalige westliche Vormacht seine Situation verbessert.

Jetzt, gegen Ende des Industriezeitalters ist Deutschland wieder auf Seiten der aktuellen westlichen Vormacht in einem Krieg gegen Russland verwickelt, den Russland genauso wie den von 1812 gewinnen wird.  Vor diesem Hintergrund und der oben übersetzten Diskussion von Alexander Mercouris und Alex Christoforou könnte es hilfreich sein, sich mit dem Geist der Konvention von Tauroggen zu beschäftigen und in diesem Sinne einen Frieden und gute Beziehungen mit Russland anzustreben.

Kapitalflucht aus Deutschland und die Deindustrialisierung Deutschlands könnte man damit zumindest stark bremsen.

Kelberg, den 7. Juli 2023

Christoph Becker

Nachträge




Michael Hudson: Auswege

Ich habe hier den Artikel “Der Euro ohne die deutsche Industrie” von Prof. Michael Hudson, sowie das sich darauf beziehende Interview mit dem Titel “Den westlichen Rentiers (Kapitalrentnern) entkommen” von Pepe Escobar mit Prof. Hudson übersetzt.

Der Euro ohne die deutsche Industrie

Von Michael Hudson, Dienstag, 4. Oktober 2022

Links auf das englische Original: https://michael-hudson.com/2022/10/the-euro-without-german-industry/  und https://www.nakedcapitalism.com/2022/09/michael-hudson-on-the-euro-without-germany.html

Die Reaktion auf die Sabotage von drei der vier Nord Stream 1- und 2-Pipelines an vier Orten am Montag, den 26. September, konzentrierte sich auf Spekulationen über die Täter und die Frage, ob die NATO einen ernsthaften Versuch unternehmen wird, die Antwort zu finden. Doch statt Panik gab es einen großen Seufzer der diplomatischen Erleichterung, ja sogar Ruhe. Die Abschaltung dieser Pipelines beendet die Ungewissheit und die Sorgen der US/NATO-Diplomaten, die in der vergangenen Woche fast ein krisenhaftes Ausmaß erreichten, als in Deutschland große Demonstrationen stattfanden, bei denen die Beendigung der Sanktionen und die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zur Behebung der Energieknappheit gefordert wurden. 

Die deutsche Öffentlichkeit begann zu begreifen, was es bedeutet, wenn ihre Stahl-, Düngemittel-, Glas- und Toilettenpapierunternehmen geschlossen werden. Diese Unternehmen prognostizierten, dass sie ihr Geschäft ganz aufgeben – oder in die Vereinigten Staaten verlagern – müssen, wenn Deutschland die Handels- und Währungssanktionen gegen Russland nicht aufgibt und die Wiederaufnahme der russischen Gas- und Öleinfuhren zulässt, so dass vermutlich der astronomischen Preisanstieg um das Acht- bis Zehnfache rückgängig gemacht wird.

Allerdings hatte Victoria Nuland vom Außenministerium bereits im Januar erklärt, dass Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen wird”, wenn Russland auf die zunehmenden ukrainischen Angriffe auf die russischsprachigen östlichen Oblaste reagiert. Präsident Biden bekräftigte am 7. Februar das Beharren der USA und versprach, dass es “Nord Stream 2 nicht mehr geben wird. Wir werden dem ein Ende setzen. … Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sein werden, das zu tun.”

Die meisten Beobachter nahmen einfach an, dass diese Äußerungen die offensichtliche Tatsache widerspiegelten, dass deutsche Politiker voll und ganz in der Tasche der USA/NATO steckten. Die deutschen Politiker weigerten sich beharrlich, Nord Stream 2 zu genehmigen, und Kanada beschlagnahmte bald die Siemens-Turbinen, die für den Gastransport durch Nord Stream 1 benötigt werden. Damit schien die Sache erledigt zu sein, bis die deutsche Industrie – und eine wachsende Zahl von Wählern – schließlich zu berechnen begann, was eine Sperrung des russischen Gases für die deutschen Industrieunternehmen und damit für die Beschäftigung im Inland bedeuten würde.

Die Bereitschaft Deutschlands, sich selbst eine wirtschaftliche Depression zu verordnen, schwankte – allerdings nicht bei seinen Politikern oder der EU-Bürokratie. Wenn die politischen Entscheidungsträger die Interessen der deutschen Wirtschaft und den Lebensstandard an die erste Stelle setzen würden, dann würden die gemeinsamen Sanktionen der NATO und die Front des Neuen Kalten Krieges durchbrochen werden. Italien und Frankreich könnten folgen. Diese Aussicht machte es dringend erforderlich, die antirussischen Sanktionen aus den Händen der demokratischen Politik zu nehmen.

Obwohl es sich um einen Gewaltakt handelt, hat die Sabotage der Pipelines die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der NATO wieder beruhigt. Es gibt keine Ungewissheit mehr darüber, ob sich Europa von der US-Diplomatie lösen kann, indem es den gegenseitigen Handel und die Investitionen mit Russland wieder aufnimmt. Die Gefahr, dass sich Europa von den Handels- und Finanzsanktionen der USA und der NATO gegen Russland löst, scheint auf absehbare Zeit gebannt zu sein. Russland hat bekannt gegeben, dass der Gasdruck in drei der vier Pipelines sinkt und dass das Eindringen von Salzwasser die Rohre irreversibel korrodieren wird. (Tagesspiegel, September 28.)

Wohin gehen der Euro und der Dollar von hier aus?

Wenn man sich ansieht, wie dies die Beziehung zwischen dem US-Dollar und dem Euro verändern wird, kann man verstehen, warum die scheinbar offensichtlichen Folgen eines Abbruchs der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland, Italien und anderen europäischen Volkswirtschaften und Russland nicht offen diskutiert wurden. Die Lösung ist ein deutscher und sogar europaweiter Zusammenbruch der Wirtschaft. Das nächste Jahrzehnt wird eine Katastrophe sein. Es mag Vorwürfe über den Preis geben, der dafür gezahlt wurde, dass die europäische Handelsdiplomatie von der NATO diktiert wurde, aber Europa kann nichts dagegen tun. Niemand erwartet (noch), dass es der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit beitreten wird. Was erwartet wird, ist, dass ihr Lebensstandard sinkt.

Die Exporte der deutschen Industrie und die Anziehung ausländischer Investitionen waren wichtige Faktoren, die den Wechselkurs des Euro stützten. Für Deutschland bestand der große Reiz des Übergangs von der D-Mark zum Euro darin, zu vermeiden, dass sein Exportüberschuss den Wechselkurs der D-Mark in die Höhe treibt und deutsche Produkte auf den Weltmärkten auspreist. Die Erweiterung der Eurozone um Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und andere Länder mit Zahlungsbilanzdefiziten verhinderte einen Höhenflug des Euro. Das schützte die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

Nach seiner Einführung im Jahr 1999 zu einem Kurs von 1,12 USD sank der Euro bis Juli 2001 auf 0,85 USD, erholte sich jedoch und stieg im April 2008 sogar auf 1,58 USD. Seitdem ist der Kurs stetig gesunken, und seit Februar dieses Jahres haben die Sanktionen den Euro-Kurs unter die Parität zum Dollar gedrückt, bis auf 0,97 Dollar in dieser Woche.

Das größte Defizitproblem sind die steigenden Preise für importiertes Gas und Öl sowie für Produkte wie Aluminium und Düngemittel, deren Herstellung einen hohen Energieeinsatz erfordert. Und da der Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar sinkt, steigen die Kosten für das Tragen der europäischen US-Dollar-Schulden – die normale Bedingung für Tochtergesellschaften multinationaler US-Unternehmen – und drücken die Gewinne.

Dies ist nicht die Art von Depression, bei der “automatische Stabilisatoren” wirken können, um das wirtschaftliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Energieabhängigkeit ist strukturell bedingt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Wirtschaftsregeln der Eurozone das Haushaltsdefizit auf nur 3 % des BIP begrenzen. Dies verhindert, dass die nationalen Regierungen die Wirtschaft durch Defizitausgaben stützen. Höhere Energie- und Lebensmittelpreise – und der Schuldendienst in Dollar – werden dazu führen, dass viel weniger Einkommen für Waren und Dienstleistungen zur Verfügung steht.

Pepe Escobar wies am 28. September darauf hin, dass “Deutschland vertraglich verpflichtet ist, bis 2030 mindestens 40 Milliarden Kubikmeter russisches Gas pro Jahr zu beziehen. … Gazprom hat einen gesetzlichen Anspruch darauf, auch ohne Gaslieferungen bezahlt zu werden. … Berlin bekommt nicht das ganze Gas, das es braucht, muss aber trotzdem zahlen.” Es ist mit einem langen Rechtsstreit zu rechnen, bevor das Geld den Besitzer wechselt. Und Deutschlands endgültige Zahlungsfähigkeit wird kontinuierlich schwächer werden.

Es mutet seltsam an, dass der US-Aktienmarkt am Mittwoch einen Anstieg von über 500 Punkten beim Dow Jones Industrial Average verzeichnete. Vielleicht hat das Plunge Protection Team eingegriffen, um zu versuchen, die Welt zu beruhigen und zu versichern, dass alles in Ordnung sein wird. Der Aktienmarkt gab diese Gewinne am Donnerstag jedoch größtenteils wieder ab, da die Realität nicht mehr beiseite geschoben werden konnte.Der Wettbewerb der deutschen Industrie mit den Vereinigten Staaten endet, was der US-Handelsbilanz zugute kommt.
Aber auf dem Kapitalkonto wird die Abwertung des Euro den Wert der US-Investitionen in Europa und den Dollarwert der Gewinne, die sie noch erzielen können, verringern, wenn die europäische Wirtschaft schrumpft. Die von den multinationalen US-Unternehmen gemeldeten weltweiten Gewinne werden sinken.

Die Auswirkungen der US-Sanktionen und der Neue Kalte Krieg außerhalb Europas

Die Fähigkeit vieler Länder, ihre Auslands- und Inlandsschulden zu begleichen, war bereits am Ende, bevor die antirussischen Sanktionen die weltweiten Energie- und Lebensmittelpreise in die Höhe trieben. Die sanktionsbedingten Preiserhöhungen wurden durch den steigenden Dollarkurs gegenüber fast allen Währungen verstärkt (ironischerweise mit Ausnahme des Rubels, dessen Kurs in die Höhe geschnellt ist, anstatt zu kollabieren, wie es die US-Strategen vergeblich zu erreichen versuchten). Die internationalen Rohstoffpreise werden nach wie vor hauptsächlich in Dollar angegeben, so dass die Aufwertung des Dollars die Importpreise für die meisten Länder weiter erhöht.

Der steigende Dollar erhöht auch die Kosten für die Bedienung von Auslandsschulden in Dollar in der Landeswährung. Viele Länder Europas und des Globalen Südens sind bereits an der Grenze ihrer Fähigkeit angelangt, ihre auf Dollar lautenden Schulden zu bedienen, und haben immer noch mit den Auswirkungen der Covid-Pandemie zu kämpfen. Jetzt, da die Sanktionen der USA und der NATO die Weltmarktpreise für Gas, Öl und Getreide in die Höhe getrieben haben und die Aufwertung des Dollars die Kosten für die Bedienung der auf Dollar lautenden Schulden in die Höhe treibt, können es sich diese Länder nicht leisten, die Energie und die Lebensmittel zu importieren, die sie zum Leben brauchen, wenn sie ihre Auslandsschulden bezahlen müssen. Irgendetwas muss geschehen.

Am Dienstag, den 27. September, vergoss US-Außenminister Antony Blinken Krokodilstränen und erklärte, ein Angriff auf russische Pipelines sei “in niemandes Interesse”. Aber wenn das wirklich der Fall wäre, hätte niemand die Gasleitungen angegriffen. Was Herr Blinken wirklich sagen wollte, war: “Fragen Sie nicht Cui bono.” Ich erwarte nicht, dass die Ermittler der NATO über die Beschuldigung der üblichen Verdächtigen hinausgehen, die von den US-Beamten automatisch verantwortlich gemacht werden. Die US-Strategen müssen einen Plan haben, wie sie weiter vorgehen wollen.

 Sie werden versuchen, eine neoliberalisierte Weltwirtschaft so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Sie werden die übliche Masche für Länder anwenden, die ihre Auslandsschulden nicht bezahlen können: Der IWF wird ihnen das Geld leihen, um zu zahlen – unter der Bedingung, dass sie die Devisen für die Rückzahlung aufbringen, indem sie privatisieren, was von ihrem öffentlichen Eigentum, ihren natürlichen Ressourcen und anderen Vermögenswerten übrig ist, und sie an US-Finanzinvestoren und ihre Verbündeten verkaufen. Wird das funktionieren?

 Oder werden sich die Schuldnerländer zusammentun und Wege finden, um die Welt mit erschwinglichen Öl- und Gaspreisen, Düngemittelpreisen, Getreide- und anderen Lebensmittelpreisen, Metallen und Rohstoffen, die von Russland, China und ihren verbündeten eurasischen Nachbarn geliefert werden, wiederherzustellen, und zwar ohne US-amerikanische “Auflagen”, wie jene die den europäischen Wohlstand beendet haben?

Eine Alternative zu der von den USA entworfenen neoliberalen Ordnung ist die große Sorge der US-Strategen. Sie können das Problem nicht so einfach lösen wie die Sabotage von Nord Stream 1 und 2. Ihre Lösung wird wahrscheinlich der übliche US-Ansatz sein: militärische Intervention und neue farbige Revolutionen in der Hoffnung, die gleiche Macht über den Globalen Süden und Eurasien zu erlangen, die Amerikas Diplomatie über die NATO über Deutschland und andere europäische Länder ausgeübt hat.

Die Tatsache, dass die Erwartungen der USA an die Wirkung der antirussischen Sanktionen gegen Russland genau das Gegenteil von dem war, was tatsächlich eingetreten ist, lässt für die Zukunft der Welt hoffen. Die Ablehnung und sogar Verachtung von US-Diplomaten gegenüber anderen Ländern, die in ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse handeln, hält es für Zeitverschwendung (und sogar für unpatriotisch), darüber nachzudenken, wie andere Länder ihre eigene Alternative zu den US-Plänen entwickeln könnten. Die Annahme, die diesem Tunnelblick der USA zugrunde liegt, ist, dass es keine Alternative gibt – und dass, wenn sie nicht über eine solche Perspektive nachdenken, sie undenkbar bleiben wird.

Wenn jedoch andere Länder nicht zusammenarbeiten, um eine Alternative zum IWF, zur Weltbank, zum Internationalen Gerichtshof, zur Welthandelsorganisation und zu den zahlreichen UN-Organisationen zu schaffen, die jetzt von US-Diplomaten und ihren Bevollmächtigten auf die USA/NATO ausgerichtet sind, wird sich die wirtschaftliche Strategie der finanziellen und militärischen Dominanz der USA in den kommenden Jahrzehnten so entfalten, wie es Washington geplant hat. Die Frage ist, ob diese Länder eine alternative neue Wirtschaftsordnung entwickeln können, um sich vor einem Schicksal zu schützen, wie es sich Europa in diesem Jahr für das nächste Jahrzehnt auferlegt hat.

Interview von Pepe Escobar mit Michale Hudson

Links auf das Original:

Die zwei Titel des Originals

Übersetzung des Titels auf der Webseite von Michael Hudson:

Dem westlichen Rentner/Pensionär entkommen

Übersetzung des Titels auf The Cradle:

Michael Hudson: Ein Fahrplan, um dem Würgegriff des Westens zu entkommen  – Der geoökonomische Weg weg von der neoliberalen Ordnung ist voller Gefahren, aber die Chancen für den Aufbau eines alternativen Systems sind ebenso vielversprechend wie dringend

Von Pepe Escobar 06. Oktober 2022

Beginn der Übersetzung des Interviews

Einleitung

Es ist unmöglich, die geoökonomischen Turbulenzen, die mit den “Geburtswehen” der multipolaren Welt einhergehen, ohne die Erkenntnisse von Professor Michael Hudson von der University of Missouri und Autor des bereits bahnbrechenden Buches The Destiny of Civilization (dt. Das Schicksal der Zivilisation) zu verstehen.

In seinem jüngsten Aufsatz geht Professor Hudson näher auf die selbstmörderische Wirtschafts- und Finanzpolitik Deutschlands und ihre Auswirkungen auf den bereits fallenden Euro ein – und deutet einige Möglichkeiten für eine schnelle Integration Eurasiens und des globalen Südens als Ganzes an, um den Würgegriff des Hegemons zu brechen.

Dies führte zu einer Reihe von E-Mail-Austauschen, insbesondere über die künftige Rolle des Yuan, zu denen Hudson anmerkte:

“Die Chinesen, mit denen ich seit Jahren spreche, haben nicht erwartet, dass der Dollar schwächer wird. Sie weinen nicht über seinen Aufstieg, aber sie sind besorgt über die Kapitalflucht aus China, da ich glaube, dass es nach dem Parteitag [der am 16. Oktober beginnt] ein hartes Durchgreifen gegen die Verfechter der freien Marktwirtschaft in Shanghai geben wird. Der Druck für die anstehenden Veränderungen hat sich seit langem aufgebaut. Der Reformgeist zur Eindämmung der ‘freien Märkte’ hat sich unter den Studenten schon vor über einem Jahrzehnt verbreitet, und sie sind in der Parteihierarchie aufgestiegen.”

In Bezug auf die zentrale Frage, ob Russland die Bezahlung von Energie in Rubel akzeptiert, sprach Hudson einen Punkt an, der außerhalb Russlands kaum beachtet wird: “Sie wollen nicht wirklich nur in Rubel bezahlt werden. Das ist das Einzige, was Russland nicht braucht, denn es kann sie einfach drucken. Es braucht nur Rubel, um seine internationalen Zahlungen auszugleichen und den Wechselkurs zu stabilisieren – nicht, um ihn in die Höhe zu treiben.”

Das bringt uns zu Abrechnungen in Yuan: “Eine Zahlung in Yuan ist wie eine Zahlung in Gold – ein internationales Gut, das jedes Land als eine nicht-fiat Währung begehrt, die einen Wert hat, wenn man sie verkauft (im Gegensatz zum Dollar, der jetzt einfach konfisziert oder schließlich aufgegeben werden kann). Was Russland wirklich braucht, sind wichtige Industriegüter wie Computerchips. Es könnte China bitten, diese mit dem von Russland bereitgestellten Yuan zu importieren”.

Keynes ist zurück

Nach unserem E-Mail-Austausch erklärte sich Professor Hudson freundlicherweise bereit, einige Fragen zu den äußerst komplexen geoökonomischen Prozessen in Eurasien ausführlich zu beantworten. Und los geht’s.

The Cradle: Die BRICS-Staaten prüfen die Einführung einer gemeinsamen Währung – einschließlich aller BRICS-Staaten und, wie wir erwarten, auch der erweiterten BRICS+. Wie könnte das praktisch umgesetzt werden? Es ist schwer vorstellbar, dass die brasilianische Zentralbank mit den Russen und der Volksbank von China harmoniert. Würde das nur Investitionen beinhalten – über die BRICS-Entwicklungsbank? Würde das auf Rohstoffen + Gold basieren? Wie passt der Yuan dazu? Basiert der BRICS-Ansatz auf den aktuellen Gesprächen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) mit den Chinesen unter der Leitung von Sergey Glazyev? Hat das Gipfeltreffen in Samarkand die Verknüpfung von BRICS und SCO ( Shanghai Cooperation Organization ) praktisch vorangebracht?

Hudson: “Jede Idee einer gemeinsamen Währung muss mit einer Währungs-Swap-Vereinbarung zwischen den bestehenden Mitgliedsländern beginnen. Der Großteil des Handels wird in den eigenen Währungen abgewickelt. Um aber die unvermeidlichen Ungleichgewichte (Zahlungsbilanzüberschüsse und -defizite) auszugleichen, wird eine neue Zentralbank eine künstliche Währung geschaffen.

Dies mag oberflächlich betrachtet wie die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geschaffenen Sonderziehungsrechte (SZR) aussehen, die hauptsächlich zur Finanzierung des US-amerikanischen Defizits wegen des Militärs (engl. US deficit on military account) und des steigenden Schuldendienstes der Schuldner des Globalen Südens gegenüber den US-Kreditgebern dienen. Die Regelung wird jedoch eher dem von John Maynard Keynes 1944 vorgeschlagenen “Bancor” ähneln. Defizitländer könnten ein bestimmtes Kontingent an Bancors ziehen, deren Bewertung durch eine gemeinsame Auswahl von Preisen und Wechselkursen festgelegt würde. Die Bancors (und ihre eigene Währung) würden für die Bezahlung der Überschussländer verwendet werden.

Doch anders als das SZR-System des IWF wird das Ziel dieser neuen alternativen Zentralbank nicht einfach darin bestehen, die wirtschaftliche Polarisierung und Verschuldung zu subventionieren. Keynes schlug den Grundsatz vor, dass, wenn ein Land (er dachte damals an die Vereinigten Staaten) chronische Überschüsse erwirtschaftet, dies ein Zeichen für seinen Protektionismus oder seine Weigerung ist, eine gegenseitig belastbare Wirtschaft zu unterstützen, und dass seine Forderungen allmählich getilgt werden sollten, zusammen mit den Auslandsschulden der Länder, deren Wirtschaft nicht in der Lage war, ihre internationalen Zahlungen auszugleichen und ihre Währung zu stützen.

Die heute vorgeschlagenen Regelungen würden zwar die Kreditvergabe unter den Mitgliedsbanken unterstützen, aber nicht zur Förderung der Kapitalflucht (der Hauptverwendungszweck von IWF-Krediten, wenn wahrscheinlich “linke” Regierungen gewählt werden), und der IWF und die mit ihm verbundene Alternative zur Weltbank würden den Schuldnern keine Sparpläne und arbeitnehmerfeindliche Politik aufzwingen. Die Wirtschaftsdoktrin würde die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln und lebensnotwendigen Gütern fördern und die Bildung von greifbarem landwirtschaftlichem und industriellem Kapital unterstützen, nicht die Finanzialisierung.

Es ist wahrscheinlich, dass Gold auch ein Element der internationalen Währungsreserven dieser Länder sein würde, einfach weil Gold ein Handelsgut ist, auf das sich die Welt schon seit Jahrhunderten als akzeptabel und politisch neutral geeinigt hat. Aber Gold wäre ein Mittel zur Begleichung von Zahlungsbilanzen und nicht zur Definition einer nationalen Währung. Diese Salden würden sich natürlich auch auf den Handel und die Investitionen mit westlichen Ländern erstrecken, die nicht Teil dieser Bank sind. Gold wäre ein akzeptables Mittel zur Begleichung westlicher Schulden gegenüber der neuen Bank mit eurasischem Zentrum. Dies würde sich als ein Zahlungsmittel erweisen, das die westlichen Länder nicht einfach ablehnen könnten – solange das Gold in den Händen der neuen Bankmitglieder bleibt und nicht mehr in New York oder London, wie es seit 1945 die gefährliche Praxis ist.

Bei einem Treffen zur Gründung einer solchen Bank wäre China in einer ähnlich dominanten Position wie die Vereinigten Staaten 1944 in Bretton Woods. Aber seine Arbeitsphilosophie wäre eine ganz andere. Ziel wäre es, die Volkswirtschaften der Bankmitglieder zu entwickeln, mit langfristigen Planungs- oder Handelsmustern, die für ihre Volkswirtschaften am geeignetsten erscheinen, um die Art von Abhängigkeitsverhältnissen und Privatisierungsübernahmen zu vermeiden, die die Politik des IWF und der Weltbank kennzeichnen.

Diese Entwicklungsziele würden eine Bodenreform, eine Umstrukturierung der Industrie und des Finanzwesens, eine Steuerreform sowie eine Reform des inländischen Banken- und Kreditwesens umfassen. Die Diskussionen auf den SCO-Treffen scheinen den Boden für eine allgemeine Interessenübereinstimmung bei der Schaffung von Reformen in diesem Sinne bereitet zu haben.”

Eurasien oder Pleite

The Cradle: Ist mittelfristig zu erwarten, dass die deutschen Industriellen angesichts der kommenden Verödung und ihres eigenen Untergangs massenhaft gegen die von der NATO verhängten Handels- und Finanzsanktionen gegen Russland aufbegehren und Berlin zwingen, Nord Stream 2 zu öffnen? Gazprom garantiert, dass die Pipeline wieder hergestellt werden kann. Dafür muss man nicht der SCO beitreten…

Hudson: “Es ist unwahrscheinlich, dass deutsche Industrielle handeln werden, um die Deindustrialisierung ihres Landes zu verhindern, angesichts des Würgegriffs der USA/NATO auf die Politik der Eurozone und der vergangenen 75 Jahre politischer Einmischung durch US-Beamte. Deutsche Firmenchefs werden eher versuchen, mit möglichst viel persönlichem und unternehmerischem Vermögen zu überleben, wenn Deutschland in ein wirtschaftliches Wrack vom Typ eines baltischen Staates verwandelt wird.

Es ist bereits die Rede davon, die Produktion – und das Management – in die Vereinigten Staaten zu verlagern, was Deutschland daran hindern wird, Energie, Metalle und andere wichtige Materialien von Lieferanten zu beziehen, die nicht von US-Interessen und ihren Verbündeten kontrolliert werden.

Die große Frage ist, ob deutsche Unternehmen in die neuen eurasischen Volkswirtschaften abwandern würden, deren industrielles Wachstum und Wohlstand das der Vereinigten Staaten weit in den Schatten stellen dürfte.

Natürlich sind die Nord Stream-Pipelines wiederherstellbar. Das ist genau der Grund, warum der politische Druck der USA durch Außenminister Blinken so stark war, dass Deutschland, Italien und andere europäische Länder ihre Wirtschaft vom Handel und von Investitionen mit Russland, dem Iran, China und anderen Ländern, deren Wachstum die USA zu stören versuchen, noch stärker isolieren.”

Wie man der  “Alternativlosigkeit” entkommen kann

The Cradle: Erreichen wir den Punkt, an dem die Hauptakteure des globalen Südens – mehr als 100 Nationen – endlich die Kurve kriegen und beschließen, alles zu tun, um die USA daran zu hindern, die künstliche neoliberale Weltwirtschaft in einem Zustand des ewigen Komas zu halten? Das bedeutet, dass die einzig mögliche Option, wie Sie dargelegt haben, darin besteht, eine parallele Weltwährung unter Umgehung des US-Dollars einzurichten – während die üblichen Verdächtigen bestenfalls den Gedanken an ein Bretton Woods III in die Welt setzen. Ist das Finanzcasino FIRE (Finanzen, Versicherungen, Immobilien (engl. Finance, Insurance, Real Estate)) allmächtig genug, um jede mögliche Konkurrenz zu zerschlagen? Sehen Sie neben den von BRICS/EAEU/SCO diskutierten Mechanismen weitere praktische Mechanismen vor? 

Hudson: “Vor ein oder zwei Jahren schien es, dass die Aufgabe, ein vollwertiges alternatives Weltwährungs-, Währungs-, Kredit- und Handelssystem zu entwerfen, so komplex ist, dass die Details kaum durchdacht werden können. Aber die US-Sanktionen haben sich als der notwendige Katalysator erwiesen, um solche Diskussionen pragmatisch dringend zu machen.

Die Konfiszierung der Goldreserven Venezuelas in London und seiner US-Investitionen, die Konfiszierung von 300 Milliarden Dollar der russischen Devisenreserven in den Vereinigten Staaten und Europa und die Drohung, dasselbe mit China und anderen Ländern zu tun, die sich der US-Außenpolitik widersetzen, haben die Entdollarisierung dringend notwendig gemacht. Ich habe die Logik in vielen Punkten erläutert, von meinem Valdai-Club-Artikel (mit Radhika Desai) bis hin zu meinem kürzlich erschienenen Buch The Destiny of Civilization, der Vorlesungsreihe, die ich für Hongkong und die Global University for Sustainability vorbereitet habe.

Das Halten von Wertpapieren, die auf Dollar lauten, und selbst das Halten von Gold oder Anlagen in den Vereinigten Staaten und Europa ist keine sichere Option mehr. Es ist klar, dass die Welt in zwei ganz unterschiedliche Arten von Volkswirtschaften zerfällt und dass die US-Diplomaten und ihre europäischen Satelliten bereit sind, die bestehende Wirtschaftsordnung zu zerstören, in der Hoffnung, dass sie durch die Schaffung einer disruptiven Krise den Sieg davontragen können.

Es ist auch klar, dass die Unterwerfung unter den IWF und seine Sparpläne wirtschaftlicher Selbstmord sind, und dass es selbstzerstörerisch ist, der Weltbank und ihrer neoliberalen Doktrin der internationalen Abhängigkeit zu folgen. Das Ergebnis war ein nicht zu begleichender Schuldenberg, der auf US-Dollar lautete. Diese Schulden können nicht bezahlt werden, ohne Kredite beim IWF aufzunehmen und die Bedingungen einer wirtschaftlichen Kapitulation vor den US-Privatisierern und Spekulanten zu akzeptieren.

Die einzige Alternative dazu, sich selbst wirtschaftliche Sparmaßnahmen aufzuerlegen, besteht darin, aus der Dollar-Falle mir ihrer von den USA geförderten “freie Marktwirtschaft” (Märkte ohne staatlichen Schutz und ohne die Fähigkeit der Regierung, die Umweltschäden der US-amerikanischen Ölkonzerne, Bergbauunternehmen und der damit verbundenen Abhängigkeit von Industrie und Nahrungsmitteln zu beheben) mit einem sauberen Schnitt auszusteigen.

Der Bruch wird schwierig sein, und die US-Diplomatie wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Schaffung einer widerstandsfähigeren Wirtschaftsordnung zu verhindern. Aber die US-Politik hat einen globalen Zustand der Abhängigkeit geschaffen, in dem es im wahrsten Sinne des Wortes keine andere Alternative gibt, als sich davon zu lösen.”

Deutscher NATO und EU-Austritt?

The Cradle: Wie bewerten Sie die Bestätigung von Gazprom, dass die Leitung B der Nord Stream 2 nicht vom Pipeline-Terror betroffen war? Damit ist Nord Stream 2 praktisch einsatzbereit – mit einer Pumpkapazität von 27,5 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr, was der Hälfte der Gesamtkapazität der beschädigten Nord Stream entspricht. Deutschland ist also nicht dem Untergang geweiht. Damit wird ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen; eine Lösung wird von einer ernsthaften politischen Entscheidung der deutschen Regierung abhängen.   

Hudson: “Das ist der Knackpunkt: Russland wird sicher nicht noch einmal die Kosten tragen, nur damit die Pipeline gesprengt wird. Es wird auf Deutschland ankommen. Ich wette, das derzeitige Regime sagt “Nein”. Das dürfte für einen interessanten Aufstieg der alternativen Parteien sorgen.

Das eigentliche Problem besteht darin, dass die einzige Möglichkeit für Deutschland, den Handel mit Russland wiederherzustellen, darin besteht, aus der NATO auszutreten, da es sich bewusst ist, dass es das Hauptopfer des Krieges der NATO ist. Dies könnte nur gelingen, wenn es auf Italien und auch auf Griechenland übergreift (weil es seit Zypern nicht mehr vor der Türkei geschützt wird). Das sieht nach einem langen Kampf aus.

Vielleicht ist es für die deutsche Industrie einfacher, ihre Sachen zu packen und nach Russland zu ziehen, um bei der Modernisierung der Industrieproduktion zu helfen, insbesondere BASF für die Chemie, Siemens für den Maschinenbau usw. Wenn deutsche Unternehmen ihren Standort in die USA verlagern, um dort Gas zu beziehen, wird dies als Überfall der USA auf die deutsche Industrie empfunden, um deren Vorsprung für die USA zu erobern. Dennoch wird dies angesichts der postindustriellen Wirtschaft Amerikas nicht gelingen.

Die deutsche Industrie kann sich also nur nach Osten bewegen, wenn sie ihre eigene politische Partei als nationalistische Anti-NATO-Partei gründet. Die EU-Verfassung würde Deutschland zum Austritt aus der EU verpflichten, das sie die Interessen der NATO auf Bundesebene in den Vordergrund stellt. Das nächste Szenario ist die Diskussion über den Beitritt Deutschlands zur SCO. Lassen Sie uns Wetten darüber abschließen, wie lange das dauern wird.”

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die von The Cradle wider.

Ende der Übersetzung

Die Sanktionen des Westens sind großartig für Russland – Ein Interview von Jungewelt.de mit Michael Hudson

6.8.2022:  »Die Sanktionen des Westens sind großartig für Russland« Über den Krieg in der Ukraine, Interessen der Finanzoligarchie und China als Hauptrivalen der USA. Ein Gespräch mit Michael Hudson

Mit der Suchfunktion auf Jungewelt.de derzeit 68 Artikel, wenn  man dort mit “Michael Hudson” sucht. Viele Artikel befindenden sich allerdings hinter einer Bezahlschranke.

Strategie des Austauschs

Prof. Hudsons Überlegungen haben mich an meinen allerdings schon über 5 Jahre alten Artikel Strategie des Austauschs erinnert.

 




Zur Nord Stream-Sprengung

Ich habe hier James H. Kunstlers Blogbetrag vom 3.10.2022 übersetzt, weil dieser zum Verständnis der Hintergründe und Folgen des Anschlages auf die Nordstream-Pipelines hochinteressant ist.  Demnach gibt es inzwischen Indizien dafür, dass ein aus den USA kommendes, über der Ostsee aufgetanktes U-Bootjagdflugzeug vom Typ P8 Poseidon der US-Navy die Pipelines mit U-Boot-Jagdtorpedos zerstört hat.

Link auf das Original: https://kunstler.com/clusterfuck-nation/developing-developments/

Beginn der Übersetzung

Aktuelle Entwicklungen

“Joe Biden” verarscht die westliche Zivilisation. Er kann sich selbst nicht helfen. Seine Helfer können ihm nicht helfen. Wer wird uns helfen?

Eine Botschaft in einem Glückskeks von Panda Take-out erinnert uns daran: “Der Dildo der Konsequenz ist selten geölt.” Bitte wenden Sie diese alte Weisheit auf “Joe Bidens” Sabotage der Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 an. Staatssekretär Antony Blinken bezeichnete die Tat als “enorme Chance”, den Energieverbrauch in Euroland zu senken und die bisherige Abhängigkeit von erschwinglicher russischer Energie auf ruinös teures amerikanisches Flüssigerdgas (LNG) zu verlagern – ein angeblicher Segen für die US-Produzenten. Glück für uns und sie!

Lassen Sie uns ein paar technische Dinge über Erdgas klären. Gaspipelines ermöglichen die Versorgung mit billigem Gas, ohne dass kostspielige Transportvorgänge erforderlich sind. Die Ströme verlaufen kontinuierlich vom Produzenten zum Kunden. LNG erfordert die Komprimierung des Gases bei extrem niedrigen Temperaturen und den Bau von kostspieligen LNG-Tankschiffen, um das Gas während des Transports kalt und komprimiert zu halten. Jeder Tankwagen kann nur eine bestimmte Menge Gas transportieren, und der Fluss ist nicht kontinuierlich. An jedem Ende der energieaufwendigen Reise befindet sich ein kostspieliges LNG-Terminal zum Be- und Entladen des Gases. Unterm Strich: Die Kunden in Euroland können sich das US-LNG nicht leisten, obwohl sie es vorerst gut und hart bekommen werden, um den ersten Winter einer dauerhaften Depression zu überstehen, die sich eher wie der Vorhof eines neuen dunklen Zeitalters anfühlen wird. Denken Sie auch daran, dass amerikanisches Schiefergas eine endliche Ressource ist, dass wir selbst viel davon brauchen und dass die am frühesten erschlossenen Schiefergasfelder in den USA eines nach dem anderen ausfallen.

Minister Blinken tut so, als ob die tödliche Lage Europas problemlos in eine neue “grüne, erneuerbare” Ordnung der Dinge sowie in einen stabilen und ausgewogenen neuen Kalten Krieg zwischen der US-geführten NATO und Russland übergehen wird, wie in den 1950er Jahren. Minister Blinken ist natürlich völlig verrückt. Deutschlands Industrie wird nun zusammenbrechen, die Euro-Währung wird mit ihr zusammenbrechen, und der Wechselkurs zu den Dollars, die Euroland kaufen muss, um US-LNG zu kaufen, wird es weiter in den Ruin treiben. Sie wird wahrscheinlich auch die Europäische Union sprengen, die vor allem ein Handelsgerüst ist. Mit der sinkenden Industrieproduktion sinkt auch der Handel, und die fadenscheinigen Kooperationsvereinbarungen zwischen den Nationen verwandeln sich in einen verzweifelten Wettbewerb, während jede Nation in Euroland um ihr Überleben kämpft.

Vergessen wir nicht, warum “Joe Biden” die Nord Stream in die Luft gesprengt hat: um jede Möglichkeit auszuschließen, dass sich Deutschland aus den US-Sanktionen gegen Russland herauswinden kann. Unmittelbar vor dem Streik bei Nord Stream kam es in mehreren deutschen Städten zu Protesten, da die Bevölkerung bereits unter der Einstellung der russischen Gaslieferungen und den steigenden Preisen für dringend benötigtes Gas litt. Wenn die USA tatenlos zusahen, während Deutschland einen separaten Frieden mit Russland schloss, wie würde sich das auf das Engagement der NATO-Länder in dem von den USA provozierten Konflikt zwischen der Ukraine und Russland auswirken? Wie viel Bargeld würde Euroland weiterhin an Herrn Selenskyjs dubiose Geldwäsche-Operation auszahlen?

Was kein Regierungsvertreter zugeben kann – nicht einmal in den Euroland-Opferstaaten dieser unglaublichen Dummheit – ist, dass die Zerstörung der Nord-Streams durch die USA ein kriegerischer Akt gegen unsere eigenen Verbündeten war. Der Blogger, der sich selbst als “Monkey Werx” bezeichnet und sich durch die Verfolgung der weltweiten militärischen Flugbewegungen einen Namen gemacht hat, gibt übrigens einen umfassenden Überblick darüber, wie genau die Mission durchgeführt wurde. Ich werde ihn zusammenfassen, aber Sie können seinen vollständigen Bericht selbst lesen (www.monkeywerxus.com/blog/the-nord-stream-2-pipeline-sabotage).

MW berichtet, dass in der Nacht zum 26. September ein P8 Poseidon U-Boot-Jagdflugzeug der Marine aus den USA in die Ostsee geflogen ist. Es landete nicht im Vereinigten Königreich, um aufzutanken, um so Komplikationen bei der Verfolgung zu vermeiden, sondern traf über Grudziadz (Polen) auf ein US-amerikanisches Luftbetankungsflugzeug vom Typ Bart-12, mit dem es mehr als eine Stunde lang verbunden war. Die P8 war mit luftgestützten Torpedos des Typs Mk54 ausgerüstet. Nach dem Abdocken von der Bart-12-Tankanlage folgte die P8 einer Route nach Westen entlang der Nord-Stream-Pipelines, sank auf die Höhe für den Bombenabwurf und warf ihre Waffen ab. Kabumm. Voll aufgetankt flog die P8 dann direkt zurück in die USA. Als Russland einige Tage später vor den Vereinten Nationen die Frage nach der Verantwortung der USA für das Nord-Stream-Projekt stellte, weigerten sich die US-Vertreter, die Frage mit Ja oder Nein zu beantworten. Niedlich.

Die Fragen drängen sich also auf: Wie viele Tage noch, bis Deutschland und der Rest von Euroland zu begreifen beginnen, dass sie von Amerika in ein Szenario des wirtschaftlichen Zusammenbruchs hineingezogen wurden? (Wie viele Tage noch, bis ein Team kompetenter Fachleute Klaus Schwab und seine Kollegen irgendwo in der Schweiz zur Strecke bringt?) Wann wird sich das europäische Volk gegen seine idiotischen Regierungschefs wenden und sie aus dem Amt jagen? Wann werden alle (außer dem psychotischen Polen) aus dem Ukraine-Kreuzzug der USA aussteigen? Ich kann Ihnen sagen, dass das alles verdammt bald beginnen wird. Und wenn das der Fall ist, wird das das Ende des NATO-Bündnisses bedeuten.

In der Zwischenzeit lässt die von den USA geführte Propagandakampagne Russland gegen eine wütende und triumphierende ukrainische Armee völlig auf verlorenem Posten stehen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Russland hat im vergangenen Monat einige taktische Rückzüge unternommen, um eine endgültige systematische und methodische Zerschlagung der verbliebenen ukrainischen Armee vorzubereiten. Russland bringt Iskander-Hyperschallraketen mit, die nicht unbedingt nuklear bewaffnet sein müssen, und wird reguläre russische Streitkräfte aufstellen, um die Freiwilligen der Donbass-Miliz zu ersetzen, die die Hauptlast an der dünn verteidigten Linie getragen haben, die zu dem viel diskutierten taktischen Rückzug um die Charkow-Isium-Lyman-Front führte. Der russische Verhandlungstisch ist offen für Geschäfte. Wenn die Ukraine sich nicht meldet, muss sie sich entscheiden, welche Art von Rumpfstaat sie werden will – ein nur halbherziger landwirtschaftlicher Hinterhof oder ein völlig abgehalfterter gescheiterter Staat.

Währenddessen versinkt Westeuropa in Kälte und Dunkelheit, und die USA folgen nicht weit dahinter. Was steht als Nächstes hier im Heimatland an? Wie wäre es mit einer Treibstoffkrise im Lkw-Verkehr? Kerosin wird immer knapper – in der Lagerstätte des Hudson Valley in Albany gibt es zum Beispiel keins mehr. Die Kraftstoffmischung für den Wintertransport besteht zu 70 % aus Diesel und zu 30 % aus Kerosin, das hinzugefügt wird, um den Kraftstoff leichter zu machen und ihn bei Frost flüssig zu halten. Diese Verknappung deutet auf einen Zusammenbruch der Versorgung mit so ziemlich allem hin, insbesondere aber mit Lebensmitteln. Klingt nicht besonders weihnachtstauglich. “Joe Biden” und Co. sind dabei, die USA auf nahezu jeder Ebene zu zerstören. Fünfunddreißig Tage bis zu den Zwischenwahlen. Schicken wir also noch ein paar Milliarden Dollar in die saugende Brustwunde, die die Ukraine ist.

Ende der Übersetzung




Zum Ukrainekrieg Teil 2

Als zweiten Teil zum Thema Ukrainekrieg habe ich das fast zweistündige Interview des norwegischen Politikwissenschaftlers Glenn Diesen mit Alexander Mercouris und Scott Ritter übersetzt.  Wenn man den Ukrainekrieg und die daraus gerade auch für Deutschland und Europa folgenden wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen verstehen lernen möchte, ist dieses Interview vielleicht das Beste, was es derzeit gibt.

Anmerkung zum Interview

Wegen der Länge des Interviews habe ich  es zur Verbesserung der Orientierung durch Zwischenüberschriften unterteilt. Die Zwischenüberschriften können durch das automatisch erstellte Inhaltsverzeichnis direkt durch Anklicken angesteuert werden. Außerdem habe ich Zeitmarken im Abstand von 30 Sekunden eingebunden und die Texte von Alexander Mercouris mit und von Scott Ritter jeweils in einem hellen Farbton hinterlegt.

Was dem Interview und der darin beschriebenen Lage meines Erachtens hinzuzufügen ist, ist dass die weitere Entwicklung auch stark von dem durch die Massenimpfungen beeinflussten Zusammenspiel der weiteren Entwicklung der Coronaviren und der Immunsysteme der Geimpften und der Ungeimpften abhängen könnte.  Das heißt, wenn sich Dr. Vanden Bossches Prognose zur weiteren Entwicklung der Pandemie im Wesentlichen als richtig herausstellen sollte, dann wird alleine das bereits ausreichen, die hochgeimpften Streitkräfte der NATO-Staaten und die Wirtschaft im Westen  kollabieren lassen. Die große Frage ist dann, wie weit auch Russland und China ebenfalls betroffen sein werden und wer wie schnell und wie gut die sehr wohl vorhandenen, bekannten und erprobten Gegenmittel einsetzen wird (Als Beispiele siehe z.B. meine Übersetzungen in Dr. Chettys Covid-Behandlung Teil 8 und Dr. Manuel Aparico in der StewPeters Show sowie Wirksame Coronaprävention). In jedem Fall stellt sich dann aber auch die Frage, was passiert, wenn deutlich wird, dass einige Atommächten die wirtschaftliche und personelle Grundlage zur weiteren Erhaltung ihrer nuklearen Waffensysteme verloren geht.

Links auf das Original des Interviews:

Übersetzung des Interviews

Einleitung/Begrüßung

GlennDiesen: [00:00:04] Willkommen, alle zusammen. Heute ist der 19. August 2022. Mein Name ist Glenn Diesen. Ich bin Professor an der Universität von Südostnorwegen, und bei mir ist der immer ausgezeichnete Alexander Mercouris von The Duran. Und zu guter Letzt haben wir Scott Ritter, einen ehemaligen Geheimdienstoffizier des US Marine Corps, Militärexperte, Geheimdienstexperte und natürlich auch [00:00:30] ein amerikanischer Patriot. Viele kennen Scott Ritter wahrscheinlich als UN-Waffeninspektor, der die Abrüstung von Massenvernichtungswaffen beaufsichtigt hat. Und ich nehme an, Sie behaupteten öffentlich vor dem Krieg, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besaß. Und, na ja, wenn man auf Sie gehört hätte, dann wären wohl viele Menschenleben verschont worden. Und ich glaube auch, dass viele Leben verschont worden wären, wenn unsere Politiker auf Sie gehört hätten, was die aktuelle Krise in der Ukraine [00:01:00] angeht, ein Krieg, der scheinbar sehr leicht hätte vermieden werden können. Also, Scott Ritter, das ist ein echtes Vergnügen.

ScottRitter: [00:01:09] Nun, vielen Dank für die Einladung. Alexander, es ist toll, dich wiederzusehen.

AlexanderMercouris: [00:01:13] Ja, ganz meinerseits.

Wie ist es um das russische Militär bestellt?

GlennDiesen: [00:01:17] Also. Ja, lassen Sie uns einfach loslegen, denke ich. Nun, ich dachte an das Narrativ des Westens bezüglich dieses Krieges in der Ukraine. Er wechselt weiterhin von ungebremstem Optimismus zu mehr [00:01:30] Pessimismus, der jetzt eingesetzt zu haben scheint. Aber die große Frage ist wohl, wie es um das russische Militär bestellt ist? Weil wir immer wieder sagen, es ist übermächtig, es ist nur ein korrupter Flop. Aber wenn Russland ein so starkes Militär hat, fragen sich viele Menschen, warum? Warum ist es den Russen nicht gelungen, die Ukrainer zu besiegen?

 ScottRitter: [00:01:53] An wenn ist diese Frage gerichtet?

 GlennDiesen: [00:01:55] Es tut mir leid. An Sie Scott.

Auch die Russen sind normale Menschen 

ScottRitter: [00:01:57] Okay, schauen Sie. Lassen Sie uns [00:02:00] beginnen, indem wir einfach eine Tatsache festhalten. Der Russe ist nicht drei Meter groß. Der russische Soldat ist kein Übermensch. Sie sind in der Lage, Fehler zu machen. Sie haben Fehler gemacht. Sie werden auch weiterhin Fehler machen. So ist es nun einmal.

Also diese Vorstellung, dass Russland eine perfekte Kriegsmaschine ist, die nichts falsch machen kann. [00:02:30] Und warum in aller Welt haben sie diesen Krieg nicht schon gewonnen? Was für eine Absurdität.

Die Ukraine war bei Kriegsbeginn sehr stark

Die Ukraine begann diesen Konflikt mit dem zweitgrößten Militär in Europa nach der Türkei. Es war eines der am besten ausgebildeten Militärs in Europa, eines der am besten ausgerüsteten Militärs in Europa, eines der am besten geführten Militärs in Europa. Und wegen des anhaltenden Konflikts in der Ostukraine war es eine der kampferfahrensten [00:03:00] Armeen in Europa. Lassen Sie es mich anders formulieren. Wenn die ukrainische Armee gegen die deutsche Armee gekämpft hätte, hätte sie die Deutschen vernichtet. Die ukrainische Armee hätte die polnische Armee vernichtet. Die ukrainische Armee hätte die rumänische Armee, die französische Armee und die italienische Armee vernichtend geschlagen. So gut waren und sind die Ukrainer, sehr professionell, [00:03:30] sehr gut ausgebildet, sehr motiviert, nebenbei bemerkt. Die Vorstellung, dass Russland in die Ukraine einmarschieren und diese sehr fähigen Streitkräfte einfach beiseite fegen würde, ist also absurd. Und wir haben gesehen, dass Russland diesen Konflikt mit einem Aktionsplan ausgelöst hat, der meiner Meinung nach die Fähigkeiten der Ukraine unterschätzt hat.

Wir haben gesehen, wie Russland fliegende [00:04:00] Kolonnen nach vorne schickte, ohne sich um die Sicherheit der Flanken und der Rückseite zu kümmern. Und den Ukrainern gelang es, viele dieser Kolonnen in einen Hinterhalt zu locken und den Russen schwere Verluste zuzufügen. Das ist nur eine Feststellung von Tatsachen.

Russland hat ein sehr professionelles Militär

Aber was Russland hat, ist ein sehr gut ausgebildetes Militär, das über eine sehr, sehr kompetente Doktrin verfügt, die von einigen der am besten ausgebildeten Offiziere, dem [00:04:30] am besten ausgebildeten Offizierskorps der Welt, angeführt wird, von Leuten, die die Kunst des Krieges verstehen, und ein Militär, das zunehmend professioneller geworden ist, weg von diesem auf Wehrpflichtigen basierenden Militär, das vielleicht in den frühen 2000er Jahren bis vielleicht 2008 dominierte.

Der fünftägige Krieg mit Georgien war ein großer Weckruf für die Russen bezüglich der Unzulänglichkeiten ihrer Ausbildung, ihrer Ausrüstung und ihrer Doktrin. Was wir also [00:05:00] haben, ist ein russisches Militär, das weiß, was es tut. Und das größte Zeichen eines Profis ist die Fähigkeit, sich unter widrigen Umständen gut anzupassen. Die Russen gingen mit einer bestimmten Vorgehensweise in den Kampf und merkten schnell, dass sie sich anpassen mussten, dass die Ukrainer sehr kompetent waren und dass Russland seine Methodik ändern musste. [00:05:30] Und das taten sie, indem sie sich auf das Hauptproblem konzentrierten, mit dem sie konfrontiert waren, nämlich die stark verschanzten ukrainischen Streitkräfte, die die Ostukraine verteidigten, die Gebiete im Donbass, die in den letzten acht Jahren unter ukrainischer Kontrolle waren. Und ich muss betonen, dass sie stark verschanzt sind. Das ukrainische Militär hat sich in einigen der umfangreichsten [00:06:00] Schützengrabenanlagen verschanzt, die es seit dem Ersten Weltkrieg gegeben hat, mit Stahlbetonblöcken, Sie wissen schon, Bunkern, Stellungen. Wenn man eine Stellung angreift, wird man von einer anderen aus getroffen. Ihre Artillerie hat jeden Quadratzentimeter registriert, so dass, wenn die Russen auf ein bestimmtes Stück Boden kommen, die Ukrainer bereits eine Lösung für den Beschuss gefunden haben. Und wenn sie Artillerie zur Verfügung haben, sind sie in der Lage, diese [00:06:30] Stück mit der Artillerie zu beschießen.

Es handelt sich also um ein außerordentlich schwieriges militärisches Problem. Und den Russen ist es gelungen, einen, wie ich sagen würde, perfekten Sturm an militärischen Fähigkeiten zu entwickeln, um dieses Problem zu lösen. Sie haben ihre überwältigende Überlegenheit, ich würde sogar sagen, ihre Vorherrschaft bei der Artillerie, voll ausgenutzt, um eine Konfliktmethodik [00:07:00] zu entwickeln, die sich auf die Ausführung der Mission ohne zeitliche Beschränkung konzentriert. Und das ist in der Militärgeschichte so ziemlich einzigartig. Fast immer, wenn ein Krieg geführt wird, stehen die militärischen Befehlshaber unter Zeitdruck. Um eine Mission zu erfüllen, muss man den Hügel 861 bis 1500 Uhr am dritten Tag einnehmen. Und so werden Leben geopfert, um dieses Ziel rechtzeitig zu erreichen. [00:07:30] Die Russen haben den Kalender aus der Gleichung entfernt. Sie kümmern sich nicht um die Zeit. Alles, was ihnen wichtig ist, ist das Erreichen des Ziels, nämlich den Ukrainern ein Maximum an Verlusten zuzufügen, bei einem Minimum an Verlusten auf Seiten Russlands. Und sie haben sich eine Vorgehensweise ausgedacht, die genau das bewirkt. Sie bahnen sich ihren Weg durch die Ostukraine und verursachen dabei [00:08:00] eine nie gekannte Zahl von Opfern.

Verblüffende Zahlenverhältnisse

Normalerweise strebt ein Angreifer im Krieg einen zahlenmäßigen Vorteil von 3 zu 1 gegenüber dem Verteidiger an. Auf jeden einzelnen Ukrainer, der sich eingegraben hat, sollten also drei Russen kommen. Und führt man diesen Angriff durch, und das Verhältnis der Verluste beträgt ungefähr 1 zu 1. Ich meine, historisch gesehen, einige der größten Schlachten, die in der modernen Geschichte geschlagen wurden, im Zweiten Weltkrieg usw., haben ein Verhältnis von [00:08:30] eins zu 1,2 zu 1,4, was bedeutet, dass 100.000 der einen Seite gegen 100.000 der anderen Seite kämpfen, es wird eine Schlacht geben und schließlich wird es so weit sein, dass etwa 80.000 auf der einen Seite übrig bleiben und etwa 60.000 auf der anderen. Man erkennt die Überlegenheit die von einer Seite erreicht wurde. Die andere Seite beginnt sich zurückzuziehen oder zu kapitulieren. Die Russen erreichen im Moment eine Verlustquote – ich will nicht lachen, denn es ist Krieg und Menschen sterben. Und ich weiß nicht, [00:09:00] ich will das nicht verharmlosen -, aber ich muss sagen, als Militär muss man sagen, dass es in militärischen Belangen unerhört ist, gegen einen derartig eingegrabenen Feind in die Offensive zu gehen und dabei Opferzahlen von zehn, 15, 20, manchmal 30 zu 1 zu erreichen. Und ich denke, dass die Menschen im Westen zunehmend anfangen, dies zu sehen. Viele westliche Militärbeobachter beobachteten die Russen in der Anfangsphase und waren ein wenig enttäuscht, weil wir alle mit der operativen Bewegungskriegsführung [00:09:30] aufgewachsen waren, mit dieser Panzertruppe in Brigade- oder Divisionsgröße, die die Linie durchbrechen und in den hinteren Bereich vorstoßen, mit großen, beindruckenden Pfeilen [auf den militärischen Lagekarten]. Und als die Russen das nicht taten, sagten wir alle: Oh, die sind überbewertet. Sie sind nicht so gut man dachte. Und jetzt rekalibrieren wir im Grunde genommen und sagen: Diese Jungs sind wirklich gut, wirklich gut, sie sind fantastisch. Ich würde nicht gegen sie antreten wollen, denn diese Jungs haben [00:10:00] die Kunst des Krieges gemeistert, bei der sie alle ihre Stärken maximiert und gleichzeitig jede Schwäche des Feindes ausgenutzt haben.

Der Horror des modernen Krieges

Anekdotisch hören wir die Ukrainer sagen, “wir gehen an die Front und sind bereit, gegen die Russen zu kämpfen. Wir sind bereit. Wir sind vorbereitet. Wir kommen an die. Front, und wir verbringen die nächsten Tage damit, von der Artillerie unter Beschuss genommen zu werden. Wir verlieren 50, 60 % unserer Truppen, also ziehen sie uns ab. Und wir haben nie einen Russen gesehen.”. Wie demoralisierend ist es, wenn ein Feind [00:10:30] in den Nahkampf gehen will, wenn man an die Front geht, schreckliche Verluste erleidet und den Feind nie gesehen hat. Das ist die Realität des Krieges. Und wenn man sie dann zu Gesicht bekommt, ist man in der Regel schon pulverisiert worden. Und jetzt kommen diese gut ausgebildeten leichten Infanteriekräfte, unterstützt von Panzern, in die Gräben und graben dich mit Bajonetten, Granaten und Gewehrfeuer aus. Und es ist ein sauberer [00:11:00] Durchmarsch. Die Russen schlagen sich also auf dem Schlachtfeld fantastisch, aber die Uhr ist ihnen egal. Sie kümmern sich nicht um den Kalender. Sie werden ihre Missionen so erfüllen, dass die ukrainischen Verluste maximiert und die eigenen minimiert werden. Und damit möchte ich abschließen.

Verlustzahlen

Wissen Sie, es gibt einige Dokumente, die aus dem Verteidigungsministerium, dem ukrainischen Verteidigungsministerium, durchgesickert sind, aus denen hervorgeht, dass die ukrainischen Streitkräfte bis Ende Juni, Anfang Juli [00:11:30] 191.000 Verluste erlitten haben, 191.000. Das ist nur die Armee, die Luftwaffe, der Grenzschutz und andere Kräfte sind nicht mitgerechnet. Wenn man alle mit einbezieht, beläuft sich die Gesamtzahl der Verluste auf etwa 250.000 Tote und Verwundete. Das ist eine Zahl, die ich schon seit einiger Zeit in den Raum werfe, wobei ich nicht behaupten will, dass ich Gottes Geschenk für irgendetwas bin. Das bin ich nicht. Aber ich habe den Krieg studiert und ich war lange genug im Krieg, so dass ich in der Lage bin, das, was man militärische [00:12:00] Mathematik nennt, in meinem Kopf zu machen. Ich kann mir eine Reihe von Streitkräften ansehen. Ich kann mir die verfügbare Feuerkraft, die verfügbare Doktrin und das Gelände ansehen und meine Augen vier- oder fünfmal schließen, während der Algorithmus in meinem Kopf abläuft. Und sie sagen, dass dies das erwartete Ergebnis zu diesen Kosten ist. Und als ich mir anschaute, was in der Ostukraine vor sich ging, sagte ich, dass die Ukraine bis zum Sommer dieses Jahres eine Viertelmillion Opfer zu beklagen haben würde. Und es hat sich herausgestellt, dass das genau das ist, was sie [00:12:30] erlitten haben. Also, das sind keine Toten. Es ist eine Viertelmillion Verluste. Aber von dieser Viertelmillion sind zwischen 70 und 80.000 im Kampf gefallen. Das ist eine ganze Menge. Das ist ziemlich viel. Das heißt nicht, dass die Russen keine Verluste erlitten haben. Sie haben Verlust. Wenn ich meine militärischen Berechnungen durchsehe, schätze ich, dass die Gesamtverluste der Alliierten für die Russen bei etwa 15.000 Toten liegen. (Wie Scott Ritter weiter unten erwähnt entfallen davon nur ca. 5.000 Tote auf die russischen Streitkräfte. Der Rest entfällt auf die mit Russland verbündeten Milizen der beiden Donbass-Republiken) Und wir haben es wahrscheinlich mit 25.000 bis 30.000, vielleicht sogar bis zu 40.000 Verwundeten zu tun. Also [00:13:00] 55.000 russische Verluste (also Tote und Verwundete) insgesamt. Die meisten dieser Opfer gab es zu Beginn des Konflikts, während die Ukrainer immer mehr Opfer zu beklagen hatten als die Russen.  Aber wenn man es grafisch darstellt, sieht man, dass die Russen hier [zeigt mit der Hand ein hohes Niveau] mit Verlusten beginnen, und dann sinken ihre Opferzahlen auf ein gleichbleibend niedriges Niveau, sie sinken so weit gegen Null, wie es heutzutage möglich ist. Die ukrainischen Verluste waren immer höher, aber, aber sie haben dass anfängliche Niveau verlassen, sind gestiegen und steigen jetzt steil an [er zeigt die Veränderungen mit den Händen an]. Und selbst [00:13:30] wenn diese Zahlen darauf hindeuten, dass die Ukrainer den Russen große Verluste zugefügt haben, ist das heute nicht [mehr] der Fall. Die Grafik würde heute zeigen, dass die ukrainischen Verluste in die Höhe schießen und dass die russischen Verluste auf einem niedrigen Niveau stagnieren. Der Krieg wird sich für die Ukrainer nur noch schlimmer entwickeln.

Wenn ein Krieg verloren ist, ist er nicht unbedingt vorbei

Also, wissen Sie, im Juli, August [00:14:00] 1943 gab es in der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs eine große Schlacht namens Kursk. Als die Schlacht zu Ende war, gab es wohl auf beiden Seiten keinen Militärexperten, weder auf der deutschen noch auf der sowjetischen Seite, der nicht erkannt hätte, dass Deutschland den Krieg verloren hatte. Er war zu Ende. Das war, sagen wir, im Juli, August 1943. Dennoch dauerte der Krieg noch fast zwei Jahre.

Auch wenn der Krieg verloren war, bedeutete dies nicht, dass der Krieg vorbei war. [00:14:30] Die Ukraine hat diesen Krieg im Mai verloren. Sie verlor ihn, als Mariupol fiel, denn als Mariupol fiel, hatten die Russen die Formel perfektioniert, die auf dem Schlachtfeld wiederholbar ist, und es gibt nichts, was dieses Ergebnis ändern würde. Keine noch so große militärische Hilfe des Westens, keine noch so große Mobilisierung der Ukrainer würde etwas an diesem Ergebnis ändern. Es gibt noch [00:15:00] viele Kämpfe zu bestehen. Es werden noch viele Ukrainer getötet werden, es wird noch viel Territorium erobert werden. Und es werden leider auch noch viele Russen getötet und verwundet werden. Ich will nicht behaupten, dass der Krieg zu Ende ist, aber er ist gelaufen. Russland hat gewonnen, und daran wird sich nichts mehr ändern.

Verhängnisvolle Intervention des Westens

GlennDiesen: [00:15:20] Aber entschuldigen Sie, ich habe mich nur gefragt, wie Sie das Gefühl haben, dass der Krieg in diese neue Phase eintritt, denn wie Sie eingangs erwähnten, stürmte Russland [00:15:30] irgendwie unvorsichtig auf Kiew zu, wissen Sie, mit diesen sehr dünnen, langen Nachschublinien, was sie sehr verwundbar machte. Es scheint mir aber, dass Boris Johnson während der ukrainischen und russischen Friedensverhandlungen Kiew einen Besuch abstattete und ihnen praktisch mitteilte, dass das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten die Ukraine mit allen Waffen versorgen würden, die sie brauchen würde, wenn sie nur von diesem Friedensabkommen, von diesem, nun ja, Verhandlungstisch [00:16:00] mit den Russen weggingen. Ich denke, dass dies aus unserer Sicht den Krieg verändert hat, denn bis dahin sah es so aus, als ob die Russen den Schaden für die Ukraine so niedrig wie möglich halten wollten. Doch danach schien der Krieg zu einem Abnutzungskrieg zu werden, in dem das gegnerische Militär effektiv vernichtet wurde. Aber wie gesagt, das geht jetzt schon seit ein paar Monaten so. Aber es scheint, dass wir jetzt zu diesem Stadium kommen, wo die ukrainische Armee [00:16:30] zusammenzubrechen scheint, denn gerade in den letzten zwei oder drei Wochen sehen wir Abschnitte an der Hauptfrontlinie und nördlich von Donezk Stadt, also und auch im Westen, das sind Vuhledar und Marjinka, Pisky, Awdijiwk und jetzt auch Bachmut, die zu fallen scheinen. Dies waren die Hauptverteidigungslinien. Es ist als ob der Krieg in eine neue Phase eingetreten wäre, vom Zermürbungsprozess mehr hin zu territorialen Übernahmen. Was meinen [00:17:00] Sie beide?

 ScottRitter: [00:17:02] Nun, Alex, ich habe lange genug gesprochen, also können Sie das übernehmen.

 AlexanderMercouris: [00:17:06] Lassen Sie mich zuerst ein paar Anmerkungen zu dem machen, was Sie gesagt haben, Scott, wenn Sie nichts dagegen haben. Ich möchte nur sagen, dass ich glaube, dass die von Ihnen erwähnten Opferzahlen in etwa richtig sind. Und Sie sagten, dass die Ukraine die westlichen Armeen geschlagen hätte, nur die westeuropäischen Armeen. Die britische Armee, die britische Landarmee, zählt, glaube ich, etwa 80.000 Mann. Also [00:17:30] wir reden hier von 190.000 ukrainischen Opfern bis Juni. Das ist, man kann es sich ausrechnen, viel mehr als die britischen Landstreitkräfte. Und ich habe tatsächlich gehört, dass man das in Großbritannien sagt. Sie sagten, dass die Ukrainer, schon bevor die Zahlen des ukrainischen Militärs durchgesickert sind, dass die Ukrainer mehr Männer verloren haben, als [00:18:00] die britische Armee in einem Krieg einsetzen könnte.

Umkehr der Verhältnisse im Abnutzungskrieg

Zu dem Punkt das sich der Abnutzungskrieg hier zum Nachteil des des Verteidiger entwickelt – ein Abnutzungskrieg sollte eigentlich zu Gunsten der Verteidigung funktionieren. Zumindest scheint das jeder in London anzunehmen. Ich kann mich an diese Zeit des wilden Optimismus im April erinnern. [00:18:30] Sie sagten sich, na ja, wissen Sie, sie haben Kiew nicht bekommen. Sie werden im Donbass angreifen. Der Donbass wird genau so stark verteidigt, wie Sie gesagt haben. Die Russen werden nicht in der Lage sein, diese Verteidigungsstellung zu durchbrechen, weil die Ukrainer so gut verschanzt sind. Das ukrainische Militär ist, wie sich herausstellte, sehr stark. Ich glaube übrigens, dass dies ein Faktor ist, den die Leute unterschätzt hatten. Ich habe ihn sicherlich unterschätzt. Ich glaube, das ist übrigens auch ein Grund, warum es überhaupt zum Krieg kam, denn die Russen waren zweifellos [00:19:00] zunehmend besorgt über diese militärische Aufrüstung in der Ukraine, und sie waren darüber sehr beunruhigt. Aber abgesehen davon war man in London und wahrscheinlich auch in Washington sehr optimistisch und sagte sich: Die Russen werden einen Zermürbungskrieg nicht gewinnen können. Die Zahlen sind zu sehr gegen sie gerichtet. Aber wie man nun gesehen hat, kehrt sich die Zermürbung um. Es sind die Ukrainer, die unter der Zermürbung leiden, nicht die Russen. [00:19:30] Ich glaube, es gibt ein stilles, wachsendes Entsetzen über das schiere Ausmaß dieses Artilleriekrieges, den zumindest das britische Militär nicht wirklich verstanden hat, von dem es bis zu diesem Zeitpunkt keine wirkliche Vorstellung hatte. Ich sage es oft und ich sage es wieder, Ich habe keinen militärischen Hintergrund, keinen wie auch immer gearteten. Ich war nie in einer Armee. Ich habe nie in Uniform gedient. Ich kannte Offiziere, militärische [00:20:00] Offiziere, aber, nochmals, ich habe mich nie für militärische Angelegenheiten interessiert.

Russlands logistische und industrielle Leistung

Ich kenne mich etwas, sehr gut mit Logistik aus, und die schiere logistische Leistung, all diese Artillerie in Bewegung zu setzen, sie mit Munition zu versorgen, sie Tag für Tag, Woche für Woche in dieser Größenordnung zu versorgen und all diese Raketen abzufeuern, ist einfach unglaublich. Es ist atemberaubend. Es ist ein unglaublicher [00:20:30] industrieller Aufwand. Es ist ein gewaltiger organisatorischer Aufwand. Es ist ein Aufwand, zu dem wir zumindest hier in Großbritannien, das kann ich definitiv sagen, nicht mehr fähig sind. Ich denke, wenn die Vereinigten Staaten all ihre Ressourcen dafür einsetzen würden, könnten sie es schaffen. Aber kein europäisches Land könnte das allein oder auch nur gemeinsam. Wir haben gesehen, dass die Munitionsvorräte [00:21:00] im Westen, die Vorräte, alle erschöpft sind. Im Juli hat Europa alle Waffenlieferungen an die Ukraine eingestellt, weil wir diese Art von Krieg einfach nicht mehr durchhalten können. Es ist ein Zermürbungskrieg, der sich nicht nur gegen die Ukraine richtet. Unglaublich. Und das ist etwas, das niemand erwartet hat. Er richtet sich auch gegen uns, und damit meine ich die Streitkräfte in Europa [00:21:30], und darauf haben wir keine Antwort. Ich wollte also nur diese Beobachtungen machen, die auf den Dingen aufbauen, die Scott sagt. Wenn Scott etwas davon beanstanden möchte, dann wird er das natürlich tun.

Auf dem Weg zur Entmilitarisierung der NATO

GlennDiesen: [00:21:45] Letzter Punkt. Ich erinnere mich an den tschetschenischen Führer Kadyrow. Er sagte, dass sie nach der Entmilitarisierung der Ukraine auch die NATO entmilitarisieren werden. Ich dachte, wissen Sie, er neigt zu einer etwas bombastischen Sprache, aber da ist etwas dran. Ich meine, wir haben europaweit agiert. unsere [00:22:00] militärischen Lagerbestände abgebaut und alles verfrachtet. Und wir sehen jetzt, dass die Zahlen zurückgehen, nicht unbedingt wegen unserer Politik, sondern weil wir die Mittel nicht mehr haben. Und selbst wenn wir sie hätten, scheinen wir einfach nicht in der Lage zu sein, die Waffen so schnell liefern zu können wie die Ukrainer sie verlieren. Es scheint also eine verlorene Schlacht zu sein. Aber wie gesagt, das ist der Grund, warum es so frustrierend ist, dass es [00:22:30] weitergeht. Wir setzen den Krieg fort, obwohl, Scott sagte, dass der Krieg verloren ist auch wenn er noch nicht beendet ist. Es fühlt sich an, als hätten wir diesen Punkt [ab dem der Krieg verloren ist] schon lange hinter uns gelassen haben. Und doch kämpfen wir weiter.

AlexanderMercouris: [00:22:48] Ich möchte nur ein paar Dinge sagen. Ein paar schnelle Dinge. Zunächst einmal schäme ich mich zutiefst für die Rolle, die mein Land im März gespielt hat, als es eine vielversprechende Möglichkeit für [00:23:00] eine Verhandlungslösung für diesen Krieg zunichte gemacht hat. Zweifellos werden wir noch mehr dazu sagen. Aber ich bin zutiefst bestürzt über diese Sache. Aber um auf die Punkte zurückzukommen, die Sie vorhin angesprochen haben, Glenn, Ihre Frage über die Tatsache, dass der Krieg die Richtung zu ändern scheint, werde ich Scott in Bezug auf das Militär überlassen, aber ich habe auch das Gefühl, dass die Zermürbung jetzt den Punkt erreicht, an dem man über den Horizont hinweg sehen kann, dass die Zermürbung ihren Effekt haben wird.

Ukraine dem Weg zum wirtschaftliche Kollaps

[00:23:30] Kein Militär kann den Schaden verkraften, den die Ukraine Tag für Tag, Woche für Woche erleidet. Keine Gesellschaft kann das. Es mehren sich die Hinweise, dass auch in der Ukraine die wirtschaftlichen Spannungen zunehmen. Es gibt klare Anzeichen dafür, dass sich dort eine Inflationskrise anbahnt. Wir haben Kommentare von Wirtschaftswissenschaftlern wie Ken Rogoff, der übrigens ein sehr bekannter [00:24:00] Harvard-Ökonom ist. Sie sagen der Ukraine, dass man die Ausgaben nicht in dem Maße aufrechterhalten kann. Man kann nicht so viel Geld drucken, um die Kriegsausgaben zu decken, wie man es derzeit tut. Wenn man das tut, wird man mit ernsthaften Inflationsproblemen konfrontiert werden.

Der Gouverneur der ukrainischen Zentralbank hat sich jetzt geäußert und genau dasselbe gesagt. Er sagte, dass die Regierung in Kiew ihre Ausgaben kürzen muss. Wie [00:24:30] kann eine Regierung, die sich mitten im Krieg befindet, ihre Ausgaben kürzen? Ich meine, das ist unmöglich. Was von ihnen verlangt wird, lässt nur einen logischen Weg zu: Friedensverhandlungen. Genau aber dazu scheint die Regierung in Kiew strukturell nicht in der Lage zu sein.

Ich habe also das Gefühl, dass wir wahrscheinlich in den nächsten [00:25:00] Wochen bis Monaten an den Punkt kommen, an dem die Zermürbung ihre Wirkung zeigt und dieser Krieg sich seinem Ende nähert. Ich denke, ich habe Recht, wenn ich sage, dass dies sicherlich der Fall ist, nebenbei bemerkt, ich meine – wie Sie wahrscheinlich alle wissen, bin ich Jurist – juristische Kämpfe, Rechtsstreitigkeiten können manchmal eine zermürbende Qualität haben. Was dabei manchmal passiert, und ich vermute, dass das auch im Krieg der Fall ist, ist, dass eine Seite irgendwann erschöpft ist und der Zusammenbruch plötzlich kommt.

Vorstoß der Russen bis zum Dnjepr absehbar

Ich frage mich, ob wir so etwas auch in der Ukraine erleben könnten. Wenn ich von einem plötzlichen Zusammenbruch spreche, dann meine ich nicht einen totalen Zusammenbruch auf der ganzen Linie, aber wir könnten zum Beispiel im Donbass, in der Ostukraine und [00:26:00] in der Ukraine ziemlich dramatische Entwicklungen erleben. Es gibt alle möglichen Leute, die an der Front sind. Russland, aber auch die Ukraine, haben übrigens einige erstaunliche Kriegsreporter. Sehr tapfere Leute.

Im Grunde genommen scheinen sie alle zu sagen, dass, sobald die Verteidigungslinien im Donbass durchbrochen sind, die einzige verbleibende Verteidigungslinie der Fluss Dnjepr ist, und dass es [dazwischen] dann wirklich nichts mehr gibt. Es [00:26:30] gäbe dann nichts mehr, was einem russischen Vormarsch zum Dnjepr im Wege stünde. Wenn aber die Russen bis zum Dnjepr vorstoßen dann ist die Ukraine im Wesentlichen zwei Teile zerschnitten. Den Krieg fort zu führen wird dann, zumindest so weit ich das sehe, sehr, sehr problematisch. Sie stellen also die Frage, wohin sich dieser Krieg entwickelt und in welche Richtung er geht? Ich hoffe, ich habe gerade meine [00:27:00] eigenen Gedanken dazu deutlich gemacht.

Scotts Geschichte von der Artillerie der US-Marines

ScottRitter: [00:27:04] Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Alexander hat gerade alles meisterhaft beantwortet. Es gibt nichts mehr zu besprechen. Nein, ich stimme 100% zu. Wenn Sie mir erlauben, dass ich mir ein bisschen Geschichtenerzählen gönne. Aber es hat etwas mit dem hier zu tun. Als ich bei der Artillerie war, ich war in einem Artilleriebataillon, als ich zum ersten Mal zum Marine Corps kam, als einfacher Leutnant. Und ich hatte die Dreistigkeit [00:27:30] als ich vor meinen kommandierenden Offizier gerufen wurde, sagte er, was ist die Rolle eines Nachrichtenoffiziers? Er hatte gerade die beiden Jungs vor mir gefeuert. Ich antwortete: Der Nachrichtendienst steuert die Operationen. Ohne mich könnt ihr gar nichts machen. Er fragte: Glauben Sie das wirklich? Ich sagte: Ja, Sir, das tue ich. Er sagte: Gut. Sie sind für den jährlichen Ausbildungsplan verantwortlich. Dem Leutnant wurde die Verantwortung für die Erstellung des jährlichen Ausbildungsplans für das größte Artilleriebataillon der freien Welt übertragen, [00:28:00] das fünfte Bataillon der elften Marines, das aus fünf schießenden Batterien besteht. Ich sagte: “Okay, das mache ich.”.

Aber als ich dazukam, war die Art und Weise, wie wir die Artillerie betrieben, die des Zweiten Weltkriegs, mit Artilleriebataillonen zur direkten Unterstützung, die mit der Front zusammenarbeiteten und die für Feuerunterstützung bis zur Divisionsebene sorgten. Aber es war sehr linear. Als [00:28:30] ich mir die sowjetischen Fähigkeiten anschaute, weil wir für den Kampf gegen die Sowjets trainierten, sagte ich, dass wir schon am dritten Tag verlieren würden. Wenn wir das versuchen, wenn wir versuchen, mit den Sowjets auf Augenhöhe zu sein, dann werden wir verlieren. Und das war zu einer Zeit, als das Marine Corps sich für die Manöverkriegsführung entschied. Indem ich einige dieser Prinzipien adaptierte, entwickelte ich einen jährlichen Trainingsplan, der viel Manövrieren, viel Dispersion, konzentriertes [00:29:00] Feuer und mobile Anti-Batterien-Fähigkeiten beinhaltete. Die Idee war, Raum zu tauschen, Raum zu schaffen und den Feind zu stören, bis man einen entscheidenden Punkt erreicht, an dem man ihn treffen kann. Und dafür haben wir trainiert, ich meine, ich war zweieinhalb Jahre lang dort. Eines der interessanten Dinge, von denen Sie sprachen, ist die Logistik, diese neue Art des Krieges. Das Marine Corps trainierte damals so wie es kämpfte, das heißt, wir übten nur mit scharfer Munition. Ich bin 29 Jahre alt, aus Kalifornien und in der [00:29:30] Wüste, und die Munitionsausgaben gingen durch die Decke, und das Hauptquartier des Marine Corps kam zu mir und sagte, das könne man nicht rechtfertigen. Ich musste wieder einen Bericht schreiben. Nun, als Oberleutnant musste ich erklären, dass wir so trainieren mussten, weil wir sonst den Krieg verlieren würden. Ich konnte sie überzeugen. Was ich damit sagen will, ist, dass die Munitionsverbrauchsraten durch die Decke gingen, und trotzdem hatten wir, als wir den Krieg durchspielten, irgendwann einfach nicht mehr genug, egal wie gut [00:30:00] wir waren. Selbst wenn wir alles richtig gemacht haben, selbst wenn wir die perfekte Zeit für ein Manöver genutzt haben, um uns einen Vorteil zu verschaffen, usw. Irgendwann würden unsere fünf Batterien zermürbt werden, ohne dass die Artilleriekapazitäten der [sowjetischen] Streitkräfte nennenswert geschwächt würden. Sie würden uns überwältigen und wir müssten am Ende Atomwaffen einsetzen. Egal, was wir also taten, wir mussten am Ende immer Atomwaffen einsetzen. Und das war das United States Marine Corps.

Ich will nicht [00:30:30] zu sehr prahlen, aber es gab niemanden, der besser war als wir. Und es wird auch nie jemanden geben, der besser ist als wir. Wir waren die ultimativen Kämpfer. Und ich bin mir sicher, dass die Marines heute dasselbe empfinden: Sie haben sich voll und ganz der Kriegskunst verschrieben. Und es war dennoch nicht gut genug. Es war nicht gut genug. Und jetzt haben wir die Ukrainer, die nicht annähernd so gut sind wie die Marines. Sie sind professionell, aber ich kann Ihnen garantieren, dass ihr Militär nie auf dem Niveau trainiert hat, das wir in den 1980er Jahren in Bezug auf Live-Feuer-Manöver ständig im Feld trainiert haben. [Wahrscheinlich ist eine Kombination aus ständigem Stellungswechsel und Schießen mit scharfer Munition gemeint]. Und [00:31:00] jetzt treten sie gegen die Russen an, die ebenfalls nicht so gut ausgebildet waren wie wir. Aber die Russen haben das gemeistert. Und Sie haben recht, logistisch gesehen ist das kein Zufall.

Die Russen haben noch lange genug Munition

Was ist hier los? Wissen Sie, die Russen sind nicht mit dem Gedanken in diesen Krieg gegangen, dass sie ihn in drei Monaten gewinnen werden. Daher haben sie all diese Munition gehortet. Die Russen haben das schon seit Jahren geplant. Seit Jahren haben sie ihre Mittel [00:31:30] für die Beschaffung von Munition aufgestockt. Sie haben nicht nur Artilleriemunition gehortet, sondern auch Präzisionsmunition, Klibr-Raketen, Onyx-Raketen. Diese Dinge sind ihnen noch nicht ausgegangen. Wie Alex weiß hieß es schon im April, “ihnen werden die Kalibr-Raketen ausgehen werden. Sie haben nicht ….”.

 AlexanderMercouris: [00:31:50] Der Daily Telegraph sagte uns im März, dass dies in zwei Wochen der Fall sein würde.

 ScottRitter: [00:31:55] Das ist nicht passiert. Sie haben weiter alles was sie brauchen. Sie greifen dich an und es wird niemals enden.

Noch mal zur angekündigten Entmilitarisierung der NATO

Sie [00:32:00] haben die NATO angesprochen und es gibt eine Ankündigung, dass sie die NATO entmilitarisieren werden. Denken Sie darüber nach. Es ist nicht nur, dass sie … Alexander, Sie wissen, wir reden über 191.000, ich schätze eher 250.000 an Verlusten, das ist mehr als das Doppelte der britischen Armee. Die Zahl der toten Ukrainer entspricht genau der Größe der britischen Armee. Die Russen haben also so viele Ukrainer getötet, wie es [00:32:30] in der britischen Soldaten Armee gibt. Und das ist etwas, worüber man mal kurz nachdenken sollte. Entmilitarisierung der NATO. Die NATO hat sich, um die Ukrainer zu versorgen, selbst ausgeweidet. Das liefert den ersten Teil dieser Ankündigung.

Lassen Sie uns das genauer analysieren. Das bedeutet, dass Russland, bevor wir darüber sprechen, was die NATO der Ukraine zur Verfügung gestellt hat, das gesamte Arsenal der zweitgrößten Armee Europas, das [00:33:00] bestehende Arsenal, die Tausende von Panzern, die Tausende von Artilleriegeschützen, die Hunderte von Flugzeugen, die die Ukraine vor der Öffnung ihrer Kasernen und Arsenale durch die NATO besaß, besiegt, zerstört, vernichtet hat. Das ist an sich schon erstaunlich, denn die Menge an Ausrüstung, die Russland zerstört hat, wenn man sie mit dem vergleicht, was die NATO in ihren Arsenalen hat, bedeutet, dass sie in der Lage sind, das, was die NATO hatte, vollständig [00:33:30] zu zerstören. Aber jetzt hat sich die NATO selbst ausgeweidet, indem sie der ukrainischen Armee erhebliche Mengen an Ausrüstung gegeben hat, die von den Russen zerstört wurde. Es ist also nicht so, dass sich das ukrainische Militär mit all dieser neuen NATO-Ausrüstung erfolgreich neu aufgestellt hat, um größer, besser und besser zu werden. Sie werden immer noch zerschlagen. Die Ausrüstung wird zerstört.

Russland hat den Krieg militärisch zweimal gewonnen

Russland hat den Krieg also zweimal gewonnen. Sie besiegten das ukrainische Militär, wie es [00:34:00] ursprünglich organisiert und ausgerüstet war, und sie besiegten das neue ukrainische Militär, das von nun von der NATO mit all dieser Ausrüstung der NATO ausgestattet wurde. Einige NATO-Staaten haben die Bereitstellung von Ausrüstungsgegenständen ganz eingestellt, weil sie nichts mehr zur Verfügung stellen können, es sei denn, sie wollen ihre Fähigkeiten auf Null reduzieren. Russland hat also die NATO demilitarisiert. Tatsache ist, dass Russland in der Lage sein wird, die derzeitige Artillerierate von 60.000  [00:34:30] bis 70000 Schuss pro Tag aufrechtzuerhalten – ein kurzer Hinweis auf den Golfkrieg, in dem ich 1991 gegen den Irak kämpfte, die Vereinigten Staaten feuerten während der Bodenkampfphase im gesamten Golfkrieg 60.000 Schuss [Artilleriemunition] ab. Die Russen verbrauchen das an einem Tag. Lassen Sie uns also kurz darüber nachdenken, bevor wir zum nächsten Punkt übergehen.

Aufrüstung ist kein Computerspiel sondern kostet Zeit

Die NATO – lassen Sie mich das einwerfen. Man baut eine Armee nicht über Nacht auf. Und [00:35:00] Alexander, Sie haben das angedeutet. Sie sprachen von der Fähigkeit, Munition usw. zu produzieren. Selbst, wenn NATO auf magische Weise 200 Milliarden Euro produzieren würde. Sie können das nicht, aber nehmen wir an die haben magische Euros. Dies ist kein Kriegsspiel, kein Computerspiel, bei dem wir rekrutieren, genügend Ressourcen anhäufen und auf den Knopf klicken und sagen “Oh, sehen Sie, wir haben genug Ressourcen angesammelt, wir bauen Panzer, wir bauen Panzer. Wir bauen Flugzeuge. Wir bauen Artillerie.” Nein, die industrielle [00:35:30] Basis ist [in der Realität] nicht in der Lage, das zu tun.

Die industrielle Basis arbeitet auf der Grundlage eines zeitlichen Budgets, d.h. der Gesetzgeber genehmigt eine bestimmte Menge an Munition, die im Laufe der Zeit produziert werden soll. Die industrielle Basis stellt sich darauf ein und tut dies, wenn es nicht zu einer totalen Mobilisierung, einer totalen Umwandlung der industriellen Basis kommt, ist das alles, was man tun kann. Diese Umstellung braucht Zeit. Sie geschieht nicht über Nacht. Europa ist nicht in der Lage, ein Arsenal zu produzieren, das [00:36:00] mit dem russischen Militär mithalten kann. Sie werden die Briten abhängen. Ich glaube, es wurde viel darüber geredet, dass sie [die Briten] in zwei Wochen keine Munition mehr haben würden. Nein, die Munition wird ihnen vor Ablauf von zwei Wochen ausgehen, denn das setzt zunächst einmal voraus, dass Großbritannien in der Lage ist, mit einer bestimmten Anzahl von Truppen über einen Zeitraum von zwei Wochen eine bestimmte Feuerrate aufrechtzuerhalten. Sie würden Ihre gesamte Armee in weniger als dieser Zeit verlieren. Sie würden also keine Truppen mehr haben, die Munition verbrauchen könnte, die Munitionsdepots würden zerstört werden. Die Logistik würde zerstört werden. Die Russen werden [00:36:30] Sie auf dem gesamten Spektrum des Schlachtfelds dominieren. Und das gilt für die gesamte NATO, sogar für die Vereinigten Staaten. Uns gehen die HIMARS-Raketen aus. Wissen Sie, das HIMARS ist angeblich diese magische Waffe, die wir entwickelt haben, und mit der wir dem russischen Militär das Genick brechen können. Nun, das ist wunderbar in einer perfekten Welt, aber wir haben keine HIMARS-Munition mehr. Wir haben sie alle den Ukrainern gegeben, und sie wurden alle in die Luft gesprengt. Also, ja, die NATO ist entmilitarisiert worden, und wenn dieser Krieg zu Ende ist, und er wird zu Ende gehen, werden wir [00:37:00] ein russisches Militär sehen, das die Kunst des Krieges perfektioniert hat, was nicht nur beinhaltet, wie man den Feind an der Front tötet, sondern auch, wie man das logistisch aufrechterhält, wie man das macht und wächst. Und sie werden es mit einer NATO zu tun haben, die sich selbst entkernt hat, die keine Nachhaltigkeit hat und der es immer noch an einem Militär mangelt, das in der Lage ist, die Art von Krieg zu führen, die Russland jetzt führt.

Wie wird sich der Krieg in der Ukraine ändern?

Wird sich der Krieg ändern? Ja. Wenn sie die Verteidigungsanlagen [bei Donezk] durchbrechen, wird sich das Wesen des Krieges ändern. Daran gibt es keinen Zweifel. Aber [00:37:30] ich würde jeden davor warnen, an einen dramatischen Ausbruch zu denken. Und der Grund, warum ich das sage, ist, dass die Operation Bagration im Sommer 1944 stattgefunden hat. Die Zerstörung der Heeresgruppe Mitte, einer der schrecklichsten Zusammenbrüche des militärischen Zusammenhalts in der modernen Geschichte, bei dem die deutsche Heeresgruppe Mitte im Wesentlichen von den Sowjets überwältigt wurde [00:38:00]. Und plötzlich sieht man die großen Pfeile [auf den militärischen Lagekarten], die vorwärts gehen, und auf dem Papier sieht es wirklich, wirklich gut aus. Große Pfeile. Aber weißt du, was mit diesen großen Pfeilen einherging? Große Verluste. Riesige Verluste. Große Pfeile gibt es nicht umsonst. Große Pfeile sind teuer. Und ich glaube nicht, dass die Russen bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Auch wenn sich die Gelegenheit für einige große Pfeile bietet, denke ich, dass die Russen [00:38:30] versuchen werden, ihren Zermürbungskrieg anzupassen, den sie bisher geführt haben. Wahrscheinlich mit einem höheren Operationstempo, aber sie werden versuchen, den Ukrainern immer wieder die Gelegenheit zu geben, eine Pause einzulegen, sich zu konsolidieren, und dann werden die Russen ebenfalls eine Pause einlegen, sie niedermahlen und dann zur nächsten Pause übergehen. Ich denke also, dass wir anstelle dieses stetigen Zermahlens einige Sprünge nach vorne sehen werden, Sprünge nach vorne, Sprünge nach vorne, [00:39:00] Sprünge nach vorne. Aber ich glaube nicht, dass wir die großen Pfeile sehen werden, denn große Pfeile bringen große Verluste mit sich. Und eines der Dinge, die die Russen offenbar für sich entdeckt haben, ist die Minimierung von Verlusten. Dies ist immer noch eine militärische Spezialoperation. Sie haben nicht mobilisiert. Sie haben immer noch mit den Einschränkungen eines Militärs in Friedenszeiten zu tun. Sie sind also nicht darauf vorbereitet, die Verluste hinzunehmen, die mit großen, weitreichenden Offensivoperationen einhergehen. Und ich erwähne das, weil egal [00:39:30] was mit den Ukrainern passiert, wenn sie zusammenbrechen und zerbröckeln, genau wie die deutsche Armee im Zweiten Weltkrieg. Die Deutschen waren immer noch in der Lage, sich auf der Stelle zu drehen und die Sowjets zu schlagen, wenn diese einen Fehler machten. Die Ukrainer sind immer noch in der Lage, auf der Stelle zu drehen und den Russen ins Gesicht zu schlagen, wenn der Russen ihnen die Chance dazu geben. Das ist also die Gefahr großer, den Gegner besiegender militärischer Offensiven [engl.: big air war], denn wenn man sie beginnt und einen kompetenten Gegner hat, kann er immer noch Schaden anrichten. Und ich glaube nicht, dass die Russen [00:40:00] den Ukrainern eine Gelegenheit geben wollen, Schaden anzurichten. Letztendlich wird dieser Krieg aber zu einem Krieg der Gebietseroberung werden, sobald die Verteidigungsanlagen aufgerollt sind.

[Anmerkung. Auf dem Military Summary Chanel wurde am Freitag den 26.8.2022, also eine Woche nach der hier übersetzten Diskussion erklärt, dass die Russen in der ablaufenden Woche in der Gegend bei Donezk und an den meisten anderen Stellen keine Gebietsgewinne mehr zu verzeichnen hatten weil sie sich auf eine neue Taktik verlegt haben: Sie beschießen und dezimieren damit ukrainische Einheiten aus sicherer Entfernung so lange mit ihrer Artillerie, bis die Ukrainer die dezimierten Einheiten gegen frische Einheiten auswechseln. Dann dezimieren die Russen diese frischen Einheiten. Erst wenn die Russen sicher sind das die Ukraine eine Stellung wirklich kampflos aufgegeben hat rücken sie vor. Offenbar gelingt es den Russen so den ukrainischen Streitkräften hohe Verlust zu zu fügen und deren Einheiten zu zermürben, ohne dass es auf russischer Seite Verluste gibt.]

Wie die Ukraine ihr Recht verlor über ethnische Russen zu regieren

Die Russen haben deutlich gemacht, dass sich die Natur des Konflikts geändert hat, weil die Ukraine im April nicht bereit war, sich auf verantwortungsvolle Verhandlungen einzulassen. Und um es grob zu vereinfachen, hat die Ukraine das Recht verloren, über einen ethnischen [00:40:30] Russen zu herrschen. Ich denke, das ist so einfach, wie ich es ausdrücken kann. Russland wird den Ukrainern nie wieder die Möglichkeit geben, ethnische Russen so zu terrorisieren, zu ermorden, zu vergewaltigen, wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Die vom ukrainischen Parlament verabschiedeten Gesetze zum Verbot der russischen Sprache und zur Ächtung der russischen Kultur sind Gesetze, die, wenn man die Augen schließt und das Wort “Russisch” durch “Jude” ersetzt, in ihrer Auslöschung eines Volkes, einer Kultur, einer Rasse an Nazi-Deutschland erinnern. [00:41:00] Egal, was passiert, die Ukraine hat in den Köpfen der Russen, glaube ich, jedes Mitspracherecht verloren, wenn es darum geht, einen ethnischen Russen zu regieren. Sie werden also Charkow verlieren, sie werden Dnipropetrowsk verlieren, sie werden Nikolajew verlieren, sie werden Odessa verlieren. Und ich denke, wir werden die Schaffung von Neurussland erleben, das sich von Transnistrien bis nach Charkow erstreckt. Das wird für immer Russland sein. Die Militäroperation wird, sobald sie die Verteidigung aufrollen und den Donbass [00:41:30] zurückerobern, zu einem Krieg der Gebietseroberung werden, in dem die Russen ein bestimmtes territoriales Ziel definieren und es dann erreichen werden. Konsolidieren, vollenden, konsolidieren, vollenden mit dem Ziel, ihre Ziele mit minimalen Verlusten zu erreichen. Das ist der einzige Punkt, der meiner Meinung nach berücksichtigt werden muss. Die Russen werden keine großen Spiele spielen, weil Russland politisch nicht bereit ist, große Verluste hinzunehmen, aber sie werden diesen Krieg gewinnen.

Wird Russland Wehrpflichtige mobilisieren?

 GlennDiesen: [00:42:00] Der Punkt, den ich Sie fragen wollte, weil Sie erwähnt haben, dass Russland nicht über dieses Format einer speziellen Militäroperation hinausgegangen ist, dass es Spekulationen bezüglich der Mobilisierung gibt, weil es danach aussieht, dass es nächsten Monat diese Volksabstimmungen durchführen wird, mit denen Cherson und Saporischschja an Russland angeschlossen werden. [00:42:30] Wäre es nicht so, dass das damit das rechtliche Problem, des Einsatzes russische Truppen in fremden Ländern überwunden würde? Mit anderen Worten, dies würde es Russland ermöglichen, auch viele Wehrpflichtige zu entsenden und viele dieser Truppen freizusetzen? Oder ist das etwas, das nicht durch das Gesetz eingeschränkt ist, sondern dass sie lediglich nicht unbedingt tun wollen, um die Verluste gering zu halten?

AlexanderMercouris: [00:43:00] Ich glaube nicht, dass sie Wehrpflichtige in diesen Krieg schicken werden. Ich glaube nicht, dass dies überhaupt Teil der Agenda ist. Ich denke, was sie tun werden, ist Folgendes. Sie werden genau das tun, was Scott gesagt hat. Sie werden damit beginnen, diese Gebiete in die Russische Föderation einzugliedern. Und das wird rechtliche Auswirkungen haben, denn sobald diese Gebiete Teil der Russischen Föderation sind, werden Angriffe auf sie zu Angriffen auf die Russische Föderation. Angriffe auf sie werden Teil von Angriffen auf Russland selbst.

Aber ich glaube, dass [00:43:30] wir zwei Dinge erleben werden. Erstens denke ich, dass die Russen anfangen werden, in diesen Gebieten zu rekrutieren. Das tun sie ja bereits. Es gibt auch schon Berichte, die durchgesickert sind. Es ist nicht ganz klar, aber anscheinend wird bereits eine Odessa-Brigade gebildet, und es werden noch mehr solcher Einheiten entstehen, nicht als Miliz, aber sie werden vermutlich Teil der regulären russischen Armee sein.

Aber mit diesen Gebieten [00:44:00] erhalten die Russen einen Reservepool von Menschen, die von Ukrainern regiert wurden, die Gründe haben, den Ukrainern nicht freundlich gesinnt zu sein, weil sie diskriminiert wurden. Das ist übrigens etwas, was die Menschen im Westen einfach nicht akzeptieren wollen. Ich meine, man akzeptiert im Westen einfach nicht, dass es diese sehr stark diskriminierende Politik gegenüber Russen gibt. Aber sie ist eine Tatsache, und sie [00:44:30] wird eine Wirkung haben. Die Menschen werden bereit sein, sich zu melden, zu kämpfen, ihr Land zu verteidigen und in die russische Armee einzutreten, um das zu tun. Es gibt auch Gerüchte, und ich betone Gerüchte, aber sie sind so weit verbreitet, dass ich mir sicher bin, dass etwas dran ist, dass alle möglichen Freiwilligenbrigaden – mit anderen Worten, Reservisten – in Russland rekrutiert werden [00:45:00], um im wesentlichen Infanteriepersonal aufzubauen. Ich glaube, das ist das einzige, was den Russen in diesem Krieg gefehlt hat ist Infanterie. Scott weiß mehr darüber als ich. Sie werden nach und nach mehr Infanterie aufstellen, durch all diese Freiwilligen, durch die Tatsache, wie ich schon sagte, dass sie in der Lage sein werden, Personal in diesen bestimmten Regionen zu rekrutieren, und das [00:45:30] wird, denke ich, mit der Zeit das Gleichgewicht noch mehr beeinflussen.

Ich meine, ich habe das Gefühl, dass die Ukraine, wenn wir uns die Situation, sagen wir, im März, als die Schlacht im Donbass begann, anschauen, zu diesem Zeitpunkt einen sehr, sehr großen Vorteil bei den Infanteriekräften hatte. Ich vermute, dass sich dieser Vorsprung durch all diese Verluste verringert hat. Mit den [00:46:00] russischen Verstärkungen, die jetzt ins Spiel kommen, wird sich dieser Vorteil noch weiter verringern. Sie sehen also eine ausgeglichene Tendenz. Zumindest ist das meine Meinung. Aber ich glaube nicht, dass sie Wehrpflichtige hineinschicken werden. Ich denke, dass das russische Militär auf einer gewissen Ebene von einem Kriegskonzept [00:46:30] abrücken will, bei dem der Krieg mit Wehrpflichtigen geführt wird. Ich glaube, Wehrpflichtige werden eher als Arbeitskräftereserven gesehen, denn als Leute, die man in die Schlacht an die Front schickt. Ich persönlich glaube also nicht, dass sie noch Wehrpflichtige in die Schlacht schicken werden.

 ScottRitter: [00:46:51] Ich stimme zu. Ich möchte das nur noch einmal betonen.

Russlands Abschied von den  Wehrpflichtigen

Die Russen haben sich bereits von den Wehrpflichtigen verabschiedet. Wissen Sie [00:47:00], schauen Sie sich die jüngste Erhebung an, um es mal so zu sagen. Ich habe die Zahl vergessen. Ich glaube, die Gesamtzahl für dieses Jahr war 260.000, ungefähr die Hälfte davon wird alle sechs Monate eingezogen. Es gibt zwei Zyklen. Und die Russen haben sich daran gehalten. Es gab keine massive Ausweitung der Rekrutierung. Sie rekrutierten im Grunde nur so viele Wehrpflichtige, wie sie in Friedenszeiten für ihre militärischen Verpflichtungen benötigten. Es ist das gleiche Niveau [00:47:30] der Rekrutierung, das vor der speziellen Militäroperation stattfand.

Und wie Alexander schon sagte, und das ist etwas, das 2008 während des kurzen Krieges mit den Georgiern aufkam. Die georgische Infanterie war von den Marines ausgebildet worden. Wie gesagt, ich bin kein großer Fan davon das die NATO-Ausbildung in Georgien oder in der Ukraine ausbildet. Aber hey, die Marines, die sind professionell und bilden diese Truppen sehr gut aus. Und die Russen [00:48:00] haben nach dem Krieg gesagt, dass sie noch nie gesehen haben, dass leichte Infanterie auf diese Weise operiert. Sie waren zehnmal besser als die Russen. Ihr Feuermanöver, ihre Führung und Kontrolle, die Art und Weise, wie ihre Truppen miteinander kooperieren. Die Russen sagten, diese Jungs seien fantastisch. Es war nur so, dass die Russen Panzer und Artillerie mitbringen konnten, gegen die die Infanterie keine Chance hatte. Aber Junge, konnten diese Georgier kämpfen.

Da haben die Russen gesagt, na ja, wenn die Georgier das so machen, was ist, wenn wir jemals gegen den [00:48:30] großen Hund antreten müssen? Wir haben gerade gegen einen Chihuahua gekämpft.  Wir haben gewonnen, aber er hat uns geschlagen. Was, wenn wir gegen den Rottweiler da drüben antreten müssen? Wie werden wir mit ihm fertig? Und so fingen sie an, sich zu verändern. Eines der Dinge, die sie getan haben, ist, dass, wenn man die Qualität der Ausrüstung ändert, wenn man die Fähigkeiten der Kommunikation ändert, wenn man die Taktik und die Operation, die Doktrin ändert, man das Niveau der militärischen Fähigkeiten erhöht, die erforderlich sind, um das zu erreichen, so dass man [00:49:00] es nicht mit einer Wehrpflichtigen Armee erreichen kann. Einer der Gründe, warum die Sowjets die Masse so eingesetzt haben, ist, dass das Konzept der Masse gut zu ihrem Wehrpflichtigen-Militär passte. Sie waren in der Lage, eine große Anzahl von Menschen zu rekrutieren, sie mit einer großen Anzahl von Geräten auszustatten, die sehr einfache Aufgaben auf massive Weise erledigen und einen Feind überwältigen konnten. So kämpfen die Russen heute nicht mehr. Sie sind sehr hoch entwickelt. [00:49:30] Sie brauchen sehr professionelle Truppen, Truppen, die in der Lage sind, das Konzept der Befehlshaber zu verstehen . Diese Vorstellung, dass der russische Soldat nur ein dummer kleiner Roboter ist, dem gesagt wurde, er solle etwas tun und der es blindlings ausführt, das ist vorbei. Der russische Soldat ist ein denkender Profi, der die Absicht eines Befehlshabers erfährt und dann auf der Grundlage der Realität vor Ort Wege findet, diese Absicht zu verwirklichen.  Das ist ein Berufssoldat. 70% des russischen Militärs besteht aus so genannten Vertragssoldaten [00:50:00] die im Grunde genommen Berufssoldaten sind. Und diese Zahl wird noch steigen. Ich glaube, das Ziel der Russen ist es, die Zahl der Wehrpflichtigen so weit wie möglich zu reduzieren.

Die anfängliche Antikriegsstimmung in Russland

Und wie Alexander schon sagte, einer der Gründe, warum sie nicht eingezogen werden müssen, ist, dass, als dieser Krieg begann, ich wiederhole mich, und ich zögere immer, mich auf anekdotische Informationen zu verlassen, aber ich glaube, dass es in Russland ein erhebliches Anti-Kriegsgefühl [00:50:30] gab, und dass viele, viele, viele Russen nicht für diesen Konflikt waren. Sie haben die Notwendigkeit eines Angriffs auf ein anderes slawisches Land nicht verstanden. Es gibt große familiäre Wurzeln, wissen Sie, Beziehungen. Wenn man einen Russen kratzt, bekommt man eine ukrainische Großmutter, wenn man einen Ukrainer kratzt, bekommt man einen russischen Onkel. Ich meine, so ist das nun einmal. Und so gab es eine Menge Unmut. Die russische Regierung hatte keine gute Arbeit geleistet, um der Bevölkerung diesen Konflikt zu erklären. Ich glaube also, dass es hier [00:51:00] ein Problem gab, und das ist einer der Gründe, warum die russische Regierung zögert, zu mobilisieren, denn eine Mobilisierung in einer Bevölkerung, die nicht bereit ist, mobilisiert zu werden, könnte zu katastrophalen Folgen führen.

Warum die Stimmung in Russland kippte

Aber im Laufe der Zeit hat das russische Volk es selbst herausgefunden. Wie Alexander sagte, wir im Westen verstehen es nicht. Sie verstehen es in Russland. Sie wissen genau, was vor sich geht.  Sie verstehen den Hass, den abgrundtiefen Hass, den die Ukrainer gegenüber den Russen empfinden, die sie als Orks bezeichnen. Ich meine, das [00:51:30] ist der übelste Rassismus, den man sich vorstellen kann. Und dann dreht man diesen Hass um. Dieser Hass existiert in der breiten ukrainischen Bevölkerung. Ich glaube, viele Russen waren schockiert darüber, wie groß die Ressentiments unter den einfachen Ukrainern waren. Ich spreche nicht von den Nazis. Ich spreche vom Durchschnittsukrainer, vom Groll gegenüber Moskau. Die Ressentiments gegenüber den Russen. Und dann kommt noch dieser ukrainische Nationalismus hinzu, dieses abscheuliche Konzept der rassischen Vorherrschaft, das [00:52:00] Polen, Russen und Juden als Untermenschen behandelt. Das ist keine Theorie. Wir wissen, dass sie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs und im Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg Hunderttausende von ihnen abgeschlachtet haben. Es ist also nicht hypothetisch. Es ist real. Das ist die Ukraine. Das ist das wahre Gesicht des ukrainischen Nationalismus. Und ich glaube, die Russen haben endlich begriffen: Wow, das ist ernst. Wir lassen uns auf diesen Krieg ein.

Druck der Bevölkerung auf die russische Regierung

Nun, es gibt zwei Dinge, die mit der Zustimmung zu tun haben: Wir unterstützen diesen Krieg. Aber dann wenden sie sich an die Regierung und sagen, ihr solltet besser gewinnen, und zwar entscheidend. [00:52:30] Sie lassen sich nicht auf den Krieg ein, um dann eine halbe Sache zu machen. Deshalb sage ich, wenn alle von Verhandlungen reden: Es wird keine Verhandlungen geben, es wird eine bedingungslose Kapitulation geben, aber es wird keine Verhandlungen geben. Es wird keine Bedingungen geben.

Die Ukrainer kommen an den Tisch und sagen, wir sind bis zum Stillstand gefeuert, wir akzeptieren eure Bedingungen. Die Russen werden im Grunde nur sagen, “wie viel von eurem erbärmlichen kleinen Land wollt ihr noch unter eurer erbärmlichen Herrschaft haben? Wir werden diktieren, dass ihr keine Stimme habt. Ihr habt kein Mitspracherecht. Was wir entscheiden, ist das, was ihr bekommen werdet.”. [00:53:00]

Ich glaube, ein Grund, warum die Russen diese harte Position einnehmen müssen, ist, dass die russische Bevölkerung es verlangt, dass sie es fordert, aufgrund der Opfer, die gebracht wurden, aufgrund dessen, was in Russland emotional passiert ist, um sich in diesen Konflikt einzukaufen, und dieses Einkaufen bringt eine Welle von Patriotismus mit sich.

Rekrutierungsprobleme der USA

Wissen Sie, im Moment hat die US-Armee ein Rekrutierungsproblem. Wir können die fette woke Bevölkerung nicht dazu motivieren, sich freiwillig zum Militärdienst [00:53:30] zu melden. Die Leute sagen einfach, wir wollen das nicht. Nicht nur das, die Leute wollen es nicht. Die Nation schafft es nicht einmal mehr genug Leute herzuvorbringen, die überhaupt die Mindestanforderungen für den Militärdienst zu erfüllen. Kinder wachsen nicht mehr mit dem Wunsch auf, Soldat zu werden oder zur Marine zu gehen. Ich meine, ich bin damit aufgewachsen, dass mein Vater bei der Air Force war. Alles, was ich wollte, war, dem Militär beizutreten. Und ich habe trainiert, ich habe Sport getrieben und war oft im Team, körperlich fit. Alle meine Mitschüler [00:54:00] wollten körperlich fit sein, und viele von uns wollten zum Militär. Das wollten wir tun, um unserem Land zu dienen. Das Konzept der Nation zu dienen ist nicht mehr so weit verbreitet wie früher, und ich glaube, [auch] Russland ist in dieses Malaise gefallen – aber nicht jetzt.

Viele Freiwillige in Russland

[Einschub: Im Military Summary Chanel am Fr. 26.8.2022 wurde berichtet und erklärt dass und warum Russland nun den Personalbestand seiner Streitkräfte um 140.000 erhöht hat. Es geht wohl darum dass sich viele freiwillig zu den Streitkräften melden und dass man dies in der Finanzplanung berücksichtigt indem man die offizielle Sollstärke der Streitkräfte entsprechend erhöht.]

Es gibt Russen, die dienen wollen, und es gibt viele Freiwillige. Und es gibt zwei Arten von Truppen, die für die Russen kämpfen. Es gibt die professionellen Truppen, die Fallschirmjäger, die Marines, die gepanzerten Einheiten und natürlich die Infanterieeinheiten. Aber [00:54:30] dann gibt es noch das, was man die Nationalgarde nennt, die russische Nationalgarde. Dafür war das Innenministerium zuständig, es sind die Streitkräfte des Innenministeriums, in beträchtlicher Zahl. Sie wurden in die sogenannte russische  Nationalgarde umgewandelt.

Die russische Nationalgarde stellt neue Bataillone, neue Truppenverbände auf, alles Freiwillige. Die Tschetschenen haben eine Ausbildungsakademie, die Tausende von Freiwilligen ausbildet, die nach sehr hohen Standards geschult werden und entweder in [00:55:00] Ersatzeinheiten oder in tatsächlich funktionierenden Einheiten organisiert und entsandt werden. Diese Ausbildung findet wieder unter den Freiwilligen aus den besetzten Gebieten statt.

Ich weiß nicht, ob das ein politisch korrekter Begriff ist, aber die ehemaligen ukrainischen Gebiete von Cherson haben eine Bevölkerung, die groß genug ist, um die Odessa-Brigade zu bilden. Es wird eine Karkow-Brigade gebildet, und ich denke, dass diese gut ausgebildeten, motivierten leichten [00:55:30] Infanterieeinheiten gebildet werden, die man heranziehen wird, wenn es zu einigen sehr schweren Kämpfen kommt.

Noch einmal zu den Opferzahlen der russischen Seite

Um noch einmal auf die Opferzahlen zurückzukommen. Sagen wir, die Russen hatten zehn oder 15.000 Tote zu beklagen. Das ist meine grobe Schätzung. Etwa 5000, vielleicht 6000 sind reguläre russische Streitkräfte. Der Rest sind Milizionäre der Donezker Volksmiliz und der Lugansker Volksmiliz. Sie tragen die Hauptlast der Verluste, weil sie die Hauptlast der schweren Kämpfe tragen. Das ist gewollt, denn [00:56:00] das ist die Befreiung von Lugansk, das ist die Befreiung von Donezk, wo die Russen ihnen die Führung bei der Räumung der Schützengräben usw. überlassen. Die Russen werden sie unterstützen, falls und wenn es nötig ist.

Aber ich denke, wenn wir uns zum Beispiel die Schlacht um Odessa ansehen, wird man sehen, dass die führenden Truppen bei der Räumung von Odessa die der Odessa-Brigade sein werden. Sie werden von russischen Marines, von russischen Fallschirmjägern, von tschetschenischen Spetsnaz oder tschetschenischen Spezialkräften unterstützt. Aber die Jungs, die das tun werden [00:56:30], die Grabenkämpfe, die Grabensäuberung, das wird die Odessa-Brigade sein, und sie werden den Großteil der Verluste erleiden.

Dasselbe gilt für die Brigade Charkow, wenn Sie in Charkow einmarschieren. Und das ist die russische Absicht. Diejenigen, die ein persönliches Interesse an der Befreiung des Gebiets haben, werden die Kämpfe führen. Die Leute, die den Donbass befreien, sind die Milizen der Donbass-Republiken, und sie erleiden die schwersten Verluste, und die Leute, die befreien werden, sobald der Donbass befreit ist und man in diese anderen Gebiete vordringt, werden meiner Meinung nach leichte Infanterieeinheiten sein, die aus diesen Gebieten rekrutiert werden, unterstützt von patriotischen, motivierten Einheiten. Das russische Militär, die Profis werden da sein, aber sie werden eher eine unterstützende Rolle spielen oder sie werden ihre Fähigkeiten auf strategisch wichtige Punkte konzentrieren, wo man diese Professionalität braucht, aber Russland muss nicht mobilisieren und will nicht mobilisieren. Und damit möchte ich es bewenden lassen.

Mobilisierung wäre eine Niederlage Russlands

Wissen Sie, als Israel [00:57:30] 2006 gegen die Hisbollah kämpfte, hat die Hisbollah, wenn man sich die Statistiken ansieht, mehr Männer verloren. Sie haben mehr Ausrüstung verloren. Die Hisbollah hat diesen Krieg dennoch haushoch gewonnen. Und warum? Sie haben den Krieg gewonnen, weil sie nicht verloren haben.  Der israelische Sieg war überhaupt kein Sieg. Er war eher peinlich. Es war eine Demütigung. Und obwohl die israelische Armee nicht besiegt wurde, weil sie nicht gewonnen hat, hat sie verloren. Eine Mobilisierung [00:58:00] seitens Russlands ist eine Niederlage. Es ist eine strategische Niederlage. Russland wird also nicht mobilisieren, denn das bedeutet, dass es verloren hat. Alles, was den Ukrainern das Gefühl gibt, dass sie die Russen gezwungen haben, strategisch von ihrem Masterplan abzurücken, ist ein Sieg für die Ukraine, und es ist etwas, worauf die Ukrainer aufbauen können und wofür sie internationale Unterstützung bekommen. Eine russische Mobilisierung wäre also eine Niederlage für Russland und ein Sieg für die Ukraine. [00:58:30] Und ich glaube nicht, dass die Russen in nächster Zeit mobilisieren werden. Sie brauchen es nicht. Sie wollen es auch nicht. Und noch einmal, wenn sie es tun, ist es eine politische Niederlage für sie.

GlennDiesen: [00:58:40] Ich erwarten nicht, dass sie die Wehrpflichtigen an die Front schicken. Es wäre sehr unpopulär, wenn diese Leute in Särgen nach Hause kämen. Das würde die Unterstützung für den Krieg stark verringern. Ich habe eher an die Leute im Hintergrund gedacht, an die Gebiete, die bereits eingenommen wurden, die jetzt so sind, dass man die Berufssoldaten eher an die [00:59:00] Front schicken kann und natürlich die Rotation verbessert hat und sicherstellt, dass sie zwischen den Vorstößen genug Erholung bekommen.

Katastrophale Fehler des Westens

Wie der Westen die Stimmung in Russland kippte

Aber ich denke, das Problem oder einer der größten Fehler, den der Westen gemacht hat, war, dass er im Wesentlichen mit allen Russen in den Krieg gezogen ist. Denn ich stimme dem zu, was Scott gesagt hat. Als der Krieg im Februar begann, fühlten sich viele Russen wirklich schlecht und sehr unsicher in Bezug auf diesen Krieg. Sie waren sehr gespalten. Nicht viele [00:59:30] Menschen fühlten sich wohl dabei, in einen Krieg mit einem immer noch slawischen Land, der Ukraine, zu ziehen.

Aber ich denke, der beste Weg für den Kreml, alle auf seine Seite zu ziehen, war, als die Amerikaner sagten: “Unser Ziel in diesem Krieg ist nicht nur die Verteidigung der Ukraine, wir wollen Russland dauerhaft schwächen. Wir werden dafür sorgen, dass sie nie wieder eine Offensive starten oder in den Krieg ziehen können.” Das war eine Art offene Kriegserklärung, die andeutete, [01:00:00] selbst wenn man noch in Russland und gegen den Krieg ist, wenn man um sein eigenes Überleben kämpft, dann geht es nicht nur um diesen Krieg. Man sieht, dass es im Wesentlichen so ist wie der Kreml gesagt hat. Dies ist ein Stellvertreterkrieg. Die Vereinigten Staaten sind hinter Russland her. Das ist es, was sie in der Ukraine getan haben. Und ich glaube, das ist bei vielen Russen angekommen. Ich denke also, dass Washington in dieser Sache einen großen Fehler gemacht hat, aber nicht nur die USA, sondern auch die Europäer. Ich [01:00:30] und Alexander haben vorhin darüber gesprochen, wie die Russen jetzt behandelt werden.

Wir haben immer gesagt, dass es in Europa seit Jahrhunderten eine sehr starke Russophobie gibt, aber wir hatten immer diese Art von liberalem Schleier. Wissen Sie, wir haben so getan, als ob wir die Russen wirklich lieben würden und dass wir nur ihre Führer hassen. Aber jetzt, mit diesem Konflikt, hat sich die Stimmung einfach geändert. Jetzt tut niemand mehr so, als ob. Es ist ziemlich abscheulich. Wir wollen keine Russen bei den Olympischen Spielen. Wir wollen keine [01:01:00] Russen auf Tennisplätzen sehen. Wir spielen kein Schach mit ihnen. Sie dürfen nicht als Touristen in unser Land kommen. Im Grunde genommen sind die Russen unser Feind. Das ist jetzt die Sprache. Ich denke also, ja, sogar Astovich in der Ukraine hat erkannt, dass es vielleicht ein paar freundliche Pro-Ukrainer in Weißrussland oder Russland gibt, aber das würde alle verscheuchen. So kennt Astovich die Leute. Also, ich denke das war für [01:01:30] das Pentagon ein großer, großer Fehler, obwohl.

 AlexanderMercouris: [01:01:34] Es war ein katastrophaler Fehler. Es war ein absolut katastrophaler Fehler. Ich muss übrigens sagen, dass ich das Gefühl habe, dass wir diesen Fehler in Europa in größerem Ausmaß begangen haben die Vereinigten Staaten.

Wenn man zu Beginn dieses Krieges etwas tun wollte, das garantiert die russische Unterstützung hinter [01:02:00] der russischen Regierung festigen würde, dann waren all die Dinge, die in den ersten Wochen im Westen, insbesondere in Europa, von der Europäischen Union, von den europäischen Regierungen getan wurden, auf dieses Ziel hin berechnet.

Ich meine, die eine Sache, von der ich zufällig weiß, dass sie die Gefühle vieler Menschen in Russland herauskristallisiert hat, war das weltweite Flugverbot, die Vorstellung, dass Russen nicht länger in der Lage sein würden [01:02:30], auf die Art und Weise nach Europa zu fliegen, wie sie es bisher konnten? Sie wissen schon, der Versuch, Aeroflot sozusagen auszuschließen. Dies vermittelte den Eindruck, dass Russen in Europa nicht erwünscht sind.

Dabei ist Russland eine viel kultiviertere Gesellschaft, als viele Menschen im Westen glauben. Die Russen sind viel besser informiert als viele Menschen im Westen meinen. Sie sind viel gebildeter. Sie [01:03:00] haben das alles gesehen. Sie sahen die westlichen Führer so, wie sie über Russland sprachen. Sie sahen all diese Dinge über das Verbot von Tschaikowsky und den Rauswurf von Dostojewski aus den Kursen, was übrigens wahr ist. Solche Dinge sind tatsächlich passiert. Sie sind mit der Art von Dingen vertraut, die die Medien im Westen verbreiten.

Und sie sagten sich, wissen Sie, Putin hat diese weitschweifige, unzusammenhängende Rede zu Beginn dieses Krieges gehalten. Aber [01:03:30] er hat Recht. Er hat absolut Recht. Diese Menschen sind von Grund auf feindlich gesinnt, nicht nur ihm gegenüber, sondern auch uns gegenüber. Es handelt sich also um eine existenzielle Frage. Und wir haben diese außergewöhnliche Konsolidierung der russischen Gesellschaft gesehen, die stattgefunden hat.

Unterschätzung der russischen Wirtschaft

Und noch etwas ist passiert, nämlich dass der Westen, und ganz besonders die Europäer, aber ich denke auch hier in den Vereinigten Staaten, die Ausgereiftheit (engl. sophistication) der russischen Wirtschaft ernsthaft unterschätzt haben [01:04:00]. Ich glaube, sie haben sich selbst eingeredet, dass es sich um eine Tankstelle handelt, die sich als Land ausgibt, dass sie nicht in der Lage sind, die Dinge zu regeln, dass sie nicht in der Lage sind, die Dinge zusammenzufügen. Und ich glaube, sie haben wirklich geglaubt, wenn man diese Sanktionen verhängen würde, könnten die Menschen in Russland nicht mehr bei Harrods einkaufen gehen und [01:04:30] die Oligarchen wären sauer auf Putin. Die Wirtschaft würde zusammenbrechen, es gäbe eine Hyperinflation, und das gesamte politische System in Moskau würde wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Und tatsächlich haben alle Maßnahmen, die sie ergriffen haben, das Gegenteil von dem bewirkt, was sie beabsichtigt haben. Am Ende haben sie die russische Gesellschaft hinter Putin konsolidiert.

Bestätigung der  eurasischen Ausrichtung Russlands

Und das ist [01:05:00] etwas, von dem ich weiß, Glenn, dass Sie ausführlich darüber geschrieben haben: Die Bestätigung der eurasischen Wahl in Russland. Es gab diese Spannung, eine historische Spannung in Russland zwischen dem Westen, den Leuten, die dem Westen zugeneigt sind, die sagten, Russland sollte sich wirklich vollständig in den Westen integrieren, und anderen, die sagten, na ja, wir sind etwas anders geografisch positioniert. Wir müssen die Dinge vielleicht etwas breiter angehen. [01:05:30]

Es gab Leute, die über das größere Eurasien-Projekt gesprochen haben. Es gab all diese Dinge. Nun, dies ist ein entscheidender und schlüssiger Schritt innerhalb Russlands, der diese Diskussionen beendet. Es gibt diese Entscheidung, und ich denke, dass sie in der gesamten russischen Gesellschaft breite Unterstützung findet, sich nach Osten zu orientieren. Zumindest im Moment ist eine Beziehung zum Westen einfach unmöglich. Bauen wir [01:06:00] unsere Wirtschaft auf, bauen wir die russische Gesellschaft auf, so gut wir können. Und dann, wenn man sich schließlich mit Europa einigen kann, was irgendwann unweigerlich der Fall sein wird, tun wir es nicht aus einer Position der Verhandlung und Diskussion heraus, sondern aus einer Position viel größerer Stärke und viel größerer Autorität als der, die wir bisher hatten. Es sind nicht nur die politischen Entscheidungsträger in [01:06:30] Moskau, die jetzt auf diese Weise sprechen. Ich habe angefangen zu sehen, dass Russen, ich kenne Leute, die in diesem Sinne unpolitisch sind, anfangen, auf diese Weise zu reden, während sie das bisher nie getan haben.

Wie der Westen Putins größte Schwäche ignorierte

 ScottRitter: [01:06:48] Sehen Sie, es gibt das alte Sprichwort, Alexander und Glenn. Ich bin mir sicher, dass ihr damit vertraut seid. Ihr wisst, dass Demokratien keine Demokratien bekämpfen. Und das liegt nicht daran, dass sie alle demokratisch abstimmen. [01:07:00] Es liegt daran, dass Demokratien dazu neigen, sich auf die Wirtschaft zu konzentrieren und nicht auf das Militär. Eine Demokratie, die mit einer benachbarten Demokratie zusammenarbeitet, hat also tiefe wirtschaftliche Bindungen, die es unmöglich machen, sie zu bekämpfen. Man will sie nicht bekämpfen, denn sie sind ein Teil von einem selbst. Man ist mit ihnen verwoben. Sie sind mit einem verwoben.

Einer der fatalen Fehler des Westens besteht darin, [daraus resultierenden] die Schwächen Putins nicht anzuerkennen. [01:07:30] Ich meine, wir reden jetzt alle über Putins Stärken und Putin ist heute stärker, und es tut mir leid, ich entschuldige mich, Russland ist stärker. Ich möchte nicht eine Nation mit 130 oder 140 Millionen Menschen in eine Person verwandeln, so wie es hier im Westen immer gemacht wird. Aber Russland ist ein Land, das von einem Führer namens Wladimir Putin geleitet wird. Er ist ein Präsident. Aber er ist gewählt. Ich weiß, dass es keine starke, lebendige russische Opposition gibt. Welche [01:08:00] russische Opposition auch immer versucht hat zu existieren, sie wurde durch das Geld westlicher Geheimdienste korrumpiert, die versuchen, die russische Demokratie zu untergraben, indem sie sie mit Leuten wie Nawalny und anderen infiltrieren. Aber Putin kann immer noch eine Wahl verlieren. Wir sollten diese Realität nicht vergessen. Aber am Ende des Tages, wenn die Russen zur Wahl gehen und gegen Wladimir Putin stimmen, wird er nicht Präsident sein. Dies ist keine absolute Diktatur. Und [01:08:30] Putin weiß das und seine politische Partei weiß das. Eine der großen Schwachstellen in Russland war die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Russland und dem Westen. Diese Interdependenz kann auf zwei Weisen gesehen werden. Wir sagen drei. Die eine besteht aus zwei Untergruppen. Die eine sind die Oligarchen.

Sie  nahmen eine enorme Menge an russischem Reichtum, brachten ihn [01:09:00] aus Russland heraus und nutzten diesen Reichtum dann, um diesen Brückeneffekt zwischen der russischen Wirtschaft und der westlichen Wirtschaft zu schaffen. Sie hatten sehr viel Einfluss. Putin mochte diesen Einfluss nicht. Ich meine, Putin hat immer gegen Oligarchen gewettert, aber sie waren da. Und das viele Geld machte sie zu groß, um zu scheitern (to big to fail). Er konnte es sich nicht leisten, sie zu Fall zu bringen, weil der Schock für die russische Wirtschaft zu groß gewesen wäre, als dass Putin das politisch hätte überleben können. [01:09:30] Wenn Putin also versucht hätte, die Oligarchenklasse zu beseitigen, hätte er die politischen Auswirkungen bei den Wahlen zu spüren bekommen. Die andere ist die alltägliche Arbeiterklasse. Putin gewinnt Wahlen mit 54 bis 64 %. Ich meine, Diktatoren gewinnen mit etwa 99 %. Er ist also kein echter Diktator. Es gibt hier ein Element der Demokratie. Es gibt diese 30, 40 % der Russen, die sagen, dass sie Putin vielleicht doch nicht so sehr mögen, wie alle denken. Und von diesen 30 gibt es diesen [01:10:00] Prozentsatz, der unpolitisch ist. Sie wählen Putin nicht, weil sie ihn mögen, sondern weil er den Status quo ante der wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Westen aufrechterhält. Das ist ihre Lebensgrundlage. Damit können sie ihre Familien ernähren, ihre Kinder einkleiden, ein Dach über dem Kopf haben, und das ist es, worin sie investiert haben. Sie haben nicht in den großen Schwenk nach Osten investiert. Sie haben in eine wirtschaftliche Beziehung mit London, mit Paris, mit [01:10:30] New York investiert. Und wenn Putin das tun würde, wovon er weiß, dass er tun muss, um Russland stark zu machen, nämlich die strategische Scheidung mit dem Westen, dann würde sich dieser Prozentsatz, 20, 30 %, was auch immer, in den Umfragen gegen ihn wenden, er würde abgewählt werden. Putins Schwachpunkt war also die Oligarchenklasse und die Mittelschicht, die in den Westen integriert war.

Eine verpasste Chance des Westens

Wenn ich ein Stratege im Weißen Haus gewesen wäre, [01:11:00] würde ich gesagt haben, wir müssen ein schrittweises System von gezielten Sanktionen entwickeln, die sich ausschließlich darauf konzentrieren, die Oligarchen und die Mittelschicht gegen Putin wegen des Ukraine-Konflikts aufzubringen, denn es gibt bereits eine große Anzahl von Russen, die über diesen Konflikt nicht glücklich sind. Wenn wir die Sanktionen allmählich so anpassen, dass das Leben unangenehm, nicht schrecklich, aber unangenehm wird, [01:11:30] dann werden die Leute sagen: Ich mag es nicht, von diesem Krieg belästigt zu werden. Und es hätte eine durchschlagende Ablehnung von Putins Krieg geben können. So hätte man den Kampf geführt, wenn man ihn im Westen richtig verkauft hätte, an eine russische Bevölkerung, die vielleicht geneigt wäre, das zu akzeptieren, weil ihr Leben unbequem ist. Das haben wir aber nicht getan. Wir haben Putin stattdessen den größtmöglichen Gefallen. Schocktherapie. Sehen Sie, [01:12:00] Putin konnte die große Scheidung nicht durchführen. Wir haben es für ihn getan. Wir haben es ihm so leicht gemacht. Wir haben gesagt: BUMM, es wird keine wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Westen geben. Und die russische Mittelschicht sagte: “Was soll’s!” Und ja, anfangs hätte man sagen können, “wir geben dir die Schuld, Wladimir Putin”. Aber dann mussten sie sich umdrehen und sagen, was unsere Freunde im Westen …… Es gibt nicht einmal eine helfende Hand. Es gibt keine Sympathie. Moment mal, sollten sich diese Sanktionen nicht gegen ihn richten? Aber Sie greifen mich an. Ihr nehmt mir die Möglichkeit, meine Familie zu ernähren, [01:12:30] die Möglichkeit, ein Dach über meinem Haus zu haben. Sie haben mich angegriffen. Ich dachte, wir wären Freunde. Der Westen war nie dein Freund. Das war ein großer Weckruf.

Und dann die Oligarchen. Wie viel wirtschaftlichen Druck kann man auf Wladimir Putin ausüben, wenn der Westen einem alles Geld wegnimmt und man kein Druckmittel mehr hat? Das Einzige, was sie hatten, war ihr Reichtum, den sie hier und da ein- und ausgeben konnten und nie so weit wie … Wir haben alles genommen. Als dies geschah, sagte Putin, Sie erinnern sich an die Rede, Alexander. Ich kann ihn nicht zitieren, aber im Grunde heißt es [01:13:00]: “Verpisst euch. Ihr wollt in Europa leben? Leben geht doch nach Europa, kommt nicht nach Hause. Ihr seid hier nicht willkommen.”

Der Westen hat Putin den größtmöglichen Gefallen getan

Der Westen hat Wladimir Putin den größtmöglichen Gefallen getan, denn wir haben den Schwenk nach Osten in kurzer Zeit politisch möglich gemacht. Wir haben ihn ermächtigt, dies zu tun. Wir haben dafür gesorgt, dass er in Russland auf keinen Widerstand stoßen würde, weil wir den Russen keine Alternative geboten haben.  Sie haben keine. Es gibt viele Russen, die sich vielleicht nicht nach Osten orientieren wollten. [01:13:30] Vielleicht mochten sie ihre iPhones. Sie wollen nicht das Huawei-Handy kaufen. Vielleicht ist die Irritation dieser Russen sehr oberflächlich. Es geht um Markennamen und solche Dinge.

Aber am Ende des Tages geht es darum, Essen auf den Tisch zu bringen, ein Dach über dem Kopf, Kleidung für ihre Kinder. Sie haben eine wirtschaftliche Zukunft, die nicht mehr an den Westen gebunden ist. Der war von Anfang an nie ein Freund Russlands. Wir haben Russland nur zum wirtschaftlichen [01:14:00] Vorteil benutzt. Als es darauf ankam, als es für uns an der Zeit war, aufzustehen und zu sagen: Hey, wir wollen dem russischen Volk nicht schaden, wir sind gegen den Krieg in der Ukraine, aber wir wollen dem russischen Volk nicht schaden, haben wir das nicht gesagt.

Was wir gesagt haben, ist: Stoppt den Krieg in der Ukraine. Wir müssen das russische Volk vernichten. Wir müssen das russische Volk ausnehmen. Wir müssen das russische Volk zermalmen. Das ist eine der größten Lektionen, die das russische Volk meiner Meinung nach gelernt hat: dass der Westen Russland nicht würdig ist. Deshalb wird Russland [01:14:30] nie wieder versuchen das wiedergutzumachen. Wissen Sie, die Annäherung an den Westen, die mit Peter dem Großen begann, das Fenster zum Westen und all das, das ist vorbei, diese Tür ist geschlossen.

Das heißt aber nicht, dass es eine riesige Mauer geben wird. Sie wissen, dies ist kein “Game of Thrones” mit einer riesigen Eiswand, die den Nordflügel von den wilden Ländern trennt. Es wird Beziehungen geben. Irgendwann werden der Westen und Russland wieder lernen, friedlich zu koexistieren, aber es wird nie wieder [01:15:00] als Partner oder Freunde sein. Ich denke, es wird einfach wie bei Völkern sein, die von der Geschichte gezwungen sind, nebeneinander zu leben. Lassen Sie uns also einen Weg finden, dies friedlich zu tun.

Aber die Vorstellung einer großen russischen Freundschaft mit dem Westen ist meiner Meinung nach für lange Zeit vorbei. Russland hat einen Schwenk nach Asien vollzogen. Das Land hat sich darauf festgelegt. Seine Wirtschaft wird darauf ausgerichtet. Und die Zukunft Russlands wird davon bestimmt werden. Und das liegt allein am Westen. Der Westen, hat hier einer [01:15:30] der größten Fehler gemacht. Der Westen hat große militärische Fehler gemacht, über die wir bereits gesprochen haben. Aber der wirtschaftliche Fehler und der politische Fehler, der damit verbunden ist, ist von größerer Bedeutung, denn dieser Krieg wird enden. Was wir getan haben, garantiert, dass dies nach dem Krieg geschehen wird. Wir werden nicht die Kontrolle darüber haben. Man sehe sich an wie es uns schwächt. Man sehe sich an wie die Scheidung von Russland den Westen schwächt. Man sehe sich an wie geschwächt Europa heute ist. Man sehe sich an wie geschwächt die Vereinigten Staaten sind. Früher [01:16:00] waren die G-7, die sieben mächtigsten Industrienationen der Welt, ein Musterbeispiel für wirtschaftliche Stärke. Heute sind die G7 ein Witz, wenn man sie z.B. mit den BRICS vergleicht. Die Leute sagen, na ja, dann gehen wir zu den G 20, ziehen die G 7 von den G 20 ab, und was kommt dabei heraus? Oh, BRICS. Und wer hat die Kontrolle über BRICS? Es sind nicht die Vereinigten Staaten, es sind Russland und China. Dieser wirtschaftliche Sieg geht also ganz, ganz klar an Russlands. Und noch einmal, die Geringschätzung, die wir Russland entgegenbrachten, und ich hatte diesen Kampf mit Berufskollegen [01:16:30], die sich auf Energie konzentrieren, die absolute Verachtung, die sie für Russland hatten, für das russische politische System, für die russische Wirtschaft. Alle glaubten, dass Russland die Sanktionen nicht überleben würde, dass der russische Energiemarkt nicht ausgereift sei. Ich bitte Sie, Leute. Die Russen haben bewiesen, dass sie viel weiter entwickelt sind als so ziemlich jeder andere auf der Welt.

Die Demütigung des Westens in Arabien

Der ultimative Ausdruck des russischen Entwicklungsstandes war, als Biden [01:17:00] letzten Monat nach Saudi-Arabien reiste und auf den Knien kroch, um sich mit dem BS (Bin Salman) anzufreunden, einem Mann, den er einen Paria nannte. Er werde niemals mit diesem Mann verhandeln. Wir werden sie gesellschaftlich isolieren. Und weil man Saudi-Arabien braucht, um die Ölproduktion zu steigern, ist er, Joe Biden, zu ihm gekrochen, hat sich selbst entwürdigt, hat sein Land entwürdigt, hat alles entwürdigt, wofür er stand, und hat nichts bekommen, denn was hat Saudi-Arabien ihm gesagt? Wir werden vielleicht ein bisschen mehr Öl fördern, aber diese Entscheidung wird nicht zwischen Ihnen und mir getroffen. Diese Entscheidung wird [01:17:30] im August getroffen werden, wenn die OPEC plus zusammenkommt. Wer ist das “plus”? Russland. Raten Sie mal, wer die endgültige Entscheidung darüber traf, wie viel Öl gefördert werden sollte, um den wirtschaftlichen Schaden für Russland zu mindern: diese Tankstelle [Ex-US-Präsident Obamas spöttische Bezeichnung für Russland]. Aber diese Tankstelle entpuppte sich als ein weitaus raffinierterer globaler Geschäftsmann, als man ihm je zugetraut hätte.

Die Russen waren über ihren eigenen Erfolg erstaunt

 AlexanderMercouris: [01:17:50] In der Tat. Darf ich noch hinzufügen, Scott, dass die Russen selbst über ihren eigenen Erfolg erstaunt waren. [01:18:00] Sogar Putin hat das. Aber das ist außerhalb unseres Bereichs, schätze ich, denn ich weiß nicht, was Putin selbst denkt. Aber ich denke, eines der anderen Dinge, die als Ergebnis der Sanktionen passiert sind, während ich all dem, was Sie gesagt haben, zustimme, bin ich übrigens völlig einverstanden mit der Tatsache, dass es viel effektiver gewesen wäre, den Leuten unbequeme Umstände zu bereiten.

Aber eines der anderen Dinge, die Russland an den Westen gebunden oder eher den Bruch verhindert hat war die Tatsache, die die Russen, insbesondere nach der Zeit der späten Sowjetära [01:18:30] in hohem Masse das Gefühlt hatten, das sie nicht so gut wie der Westen sind. Sie dachten, “wissen, dass wir die Dinge nicht so gut machen können wie der Westen. Wenn der Westen wirklich hart gegen uns vorgeht, dann wird alles auseinanderfallen. Alles wird zusammenbrechen, so wie es Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre geschah und wie es 1998 wieder geschah und wie es 2008 fast geschah. Wir müssen immer einen Weg finden, um uns gut zu verstehen, vor allem mit den Amerikanern, denn das ist das einzige wirkliche Spiel in der Stadt und wir können uns selbst nicht [01:19:00] vertrauen.”.. Und jetzt sehen Sie, was passiert. Wir verhängen all diese Sanktionen. Wir verhängen das absolute Extrem an Sanktionen. Und zum eigenen Erstaunen der Russen funktioniert ihre Wirtschaft weiterhin. Das Fleisch steht noch immer auf dem Tisch, das Dach ist noch immer über dem Haus, die Stromversorgung funktioniert noch, das Gas ist noch da, die Geschäfte sind noch immer voll. Die Preise fallen derzeit sogar. Das war also sehr aufschlussreich und natürlich [01:19:30] alles in allem: Erfolg im Krieg, Erfolg in der Wirtschaft. Man wird eine sehr große Veränderung in Russland erleben. Es wird einen enormen Anstieg des russischen Selbstbewusstseins geben, wie man ihn seit den 1960er Jahren nicht mehr erlebt hat. Ich meine, Russland hat seinen Glauben an sich selbst schon vor langer Zeit verloren. Aber wie ich schon sagte, wird es [01:20:00] anfangen, ihn auf eine Art und Weise wiederzuerlangen, wie wir es im Westen seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr gesehen haben.

Russland hat seine Lebenskraft wiedergefunden

 ScottRitter: [01:20:07] Ich stimme mit Ihnen überein. Lassen Sie mich nur schnell hinzufügen, es ist, als hätte Russland sein Mojo (Lebenskraft) gefunden. Mojo, wie hieß der Film? Austin Power. Wissen Sie, sie haben ihr Mojo zurück, Baby. Und es ist echt. Ich meine, Sie haben Recht. Ich hoffe, dass ich niemanden in Russland beleidige, aber es gab immer ein Gefühl [01:20:30] von russischem Nationalstolz, von russischen Errungenschaften. Aber am Ende des Tages gab es ein Gefühl der russischen Unterlegenheit, dass Russland einfach nicht so gut war wie der Westen, dass Russland den Westen brauchte, um wie ein großer Bruder zu sein. Und Sie haben zu 100 % Recht.

Ich glaube nicht, dass irgendjemand im Moment nach dem Westen schaut. In der Tat, was jetzt passiert ist, ist, dass die Wolle von den Augen abgezogen wurde und die Menschen mit einer größeren Klarheit auf den Westen schauen, als sie es zuvor getan haben. Ich meine, jeder wusste schon immer, dass der Westen rassistische Probleme hat, dass wir wirtschaftliche Ungleichheiten haben, [01:21:00] dass es in Amerika Obdachlose gibt usw. Aber das wurde immer beiseite geschoben, ähnlich wie das amerikanische Volk das beiseite geschoben hat, unter der Prämisse: Ja, aber Amerika ist die größte Macht der Welt. Wir sind die leuchtende Stadt auf dem Hügel. Wir können alles besser machen als andere. Es stellt sich heraus, dass wir das vielleicht nicht können. Und vielleicht lernen die Russen gerade, dass sie nicht nur gut sind, sondern richtig gut. Sie sind fähig. In vielen Fällen sind sie besser als der Westen.

Ein gefährlicher Punkt in der Weltgeschichte

Ich denke also, dass diese Vorstellung von der russischen Unterlegenheit [01:21:30] weggefegt worden ist. Und jetzt kommt der springende Punkt, denn das könnte sehr gefährlich sein. Es könnte ein sehr gefährlicher Moment in der Weltgeschichte sein, wenn Russland so programmiert wäre wie die Vereinigten Staaten, wenn dies die Luft des Kalten Krieges wäre, ein Nullsummenspiel, bei dem jeder Verlust für dich ein Sieg für mich ist, deshalb werde ich deine Verluste vergrößern und meine Siege maximieren. Die Welt könnte sich dann auf dem Weg in eine sehr schlechte Zeit befinden [01:22:00].

Auf dem Weg zum Multilateralismus

Zum Glück für die Welt ist die russische Führung weitaus reifer und erfahrener als jede Führung im Westen. Ich meine, man kann keine der europäischen Nationen als kultiviert oder reif bezeichnen, wenn man ihr Verhalten gegenüber Russland in Bezug auf die Sanktionen und das Militär betrachtet. Dies sind die Handlungen von irrationalen Kindern. Die Russen hingegen haben [01:22:30] eine sehr reife Führung, eine sehr zielgerichtete Führung. Und sie konzentrieren sich auf das Konzept des Multilateralismus. Sie benutzen dieses Wort nicht einfach nur, um damit politisch zu punkten. Sie meinen es ernst. Sie glauben es. Und das russische Außenministerium.

Schauen Sie sich nur Sergej Lawrow an, einen Mann, den ich nicht wie einen Fanclub anhimmeln will, Sie wissen schon. Aber hey, Hut ab vor diesem Mann. Er ist verdammt gut als Außenminister. Er ist klug. [01:23:00] Ich wünschte nur, er wäre 20 Jahre jünger, denn die Welt könnte Sergej Lawrow in einer Position gebrauchen, in der er die Dinge auf dem Weg dorthin beeinflussen kann. Er wird älter. Hoffentlich ziehen die Russen die nächste Generation von Sergey Lawrows auf.

Aber dieser Mann ging nach Afrika, führte ein diplomatisches Duell mit Tony Blinken [derzeitiger Außenminister der USA] und dominierte. Ich meine, der Eindruck, den Russland nach diesem Besuch machte, war der einer Nation, die wirklich befreundet sein wollte. Mit Menschen auf eine kollaborative [01:23:30] Art und Weise zu arbeiten. Um alle Probleme zu bewältigen, die damit verbunden sind. Tony Blinken wurde von der US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, auf einer Parallelreise begleitet. Ich glaube, das ist ihr Name ist, sie kam nach Uganda, nachdem Lawrow Uganda verlassen hatte. Als Lawrow in Uganda war, Hände schüttelte, sich mit dem ugandischen Präsidenten anfreundete, ging der US-Botschafter dorthin und sagte: “Hey, ihr könnt russische Lebensmittel kaufen, ihr könnt russischen [01:24:00] Dünger kaufen, wenn ihr wollt, aber wenn ihr russische Energie kauft, wenn ihr Dinge kauft, die sanktioniert sind, wird es Konsequenzen für euch geben, und die Afrikaner sagen, ihr könnt nicht mehr so mit uns reden. Und wissen Sie, wer das gesagt hat? Die südafrikanische Außenministerin, die sagte, “Ich werde nicht hier sitzen und zulassen, dass Sie uns schikanieren (engl. bully, auch mit einschüchtern, bedrängen zu übersetzen). Sie, Tony, haben es nicht getan, aber Ihr Botschafter hat ganz Afrika schikaniert, und ganz Europa kommt hierher und denkt, es tue, was Sie wollen, indem es uns schikaniert. Wir lassen uns nicht mehr schikanieren [01:24:30]. Russland nutzt diese wachsende Spaltung und Irritation in der Welt der Welt, ist bereit für das Ende der amerikanischen Hegemonie und ist bereit, in eine multilaterale Welt einzutreten und sie vertrauen Russland. Ich denke also, wir sehen, und das ist etwas, was amerikanische geopolitische Analysten übersehen, dass wir eine Zeit erleben, in der den Möglichkeiten [01:25:00] auch Fähigkeiten und, was noch wichtiger ist, Absichten gegenüberstehen.

Der Chance für den Multilateralismus steht ein wieder erstarktes Russland gegenüber, das in der Lage ist, diese Bemühungen anzuführen, und zwar in der festen Absicht, dies ehrlich zu tun. Russland spielt keine auf Regeln basierenden internationalen Ordnungsspiele. Russland spielt das Spiel der internationalen Ordnung auf der Grundlage von Gesetzen. Das gilt auch für China. Und ich denke, wir werden erleben, dass sich die Welt um Russland und [01:25:30] China scharen wird, nicht um Amerika zu ersetzen, denn das wäre falsch. Das hieße, ein schlechtes System, das von Amerikanern betrieben wird, in ein schlechtes System zu verwandeln, das von Chinesen und Russen betrieben wird. Sondern das die Russen und die Chinesen es nutzen um allen die Möglichkeit zu geben, sich zu erheben. Das wird kein leichtes Unterfangen sein. Es wird nicht perfekt sein. Es wird Konflikte geben. Das ist einfach die menschliche Natur. Aber ich glaube, wir stehen vor einem dieser großen Momente in der Geschichte, in dem ein System durch ein anderes ersetzt wird [01:26:00] und Russland wird eine Führungsrolle übernehmen, weil es sich selbst ermächtigt hat. Russland glaubt an sich selbst. Ich glaube nicht, dass Russland dies vor zehn Jahren hätte tun können. Ich glaube nicht, dass Russland die Weltbühne mit dem nötigen Selbstvertrauen hätte betreten können, um die Welt gegen die Vereinigten Staaten anzuführen. Aber im Moment haben sie das Selbstvertrauen, sie haben die Absicht, sie haben die Fähigkeit, und sie haben, was noch wichtiger ist, eine Welt, die bereit ist, ihre Führung zu akzeptieren, weil die Welt einfach die Nase voll hat. Ich meine, was dieser südafrikanische Außenministerin [01:26:30] zu Tony Blinken gesagt hat, wird, glaube ich, vom Rest der Welt immer und immer wieder wiederholt werden. Sie haben nicht mehr das Recht, uns zu belehren. Sie haben kein Recht, uns zu belehren.

 GlennDiesen: [01:26:41] Ich denke, das ist ein wichtiger Hinweis auf die Schwierigkeiten, die die Vereinigten Staaten jetzt haben, sich anzupassen, denn in der unipolaren Ordnung war es möglich, Druck auszuüben, jemanden zu schikanieren, Sanktionen zu verhängen, bis er sich beugt und tut, was man ihm sagt.

Wie der Westen sich mit den Sanktionen ruiniert

Aber in der multipolaren Ordnung ist es etwas anders, weil man mit den Sanktionen die Märkte [01:27:00] einfach anderen überlässt, und auch mit diesem Druck und Mobbing, wie Sie sagten, können die Afrikaner einfach sagen, na ja, wir gehen einfach zu den Chinesen oder den Russen oder, Sie wissen schon, zu jemandem, der uns keine Ultimaten stellt. Ich denke, das ist auch der Grund, warum die Sanktionen gegen Russland so ein großes Problem darstellen, denn es zeigt, dass wir, wie Scott schon sagte, nicht zu schätzen wissen, was diese gegenseitige Abhängigkeit bedeutet und wie sie uns zugute gekommen ist. Schließlich nutzen Länder diese asymmetrische wirtschaftliche [01:27:30] Interdependenz oft zu ihrem eigenen Vorteil aus, das ist klar. Aber Russland war immer mehr vom Westen abhängig als der Westen von Russland. Wir sind also seit 30 Jahren davon besessen, dass wir zu sehr von russischer Energie abhängig sind, aber sie haben unsere Banken, unsere Währung, unsere Transportkorridore, unsere Technologien, unsere Industrien, einfach alles genutzt. Und jetzt, mit diesen Sanktionen, wird plötzlich alles gekappt. Und nicht nur die Russen, sondern durch die Beschlagnahmung aller Gelder der russischen Zentralbank [01:28:00] und die Unterbrechung der Versorgung mit Schlüsseltechnologien. Jetzt sagt natürlich ein ehemaliger NATO-Generalsekretär, oh, wir können vielleicht die Ostsee für die Russen abriegeln, jetzt, wo wir Finnland und Schweden haben. Wir werden also ihre Nachschubwege abschneiden. Ich meine, es sind nicht nur die Russen, die jetzt denken, dass sie sich jetzt nicht mehr auf die westlichen Industrien, ihre Technologien, Transportkorridore [01:28:30] oder Finanzinstrumente verlassen können. Auch der Rest der Welt nimmt das zur Kenntnis. Sie sind entsetzt darüber, wissen Sie. Ich weise immer wieder darauf hin, dass wir im Westen dies oft als ein Zeichen der Tugend der Sanktionen sehen, aber das der Rest der Welt anfängt an, uns als Schurken zu sehen, weil wir all diese Regeln, die wir vorher hatten, wenn es darum ging, Gelder von Zentralbanken zu beschlagnahmen und …. gebrochen haben. Das Vertrauen ist weg. Und gleichzeitig ist Russland vielleicht [01:29:00] nicht der große wirtschaftliche Ersatz für die Vereinigten Staaten, aber Sie haben China. Ich denke also, dass wenn wir all diese Sanktionen sehen. Wenn sie einen Zweck hätten, könnten sie gerechtfertigt sein. Aber diese Märkte sind für immer verschwunden. Wir behaupten immer wieder, dass wir Russland in den letzten 30 Jahren einen Gefallen getan haben, indem wir es einbezogen haben. Aber in Wirklichkeit haben wir mit Russland Handel getrieben, sie haben billiges Gas, [01:29:30] Öl und Metalle exportiert und damit unsere Industrie wettbewerbsfähig gehalten. Und wir können alle unsere Technologien für Industriegüter an die Russen verkaufen. Dieser riesige Markt, all die billige Energie und die Metalle gehen jetzt nach Asien und der riesige Markt, an den man verkaufen kann, ist auch weg. Sie werden sich nicht mehr auf Lieferketten mit dem Westen verlassen, genau wie die Chinesen es nicht tun. Es handelt sich also um eine dauerhafte Trennung, die unsere Wettbewerbsfähigkeit untergraben wird und untergraben hat. Es gab diese Woche ein [01:30:00] lustiges Beispiel mit der Slowakei. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie es gelesen haben. Wollen bei den Sanktionen ziemlich hat sein und wollen kein russisches Gas mehr kaufen. Die Energiepreise sind daher so hoch gestiegen, dass sie es sich nicht mehr leisten können, ihr eigenes Aluminium herzustellen. Also müssen sie jetzt Aluminium aus Russland importieren. Das kann man sich einfach nicht ausdenken. Einfach eine schrecklicher Kreislauf von Sanktionen. Es gibt da kein strategisches Denken. Ich habe den Eindruck ist es ist einfach nur emotional. Wir sind wütend. Das fühlt sich gut und tugendhaft an. Aber [01:30:30] es gibt einfach keinen Zweck dahinter. Es gibt keinen Plan. Es gibt niemanden, der hinter dem Steuer sitzt. Es ist ziemlich schockierend zu sehen, wie sich all diese Dinge abspielen.

 AlexanderMercouris: [01:30:41] Es ist absolut schockierend. Ich möchte nur sagen, dass ich mich an die Vereinigten Staaten erinnern kann. Ich meine, ich, ich sollte meine Geschichte, meinen Hintergrund erzählen. Ich war jemand, der eine enorme Bewunderung für die Vereinigten Staaten hatte. Das habe ich immer noch. Das habe ich absolut. Ich habe eine enorme sentimentale Bindung an die Vereinigten [01:31:00] Staaten, an die amerikanische Verfassung, an das amerikanische politische System, wie ich es mir vorstelle, an die amerikanische Kultur. Und ich erinnere mich an die alten Vereinigten Staaten, eine riesige industrielle Organisationsmacht. Sie haben diese Dinge verstanden. Sie haben all die Zusammenhänge verstanden. Vor 50, 60, 70 Jahren hätten sie diese Fehler nicht gemacht. Sie hätten das nicht getan, denn wie sich herausgestellt hat, sind wir davon ausgegangen, dass die Russen [01:31:30] wirtschaftlich von uns abhängig sind, und haben nie bedacht, in welchem Ausmaß wir von ihnen abhängig geworden sind.

Wir sind davon ausgegangen, dass die Russen auf unsere Hochtechnologie nicht verzichten können, und wir haben nicht erkannt, dass wir ihr Gas, ihren Weizen, ihren chemischen Dünger, ihr Öl, ihre Kohle, ihr Aluminium, ihre seltenen Erden brauchen, dass sie in Wirklichkeit [01:32:00] völlig in unser Wirtschaftssystem eingebettet sind. Und das große Problem ist natürlich, dass, wenn es um Hochtechnologie und dergleichen geht, die Auswirkungen einer Hochtechnologiebeschränkung langfristig sind, während die Auswirkungen des Abschneidens von lebenswichtigen Rohstoffen und Gütern unmittelbar sind. Außerdem verfügen die Russen über ein hohes Maß an Wissenschaft und Organisation. Sie können wahrscheinlich zu einem großen Teil [01:32:30] die technologischen Einschränkungen, die wir ihnen auferlegen, abmildern. Und natürlich gibt es jetzt eine andere Welt jenseits von Europa, jenseits der Vereinigten Staaten. Die Zeiten, in denen Technologie und Wissenschaft eine Sache des Westens waren und niemand sonst sie betrieb, sind vorbei. Auch das haben wir nicht verstanden. Aber sie können es wahrscheinlich im Laufe der Zeit herausfinden, und sie haben die Zeit und den Raum in Russland, um es zu tun. Sie können Flugzeuge bauen, sie können Autos bauen. Ein Land, das Raketen startet, [01:33:00] Dinge in den Weltraum schickt. Sie können vieles selbst tun, was wir uns einreden, dass sie es nicht können, aber sie können es tun und sie können andere finden, die ihnen helfen. Sie werden Menschen in China finden. Sie finden Menschen in Korea, sie finden Menschen in Malaysia, in Singapur, an allen möglichen Orten.

Aber wie sich herausstellt, können wir Öl, Gas, Kohle, Lebensmittel und all diese Dinge nicht einfach ersetzen, denn [01:33:30] das geht nicht und man braucht sie sofort. Deshalb befinden wir uns derzeit in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage. Wenn Sie also in diese beiden Hauptstädte reisen – ich lebe in London, ich habe Freunde in Moskau -, dann schauen Sie sich diese beiden Hauptstädte an, in London steigen die Preise unaufhörlich. Lebensmittel werden immer teurer. Energieprodukte werden immer teurer. Die Lebenshaltungskosten steigen. Während ich zu Ihnen spreche, ist das gesamte Londoner [01:34:00] U-Bahn-System geschlossen, weil die Arbeiter streiken, weil sie nicht über die Runden kommen können. Wir haben Probleme, die sich überall wiederholen, die sich durch die britische Wirtschaft und die deutsche Wirtschaft ziehen. In Russland hingegen sinken die Lebensmittelpreise. Die Energiekosten sinken, weil sie diese [01:34:30] Dinge, die essentiell sind und die wir nicht haben, in Hülle und Fülle haben. Wir haben nie verstanden, und ich habe es, um ehrlich zu sein, selbst nicht verstanden, in welchem Ausmaß der Wohlstand, den wir im Westen seit den 1980er Jahren erreicht haben, der Rückgang der Inflation, den wir seit den 1980er Jahren erreicht haben, von dieser enormen Bereitstellung [01:35:00] russischer natürlicher Ressourcen abhing, von Rohstoffen, die nach dem Kalten Krieg verfügbar wurden und die wir uns jetzt in einem außergewöhnlichen Anfall von Wahnsinn selbst verwehrt haben. Wir haben es also nicht nur geschafft, all die anderen Dinge zu tun, die Scott erwähnte, sondern wir haben es auch geschafft, einen enormen wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Und wie Sie richtig sagen, Glenn, wenn all diese Dinge so bleiben [01:35:30], wird es strukturell werden, denn ja, die Wirtschaft passt sich an. Wir werden Alternativen zum russischen Gas finden. Wir werden mehr Flüssigerdgas-Tankstellen bauen. Wir importieren es aus Katar oder aus den Vereinigten Staaten oder von wo auch immer.  Aber es wird viel teurer sein als das Pipelinegas, das wir bisher aus Russland bezogen haben, weil es in der Natur des Systems liegt. Pipeline-Gas wird immer [01:36:00] billiger sein als zum Beispiel LNG. Wir verweigern uns beispielsweise den Zugang zu Sonnenblumenöl aus Russland. Ja, wir können es von woanders her bekommen, aber es muss weiter her kommen. Es wird per Schiff kommen müssen, anstatt schneller aus Russland transportiert zu werden. Wir werden all diese Probleme haben, und sie werden sich kumulieren und zu Dauerproblemen werden. In einer Zeit, in der wir bereits [01:36:30] mit großen wirtschaftlichen, kommerziellen und industriellen Herausforderungen durch asiatische Konkurrenten konfrontiert sind, ist das sehr, sehr schlecht für uns. Nun ist es in Europa besonders schlimm, weil wir in Europa naturgemäß arm an Ressourcen sind. Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor sehr reich an Ressourcen. Sie ist weitgehend autark. Die USA können das überstehen, aber in Europa haben wir uns selbst immensen und [01:37:00] dauerhaften Schaden zugefügt. Und ich stimme Ihnen vollkommen zu, Glenn. Warum sollten die Russen uns von jetzt an Gas verkaufen wollen? Ich meine, all diese Pipelines, die aus russischer Sicht gebaut wurden, haben nichts als Probleme mit sich gebracht. Wir haben sie missbraucht. Wir haben ihr Unternehmen Gazprom belästigt. Wir haben rechtliche Schritte gegen sie eingeleitet. Wir haben einen Artikel nach dem anderen darüber veröffentlicht. Wir haben sie mit dem Preis unter Druck gesetzt. Wir haben das eine oder andere getan. Vertrauen [01:37:30] ist ein wesentlicher Bestandteil einer Geschäftsbeziehung, und das ist weg. Selbst wenn wir den Russen sagen würden, dass diese Sanktionen ein schrecklicher Fehler waren, den wir rückgängig möchten. Es wird keine Rückkehr zum Status quo ante sein, weil die Russen uns nicht mehr vertrauen. Sie werden ihre Pipelines nach Asien bauen. Sie werden dort ihre Verbindungen ausbauen, um [01:38:00] ihr Öl an Indien und China zu verkaufen. Sie werden die wirtschaftlichen Verbindungen mit Asien ausbauen. Und das wird für uns in Europa auf Dauer eine sehr, sehr schlechte Nachricht sein. Ich glaube nicht, dass wir das verstanden haben. Und übrigens, und das ist nur eine Kleinigkeit am Ende, ich habe über die industrielle Natur der Kriegsführung und die Logistik gesprochen, was mich übrigens erstaunt hat. Aber angesichts der Tatsache, dass wir unsere industriellen und verarbeitenden [01:38:30] Grundlagen im Westen erschöpft haben, schauen Sie sich an, wo die verarbeitende Industrie jetzt steht. Der überwiegende Teil davon ist in Asien, und zwar in außerordentlichem Maße in China. Wenn die Russen 70.000 Schuss Artilleriemunition pro Tag abfeuern können, Tag für Tag, Woche für Woche, was können dann die Chinesen tun? Deren industrielle [01:39:00] Basis ist um ein Vielfaches größer als alles, was Russland hat. Ich denke, das ist etwas, worüber wir auch nachdenken müssen.

Das Totalversagen der europäischen Diplomatie

 GlennDiesen: [01:39:09] Zusammenfassend kann man feststellen, dass Russland den Krieg gewinnt. Die Wirtschaftssanktionen sind auf verheerende Weise nach hinten losgegangen. Wir sind nicht in der Lage, den Rest der Welt gegen Russland zu mobilisieren, wir können niemanden mit ins Boot holen. Trotz alledem. Es gibt keine Gespräche. Es gibt keine, verhandeln ist ein Schimpfwort geworden. Von [01:39:30] Diplomatie ist nirgends etwas zu finden. Und das ist überraschend, denn man sollte meinen, dass wir in einer solchen Situation etwas auf den Tisch legen könnten wie: Okay, wir gehen auf das ein, was Russland seit 30 Jahren gefordert hat, nämlich keinen NATO Expansionismus mehr. Wenn wir das bei den Verhandlungen in der Ukraine oder bei anderen Gelegenheiten nutzen könnten, wäre das eine gute Idee. Aber nichts, nichts liegt auf dem Tisch, auch wenn es jetzt nichts weiter bringt, wir setzen uns nicht einmal zusammen und reden. Das ist für mich einfach der [01:40:00] unterste Tiefpunkt der Staatskunst. Es ist schwer zu glauben, dass wir hier sind.

 ScottRitter: [01:40:07] Ja. Wissen Sie, das ist das ewige Problem. Ich habe es in dieser Diskussion und auch in anderen gesagt: Eines Tages wird dieser Krieg zu Ende sein. Ich meine, das ist einfach unvermeidlich. Dieser Krieg wird nicht ewig dauern. Es wird vorbei sein, ob es nun eine Frage von wenigen oder von vielen Monaten [01:40:30] er wird zu Ende gehen. Eine reife Nation, eine kultivierte Nation, eine verantwortungsbewusste Nation muss nach einem diplomatischen Ausweg aus dem Konflikt suchen. Wissen Sie, ich glaube, wenn es in Europa dieses Gefühl der Reife gäbe, würden die Leute ihren Chefs sagen: Hey, wir haben in der Ukraine verloren, wir haben die Ukraine verloren.

Wir werden in der Ukraine nicht gewinnen. Wenn wir weiterhin [01:41:00] alles auf die Ukraine setzen, werden wir für die Verhandlungen, die nach dem Konflikt geführt werden müssen, nichts mehr auf dem Tisch haben. Erinnern Sie sich daran, dass diesem Krieg Russlands Forderungen nach einem neuen europäischen Sicherheitsrahmen vorausgegangen sind. Nun, Russland hatte zwei Vertragsentwürfe vorgelegt, die der Westen abgelehnt hat. Als die Russen sie im Dezember letzten Jahres vorlegten, sagten viele Leute: Oh, welche Dreistigkeit [01:41:30] von Russland. Wie können sie es wagen zu glauben, sie könnten dem Westen diese Bedingungen diktieren?

Russland hat keine Bedingungen diktiert. Russland hat nur auf die Tatsache hingewiesen, dass es so sein muss. Russlands Hand ist durch den Sieg über die Ukraine nachweislich stärker geworden, und jeder verantwortungsbewusste, reife, adäquate geopolitische Stratege oder Analyst würde erkennen, dass Russland zunehmend in die Lage versetzt wird, die Bedingungen der Nachkriegsbeziehungen in einer Art und Weise zu diktieren, die Russland in jeder Hinsicht begünstigt, wenn wir nicht versuchen, [01:42:00] ein Akteur bei der Festlegung des Weges aus dem Krieg zu werden. Und das ist eine sehr gefährliche Situation, denn egal was passiert, am Ende des Tages ist die NATO immer noch ein nukleares Unternehmen, und ein Konflikt, ein militärischer Konflikt zwischen Russland und der NATO wird Atomwaffen ins Spiel bringen. Verzweifelte Menschen tun verzweifelte Dinge [01:42:30] und die NATO wird immer mehr zu einer verzweifelten Organisation. Um diese Verzweiflung zu mindern, wäre es also sehr verantwortungsbewusst von der NATO, zum jetzigen Zeitpunkt zu versuchen, den Schaden, der der Ukraine zugefügt wird, zu mindern, indem man versucht, diesen Krieg eher früher als später zu beenden und so viel von der Ukraine zu erhalten, wie man kann, nicht [01:43:00] weil man sie gegen Russland einsetzen will, sondern weil man das dem ukrainischen Volk schuldet. Mein Gott, wir sitzen hier mit diesem “Wir unterstützen die Ukraine”. Wir unterstützen die Ukraine nicht. Wir zerstören die Ukraine. Wir nehmen die Ukraine aus. Wir verwüsten die Ukraine. Wir müssen die Ukraine hassen. Wenn ich Ukrainer wäre, würde ich erkennen, dass die Ukrainer vom Westen verraten wurden. “Strebt den Beitritt zur NATO an” ist eine Selbstmordpille, eine Einwegmission. Man hätte das nie tun dürfen. Und jetzt, wo man es getan hat, obliegt es dem Westen zu sagen, okay, wir haben einen Fehler gemacht, lasst uns den Schaden [01:43:30] abmildern.

Notwendigkeit neuer Abrüstungsverträge

Aber was muss jetzt geschehen? Es muss eine Diskussion über die nukleare Abrüstung in Europa geben, über den INF-Vertrag, den die Vereinigten Staaten übrigens unter falschem Vorwand überstürzt aufgekündigt haben, indem sie eine russische Rakete geschaffen haben, die nicht gegen den Vertrag verstößt. Selbst wenn die Russen sie rausgebracht und gesagt haben: Hey, ich bin nur ein einfacher Marine, aber ich habe genug Raketeninspektionen gemacht, um zu wissen, dass, wenn ich mir [01: 44:00] eine Rakete anschaue und der Booster ist derselbe und der Booster ist derselbe, das heißt, es ist dieselbe Menge an Treibstoff. Und wenn man sich die Lenksektion und einen etwas größeren Gefechtskopf ansieht, wird die Rakete mit einer größeren Lenksektion nicht weiter fliegen als die Rakete mit demselben Booster und einem kleineren Kopf. Und dennoch versuchen wir so zu tun, als ob diese neue Rakete, die die Russen bauen, weiter reicht als die, die sie gebaut haben. Nein, das ist absurd.

Wir haben den INF-Vertrag verletzt, indem wir Aegis-Ashore-Systeme in Polen und Rumänien aufgestellt haben, die Mark 41, die mit [01:44:30] einem Knopfdruck vom Abfeuern von Abfangraketen auf das Abfeuern von bodengestützten Marschflugkörpern umgeschaltet werden können. Wir sagten: Oh, das würden wir nie tun. Einen Monat, nachdem wir den Vertrag verlassen hatten haben wir genau dieses System getestet. Jetzt geht es um den Einsatz einer neuen Rakete, Dark Eagle, einer Hypergeschwindigkeitsrakete. Wir haben eine Artilleriebrigade aus dem Kalten Krieg aktiviert, um sie damit auszustatten.

Damit muss jetzt Schluss sein, und Europa muss die Kontrolle über seine Sicherheit übernehmen und Druck auf die Vereinigten Staaten ausüben, damit sie [01:45:00] ernsthafte Verhandlungen mit Russland über die Wiederaufnahme des INF-Vertrages aufnehmen, auch wenn China nicht Teil dieser Verhandlungen ist. Es geht um die europäische Sicherheit.

Es geht nicht um die Beziehungen zwischen Amerika und China. Europa muss dies in die Hand nehmen. Europa muss auch Druck auf die Vereinigten Staaten ausüben, den Vertrag über den Schutz vor ballistischen Flugkörpern wieder in Kraft zu setzen, und sich von der dummen Vorstellung zu befreien, Raketen abschießen zu können und einen Raketenschild zu errichten. Das funktioniert nicht. Israels Iron Dome funktioniert gegen grobe [01:45:30] Hamas-Raketen, Flaschenraketen, die von der Hamas abgefeuert werden. Die Hisbollah wird den Eisernen Dom durchdringen wie ein heißes Messer die Butter. Der Iran würde sie ausweiden. Es ist ein falsches Gefühl der Sicherheit. Das kann man strategisch nicht nachbilden. Warum also überhaupt versuchen.

Schafft das System zur Abwehr ballistischer Raketen ab. Und damit machen Sie sich jetzt frei für eine stärkere strategische Rüstungsreduzierung, um diesen wahnsinnigen Wettlauf zur Modernisierung der schrecklichsten [01:46:00] Waffen der Welt zu stoppen. Russland hat bereits eine Modernisierungsrunde hinter sich. Sie haben die Sarmat-Rakete, sie haben die Avantgarde, sie haben andere. Die Vereinigten Staaten sprechen über den Einsatz der Sentinel-Rakete, des B 21 Raider-Bombers und der U-Boote der Columbia-Klasse. Hört auf, Billionen von Dollar für die nukleare Abrüstung auszugeben
Aufrüstung, für den Bau von Waffen, die man logischerweise niemals einsetzen kann, weil in dem Moment, in dem man sie einsetzt, die Welt untergeht. Und schließlich, sobald man [01:46:30] damit beginnt, die nukleare Bedrohung zu reduzieren, wäre Europa sehr klug – und das ist, wissen Sie … wenn ich ein Verhandlungsführer der US-Regierung wäre, würde ich das nicht laut aussprechen.

Aber hier ist die Quintessenz. Russland wird aus diesem Ukraine-Konflikt mit einer militärischen Überlegenheit gegenüber dem Westen hervorgehen, so wie der Westen am Ende des Kalten Krieges eine Überlegenheit gegenüber Russland hatte. Was wir heute in Europa mehr denn je brauchen, ist ein neuer [01:47:00] Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa, der genau das schafft, was Russland gefordert hat: einen Stabilitätspuffer zwischen der NATO und Russland. Das bedeutet nicht, dass die NATO aufgelöst wird. Es bedeutet nur, dass die Infrastruktur der NATO auf die Linien von 1997 zurückgeführt wird. Und wenn man es in den Kontext eines Vertrages stellt, dann muss dieses wunderbare, riesige, mächtige russische Militär, das sie in der Ukraine zusammengezogen haben, auf eine gleichwertige Entfernung zurückgezogen werden. Sie brauchen Inspektoren [01:47:30], die die Überwachung übernehmen. Sie müssen das Militärische in den Beziehungen zwischen Russland und Europa zurückdrängen. Dies ist die Ausfahrt aus dem Krieg, die absolut notwendig ist, wenn man Frieden und Stabilität bewahren will. Und nur so wird Europa die nötige Luft holen können, um sich wirtschaftlich zu erholen. Glauben Sie wirklich, dass die Deutschen in der Lage sein werden, die 100 Milliarden Euro aufzubringen, die Scholz für den Wiederaufbau der deutschen Armee bereitstellen will? Nein. Die deutsche [01:48:00] Wirtschaft kollabiert. Glauben Sie, dass Europa wirklich diese 300.000 Mann starke schnelle Eingreiftruppe aufbauen wird, die laut Stoltenberg die Zukunft sein soll? Nicht einmal annähernd. Sie kollabieren. Europa kann sich das nicht leisten. Und wenn sich Europa weiterhin in einen offenen wirtschaftlichen und quasi militärischen Konflikt mit Russland verstrickt, wird es nur noch mehr zusammenbrechen. Rüstungskontrolle ist der Weg in die Zukunft. Europa könnte ein Ergebnis diktieren, das besser für Europa ist, [01:48:30] nicht perfekt, aber besser für Europa, indem es bereit ist, an dieser Front mit den Russen zusammenzuarbeiten. Und das wird es auch.

Sie haben es angesprochen, Alexander, es wird viel dazu beitragen, dass ein Gefühl des Vertrauens zwischen den Nationen wieder aufleben kann. Im Moment gibt es kein Vertrauen zwischen den Nationen, aber wir müssen das tun, denn sonst wird Russland diesen Krieg beenden und dann dem Westen seinen Willen aufzwingen. Wir sprechen [01:49:00] über ein Europa, das grundlegend kaputt ist. Europa wird nicht in der Lage sein, die Herausforderung anzunehmen, und die Vereinigten Staaten werden mit ihrer eigenen Implosion konfrontiert sein, die gerade jetzt stattfindet, wirtschaftlich und politisch. Die Vereinigten Staaten sind im Moment eine sehr kranke Nation und werden noch kränker werden, wenn wir gezwungen sind, uns mit einem zusammengebrochenen Europa und einem wieder erstarkten Russland und übrigens auch mit einem China auseinanderzusetzen, das ebenfalls sprunghaft wächst. Verleihen Sie also Stabilität, indem Sie [01:49:30] stabil handeln. Rüstungskontrolle ist die Zukunft.

 AlexanderMercouris: [01:49:33] Ja. Scott, was Sie sagen, ist absolut richtig. Und ich kann nur sagen, das ist es, wovon Glenn gesprochen hat. Der Zusammenbruch der Staatskunst. Die Tragödie ist, wer hat die Diplomatie erfunden? Woher kommt der Begriff der Diplomatie? Sie wissen schon, die ganze Sprache der Diplomatie, Botschafter, all das, Sie wissen schon, Botschaften, all dies. Das ist europäisch. Es waren die Europäer, die die moderne Diplomatie erfunden haben. Tun sie etwas? Natürlich [01:50:00] tun sie nichts. Sie tun absolut nichts. Und, wissen Sie, wir alle drei können uns an die Friedensbewegungen in Europa erinnern, die ein äußerst nützlicher und wichtiger Teil der europäischen politischen Landschaft waren. Wo sind sie? Was ist geschehen? Wer sorgt sich noch um einen Atomkrieg? Wer macht sich noch Sorgen um Atomwaffen? Sie sprachen von Dark Eagle. Ich habe von dem Dark Eagle gehört, Glenn, wir alle drei. Wissen [01:50:30] die Menschen auf den Straßen in Europa überhaupt von diesem System, das in das Herz Europas gebracht werden soll? Nun, wir müssen in Europa eine gewisse politische Fähigkeit wiederentdecken, denn sonst driften wir in Konfrontationen ab, die uns nur enormen Schaden zufügen. Wie soll das gehen, angesichts [01:51:00] der Wüste, die die politische Landschaft in Europa im Moment darstellt. Das kann ich nicht sagen. Ich weiß es einfach nicht. Aber alles, was ich sagen kann, ist, dass ich noch nie eine Periode in der Geschichte erlebt habe, in der die europäische Führung so schlecht, so bankrott und so moralisch inkompetent war, wie die, die wir heute erleben. Und ich denke an die Möglichkeiten, die es vor 30 Jahren gab, als [01:51:30] der Kalte Krieg zu Ende ging, und daran, wie diese von den Vereinigten Staaten und auch von Europa zu einem großen Teil weggeworfen wurden. Und wenn ich zu viel darüber nachdenke, macht mich das sehr verbittert.

GlennDiesen: [01:51:48] Nun, ich bin mir nicht sicher.

AlexanderMercouris: [01:51:55] Mm hmm. Nun, ich meine, was ich sagen will, ist dies. Lassen Sie uns einfach dort enden. Ich [01:52:00] meine, es ist erstaunlich. Wissen Sie, es gibt diese wunderbare Redewendung, die übrigens historisch gesehen wahr ist, dass die Zeit den Mann oder die Frau hervorbringt. Wissen Sie, es kann gut sein, dass dies die Krise ist, die Europa braucht. Vielleicht brauchen wir diese Krise, um uns selbst aus unserer Selbstgefälligkeit herauszuschütteln, die wir in diesem Kokon aus Selbstgefälligkeit, Arroganz und Dummheit um uns herum aufgebaut haben. Wenn die Leute, ich meine, wie [01:52:30] ich sagte, wir sprechen über die Streiks und solche Dinge. Ich meine, wir haben eine Wiederbelebung der Gewerkschaften erlebt, zum Beispiel in Großbritannien, wo die Gewerkschaften tot waren, aber plötzlich erwachen sie wieder zum Leben. Und es könnte sehr gut sein, dass als Folge dieser Krise Menschen, Kräfte, politische Kräfte in Europa wieder auftauchen, die die Dinge wieder in Gang bringen und umkehren werden. Das Potenzial dazu ist vorhanden. Wissen Sie, die heutige Führung [01:53:00] ist furchtbar. Sie ist schrecklich. …..

 ScottRitter: [01:53:13] Es gibt den amerikanischen Philosophen George Santayana, und er wird immer wieder zitiert. Diejenigen, die die Lehren aus der Geschichte nicht ziehen, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen. Der Gedanke dabei ist, dass die Geschichte aus aufeinander folgenden [01:53:30] Beispielen des Scheiterns besteht. Aber es gibt diese lichten Momente in der Geschichte, in denen sich Erfolge einstellen. Einer der größten Erfolge war der 1987 unterzeichnete und 1988 in Kraft getretene Vertrag über nukleare Mittelstreckenwaffen, der einen Rüstungswettlauf umkehrte, der im Begriff war, Europa und damit die Welt zu zerstören. Auf amerikanischer Seite war der Mann, der das möglich gemacht hat, ein [01:54:00] Schauspieler, ein Mann, der von der politischen Elite der Demokratischen Partei verachtet wurde. Selbst die Republikaner betrachteten ihn als eine Art Außenseiter. Dieser quasi konservative Leinwandstar, ein einfacher Mann, der das Schlimmste aus der amerikanischen Politik gemacht hat, indem er das sowjetische Problem grob vereinfacht hat, das böse Imperium, usw., usw.. Und er hat uns aus dem Abgrund geführt. Er hat uns [01:54:30] aus der Dunkelheit herausgeführt. Er unterzeichnete einen Vertrag, von dem niemand dachte, dass er jemals unterzeichnet werden könnte, und leitete damit einen Prozess der Verbesserung der Beziehungen ein. Leider war es ein sehr enges Zeitfenster. Und George Herbert Walker Bush war nicht in der Lage, die Aufgabe zu Ende zu führen. Es kam spät in Reagans Amtszeit, aber aus einer höchst unwahrscheinlichen Quelle tauchte eine Führungspersönlichkeit auf, die uns aus dieser Dunkelheit herausführte. Und wenn wir an die 1980er Jahre denken, dann vergessen die Leute [01:55:00], dass die Vereinigten Staaten in den 1980er Jahren in Afghanistan einen Stellvertreterkrieg gegen die Sowjetunion führten, in den wir Milliarden von Dollar gesteckt haben, nur um sowjetische Soldaten zu töten. Das erinnert mich ein wenig an das, was gerade in der Ukraine passiert. Die Menschen vergessen, dass wir an der Verhängung von Sanktionen gegen russisches Gas beteiligt waren und Druck auf Europa ausgeübt haben, kein russisches Gas mehr zu kaufen. Und wir haben die russische Energie herausgegriffen und versucht, sie zu isolieren. Wir haben sogar ein Gerät eingebaut das künstlich den Messwert des Drucks einer [01:55:30] einer Explosion erzeugte. Wir haben die russische Energieinfrastruktur innerhalb Russlands physisch zerstört. Das wird heute nicht passieren. Im Moment ist die Verhaftung von Brittney Griner das große Thema, Wow, verhaftet. Arthur Nicholson wurde 1985 von einem sowjetischen Sergeanten in Ludwiglust, Ostdeutschland, erschossen. Ich meine, wir haben uns damals gegenseitig umgebracht. Wir stationierten Atomwaffen und sprachen nicht nur darüber. Wir haben die Pershing 2 nach [01:56:00] Europa geschickt, um die SS 20 zu bekämpfen. Europa stand bis zu einem gewissen Grad vor der nuklearen Auslöschung. Das ist nicht einmal annähernd das, was Ihnen heute bevorsteht. Und doch führte uns ein Mann hinaus. Ronald Wilson Reagan. Ich weiß, dass die Leute sagen werden, er sei ein schrecklicher Präsident gewesen. Schrecklich, ich werde das nicht diskutieren. Was ich sagen will: Er hat die Welt gerettet. Er hat die Welt gerettet. Und so schlimm die Dinge heute auch sind, vielleicht wird es keine amerikanische Führung sein, denn ich weiß nicht, wo die herkommen sollte. Ich weiß nicht einmal, wie diese beiden Wörter heute auf demselben Stück [01:56:30] Papier stehen können. Aber vielleicht wird Europa aus dieser totalen Katastrophe, mit der es heute konfrontiert ist, liefern. Vielleicht bekommt Europa einen Führer, der diesen Namen auch verdient. Nicht diese, nicht Stoltenberg, nicht Macron, nicht Scholtz, nicht diese Witzfiguren. Aber es wird jemand auftauchen, der sagt, dass wir uns wie rational denkende, liebende und fürsorgliche Menschen verhalten müssen. Und wenn man all diese Wörter zusammennimmt und sie zu [01:57:00] einer Person kombiniert, dann sind diese Dinge, über die wir sprechen, logisch. Ich meine, es ist ja nicht so, dass Glenn, Alexander und ich hier sitzen und versuchen, eine phantasievolle Welt zu malen. Es ist logisch zu sagen, dass wir danach streben sollten, keine Atomwaffen zu haben. Es ist logisch das zu sagen. Ich werde es dabei belassen, denn ich befinde mich gerade in einem Debattierwettbewerb mit meinen Hunden. Aber ich denke, ich habe meinen Standpunkt dargelegt, dass es möglich ist, sich eine Welt vorzustellen, in der eine Führungspersönlichkeit auftauchen kann, die [01:57:30] uns aus den Schwierigkeiten herausführt.

GlennDiesen: [01:57:36] Ich stimme zu. Nun, mit dieser viel positiveren Anmerkung können wir die Sache abschließen. So. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, Scott, dass Sie sich zwei Stunden Zeit genommen haben, und natürlich auch bei Ihnen, Alexander, es war mir ein Vergnügen, und ja, ich hoffe, dass ich bald wieder mit Ihnen beiden sprechen kann.

ScottRitter: [01:58:00] Vielen Dank [01:58:00], dass Sie mich eingeladen haben. Ich danke Ihnen. Schön, dass Sie da sind.

 AlexanderMercouris: [01:58:03] Schön, Sie zu sehen. Und Glenn, ich danke Ihnen vielmals.

 ScottRitter: [01:58:06] Vielen Dank, Glenn.

Ende der Übersetzung.

 




Zum Ukrainekrieg Teil 1

In meiner von dem ehemaligen Brigadegeneral der US-Marines, Samuel B. Griffith ins Englische übersetzten Ausgabe des chinesischen Klassikers der Kriegskunst, Sun Tzu The Art of War, geht es auch darum, dass man den Gegner und sich selber kennen und verstehen sollte. Wer die Möglichkeiten und Fähigkeiten der eigenen Seite und dann auch noch den Gegner falsch einschätzt ist chancenlos.

Nachdem ich schon im Juni mit www.freizahn.de/2022/06/links-zur-ukrainekrise/  auf einige Quellen hingewiesen hatte, die eine von der westlichen Propaganda abweichendes Bild vom Ukrainekonflikt zeichnen, habe ich nun einen Artikel entdeckt der  in der Ausgabe August 2022, der “Marine Corps Gazette”, einer Zeitschrift der Marine Corps Association (https://mca-marines.org ) veröffentlicht wurde und den ich hier übersetzt habe, zumal die im Internet zu findende, abfotografierte Version recht schwierig zu lesen war.

Ich hoffe die folgende Übersetzung trägt etwas zum besseren Verständnis des Vorgehens und der Professionalität des russischen Militärs bei.

Beginn der Übersetzung

Die russische Invasion der Ukraine

Maneuverist Paper Nr. 22: Teil II: Der mentale und moralische Bereich

von Marinus

Betrachtet man die Operationen der russischen Bodentruppen in der Ukraine im Jahr 2022 als rein physikalische Phänomene, ergibt sich ein rätselhaftes Bild. Im Norden der Ukraine eroberten russische Bataillonsgruppen ein großes Gebiet, unternahmen aber keine Versuche, die vorübergehende Besetzung in einen dauerhaften Besitz umzuwandeln. Nachdem sie fünf Wochen in dieser Region verbracht hatten, verließen sie sie so schnell, wie sie gekommen waren. Im Süden führte der ähnlich rasche Einmarsch der russischen Bodentruppen zur Errichtung russischer Garnisonen und zur Gründung russischer politischer, wirtschaftlicher und kultureller Einrichtungen. Auf dem dritten Kriegsschauplatz kam es nur selten zu schnellen Bewegungen, wie sie die russischen Operationen an der Nord- und Südfront kennzeichneten. Stattdessen führten russische Verbände in der Ostukraine artillerieintensive Angriffe durch, um relativ kleine Geländeabschnitte zu erobern.
Eine Möglichkeit, ein wenig Licht in dieses Rätsel zu bringen, besteht darin, die russischen Operationen an jeder der drei Hauptfronten des Krieges als eigenständige Kampagne zu betrachten. Eine weitere Erhellung ergibt sich aus der Erkenntnis, dass jede dieser Kampagnen einem Modell folgte, das schon seit langem zum russischen Operationsrepertoire gehörte. Ein solches Schema erklärt jedoch nicht, warum die russische Führung bestimmte Modelle auf bestimmte Operationen anwandte. Die Beantwortung dieser Frage erfordert eine Untersuchung der psychologischen und moralischen Zielsetzungen, denen jede dieser drei Kampagnen diente.

Militärische Streifzüge im Norden

Amerikanische Marines verwenden seit langem den Begriff “Raid”, um ein Unternehmen zu beschreiben, bei dem sich eine kleine Truppe schnell an einen bestimmten Ort begibt, eine diskrete Mission erfüllt und sich so schnell wie möglich zurückzieht.1 Für russische Soldaten hat der sprachliche Cousin dieses Wortes (Reyd) jedoch eine etwas andere Bedeutung.

Während die Bewegung des Teams, das einen Überfall durchführt, nur ein Mittel ist, um bestimmte Punkte auf der Karte zu erreichen, hat die Bewegung der häufig größeren Truppen, die einen ‘Reyd’ durchführen, erhebliche operative Auswirkungen. Das heißt, dass sie auf ihrem Weg über verschiedene Autobahnen und Nebenstraßen die gegnerischen Befehlshaber verwirren, die gegnerische Logistik stören und den gegnerischen Regierungen die Legitimität entziehen, die sich aus der unangefochtenen Kontrolle über ihr eigenes Gebiet ergibt. Während jede Phase eines heutigen amerikanischen Überfalls notwendigerweise einem detaillierten Skript folgt, ist ein ‘Reyd’ ein offeneres Unternehmen, das angepasst werden kann, um neue Chancen zu nutzen, neue Gefahren zu vermeiden oder neuen Zwecken zu dienen. Der Begriff ‘Reyd’ fand im späten 19. Jahrhundert Eingang in das russische Militärlexikon, und zwar durch Theoretiker, denen die Ähnlichkeiten zwischen den unabhängigen Kavallerieoperationen des amerikanischen Bürgerkriegs und der bereits etablierten russischen Praxis auffielen, mobile Kolonnen, oft bestehend aus Kosaken, auf ausgedehnte Exkursionen durch das feindliche Territorium zu schicken.2 Ein frühes Beispiel für solche Exkursionen sind die Erfolge der von Alexander Tschernyschew geführten Kavalleriekolonne während der Napoleonischen Kriege.

Im September 1813 durchquerte diese Truppe von etwa 2300 Reitern und zwei leichten Feldgeschützen das feindliche Gebiet auf einer Strecke von 640 km (400 Meilen). In der Mitte dieses kühnen Unterfangens besetzte diese Kolonne zwei Tage lang die Stadt Kassel, die damals die Hauptstadt eines der Satellitenstaaten des französischen Kaiserreichs war. Aus Angst vor einer Wiederholung dieser peinlichen Situation ließ Napoleon zwei Armeekorps zur Garnison von Dresden abkommandieren, dem damaligen Regierungssitz eines weiteren seiner Dependenzen.3 Als Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig auf die vereinten Streitkräfte seiner Feinde traf, war seine ohnehin zahlenmäßig unterlegene Grande Armée daher viel kleiner, als sie es sonst gewesen wäre.

Im Jahr 2022 unternahmen die vielen taktischen Bataillonsgruppen, die in den ersten Tagen der russischen Invasion tief in die Nordukraine vorrückten, keinen Versuch, die Besetzung Leipzigs nachzuvollziehen. Vielmehr umgingen sie alle größeren Städte, die auf ihrem Weg lagen, und in den seltenen Fällen, in denen sie sich in einer kleineren Stadt befanden, dauerte die Besetzung selten länger als ein paar Stunden. Dennoch erzeugten die schnell vorrückenden russischen Kolonnen in weitaus größerem Umfang einen ähnlichen Effekt wie bei Tschernyschews Überfall von 1813. Das heißt, sie überzeugten die Ukrainer davon, ihre Hauptfeldarmee, die damals in der Donbass-Region kämpfte, zu schwächen, um die Verteidigung der entfernten Städte zu verstärken.

Schnelle Besetzung im Süden

Die russischen Operationen im Gebiet zwischen der südlichen Küste der Ukraine und dem Fluss Dnjepr ähnelten in Bezug auf Geschwindigkeit und zurückgelegte Entfernung den Angriffen im Norden. Sie unterschieden sich jedoch in Bezug auf den Umgang mit den Städten. Während die russischen Kolonnen auf beiden Seiten von Kiew große städtische Gebiete nach Möglichkeit mieden, nahmen ihre Kollegen im Süden vergleichbare Städte dauerhaft in Besitz. In einigen Fällen, wie z. B. bei dem Manöver “Schiff gegen Ziel” (ship-to-objective maneuver), das im Asowschen Meer begann und in Melitopol endete, fand die Eroberung von Städten bereits in den ersten Tagen der russischen Invasion statt. In anderen Gebieten, wie z. B. in der Stadt Skadovsk, warteten die Russen mehrere Wochen, bevor sie Gebiete einnahmen und die örtlichen Verteidigungskräfte angriffen, die sie bei ihrem ersten Vorstoß ignoriert hatten.

Unmittelbar nach ihrer Ankunft verfolgten die russischen Kommandeure, die das Kommando über die städtischen Gebiete im Süden übernahmen, dieselbe Politik wie ihre Kollegen im Norden. Das heißt, sie erlaubten den lokalen Vertretern des ukrainischen Staates, ihre Aufgaben zu erfüllen und in vielen Fällen weiterhin die Flagge ihres Landes an öffentlichen Gebäuden zu hissen.4 Es dauerte jedoch nicht lange, bis russische Beamte die Kontrolle über die lokale Regierung übernahmen, die Flaggen an den Gebäuden ersetzten und die Ersetzung ukrainischer Institutionen, ob Banken oder Mobilfunkunternehmen, durch russische in die Wege leiteten.5

 Wie das Modell des ‘Reyd’ war auch das Paradigma von Feldzügen, die eine schnelle militärische Besetzung mit einer tiefgreifenden politischen Umgestaltung verbanden, schon seit geraumer Zeit Teil der russischen Militärkultur.

So konnten die russischen Befehlshaber bei der Erläuterung des Konzepts für die Operationen an der Südfront auf eine Reihe ähnlicher Unternehmungen verweisen, die der sowjetische Staat in den vier Jahrzehnten nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens im Jahr 1939 durchgeführt hatte. (Dazu gehörten die Eroberung der Länder Estland, Lettland und Litauen im Jahr 1940, die Unterdrückung der reformistischen Regierungen in Ungarn und der Tschechoslowakei während des Kalten Krieges und die Invasion in Afghanistan im Jahr 1979.)6

Während einige russische Verbände im Süden die Kontrolle über die eroberten Gebiete festigten, führten andere Angriffe in der Nähe der Stadt Mykolaiv durch. Wie ihre größeren Pendants an der Nordfront ermutigten sie die ukrainische Führung, Kräfte für die Verteidigung der Städte einzusetzen, die andernfalls im Kampf um die Donbass-Region hätten eingesetzt werden können. (In diesem Fall handelte es sich um die Häfen von Mykolaiv und Odessa.) Gleichzeitig entstand durch die Angriffe im nördlichen Teil der Südfront ein breites “Niemandsland” zwischen den von den russischen Streitkräften besetzten Gebieten und den Gebieten, die vollständig unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung standen.

Stalingrad im Osten

Bei den russischen Operationen im Norden und Süden der Ukraine wurde nur sehr wenig Feldartillerie eingesetzt. Dies war teilweise eine Frage der Logistik. (Unabhängig davon, ob sie im Norden Raubzüge durchführten oder den Süden schnell besetzten, fehlten den russischen Kolonnen die Mittel, um eine große Anzahl von Granaten und Raketen zum Einsatz zu bringen.) Das Fehlen von Kanonen in diesen Feldzügen hatte jedoch mehr mit den Zielen als mit den Mitteln zu tun. Die russische Zurückhaltung bei der Bombardierung des Nordens rührte von dem Wunsch her, die örtliche Bevölkerung nicht zu verärgern, die aus sprachlichen und ethnischen Gründen fast ausschließlich den ukrainischen Staat unterstützte.

Im Süden diente die russische Politik, den Einsatz von Feldartillerie zu vermeiden, ebenfalls dem politischen Zweck, Leben und Eigentum von Gemeinden zu schützen, in denen sich viele Menschen als “russisch” identifizierten und viele weitere Russisch als Muttersprache sprachen.

 Im Osten jedoch führten die Russen Bombardierungen durch, die in Bezug auf Dauer und Intensität mit den großen Artilleriekämpfen der Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts vergleichbar waren. Diese Bombardierungen, die durch kurze, sichere und außerordentlich redundante Versorgungslinien ermöglicht wurden, dienten drei Zwecken. Erstens schlossen sie die ukrainischen Truppen in ihren Befestigungen ein und nahmen ihnen die Möglichkeit, etwas anderes zu tun, als an Ort und Stelle zu bleiben. Zweitens forderten sie eine große Zahl von Opfern, sei es physisch oder durch die psychologischen Auswirkungen des Eingesperrtseins, der Impotenz, und der Nähe einer großen Zahl die Erde erschütternder Explosionen. Drittens führte das Bombardement einer bestimmten Festung, wenn es über einen ausreichenden Zeitraum, der oft in Wochen gemessen wurde, durchgeführt wurde, ausnahmslos entweder zum Rückzug der Verteidiger oder zu ihrer Kapitulation.

Das Ausmaß der russischen Bombardierungen im Osten der Ukraine lässt sich erahnen, wenn man den Kampf um die Stadt Popasna (18. März bis 7. Mai 2022) mit der Schlacht von Iwo Jima (19. Februar bis 26. März 1945) vergleicht. Auf Iwo Jima kämpften die amerikanischen Marines fünf Wochen lang, um die Verteidiger eines acht Quadratmeilen großen, geschickt befestigten Geländes zu vernichten. In Popasna bombardierten russische Kanoniere acht Wochen lang Grabensysteme, die in die Bergrücken und Schluchten eines vergleichbaren Gebiets gebaut waren, bevor die ukrainische Führung beschloss, ihre Truppen aus der Stadt zurückzuziehen.

Die Eroberung von Gelände durch die Artillerie wiederum trug zur Schaffung von Umzingelungen bei, die die Russen “Kessel” (kotly) nennen. Wie so vieles in der russischen Militärtheorie beruht auch dieses Konzept auf einer Idee, die der deutschen Tradition der Manöverkriegsführung entlehnt ist: dem “Schlachtkessel”. Während die Deutschen jedoch bestrebt waren, ihre Kessel so schnell wie möglich zu schaffen und auszunutzen, konnten die russischen Kessel entweder schnell und überraschend oder langsam und scheinbar unausweichlich sein. Bei den erfolgreichen sowjetischen Offensiven des Zweiten Weltkriegs, die beispielsweise zur Vernichtung der deutschen 6. Armee in Stalingrad führten, wurden beide Arten von Kesseln in großem Umfang eingesetzt.

Die Befreiung von dem Wunsch, so schnell wie möglich Kessel zu errichten, befreite die in der Ostukraine kämpfenden Russen von der Notwendigkeit, ein bestimmtes Stück Land zu halten. So zogen die Russen angesichts eines entschlossenen ukrainischen Angriffs häufig ihre Panzer- und Infanterieeinheiten aus dem umkämpften Gelände zurück. Auf diese Weise verringerten sie zum einen die Gefahr für ihre eigenen Truppen, zum anderen schufen sie Situationen, in denen die ukrainischen Angreifer ohne Schutz mit russischen Granaten und Raketen konfrontiert waren, wenn auch nur kurz. Anders ausgedrückt: Die Russen betrachteten solche “Zugabebombardements” nicht nur als akzeptablen Einsatz von Geschützen, sondern auch als Gelegenheit, zusätzliche Verluste zu verursachen und gleichzeitig “auffälligen Verbrauch” von Artilleriemunition zu betreiben.

Im Frühjahr 1917 wendeten die deutschen Truppen an der Westfront eine vergleichbare Taktik an, um Situationen zu schaffen, in denen die französischen Truppen, die an den hinteren Hängen der kürzlich eroberten Bergkämme vorrückten, im offenen Gelände vom Feuer der Feldartillerie und der Maschinengewehre überrascht wurden. Diese Erfahrung wirkte sich derart auf die französische Moral aus, dass sich die Infanteristen von fünfzig französischen Divisionen an einer “kollektiven Disziplinlosigkeit” beteiligten, deren Motto lautete. “Wir halten stand, aber wir weigern uns, anzugreifen. “7 (Im Mai 2022 tauchten im Internet mehrere Videos auf, in denen Personen, die sich als ukrainische Soldaten ausgaben, die in der Donbass-Region kämpften, erklärten, sie seien zwar bereit, ihre Stellungen zu verteidigen, hätten aber beschlossen, jeden Befehl zu missachten, der sie zum Vorrücken auffordere).

Auflösung des Paradoxons

In den Anfängen der Debatte über die Manöverkriegsführung stellten die Manöveristen ihre bevorzugte Philosophie oft als das logische Gegenteil der “Feuerkraft/Abnutzungskriegsführung” dar. Noch 2013 nutzten die anonymen Autoren der “Attritionist Letters” (Attrition = Abnutzung) diese Dichotomie als Rahmen für ihre Kritik an Praktiken, die dem Geist der Manöverkriegsführung widersprechen. In den russischen Feldzügen in der Ukraine ergänzten sich jedoch eine Reihe von Operationen, die hauptsächlich aus Bewegung bestanden, mit einer hauptsächlich aus Kanonaden bestehenden Operation.

Eine Möglichkeit, dieses scheinbare Paradoxon aufzulösen, besteht darin, die Angriffe der ersten fünf Kriegswochen als eine große Täuschung zu bezeichnen, die zwar wenig direkte Zerstörung bewirkte, aber die anschließende Zermürbung der ukrainischen Streitkräfte ermöglichte. Insbesondere verzögerte die Bedrohung durch die Angriffe die Verlegung der ukrainischen Streitkräfte auf den Hauptkriegsschauplatz, bis die Russen ihre Artillerieeinheiten in Position gebracht, das Transportnetz gesichert und die Munitionsvorräte angelegt hatten, die für eine lange Serie großer Bombardierungen benötigt wurden. Diese Verzögerung sorgte auch dafür, dass, als die Ukrainer zusätzliche Verbände in die Donbass-Region verlegten, die Verlegung dieser Truppen und der für ihre Versorgung erforderliche Nachschub erheblich schwieriger wurde, durch die Zerstörungen die inzwischen im Bereich des ukrainischen Eisenbahnnetzwerkes durch Lenkraketen mit großer Reichweite angerichtet worden waren. Mit anderen Worten: Die Russen führten einen kurzen Manöverfeldzug im Norden durch, um die Voraussetzungen für einen längeren und letztlich wichtigeren Zermürbungsfeldzug im Osten zu schaffen.

Der krasse Gegensatz zwischen den Arten der Kriegsführung der russischen Streitkräfte in verschiedenen Teilen der Ukraine unterstrich die Botschaft, die den russischen Informationsoperationen zugrunde liegt. Von Anfang an bestand die russische Propaganda darauf, dass die “spezielle Militäroperation” in der Ukraine drei Zielen diente: dem Schutz der beiden prorussischen Protostaaten, der “Entmilitarisierung” und der “Entnazifizierung”. Für alle drei Ziele mussten den ukrainischen Verbänden die im Donbass kämpften schwere Verluste zugefügt werden. Keines der Ziele hing jedoch von der Besetzung von Teilen der Ukraine ab, in denen die überwiegende Mehrheit der Menschen die ukrainische Sprache sprach, sich zu einer ukrainischen ethnischen Identität bekannte und den ukrainischen Staat unterstützte.  In der Tat hätte die anhaltende Besetzung solcher Orte durch russische Streitkräfte hätte die Behauptung gestützt, dass Russland versucht, die gesamte Ukraine zu erobern.

Der russische Feldzug im Süden diente direkten politischen Zwecken.  Das heißt, er diente dazu, Gebiete, die von einer großen Anzahl ethnischer Russen bewohnt wurden, in die “russische Welt” einzugliedern.  Gleichzeitig erhöhte die schnelle Besetzung von Städten wie Cherson und Melitopol die Täuschungskraft der im Norden durchgeführten Operationen, indem sie die Möglichkeit nahelegte, dass die Kolonnen auf beiden Seiten von Kiew versuchen könnten, dasselbe mit Städten wie Tschernihiw und Schytomyr zu tun.  Ebenso ließen die Angriffe nördlich von Cherson die Möglichkeit aufkommen, dass die Russen versuchen könnten, weitere Städte zu besetzen, von denen Odessa die wichtigste war.8

Lenkraketen

Das russische Programm der Lenkwaffenangriffe, das parallel zu den drei Bodenkampagnen durchgeführt wurde, hatte eine Reihe von moralischen Auswirkungen, die für die russischen Kriegsanstrengungen günstig waren. Die wichtigsten davon resultierten aus der Vermeidung von Kollateralschäden, die nicht nur auf die außerordentliche Präzision der eingesetzten Waffen, sondern auch auf die umsichtige Auswahl der Ziele zurückzuführen waren. So fiel es Russlands Gegnern schwer, Angriffe auf Treibstoff- und Munitionsdepots, die sich notwendigerweise in einiger Entfernung von Orten befanden, an denen Zivilisten lebten und arbeiteten, als etwas anderes als Angriffe auf militärische Einrichtungen zu bezeichnen.

Ebenso hätten die russischen Anstrengungen den ukrainischen Eisenbahnverkehrs auch Angriffe auf die Kraftwerke umfassen können, die sowohl die Zivilbevölkerung als auch die Züge mit Strom versorgen. Solche Angriffe hätten jedoch viele Menschenleben unter den Beschäftigten dieser Anlagen gekostet und auch viel Leid in den Orten verursacht, dann ohne Strom gewesen wären. Stattdessen entschieden sich die Russen, ihre Raketen auf Traktionsunterwerke zu richten, d.h. auf die entfernt gelegenen Transformatoren, die den Strom aus dem allgemeinen Netz in die Form umwandeln, mit der die Züge fahren.9

Es gab jedoch Zeiten, in denen Raketenangriffe auf Einrichtungen mit “doppeltem Verwendungszweck” den Eindruck erweckten, dass die Russen in Wirklichkeit rein zivile Einrichtungen ins Visier genommen hatten. Das ungeheuerlichste Beispiel für einen solchen Fehler war der Angriff auf den Hauptfernsehturm in Kiew am 1. März 2022. Unabhängig davon, ob an der russischen Behauptung, der Turm sei für militärische Zwecke genutzt worden, etwas Wahres dran war oder nicht, trug der Angriff auf ein ikonisches Bauwerk, das lange Zeit mit einem rein zivilen Zweck in Verbindung gebracht worden war, viel dazu bei, die Vorteile zu schmälern, die sich aus der allgemeinen russischen Politik ergaben, Raketenangriffe auf offensichtliche militärische Ziele zu beschränken.10

 Die Herausforderung

Die drei Bodenkampagnen, die die Russen 2022 in der Ukraine durchführten, entsprachen weitgehend den traditionellen Modellen. Gleichzeitig wurde mit dem Programm der Raketenangriffe eine geradezu revolutionäre Fähigkeit genutzt.

 Ob neu oder alt, diese Komponenten wurden jedoch in einer Weise eingesetzt, die ein tiefes Verständnis für alle drei Bereiche, in denen Kriege geführt werden, zeigt. Das heißt, die Russen vergaßen selten, dass der Krieg nicht nur ein physischer Kampf ist, sondern auch ein geistiger Wettstreit und eine moralische Auseinandersetzung.

Die russische Invasion in der Ukraine könnte den Beginn eines neuen Kalten Krieges markieren, eines “langen Zwielichtkampfes”, vergleichbar mit dem, der mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums vor mehr als drei Jahrzehnten endete. Wenn das der Fall ist, dann werden wir es mit einem Gegner zu tun haben, der zwar viel Wertvolles aus der sowjetischen Militärtradition schöpft, sich aber sowohl von der Brutalität, die dem Erbe Lenins innewohnt, als auch von den Scheuklappen, die der Marxismus auferlegte, befreit hat. Was noch schlimmer wäre, wir könnten uns im Kampf gegen Jünger von John R. Boyd wiederfinden.

Anmerkungen

  1.  Headquaters Marine Corps, MCWP 3-43. I. Raid Operations, (Washington, DC: 1993)
  2. Für die Übernahme des Konzepts des “Überfalls”(engl. Raid) durch die russische Armee des späten neunzehnten Jahrhunderts siehe Karl Kraft von Hohenlohe-Ingelfingen (Neville Lloyd Walford, Übersetzer), Letters on Cavalr, (London: E. Scanford, 1893); und Frederick Chenevix Trench, Cavalry in Modern Wars. (London: Keegan, Paul, Tranch and Company, 1884).
  3. Ein kurzer Bericht über die von Alexander Tschernyschew geführte Reyde findet sich in Michael Adams, Napoleon and Russia, (London: Bloomsbury, 2006).
  4. John Reed und Polina Ivanova, “Residents of Ukraine’s Fallen Cities Regroup under Russian Occupation”, The Financial Times, (März 2022), abrufbar unter https://www.ft.com
  5. Adam Tayloer, “Shift to Ruble in Kherson Fuels Concerns about Russia’s Aims in Occupied Region”, The Washington Post, (Mai 2022), abrufbar unter https://www.washingtonpost.com
  6. David M. Glantz, “Excerpts on Soviet 1938-40 Operations from The History of Warfare, Military Art and Military Science, a 1977 Textbook of the Military Academy of the General Staff of the USSR Armed Forces, The Journal of Slavic Military Studies, (Milton Park: Routledge, März 1993)
  7. Das klassische Werk über die französischen Meutereien von 1917 ist Richard M. Watt, Dare Call it Treason, (New York, NY: Simon and Schuster1963). Michael Schwirts, “Anxiety Grows in Odessa as Russians Advance in Southern Ukraine”, The New York Times, (März 2022), verfügbar unter https://www.nytimes.com
  8. Staff, “Russia Bombs Five Railway Stations in Centraland Western Ukraine”, The Guardian, (April 2022), verfügbar unter https://www.the- guardian.com.
  9. Ein Beispiel für die vielen Berichte, in denen der Angriff auf den Fernsehturm am 1. März 2022 als Angriff auf eine zivile Infrastruktur bezeichnet wurde, ist Abaraham Mashie, “US Air Force Discusses Tactics with Ukrainian Air Force as Russian Advance Stalls”, Air Force Magazine, (März 2022), abrufbar unter https://www.airforcemag.com

 Ende der Übersetzung

 Nachtrag:

Wie ich nun gesehen habe, ist am 20.8.2022 auf de.rt.com ein Meinungsartikel zu dem oben übersetzten Artikel erschienen: https://de.rt.com/meinung/146285-geistiges-ringen-moralisches-argument-us-ueber-russischen-einsatz-ukraine/




Der Große Aufguss, Teil drei: Unsicher und ineffektiv

Der dritte Teil von John Michaels Greers Artikelserie über den “Great Reset” behandelt im Wesentlichen das in der Geschichte wiederkehrende Phänomen des Elitenversagens und die Massenimpfung gegen Covid als aktuelles Beispiel. Titel des Originals: The Great Rehash, Part Three: Unsafe and Ineffective

Link auf das Original:www.ecosophia.net/the-great-rehash-part-three-unsafe-and-ineffective/

Beginn der Übersetzung:

Der Große Aufguss, Teil 3: Unsicher und ineffektiv

17. August 2022 John Michael Greer

In den ersten beiden Teilen dieser Folge von Beiträgen (1, 2) habe ich den Hintergrund des Great Reset umrissen, Klaus Schwabs langweilige (engl.: dreary) Aufbereitung der Weltrettungspläne des letzten halben Jahrhunderts oder so, und die Schaffung und Zerstörung der Georgia Guidestones als Objektiv benutzt, durch das man sehen kann, wie diese Pläne so zuverlässig mit dem Gesicht zuerst gegen die Ziegelmauer der Realität gelaufen sind. In diesem dritten Teil der Reihe möchte ich diese Phänomene in einen breiteren Kontext stellen.

Meine regelmäßigen Leser werden nicht überrascht sein, wenn sie hören, dass es historische Parallelen zu der Situation gibt, in der wir uns befinden, in der eine komplexe Gesellschaft von einer Kaste privilegierter Intellektueller geführt wird, die davon überzeugt sind, dass ihre Beherrschung abstrakter Begriffe sie in einzigartiger Weise qualifiziert, die Welt zu regieren. Das ist ein üblicher Zustand an einem bestimmten Punkt in der Geschichte von Zivilisationen. Meine regelmäßigen Leser werden auch nicht überrascht sein, wenn sie erfahren, dass der fragliche Punkt oft ungefähr der Punkt ist, an dem die erste Hälfte der altehrwürdigen Phrase “Niedergang und Fall” der zweiten Hälfte Platz macht.

So etwas kommt recht häufig vor, wenn ein Klerus die Kontrolle über eine Gesellschaft erlangt. Ein Klerus? Warum, ja. Für diejenigen unter meinen Lesern, die mit den weiteren Ufern des englischen Vokabulars nicht vertraut sind, ist ein Klerus (engl.: clerisy) eine Gruppe von Menschen, deren Anspruch auf Privilegien darin besteht, dass sie besser ausgebildet und daher, zumindest theoretisch, klüger sind als der Rest von uns.

Samuel Taylor Coleridge, der ein besserer Dichter als Philosoph und ein besserer Philosoph als politischer Theoretiker war, prägte das Wort im Jahr 1818. Er glaubte, dass die Menschheit, um zu gedeihen, die Führung einer säkularen Organisation von gut ausgebildeten Menschen braucht, die dem Pöbel sagen, was er denken soll. Als der germanophile Romantiker, der er war, übernahm Coleridge den deutschen Begriff klerisei für “Klerus” und setzte ihn ins Englische um. Er war seiner Zeit voraus; mehr als ein Jahrhundert verging, bevor ein mit fossilen Brennstoffen betriebener technologischer Aufschwung und die metastatische Ausbreitung des Universitätssystems nach dem Zweiten Weltkrieg die von ihm gewünschte Klerisei hervorbrachte und die Zügel der Macht vorübergehend in die Hände nahm. Zum Glück für Coleridges Seelenfrieden erlebte er nicht mehr, wie gründlich sie die Dinge in den Sand setzten.

Zugegeben, unser moderner Klerus hat zwei Nachteile, die die meisten Kleriker vergangener Zivilisationen nicht hatten. Zunächst einmal waren die meisten Kleriker in der Geschichte religiöser Natur, nicht weltlich, und widmeten einen Großteil ihrer Zeit und ihrer Bemühungen der Befriedigung der Götter und der Erlösung, anstatt sich um politische und wirtschaftliche Angelegenheiten zu kümmern. Ich habe keinen Grund zu der Annahme, dass religiöse Kleriker weniger ahnungslos sind als ihre säkularen Kollegen, aber ihre Aktivitäten sind weniger empirisch zu widerlegen. Ohne die Erfindung eines Soteriometers zur Messung des relativen Erlösungspotenzials verschiedener Dogmen wird in theologischen Kreisen immer viel leeres Geschwafel zu hören sein. Unser Klerus hat nicht so viel Glück; er behauptet, die Dinge hier unten auf der materiellen Ebene regeln zu können, wo die Ergebnisse seiner Politik nur allzu leicht beobachtet werden können.

Der zweite Schlag ist ein wenig subtiler. Die meisten weltlichen Kleriker der Vergangenheit waren durch und durch konservativ eingestellt. Das Standardbeispiel ist das chinesische Mandarinat, das die Angelegenheiten des chinesischen Reiches mehr als zweitausend Jahre lang mit akzeptablem Erfolg verwaltete. Sie taten dies, indem sie sich mit monomanischer Intensität an die Lehren des Konfuzius klammerten, der im archaischen China viele Jahrhunderte vor der Geburt des Mandarinats über Geschichte und öffentliche Angelegenheiten schrieb. Diese starre Fixierung auf die überholte Vergangenheit verschaffte den Mandarinen, wie sich herausstellte, einen bedeutenden Vorteil bei der Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten, den unsere moderne Klerikerschaft nicht hat.

Menschen sind nicht so kreativ, wie sie gerne glauben. Vor allem machen sie gerne immer wieder die gleichen Fehler. Je innovativer sie zu sein glauben, desto sicherer kann man sich sein, dass sie einen Fehler wiederholen, der schon grau vom Staub der Jahrhunderte war, als Konfuzius noch ein kleiner Junge war, der auf den Knien seiner Mutter hockte. Ein Student der konfuzianischen Klassiker tritt also in den öffentlichen Dienst mit einer guten allgemeinen Vorstellung davon ein, was in der Vergangenheit nicht funktioniert hat, und wenn man das weiß, hat man auch eine sehr gute Vorstellung davon, was in Zukunft nicht funktionieren wird. Auf diese Weise lassen sich erstaunlich viele offensichtliche, aber häufig wiederholte Fehler vermeiden.

Unserem modernen Klerus fehlt diese Quelle der Kraft. Da sie in dem Glauben erzogen wurden, dass die Welt sich weiterentwickelt und sie daher aus der Vergangenheit nichts mehr lernen können, verfallen sie unweigerlich in einen übergroßen Fehler nach dem anderen, weil sie sich für zu weise halten, um sich die Mühe zu machen, die offensichtlichen Lektionen der Geschichte zu lernen. Das Ergebnis war ein klägliches Scheitern nach dem anderen. Denken Sie einmal an das letzte Dreivierteljahrhundert zurück – den Zeitraum, in dem unser Klerus die Politiken gemacht hat, die von den Politikern umgesetzt werden und mit denen der Rest von uns zurechtkommen muss. Wie viele der großen Versprechungen dieser Zeit haben sich tatsächlich bewahrheitet, im Vergleich zu denen, die auf der Nase landeten? Wie viele der schrecklichen apokalyptischen Untergänge, die die Sprachrohre des Klerus so reißerisch vorhersagten, haben sich als völlig imaginär erwiesen?

Eine der Lehren aus der Geschichte ist wiederum, dass ein Klerus, der zu zuverlässig versagt, die Zügel der Macht verliert. In den Tagen des chinesischen Mandarinats wurde eine Clique von Regierungsbeamten, die zu sehr auf die Verfolgung einer gescheiterten Politik fixiert war, in der Regel durch das praktische Mittel der Enthauptung von der Macht entfernt: Entweder war der Kaiser der wiederholten Misserfolge überdrüssig und ließ seinen Henker die Angelegenheit erledigen, oder der Kaiser verlor den Thron und die Soldaten der neuen Dynastie erledigten dieselbe Aufgabe auf ihre eigene überschwängliche Art. Viele Kleriker endeten auf die gleiche Weise, mit oder ohne den aufwendigen Formalitäten einer Hinrichtung vor einem kaiserlichen Gericht; andere verloren ihre Macht auf weniger blutige Weise – aber sie wurden entfernt.

Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass wir dem Punkt, an dem die derzeitige Manager-Klerikerriege in der westlichen Industriewelt ihre Macht verlieren wird, ziemlich nahe sein könnten.  Der Sturz eines Klerus, wie der jeder anderen sich selbst auswählenden und sich selbst fördernden Institution, folgt in der Regel auf einen Fehltritt, der so katastrophal, vermeidbar und offensichtlich selbstverschuldet ist, dass danach niemand mehr ernsthaft an die Anmaßungen der Leute glauben kann, die behaupten, alles zu wissen. In letzter Zeit gab es eine ganze Reihe solcher Fehltritte – wie viele offizielle Maßnahmen der letzten Zeit fallen Ihnen auf Anhieb ein, die tatsächlich die Ziele erreicht haben, die ihre Befürworter zu erreichen versprachen?.

Ja, ich spreche von den Covid-Impfstoffen.

Als Anfang 2020 ein weiteres neuartiges Coronavirus in China auftauchte, behaupteten das politische Establishment und die Medien der westlichen Industrieländer einmütig, dass es sich um eine schreckliche Bedrohung handele, die uns alle umbringen würde, wenn die Wunder der modernen Medizin sie nicht aufhalten würden. Als die Pharmaindustrie bereitwillig eine Reihe von Impfstoffen auf den Markt brachte – eigentlich waren es experimentelle Gentherapien, die nichts mit klassischen Impfstoffen zu tun hatten, aber das lassen wir mal beiseite -, bestanden das politische Establishment und die Konzernmedien in der gesamten westlichen Welt einhellig darauf, dass die Impfstoffe sicher und wirksam seien.

Es stellte sich heraus, dass Covid-19 für die meisten Menschen keine ernsthafte Bedrohung darstellte. Die Überlebensrate liegt bei 99,6 %, also in etwa so hoch wie bei einer durchschnittlichen schweren Grippe, und fast alle, die daran starben, waren entweder sehr alt oder immunsupprimiert – die Personengruppen, die in der Regel am meisten von einem neuen Atemwegsvirus bedroht sind. Wenn Sie jünger als 60 Jahre sind und sich einer einigermaßen guten Gesundheit erfreuen, ist Ihre Chance, an Covid zu sterben, also nicht viel schlechter als die, vom Blitz getroffen zu werden. Die meisten Menschen wissen das inzwischen. Meine eigene Erfahrung war ziemlich typisch: Ich habe mir Covid im April 2020 eingefangen und es mit Ruhe, Flüssigkeitszufuhr und alternativer Gesundheitsversorgung schnell überwunden. Ich hatte schon Erkältungen, die schlimmer waren. Ja, es gab einige Leute, die es viel schwerer hatten – das kommt hin und wieder vor, wenn ein neues Atemwegsvirus auftaucht. Für die große Mehrheit der Erkrankten war es jedoch eine ganz normale Krankheit.

Und dann sind da noch diese drei unangenehmen Worte “sicher und wirksam”. Die Covid-Impfstoffe waren beides nicht. Beginnen wir mit “sicher”. Hier ist eine praktische Tabelle mit der Anzahl der durch Impfungen verursachten Todesfälle, die dem offiziellen US-Regierungsprogramm gemeldet wurden, das die Nebenwirkungen von Impfstoffen verfolgt. Beachten Sie, wie die Sterblichkeitsrate im Jahr 2021 in die Höhe schoss, als die Covid-Impfstoffe auf den Markt kamen und Regierung und Medien gleichermaßen forderten und in einigen Fällen vorschrieben, dass sich jeder impfen lassen sollte. Kein anderer Impfstoff in der Geschichte hat eine derartig hohe Zahl von Todesfällen verursacht.

In den USA gemeldete Todesfälle aufgrund von Impfstoffnebenwirkungen, 1980 bis zum 29. Juli dieses Jahres.

Wenn Sie tiefer in die Daten eintauchen möchten, finden Sie auf dieser Seite Links zu mehr als 1250 von Experten geprüften Studien in wissenschaftlichen Zeitschriften, die schädliche oder tödliche Nebenwirkungen der Coronavirus-Impfstoffe dokumentieren. (Wenn Sie die Wissenschaft verfolgen wollen, ist das ein guter Anfang.) Nein, sie sind nicht alle selten – hier ist eine aktuelle Studie, die bei fast einem Drittel der Patienten, denen der Covid-Impfstoff gespritzt wurde, Herzschäden feststellte. Sie können hier und an vielen anderen Stellen herzzerreißende Geschichten von Menschen finden, die durch die Nebenwirkungen des Covid-Impfstoffs verkrüppelt wurden. Eine Sache, die in fast allen Berichten vorkommt, ist, dass die Opfer systematischer Verleumdung durch eine medizinische Industrie ausgesetzt waren, die, wie heutzutage üblich, ihre Gewinne und ihren Ruf über die Gesundheit und Sicherheit der Patienten stellt.

So viel zu “sicher”. Die “wirksame” Seite des Slogans ist auch nicht besser geworden. Die meisten Menschen haben inzwischen bemerkt, dass es die Menschen sind, die geimpft wurden, und nicht die, die die Impfung abgelehnt haben, die immer wieder Covid bekommen. Ein weiteres kurioses Detail – Sie können dies selbst im Internet nachlesen, wenn Sie möchten – ist, dass derzeit alle Länder der Welt, die stark von Covid betroffen sind, Länder sind, die sehr hohe Impfraten hatten. In Ländern, in denen der Impfstoff wenig Anklang fand, gibt es dagegen heute so gut wie keine Fälle. Neuseeland zum Beispiel hat eine der höchsten Covid-Impfraten der Welt, Haiti eine der niedrigsten. Raten Sie mal, in welchem dieser Länder eine schwere Covid-Epidemie wütet, während ich dies schreibe? Tipp: Es ist nicht Haiti.

Niemand weiß mit Sicherheit, warum Menschen, denen die experimentellen Gentherapien, die als “Covid-Impfstoffe” vermarktet werden, gespritzt wurden, anfälliger für Covid sind als ungeimpfte Personen. Der Grund dafür, dass dies niemand weiß, ist, dass die erforderlichen Tests nicht durchgeführt wurden. In den letzten Jahrzehnten wurden bereits andere Impfstoffe gegen Coronaviren entwickelt, von denen jedoch keiner die Langzeitversuche überstand, weil die Nebenwirkungen so gravierend waren. Es wurden auch andere mRNA-Produkte entwickelt, von denen jedoch aus demselben Grund keine Langzeitstudien durchgeführt wurden.  Pfizer, Moderna und andere haben dieses Problem mit den Covid-Impfstoffen umgangen, indem sie einfach keine Langzeittests durchgeführt haben – der Impfstoff von Pfizer beispielsweise wurde gerade einmal acht Wochen lang getestet, bevor er in den menschlichen Körper eingebracht wurde. All diese Behauptungen, dass die Covid-Impfstoffe so streng getestet wurden wie jedes andere Medikament auf dem Markt? Wenn die Hosen von Lügnern tatsächlich Feuer fangen würden, wären die Firmenvertreter, die diese Behauptungen verbreiteten, von der Taille abwärts zu verkohlten Stümpfen reduziert worden.

Natürlich kann man mit Fug und Recht behaupten, dass diese Art von eklatanter Unehrlichkeit und verwerflicher Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leben in Unternehmenskreisen heutzutage gang und gäbe ist, insbesondere, aber nicht nur, in der Pharmaindustrie. Der Unterschied scheint diesmal ungefähr der zwischen dem vorletzten und dem letzten Strohhalm zu sein, der auf den Rücken des sprichwörtlichen Kamels gelegt wird. Wie sich herausstellt, kann man die Leute nur eine bestimmte Zeit lang täuschen, bevor sie anfangen, aufmerksam zu werden, miteinander zu reden und Notizen zu vergleichen. Wenn das passiert und Ihr Fehlverhalten genug Leute verletzt, können Sie viel mehr Ärger bekommen, als Sie erwarten.

Eines der Anzeichen dafür, dass dies gerade um uns herum geschieht, sind die zunehmend verzweifelten Ausbrüche, die in diesen Tagen von der medizinischen und pharmazeutischen Industrie ausgehen. Die Suche nach einem anderen Grund als Impfungen, warum junge geimpfte Menschen in noch nie dagewesener Zahl an Herzinfarkten sterben, hat so viele zweifelhafte Medienartikel hervorgebracht, dass es praktisch eine eigene Industrie ist. Die New York Times, seit über einem Jahrhundert das Sprachrohr der Privilegierten in diesem Land, bringt unterdessen klagende Artikel darüber, dass Eltern sich weigern, ihre Kinder impfen zu lassen, und was wir dagegen tun können. Pfizer hat sich in gewisser Weise mit einer Reihe von liebenswert unbeholfenen Memes an der Diskussion beteiligt. Eine zeigt eine Milchtüte mit der Aufschrift “Vertrauen in die Wissenschaft” anstelle des üblichen Fotos der vermissten Kinder. (Anm. d. Übers.: Wie eine Suche mit “missing child milk carton” auf Google zeigt, war es in den USA üblich, Bilder vermisster Kinder auf Milchtüten zu drucken).

Ähm, ich sage es Ihnen nur ungern, Pfizer, aber das Pferd hat den Stall schon so lange verlassen, dass es in einem anderen Staat Formulare für eine Adressänderung ausfüllt. Wenn Sie wollen, dass die Menschen der Wissenschaft vertrauen, wäre es hilfreich, wenn die Leute, die behaupten, für die Wissenschaft zu sprechen, nicht so viele Lügen erzählen würden. Wenn Sie sich für die Wissenschaft interessieren, finden Sie hier einen Artikel aus dem British Medical Journal – einer der angesehensten medizinischen Fachzeitschriften der Welt -, in dem in brutaler Weise dargelegt wird, wie die “evidenzbasierte Medizin” zu einer Fassade für unternehmerische Geschäftemacherei, institutionelle Korruption und völlig vermeidbare Verletzungen und Todesfälle geworden ist. Für die Millionen von Menschen, die durch ärztliche Kunstfehler, Nebenwirkungen von Medikamenten, nosokomiale Infektionen usw. geschädigt wurden, ist das alles keine Neuigkeit – aber hier wird es öffentlich diskutiert.

Die Frage ist, wie es weitergeht.

Das Dilemma, in dem sich der Klerus der modernen Industriewelt befindet, besteht darin, dass seine Mitglieder fast alles, was von ihrem ramponierten Ruf übrig geblieben ist, auf dieses Etikett “sicher und wirksam” gesetzt haben. Von Joe Biden an abwärts bestanden Regierungen, Wissenschaftler und die Medien darauf, dass die Impfstoffe die Menschen davor schützen würden, sich mit Covid-19 anzustecken oder es zu übertragen. Ja, sie haben sich geirrt, aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist, dass sie diese falsche Behauptung in absoluter Form aufgestellt haben, jeden verunglimpft und zensiert haben, der ihnen nicht zustimmte, versucht haben, die Impfstoffe jedem durch zweifelhafte gesetzliche Vorschriften aufzudrängen, und immer noch ihr Bestes tun, um Informationen zu unterdrücken, die zeigen, dass sie falsch lagen.

Stellen Sie sich dagegen eine alternative Zeitlinie vor, in der Regierungen, Wissenschaftler und Medien weniger diktatorisch und ehrlicher auf das Auftauchen von Covid-19 reagierten. Stellen Sie sich vor, Joe Biden und Co. würden sagen: “Soweit wir wissen, sind diese Impfstoffe die beste Option, die wir haben, aber wir werden die Fälle genau beobachten, um sicherzustellen, dass sie keine unangenehmen Nebenwirkungen haben.” Stellen Sie sich vor, die Medien und die medizinische Gemeinschaft würden den freien Austausch von Daten über alternative Behandlungsmethoden und mögliche Probleme fördern. Man stelle sich vor, der Klerus der industriellen Welt würde den Rest der Bevölkerung als Erwachsene behandeln, deren Rechte und Anliegen es verdienten, ernst genommen zu werden. Wäre dies geschehen, hätten die medizinische und pharmazeutische Industrie und die etablierte Ordnung der Industriegesellschaft die Krise mit neuem Respekt und Unterstützung der Bevölkerung überstanden, egal welche Wendungen die Geschichte genommen hätte.

Aber das war natürlich nicht der Fall. Es gibt viele Gründe, warum Joe Bidens Zustimmungswerte im Moment so miserabel sind. Ebenso gibt es viele Gründe, warum das Vertrauen in die Massenmedien und die anderen offiziellen Institutionen des öffentlichen Lebens in den USA ein Rekordtief nach dem anderen erreicht. Diese Institutionen und natürlich auch Biden selbst haben lange und hart daran gearbeitet, das Gefüge aus gegenseitigem Vertrauen und Respekt zu zerstören, das für das Funktionieren jeder Gesellschaft unerlässlich ist. Wie das Sprichwort schon sagt: Wenn man die Menschen oft genug belügt, glauben sie einem früher oder später kein Wort mehr – und diese alte Säge hat immer noch sehr scharfe Zähne.

Eines der Dinge, die mich an dieser Entwicklung interessieren, ist, dass sie ein sehr genaues Echo in der amerikanischen Geschichte hat. Vor zwei Jahrhunderten wurden Staats- und Bundesregierungen, die ausdrücklich dazu geschaffen worden waren, die Privilegien der Wohlhabenden gegenüber allen anderen zu bewahren, durch den Jacksonschen Populismus in ihren Grundfesten erschüttert. Gesetze, die das Wahlrecht auf Personen beschränkten, die einen bestimmten Wert an Eigentum besaßen, wurden in einem Staat nach dem anderen aufgehoben, ebenso wie andere Bastionen der Privilegien. Eine davon, und zwar eine der am meisten gehassten, war die rechtliche Struktur, die die ärztliche Tätigkeit in den Händen einer wohlhabenden und gebildeten Minderheit hielt.

Der Grund dafür, dass dies damals eine der meistgehassten Bastionen der Privilegien war, lag darin, dass die medizinische Versorgung so schlecht war. Die wissenschaftliche Medizin jener Zeit, die von allen angesehenen Autoritäten der damaligen Zeit unterstützt wurde, konzentrierte sich mit monomanischer Intensität auf Aderlass und Ausleitung, die im Großen und Ganzen mehr Menschen töteten als sie retteten. Außerdem verlangten die Ärzte horrende Preise für diese offiziell zugelassenen, aber unwirksamen Behandlungen. Es gab viele weniger schädliche, weniger kostspielige und wirksamere Therapien, aber wer versuchte, sie zu praktizieren, musste mit denselben Strafen rechnen, die man heute für die Ausübung der Medizin ohne Approbation bekommt.

Es beginnt die Jacksonianische Ära. Angesichts der Aussicht auf eine soziale Revolution erkannten die Eliten der neuen Republik, dass sie die Aufständischen freikaufen mussten, indem sie ihnen etwas von dem gaben, was sie wollten. Die damalige medizinische Industrie in die Pfanne zu hauen, war eine einfache Möglichkeit, dies zu tun. Die meisten Landesregierungen haben daher entweder die Anforderungen für eine medizinische Zulassung auf eine geringe Gebühr gesenkt oder die medizinische Zulassung ganz abgeschafft. Das Ergebnis war eine umfassende Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung und ein schnelles Ende der “Bleed-and-Purge”-Schule der Gesundheitsversorgung. Sobald die ehemals zugelassenen Ärzte gezwungen waren, auf gleicher Augenhöhe mit Heilern zu konkurrieren, die andere Methoden anwendeten, wurde sehr schnell klar, wer die Quacksalber waren.

Ähnliche Szenen könnten sich in den kommenden Jahren leicht wiederholen. Viel zu viele Menschen glauben nicht mehr an das, was aus dem Munde von Vertretern der Medizin- und Pharmaindustrie kommt. Darüber hinaus hat eine große Zahl dieser Menschen sehr gute Gründe für ihr Misstrauen. Während sich der Widerstand der Bevölkerung gegen unser derzeitiges dysfunktionales Kleruswesen formiert, wäre es für die Eliten ein Leichtes, den Populisten ein paar Leckerbissen zum Kauen zu geben, um sich eine Atempause für ihr eigenes Fehlverhalten zu verschaffen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Amerikas öffentliche Schulen, die heutzutage sogar noch dysfunktionaler sind als unser medizinisches System, zu den Leckerbissen gehören werden, die man ihnen hinwirft, aber auch die gesetzlichen Privilegien, die die medizinische Industrie davon abhalten, sich der gesunden Disziplin des Marktes zu stellen, wären ein sehr befriedigendes Kauspielzeug. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Karrieren der Politiker und Bürokraten, die mit so viel Enthusiasmus die Agenda von Big Pharma dem Rest von uns aufgezwungen haben.

Die Frage ist, wie es danach weitergeht. Im letzten Teil dieser Reihe werde ich die Möglichkeiten skizzieren, die ich sehe.

Ende der Übersetzung

Links auf meine Übersetzungen  der  Teile dieser Serie von John Michael Greer:
  1.  www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-eins-die-besten-und-die-kluegsten/ Hauptthema hier ist Klaus Schwabs Buch “Covid-19: The Great Reset” (Titel der dt. Ausgabe: Covid-19: Der Große Umbruch)
  2. www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-zwei-die-kalten-augen-der-zukunft/ Hauptthema sind die Georgia Guide Stones und wie man voraussichtlich in späteren Zeiten auf unsere Zivilisation zurück blickt.
  3. www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-drei-unsicher-und-ineffektiv/ Hauptthema sind das Ende von “Eliten”  und die Covid-Impfungen.



Der Große Aufguss, Teil zwei: Die kalten Augen der Zukunft

Der zweite Teil von John Michaels Greers Artikelserie über den “Great Reset” handelt von den Georgia Guidestones, von deren Geschichte, von der damit verbundenen Absicht und auch davon, wie die Menschen späterer Kulturen über uns denken werden.Titel des Originals: The Great Rehash, Part Two: The Future’s Cold Eyes

Link auf das Original: www.ecosophia.net/the-great-rehash-part-two-the-futures-cold-eyes/

Beginn der Übersetzung:

Die große Neuauflage, Teil zwei: Die kalten Augen der Zukunft

3. August 2022

John Michael Greer

Vor zwei Wochen besprachen wir, wie sich regelmäßige Leser erinnern werden, The Great Reset von Klaus Schwab und Thierry Malleret, den Rest der wirklich ziemlich trostlosen Literatur über planetarische Predigten, in der dieser Band eine allzu vertraute Rolle spielt, und die gewöhnlich katastrophalen Folgen, die eintreten, wenn die ahnungslosen Reichen sich aufmachen, dem Rest von uns zu sagen, wie die Zukunft aussehen soll. Es mag wie ein großer Sprung von diesem Thema zu einer Sammlung von sechs bombenbeschädigten Granitplatten im ländlichen Nordosten Georgias erscheinen, aber die Verbindung ist da.

Die Georgia Guidestones, so der richtige Name der Platten, waren ein 1979 und 1980 auf einer Bergkuppe in der Nähe von Elberton, Georgia, errichtetes Denkmal, das im vergangenen Monat von Unbekannten gesprengt wurde. Sie wurden von einer anonymen Gruppe geplant und bezahlt, die über eine Person handelte, die sich R. C. Christian nannte, was wie er selbst zugab, ein Pseudonym war. Er erklärte den örtlichen Behörden und Unternehmen, dass er ein Bauwerk wollte, das eine drohende Katastrophe überstehen würde.

Auf seine Anweisung hin meißelte eine örtliche Firma die Steine aus dem reichlich vorhandenen Granit von Elbert County und errichtete das Bauwerk. Sie wies verschiedene astronomische Merkmale auf — ein in die zentrale Platte gebohrtes Loch, das zum Beispiel auf den Polarstern zeigte —, aber was die meiste Aufmerksamkeit auf die Guidestones gelenkt hat, sind die Inschriften in acht Sprachen auf den vier Hauptplatten. Sie verkünden die folgenden Gebote:

  1. Haltet die Menschheit unter 500.000.000 Menschen im ständigen Gleichgewicht mit der Natur.
  2. Leitet die Fortpflanzung klug — verbessert dabei Fitness und Vielfalt.
  3. Vereinigt die Menschheit mit einer lebendigen neuen Sprache.
  4. Beherrscht die Leidenschaft — den Glauben — die Tradition — und alle Dinge mit gemäßigter Vernunft.
  5. Schützt Menschen und Nationen mit fairen Gesetzen und gerechten Gerichten.
  6. Lasst alle Nationen sich intern regieren und äußere Streitigkeiten vor einem Weltgericht klären.
  7. Vermeidet unbedeutende Gesetze und nutzlose Beamte.
  8. Haltet persönliche Rechte und soziale Pflichten im Gleichgewicht.
  9. Schätze die Wahrheit — die Schönheit — die Liebe — sucht die Harmonie mit dem Unendlichen.
  10. Seit kein Krebsgeschwür auf der Erde — Lasst Raum für die Natur — Lasst Raum für die Natur.

Trotz der Bemühungen, das Projekt geheim zu halten, haben investigative Journalisten herausgefunden, dass die Hauptfigur bei der Errichtung der Guidestones ein Chirurg aus Iowa namens Herbert H. Kersten war. Kersten wurde 1920 geboren und verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Fort Dodge, Illinois, wo er eine Familie gründete, in einer von seinem Vater gegründeten Klinik praktizierte, dem Rotary Club beitrat und in der Republikanischen Partei aktiv war. Er starb 2005 nach einem Kampf mit der Alzheimer-Krankheit. In seinem Nachruf im Des Moines Register wurde sein leidenschaftliches Interesse an Umwelt- und Weltbevölkerungsfragen hervorgehoben.

Diese Details sind jedoch erst nach Kerstens Tod bekannt geworden. Noch bevor die Guidestones aufgestellt wurden, erregte die Idee, dass unbekannte Personen ihre eigenen Gebote an die Zukunft weitergeben, große Aufmerksamkeit. Positiv ist, dass dadurch Touristen in einen Teil der Vereinigten Staaten kamen, der zusätzliche Einnahmen gut gebrauchen kann — im Durchschnitt etwa 20.000 Besucher pro Jahr. Auf der anderen Seite der Waage wurden die Guidestones schnell zum Mittelpunkt einer Flut von Verschwörungstheorien und fundamentalistischen christlichen Anprangerungen; einige Schriftsteller und Redner bezeichneten die Edikte auf den Steinen als “die zehn Gebote des Antichristen.”

Es ist wohl kaum meine Aufgabe, den Christen zu sagen, was sie über den Antichristen glauben sollen, aber ich muss zugeben, wenn der Antichrist persönlich auftauchen und einige Gebote verkünden würde, dann würde ich erwarten, dass er viel mehr für sexuelle Verderbtheit und die anderen sechs Todsünden eintritt und viel weniger für Wahrheit, Schönheit und Liebe. Die zehn Gebote auf den Guidestones klingen eher nach dem, was man von einem gebildeten Amerikaner des zwanzigsten Jahrhunderts erwarten würde, der sich über Überbevölkerung und Umweltprobleme aufregt — ein Mann also, der Herbert H. Kersten sehr ähnlich ist.

Es klingt insbesondere nicht nach etwas, das man in der Rosenkreuzer-Szene sehen würde. Das ist hier von Bedeutung, weil das von Kersten verwendete Pseudonym dem Namen von Christian Rosenkreutz (“Christian Rosycross”), dem legendären Gründer der Rosenkreuzer, sehr ähnlich sieht, der oft mit C.R.C. abgekürzt wird. Dieses Detail veranlasste eine Gruppe von Verschwörungstheoretikern zu der Behauptung, dass die Steine von bösen Rosenkreuzern zu einem unheilvollen Zweck errichtet worden seien. Zufälligerweise bin ich, wie viele amerikanische Okkultisten, in mehrere Rosenkreuzer-Orden eingeweiht worden und kenne die Literatur gut, und ich habe nirgendwo in der Rosenkreuzer-Literatur so etwas wie den Text der Guidestones gesehen. Ganz im Gegenteil: Hätten die Rosenkreuzer das Ding geschrieben, würde es sanft das Gebet, die Meditation und die Ehrfurcht vor dem Höchsten Wesen empfehlen, anstatt Predigten über Weltsprachen und Regierungsbeamte zu halten.

Dennoch bin ich nicht überrascht, dass die Guidestones die sofortige Feindseligkeit so vieler gewöhnlicher Amerikaner auf sich zogen und dass einer oder mehrere dieser Amerikaner ihre Feindseligkeit so weit trieben, dass sie eine Bombe zündeten. Werfen wir zunächst einen weiteren Blick auf die Gebote auf den Steinen, wobei wir eher den Kontext als den Inhalt im Auge behalten. Wer wird mit diesen Geboten angesprochen? Und wer spricht sie an?

Wenn Sie sich in der postapokalyptischen Science-Fiction des zwanzigsten Jahrhunderts auskennen, werden Sie keine Schwierigkeiten haben, diese Details herauszufinden. Einer der hartnäckigsten Tropen dieses Genres ist die Vorstellung, dass die Menschen in einem postkollapsen Amerika denken werden, dass ihre Vorfahren vor dem Kollaps Götter waren. In einem der ersten und größten Werke dieses Genres, der Kurzgeschichte “By The Waters of Babylon” (An den Wassern von Babylon) von Stephen Vincent Benét aus dem Jahr 1937, findet sich dieser Gedanke in vollem Umfang wieder. Darin macht sich ein kühner junger Mann, der Sohn eines Stammespriesters, auf den Weg den Hudson (“Ou-dis-son”) hinunter zum legendären Ort der Götter, der natürlich Manhattan ist.

Derselbe Kniff taucht mit trister Vorhersehbarkeit in vielen weniger kompetenten Beiträgen des Genres auf. Die brutalen, hautfarbenen Stammesvölker der amerikanischen Zukunft, so die Annahme, würden die Überreste moderner amerikanischer Wolkenkratzer betrachten, sich an Legenden von Flugzeugen und Autos erinnern und sich selbst davon überzeugen, dass nur Götter solch große Werke vollbringen konnten. Es ist ein interessantes Zeugnis für den kollektiven Egoismus unserer Zeit, und es offenbart auch eine peinliche Ignoranz gegenüber den gemeinsamen Themen der Kulturen dunkler Zeitalter.

Es ist ja durchaus üblich, dass Menschen, die inmitten der Ruinen einer untergegangenen Zivilisation leben, zu der Überzeugung gelangen, dass diese Ruinen — die viel größer sind als alles, was sie selbst hervorbringen können — von nicht-menschlichen Wesenheiten dorthin gebracht worden sein müssen. Es sind jedoch nicht die Götter, denen solche Taten zugeschrieben werden. Im angelsächsischen England zum Beispiel wurden die römischen Ruinen den Ettins oder Riesen, den Feinden der Götter, zugeschrieben. Im archaischen Griechenland ordneten die dorischen Stämme, die sich in den Ruinen der mykenischen Zivilisation niederließen, die großen Steinbauten, die sie um sich herum sahen, den Zyklopen zu, einäugigen Riesen, die ebenso mächtig wie bösartig waren. (Große antike Gebäude aus sehr großen Steinen werden immer noch “zyklopisch” genannt.)

Wenn Sie die Sprache der Mythologie verstehen, können Sie sehr schnell nachvollziehen, was hier gesagt wurde. Das Erzählen von Geschichten ist die älteste Technologie der Menschheit zum Speichern und Abrufen von Informationen, und es ist immer noch eine der effektivsten, da sie von unseren hominiden Vorfahren über Jahrtausende hinweg verfeinert wurde: Wenn man will, dass Wissen überlebt, muss man es in eine lebendige Geschichte voller farbenfroher Symbole und Begebenheiten verpacken, die man Kindern erzählt, wenn sie in einem Alter sind, in dem sie dasselbe unzählige Male hören wollen, und sie werden in der Lage sein, es ihren eigenen Enkeln Wort für Wort zu wiederholen, fast ein ganzes Leben lang. Die Anforderungen der Technologie führen zu gewissen Verzerrungen der Daten, aber die wichtigen Informationen kommen im Allgemeinen durch.

Was wollte eine sächsische Großmutter ihren Enkelkindern sagen, als sie ihnen lebhafte Geschichten über die schrecklichen Ettins erzählte, die in alten Zeiten mächtige Hallen aus Stein errichteten, bevor Thunor sie mit Blitzen erschlug? Ihre Botschaft war ebenso einfach wie wichtig: Es gab Menschen, die vor uns hier lebten, die mächtiger waren als wir heute und die böser waren. Sie waren die Feinde der Götter, und die Götter haben sie vernichtet. Lebt nicht so, wie sie es getan haben.

Es ist weitaus wahrscheinlicher, dass eine ähnliche Botschaft von unseren Nachkommen weitergegeben wird als die, welche sich die populäre Fiktion des letzten Jahrhunderts vorgestellt hat. Nehmen wir für einen Moment an, dass die moderne amerikanische Gesellschaft in den nächsten Jahrhunderten in den Ruin stürzt und damit dem üblichen Weg der Zivilisationen auf ihrem Weg zum Komposthaufen der Geschichte folgt. Nehmen wir an, der Niedergang hat die üblichen Auswirkungen: Die Bevölkerung sinkt auf etwa 5 % des Höchststandes vor dem Zusammenbruch, die meisten Technologie- und Informationsressourcen gehen verloren, Lese- und Schreibfähigkeit wird zu einer seltenen Fähigkeit, und ein langes und bitteres dunkles Zeitalter legt sich über das Land. Die Menschen dieser zukünftigen Zeit werden das Geschichtenerzählen auf dieselbe Art und Weise verwenden, wie es jede andere Analphabeten-Kultur getan hat — nach so vielen Generationen evolutionärer Selektion zu ihren Gunsten ist es jetzt offenbar fest in den menschlichen Gehirnen verankert. Welche Geschichten werden sie über uns erzählen?

Wenn Sie glauben, dass die Geschichten, um die es hier geht, dazu dienen, unser Ego zu stärken, wenn wir sie zufällig hören, dann irren Sie sich. Die Menschen dieses Zeitalters werden schließlich größtenteils (wie dunklen Zeitaltern üblich) von Landbewohnern abstammen, die weit entfernt von den Zentren der Macht und des Wohlstands leben, entweder in der imperialen Nation oder außerhalb ihrer Grenzen — Menschen, die nie die Chance hatten, zu vergessen, wie sie sich aus eigener Kraft ernähren und in schweren Zeiten über die Runden kommen können. Sie werden wenig Grund haben, sich an die guten Seiten des Industriezeitalters in seiner Blütezeit zu erinnern, und viel mehr Grund, sich an die schlechten zu erinnern. Also nein, sie werden sich nicht an uns als Götter erinnern. Sie werden uns als eine böse, mächtige, aber dem Untergang geweihte Rasse von Wesen in Erinnerung behalten, die die Götter beleidigt haben und die für ihre Sünden von einer zukünftigen Entsprechung der Donnerwaffe von Thunor vernichtet wurden.

Stellen Sie sich in diesem Zusammenhang eine alternative Zukunft vor, in der die Georgia Guidestones nicht durch eine Bombe zerstört wurden. Noch ein Jahrtausend später wird die Stätte des Denkmals von Kuhschädeln auf Pfählen umgeben sein, die vor dem schrecklichen spirituellen Übel warnen, das von diesem von den alten Riesen errichteten Ort ausgeht. Sprechen Sie mit dem Stammespriester in der blühenden kleinen Stadt, die dort steht, wo heute Elberton ist, und er wird Ihnen ernsthaft erklären, dass die Alten unheilvolle Worte auf die Seiten der Steine geschrieben haben, Worte, an deren Bedeutung sich niemand mehr erinnert. Schon der Blick auf die Worte birgt die Gefahr, verflucht zu werden; der Versuch, sie zu entziffern… Er schaudert sichtlich.

Tausend Jahre später, wenn ein neues Zeitalter der Vernunft an Kraft gewinnt — das ist schließlich ein gemeinsames Merkmal in der Geschichte jeder Zivilisation —, wird der leidenschaftlich vertretene Aberglaube des Stammespriesters nuancierteren und vernünftigeren Ansichten gewichen sein, aber dieser Wandel wird unseren Ruf nicht unbedingt verbessern. Stellen Sie sich zwei Gelehrte dieser zukünftigen Ära vor, die auf die Guidestones zugehen und sie betrachten. Alt-Englisch ist den Gelehrten dieser Zeit einigermaßen geläufig, und die beiden haben keine Schwierigkeiten, die Inschrift zu lesen. Der eine wendet sich dem anderen zu und sagt: “Das ist nicht gut für sie gelaufen, oder?” Der andere hebt eine Augenbraue und sagt: “Das erinnert mich an eines ihrer Sprichwörter: ‘Tu, was ich sage, nicht, was ich tue.'” Sie lachen beißend, und dann macht sich der eine an die Arbeit, die Ruine zu skizzieren, während der andere ein Stück weit weggeht und über die Landschaft und die Ironie der Geschichte nachdenkt.

Ich denke schon seit geraumer Zeit, dass der Grund, warum unsere Kultur so von Vorstellungen über eine bevorstehende Apokalypse fasziniert ist, darin liegt, dass so viele Menschen in unseren Eliteschichten bei dem Gedanken an Szenen wie die oben skizzierten entsetzt sind. Der chronologische Snobismus, der die Menschen heutzutage dazu verleitet, darauf zu bestehen, dass wir klüger sind als unsere Vorfahren, nur weil wir nach ihnen leben, hat einen Stachel im Hintern: Unsere Nachkommen könnten schließlich dieselbe Haltung uns gegenüber einnehmen. Der Gedanke, dass wir von den kalten Augen der Zukunft nach unseren Taten und nicht nach unseren selbstverliebten Selbstinszenierungen beurteilt werden könnten, ist eine bittere Pille, die wir schlucken müssen – nicht zuletzt, weil die Welt, die die industrielle Zivilisation der Zukunft hinterlässt, ein dampfendes Chaos ist, und wir von denen, die nach uns kommen, entsprechend beurteilt werden. Daher die Faszination der Behauptung, dass alle Menschen sterben werden und wir uns deshalb keine Sorgen machen müssen.

Auch die Georgia Guidestones sollten nicht von den Urteilen der Zukunft ausgenommen werden. Der Text auf den Steinen ist schließlich eine Zusammenfassung eines bestimmten Wertesystems, das von einem beträchtlichen Teil der amerikanischen Intelligenz im zwanzigsten Jahrhundert vertreten wurde. Wie viel genau haben diese Werte dazu beigetragen, uns von unserem selbstzerstörerischen Kurs abzuhalten? Im Übrigen sind wir müde geworden, weil wir wissen, dass eine Rhetorik, die Kerstens zehn postapokalyptischen Geboten nur allzu ähnlich ist, verwendet wurde und wird, um absurde Wohlstandskonzentrationen und brutalen Machtmissbrauch zu verteidigen. Das ist die Art von Rhetorik, die Klaus Schwab und seine Freunde von sich geben, wenn sie darauf bestehen, dass der Rest von uns Ungeziefer essen und im Dunkeln zittern muss, damit sie in gut geheizten Villen Filet Mignon essen und in Privatjets zu verschwenderischen Konferenzen fliegen können.

Damit sind wir wieder bei Schwabs Großer Neuauflage — das heißt, bei seinem Versuch, darauf zu bestehen, dass der Rest von uns ehrfürchtig den neuesten Ausbrüchen zerebraler Flatulenz zuhören muss, die von der aktuellen Iteration der “Besten und Klügsten” kommen. Schwab und seine absurd überbezahlten Kumpane wollen offensichtlich diejenigen sein, die Gebote auf steinernen Tafeln niederschreiben, während wir anderen die Rolle grunzender, primitiver Stammesangehöriger zugewiesen bekommen, die ehrfürchtig auf die von den Göttern geschriebenen Worte blicken. Ich bezweifle offen gesagt, dass sie in der Lage sind, zu erkennen, dass der Respekt, den sie von allen bekommen, die nicht auf Geld aus sind, am besten in imaginären Zahlen gemessen werden kann. Ich glaube nicht, dass es ihnen in ihren dunkelsten Träumen bewusst ist, wie sehr die meisten Menschen sie verachten.

Vor diesem Hintergrund überrascht es mich überhaupt nicht, dass die Guidestones bei so vielen einfachen Amerikanern auf Ablehnung stoßen. Diese zehn Regeln sind genau die Art von vagen Abstraktionen, mit denen eine Welle von inkompetenten Einmischungen in wirtschaftspolitische Angelegenheiten durch Intellektuelle, die keine Ahnung haben, was sie tun, gerechtfertigt wurde. Die “Besten und Klügsten” haben eine ganze Reihe solcher Slogans verwendet, um ihre Politik in Vietnam zu rechtfertigen, und der Club of Rome und das Weltwirtschaftsforum haben ihrerseits eine ähnliche Rhetorik an den Tag gelegt.

Ich denke, dass zu viele Amerikaner den Slogans auf den Georgia Guidestones begegnet sind und aus langer und müder Erfahrung den predigenden Ton und den leeren Inhalt erkannt haben, der normalerweise jede neue Runde von konzern-bürokratischen Versuchen begleitet, ihrem Leben und ihren Gemeinschaften die neuesten intellektuellen Moden aufzudrücken. Sie drückten diese Anerkennung in Sprachen aus, die die Eliten unserer Zeit nicht sprechen wollen — die Sprache der konservativen Religion einerseits und die Sprache der Verschwörungstheorie andererseits —, weil dies die Bosse und ihre Pressesprecher aus dem Gespräch heraushält. Die Tatsache, dass jemand bereit war, angesichts der gesetzlichen Strafen das Risiko einzugehen, die Guidestones in die Luft zu sprengen, ist ein deutliches Warnsignal dafür, dass die anhaltende Verarmung und Verelendung der einfachen Amerikaner durch das derzeitige System möglicherweise stärkere Rückwirkungen hat, als die Nutznießer dieses Systems wahrhaben wollen.

Abgesehen davon waren die Georgia Guidestones eine touristische Attraktion für einen Bezirk, der die Einnahmen braucht, und natürlich sprechen sie auch meine druidische Vorliebe für stehende Steine an. Für den Fall, dass dies jemand aus Elbert County, Georgia, liest, möchte ich vorschlagen, dass der Bezirk ernsthaft in Erwägung ziehen sollte, eine GoFundMe-Kampagne zum Wiederaufbau der Guidestones zu starten. Dieses Mal könnten sie jedoch die Bürger von Elbert County darüber abstimmen lassen, welche Worte sie auf den Granitplatten des neuen Denkmals eingraviert haben möchten.

Und wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, als erste Reaktion auf diesen Vorschlag irgendeine abfällige Bemerkung darüber machen wollen, was auf den Steinen landen wird, wenn das passiert, habe ich zwei Vorschläge für Sie. Die erste ist, dass Sie vielleicht Ihre Privilegien überprüfen und sich fragen sollten, warum es für Ihr Gefühlsleben so wichtig ist, sich den anständigen, hart arbeitenden Menschen in Elbert County überlegen zu fühlen. Zweitens: Wenn Sie den Gedanken nicht ertragen können, dass die Landwirte in Georgien die Möglichkeit haben, Vorschläge für die Zukunft zu machen, sollten Sie und Ihre Freunde vielleicht das Geld aufbringen und selbst eine Reihe von Guidestones aufstellen und darauf eingravieren, was Sie wollen. Schließlich haben Sie das gleiche Recht, sich mit der Zukunft zu befassen, wie die anderen auch: genauso viel und nicht mehr.

Ende der Übersetzung

Links auf meine Übersetzungen  der  Teile dieser Serie von John Michael Greer:
  1.  www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-eins-die-besten-und-die-kluegsten/ Hauptthema hier ist Klaus Schwabs Buch “Covid-19: The Great Reset” (Titel der dt. Ausgabe: Covid-19: Der Große Umbruch)
  2. www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-zwei-die-kalten-augen-der-zukunft/ Hauptthema sind die Georgia Guide Stones und wie man voraussichtlich in späteren Zeiten auf unsere Zivilisation zurück blickt.
  3. www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-drei-unsicher-und-ineffektiv/ Hauptthema sind das Ende von “Eliten” und die Covid-Impfungen.




Der Große Aufguss, Teil eins: Die Besten und die Klügsten

Nachdem John Michael Greer nun die ersten drei Teile seiner Serie  The Great Rehash (= Aufguss, hier im übertragenen Sinne: minderwertige Wiederholung oder Imitation von etwas bekanntem ) in Anspielung auf den “Great Reset” veröffentlicht hat, habe ich hier den ersten Teil übersetzt, in dem Greer auf Klaus Schwab und dessen Buch “Covid-19:  The Great Reset” eingeht.

Titel des Originals: The Great Rehash, Part One: The Best and the Brightest

Link auf das Original: https://www.ecosophia.net/the-great-rehash-part-one-the-best-and-the-brightest/

Beginn der Übersetzung

Der Große Aufguss, Teil eins: Die Besten und die Klügsten

20. Juli 2022 von John Michael Greer

Der Juli scheint eine gute Zeit für Explosionen zu sein, und das nicht nur beim Feuerwerk zum vierten Juli in den USA. In diesem Monat sprengte bereits eine Bombe ein umstrittenes Denkmal im ländlichen Georgia in die Luft, während auf der anderen Seite der Welt in Sri Lanka ein wütender Mob den Präsidentenpalast stürmte und den Präsidenten ins Exil trieb. Diese beiden Ereignisse haben mehr gemeinsam, als der erste Blick vermuten lässt. Ein langweiliges Buch in einem tristen blauen Einband, das auf dem Beistelltisch neben meinem Sofa liegt, wird helfen, die Verbindung zwischen ihnen zu erklären.

Das Buch heißt Covid-19: The Great Reset (Die deutschen Ausgabe hat eine schwarzen Einband und hat den Titel: Covid-19: Der Große Umbruch) von Klaus Schwab und Thierry Malleret. Es wurde 2020 von der Hauspresse von Schwabs Lieblingsorganisation, dem Weltwirtschaftsforum (WEF), veröffentlicht und erhielt das übliche Lob von den üblichen Experten im angeblich seriösen Teil der Konzernmedien. Etwas weniger häufig erregte es auch die Aufmerksamkeit von Verschwörungstheoretikern auf der ganzen Welt, die daraus das gleiche Heu machten, das sie vor zwei Jahrzehnten aus George Bushs unbedachter Bemerkung über eine “neue Weltordnung” machten. Wenn man heutzutage in vielen Kreisen vom “Great Reset” spricht, kann man mit der gleichen Reaktion rechnen, die man erwarten würde, wenn man in der afroamerikanischen Nachbarschaft über den Ku-Klux-Klan spricht.

Es gibt triftige Gründe für diese Reaktion, auch wenn diese nicht zu den Punkten gehören, die ein durchschnittlicher oder gewöhnlicher Verschwörungstheoretiker wahrscheinlich als erstes im Gespräch erwähnen wird. Auch diese Gründe bedürfen einer kleinen Erklärung. Um zu verstehen, warum ein so fades und inkonsequentes Buch wie Covid-19: The Great Reset den Ruf eines modernen Mein Kampf hat, ist es hilfreich, von einem anderen Punkt auszugehen: der einfachen Tatsache, dass das Buch verblüffend unoriginell ist.

Wahrscheinlich muss man in den 1970er Jahren gelebt haben, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie unbeirrbar Schwab und Malleret in einem ausgetretenen Pfad stapfen. Die Bücher seriöser Denker, die eine Vorlage für den Aufbau einer neuen und besseren Gesellschaft bieten wollten, standen damals in den Regalen, und an den Universitäten waren Kurse zu diesem Thema der letzte Schrei. Ein Beispiel aus meiner Sammlung soll Ihnen einen Eindruck vermitteln: Der Titel lautet Reordering the Planet: Constructing Alternative World Futures  (dt.: Neuordnung des Planeten: Konstruktion einer alternativen Zukunft der Welt) – keine falsche Bescheidenheit! – und die Autoren sind Louis René Beres und Harry R. Targ. Es wurde 1974 von Allyn and Bacon, einem der großen Lehrbuchverlage der damaligen Zeit, veröffentlicht. Eine Universitätsbuchhandlung verkaufte es für 4,95 Dollar, als es neu war (und das war damals eine ordentliche Summe für ein Buch); ich habe es vier Jahrzehnte später in einem Antiquariat für fünfzig Cent bekommen, was darauf schließen lässt, wie gut sich seine Schlussfolgerungen erhalten haben.

Ganze Wälder wurden abgeholzt, um die Regale der Buchhandlungen mit Bänden wie diesem zu füllen. Einer der Hauptverantwortlichen für die Überschwemmung war der berühmte Club of Rome, eine vom italienischen Automobilmagnaten Aurelio Peccei gegründete Organisation von Führungskräften, die alle Probleme der Welt lösen sollte. Die meisten Menschen kennen den Club of Rome heute nur noch wegen seiner ersten bedeutenden Veröffentlichung, Die Grenzen des Wachstums. Dabei handelte es sich um eine fähige Studie, die zeigte, dass industrielles Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht unbegrenzt aufrechterhalten werden kann, weil die Kosten des Wachstums schließlich schneller steigen als der Nutzen, so dass das Wachstum schließlich dem Niedergang weichen muss. (Ja, das hat sie gezeigt. Es amüsiert mich immer wieder, dass so wenige der Leute, die über Die Grenzen des Wachstums gekreischt haben oder immer noch kreischen, auch nur die geringste Ahnung davon haben, was darin tatsächlich steht.)

Die mittlere Simulation der “Grenzen des Wachstums”. Sehen Sie irgendwelche plötzlichen apokalyptischen Zusammenbrüche? Nein, ich auch nicht. (Anm. d. Übers.: Eine  etwas unfangreichere, farbige Version dieser Grafik, in die Gail Tverberg ungefähr das Jahr 2019 markiert hat, hatte ich in https://www.freizahn.de/2019/03/ueber-rueckzuege/ verwendet.)

Was die meisten Menschen heutzutage offenbar nicht mehr wissen, ist, dass Die Grenzen des Wachstums das erste einer ganzen Reihe von Büchern war, die vom Club of Rome herausgegeben wurden:  Mankind at the Turning Point (1975), Reshaping the International Order (1976), Goals for Mankind (1977) und so weiter. Es handelte sich dabei nicht um seriöse Studien im Sinne von Die Grenzen des Wachstums – sie hatten nichts Originelles zu sagen und boten dabei weder Modelle noch Beweise an – und die meisten von ihnen ignorierten stillschweigend die harte Logik, die im Mittelpunkt dieser früheren Studie stand. Dennoch wurden sie alle von den üblichen Experten der angeblich seriösen Medien gelobt, und alle verschwanden spurlos. Der Club of Rome ist auch heute noch dabei; auf seiner Website wird derzeit ein neuer Band mit dem Titel Earth for All: A Survival Guide for Humanity (dt.: Erde für alle: Ein Überlebensleitfaden für die Menschheit) angekündigt.

Wenn Sie sich die Zeit nehmen, einen dieser Bände zu lesen, und dann Covid-19: The Great Reset in die Hand nehmen, werden Sie sofort die Identität von Stil und Inhalt erkennen. Die gesamte Literatur über planetarische Predigten, die wir hier erörtern, verwendet dieselben, sehr begrenzten Argumente und liefert dieselben, völlig vorhersehbaren Erklärungen. Sie alle gehen davon aus, dass die Welt aus dem einen oder anderen Grund in großen Schwierigkeiten steckt und die Menschheit an einem Wendepunkt steht. (Diese letzte Metapher ist in der Literatur so allgegenwärtig wie Ameisen bei einem Sommerpicknick; Jahr für Jahr steht der Wendepunkt übrigens mit epischer Unvermeidlichkeit kurz bevor). Wenn nicht bald die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, wird die Welt von einem schrecklichen Schicksal heimgesucht, und die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern, besteht darin, einen großen Teil der unverdienten Macht an Ausschüsse von gut ausgebildeten und zertifizierten akademischen Experten zu übertragen, die mit Sicherheit alle unsere Probleme lösen und uns in eine aufregende neue Zukunft führen werden.

Diese Bücher sind so vorhersehbar wie Telefonbücher und wesentlich weniger unterhaltsam zu lesen. Sie sind allesamt im faden, unverdaulichen Prosastil der intellektuellen Berufsklasse verfasst und schlingern in der für diese Klasse üblichen anmutlosen Art durch ihre vorbereiteten Abläufe, als würde ein Nashorn versuchen, Ballett zu tanzen. Obwohl sie vorgeben, eine Vielzahl unterschiedlicher Probleme anzugehen, sind ihre Lösungsvorschläge alle ziemlich gleich: mehr Technologie, mehr Bürokratie, mehr zentralisierte Kontrolle und vor allem mehr Gehälter für mehr Experten. Das wiederum ist der Grund, warum ihre Vorschläge in den Vereinigten Staaten einerseits und im Rest der außereuropäischen Welt andererseits so zuverlässig ignoriert wurden.

Die Menschen in den Vereinigten Staaten ignorieren solche Vorschläge, weil wir dieses Experiment ausprobiert und festgestellt haben, wie schlecht es funktioniert hat. 1961 machte sich die neue Regierung von John F. Kennedy daran, die Außenpolitik der USA zu verbessern, indem sie das Außenministerium mit den “Besten und Klügsten” besetzte, was im damaligen Kontext eine Schar von Intellektuellen bedeutete, die frisch von den Universitäten der Ivy League kamen und die neuesten modischen Ideen auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen vertraten. Diese Experten führten die USA geradewegs in den Sumpf des Vietnamkriegs und belasteten das Militär mit einer Flut widersprüchlicher Forderungen, die einen Sieg unmöglich und einen Rückzug inakzeptabel machten.

Ein Jahrzehnt später wies der Journalist David Halberstam in seinem brillanten Buch The Best and the Brightest  (dt.: Die Besten und die Klügsten) mit feinem Sinn für Ironie darauf hin, dass das amerikanische Debakel in Vietnam nicht trotz, sondern wegen der intellektuellen Exzellenz und der akademischen Referenzen von JFKs “Senkrechtstartern” passierte. So wie ein theoretischer Physiker nicht die richtige Person ist, um Ihre Abflüsse zu reparieren – dafür brauchen Sie einen Klempner -, so ist ein Universitätsabsolvent mit einem Kopf voller Abstraktionen nicht die richtige Person, um sich mit den harten Realitäten der Außenpolitik zu befassen. Wie das Sprichwort sagt, gibt es in der Theorie keinen Unterschied zwischen Theorie und Praxis, aber in der Praxis gibt es sehr wohl einen.

Diese Erkenntnis – dass Fachwissen zu seiner eigenen Nemesis wird – war die Einsicht, zu der die meisten gegenkulturellen Denker der 1960er und 1970er Jahre nie ganz gelangten, und ihr Fehlen trug wesentlich dazu bei, dass ihre Bewegung zur Bedeutungslosigkeit verdammt war. Ich denke dabei vor allem an zwei Autoren, die mich in meinen Teenager- und Zwanzigerjahren am stärksten beeinflusst haben: Theodore Roszak und William Irwin Thompson. Beide traten mit zwei Büchern auf den Plan, die die intellektuellen Grundlagen des Zeitalters in Frage stellten – Thompson mit At the Edge of History and Passages About Earth (dt.: Am Rande der Geschichte und Passagen über die Erde), Roszak mit The Making of a Counter Culture  (dt.: Die Entstehung der Gegenkultur)und dem magistralen Where The Wasteland End  (dt.: Wo das Ödland endet)-, und beide scheiterten danach, unfähig, über ihren selbstgewählten Status als die Schlaumeier im Raum hinauszukommen. Beide scheiterten daran, die zentrale Einsicht der griechischen Tragödie in der Praxis anzuwenden, obwohl sie sie in der Theorie begriffen hatten: die Identität von arete und hamartia, der höchsten Vortrefflichkeit und des fatalen Fehlers. Keiner von ihnen konnte sich eine Zukunft vorstellen, in der die industrielle Zivilisation und ihre gegenkulturellen Gegner gemeinsam untergehen würden, nicht trotz, sondern wegen ihrer Stärken.

Der größte Teil der Welt hat diese Einsicht im Laufe der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf unterschiedliche Weise gewonnen. In diesen Jahrzehnten strömte ein ständiger Strom von an Universitäten ausgebildeten Experten aus Europa und Amerika in die meisten nicht-industrialisierten Länder der Welt, ausgestattet mit kunstvollen Plänen, die den Lebensstandard anheben und westliche Werte verbreiten sollten. Diejenigen Pläne, die nicht gänzlich scheiterten – und viele von ihnen taten genau das -, entpuppten sich als Profitbringer für multinationale Unternehmen mit Sitz in Europa oder den Vereinigten Staaten, die ihre Gastländer mit himmelhohen Schulden und sehr oft auch mit anderen Kosten belasteten.

Die meisten Regierungen auf der ganzen Welt haben daher früher oder später gelernt, dass es die beste Strategie ist, zu lächeln und zu nicken, wenn ernsthafte junge Wissenschaftler mit Doktortitel aus Harvard oder Oxford kommen, und dann dafür zu sorgen, dass die eigene Regierung alles tut, um Sand ins Getriebe zu streuen, wohl wissend, dass die ernsthaften jungen Wissenschaftler irgendwann aufgeben und nach Hause gehen werden. Da die Wissenschaftler in der Regel von einem Industriestaat unterstützt wurden, zu dem man gute Beziehungen unterhalten musste, war es selten eine praktikable Strategie, sie aus dem Land zu werfen oder ihnen in den Rücken zu schießen und die Schuld für die Tötung auf Wilderer zu schieben, aber die Kosten, wenn man sie gewähren ließ, reichten im Allgemeinen von einer wirtschaftlichen und politischen Krise bis hin zum völligen Zusammenbruch des Landes.

Europa ist die einzige Ecke der Welt, die nicht mit den schlimmsten Aspekten der Nachteile von Expertise konfrontiert wurde. Wahrscheinlich ist dies der Grund dafür, dass Europa nach wie vor das bevorzugte Jagdrevier der aktuellen Generation der “Besten und Klügsten” ist. Der Club of Rome wäre wahrscheinlich schon vor langer Zeit verspottet worden, wenn es sich um den Club of Memphis, Mumbai oder Montevideo gehandelt hätte, und auch das Weltwirtschaftsforum von Klaus Schwab ist sehr darauf bedacht, seinen Sitz sicher in Europa zu halten. Seine jährlichen Partys in Davos ziehen zwar eine beträchtliche amerikanische Klientel an, aber die amerikanischen Reichen haben seit der Kolonialzeit einen peinlichen Minderwertigkeitskomplex gegenüber ihren europäischen Pendants, und sie freuen sich wahrscheinlich einfach darüber, mit den coolen Kids ins Clubhaus gelassen zu werden.

Daher wiederholen europäische Intellektuelle wie Klaus Schwab immer wieder dieselbe düstere Rhetorik und bringen dieselben abgedroschenen Pläne zur Neuordnung des Planeten hervor. Währenddessen tolerieren europäische Politiker das metastatische Wachstum der Europäischen Union, die genau die Art von sich ständig ausbreitendem bürokratischem Wust ist, der niemandem Rechenschaft schuldig ist und der die feuchten Träume von Möchtegern-Weltreformern bevölkert. Es ist nicht verwunderlich, dass die überprivilegierten Klassen hier in den Vereinigten Staaten sehnsüchtig über den Atlantik blicken, in der Hoffnung, dass auch sie eines Tages eine bürokratische Oligarchie errichten können, die demokratische Institutionen ignoriert und per Edikt regiert, so wie es die EU tut – und es ist auch nicht verwunderlich, dass Menschen, die diese Aussicht nicht so attraktiv finden, Klaus Schwab und seinen Great Reset zu einem bequemen Brennpunkt für ihren Zorn gemacht haben.

Zugegeben, Schwab ist ein leichtes Ziel. Er ist Professor mit Abschlüssen in Wirtschaftswissenschaften, technischem Management und öffentlicher Verwaltung und damit ein klassisches Beispiel für einen Intellektuellen, der sich hoffnungslos in einem Labyrinth abstrakter Tagträume verliert. Er ist auch der Gründer und geschäftsführende Vorsitzende des Weltwirtschaftsforums und der Erfinder und Förderer des “Stakeholder-Kapitalismus”. Was, werden Sie sich fragen, ist “Stakeholder-Kapitalismus”? Es handelt sich um ein System, in dem die Unternehmen gezwungen sind, ihre Aktivitäten an eine Reihe von ideologischen Grundsätzen anzupassen, die von außen auferlegt werden, die nicht in Frage gestellt werden dürfen und die Vorrang vor so geringfügigen Fragen wie der Erzielung eines ausreichenden Gewinns haben, um im Geschäft zu bleiben. (Im Deutschland der 1930er Jahre wurde derselbe Gedanke als Gleichschaltung bezeichnet, wenngleich die betreffende Ideologie etwas anders gelagert war). An diesem Punkt hat Schwabs Spielerei große Überschneidungen mit der ESG-Mode (Environmental, Social and Governance, dt. Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), die Unternehmen nach ihrer Konformität mit derselben Ideologie einstuft und versucht, Investitionsgelder in Unternehmen mit einem hohen ESG-Rating zu locken, unabhängig davon, ob sie Gewinne erzielen können.

Die Folgen einer solchen Denkweise sind nicht gut, und hier kommen wir nach Sri Lanka, wo die Regierung gerade Soldaten auf die Straße schickt, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Das sollte eigentlich nicht passieren. Im Jahr 2018 veröffentlichte der sri-lankische Premierminister Ranil Wickremesinghe einen Aufsatz auf der Website des Weltwirtschaftsforums, in dem er ankündigte, dass sein Land bis 2025 reich werden würde. Seine Strategie, um dieses Ziel zu erreichen, bestand darin, eine ganze Reihe von WEF-Diktaten zu befolgen, und er tat dies mit einem solchen Enthusiasmus, dass Sri Lanka ein nahezu perfektes ESG-Rating von 98 erhielt, das sogar das von Schweden übertraf.

Wie sich jedoch herausstellte, gilt der Spruch “get woke, go broke” (“werde ‘woke’, gehe pleite”) nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Länder. Die hochgelobten WEF-Programme haben die Wirtschaft Sri Lankas in den Ruin getrieben, den Agrarsektor des Landes zerstört, eine halbe Million Menschen in extreme Armut gestürzt und einen wütenden Mob durch die Türen des Präsidentenpalastes getrieben. Premierminister Wickremesinghe und Präsident Gotabaya Rajapaksa sind beide zurückgetreten, Rajapaksa ist aus dem Land geflohen. Der überschwängliche Aufsatz des ehemaligen Premierministers Wickremesinghe ist übrigens in den letzten Tagen plötzlich von der WEF-Website verschwunden.

(Dieselben WEF-Programme werden übrigens derzeit in den Niederlanden auf die Landwirtschaft angewandt, und die kanadische Regierung ist dabei, sie ebenfalls einzuführen. Vielleicht können der niederländische Premierminister Mark Rutte und der kanadische Premierminister Justin Trudeau anrufen und Rajapaksa bitten, für sie zu reservieren, wenn das Unvermeidliche geschieht).

Das heißt, es ist keine gute Idee, die Zukunft des eigenen Landes einer Gruppe selbsternannter Experten zu überlassen, die davon überzeugt sind, dass ihre Beherrschung von Abstraktionen sie unfehlbar macht. Ihre eigene Zukunft oder die Ihrer Familie denselben Experten zu überlassen, ist nicht besser. Was auch immer es wert ist, Covid-19: The Great Reset warnt eindringlich vor dieser Tatsache, da es mehrere weitreichende und zuversichtliche Vorhersagen macht, die bereits durch die Ereignisse widerlegt wurden. Schwab und Malleret betonten im Jahr 2020, dass die Inflation im Zuge von Covid-19 kein Problem darstellen würde. (Zugegeben, das taten auch alle anderen Verantwortlichen, was beweist, dass völlige wirtschaftliche Ahnungslosigkeit kein Hindernis für einen hohen Status ist.) Sie bestanden auch darauf, dass die Immobilienpreise fallen würden, sobald Covid aus dem Weg geräumt sei, und dass die Menschen durch die Pandemie so traumatisiert sein würden, dass sie bis in die ferne Zukunft auf Masken, soziale Distanzierung und den Rest des offiziell genehmigten Läusetheaters bestehen würden. Zwei Jahre später ist die Inflation außer Kontrolle, die Wohnkosten steigen in die Höhe, und abgesehen von einer Minderheit von Drama-Süchtigen wollen die meisten Menschen in der industriellen Welt nichts weiter, als Covid hinter sich zu lassen und wieder ein normales Leben zu führen. Das schafft nicht gerade Vertrauen in die anderen Behauptungen, die Schwab und Malleret zu bieten haben.

Die Dinge, die in Covid-19: The Great Reset weggelassen wurden sind in vielerlei Hinsicht noch aufschlussreicher als das, was hineingekommen ist. Schwab und Malleret beklagen beispielsweise, dass die von den Regierungen auferlegten Covid-19-Beschränkungen kleinen Unternehmen schaden, und geben freimütig zu, dass dies ein Problem ist, weil kleine Unternehmen weit mehr Arbeitsplätze schaffen als große Konzerne. Obwohl sie mit ihren Vorschlägen zu anderen Themen verschwenderisch sind, kamen sie irgendwie nicht dazu, Vorschläge zu machen, wie man kleinen Unternehmen helfen kann, mit den Auswirkungen umzugehen. Zwar loben Schwab und Malleret lautstark die Dienstleistungsarbeiter, deren Arbeit die privilegierten Klassen in ihren gemütlichen Heimarbeitsplätzen hält, aber das ist fast die einzige Aufmerksamkeit, die die arbeitenden Klassen in diesem Buch erhalten. Dass die arbeitenden Klassen eigene Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen haben könnten, die sich von denen unterscheiden, die von ihren soi-disant (= angeblich) Bessergestellten für sie gewählt werden – das dringt nie, aber auch gar nicht, durch den Erbsensuppennebel der Abstraktion.

Der Höhepunkt dieser Art von gewollter Blindheit gegenüber dem Offensichtlichen findet sich in dem Buch in der Erörterung der Depression als einer modernen Epidemie. Schwab und Malleret sind schnell bei der Hand, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass den Hunderten von Millionen depressiver Menschen in der Welt nach Covid psychosoziale Dienste zur Verfügung stehen – eine Einstellung, die sie zweifellos bei ihren Freunden und Mitaktionären in der Pharmaindustrie beliebt machen wird. In der Diskussion des Buches fehlt natürlich jegliches Gefühl dafür, dass die Epidemie der Depression eine tiefere Ursache haben könnte als vorübergehende, durch die Pandemie verursachte Unwägbarkeiten, geschweige denn, dass die Ursache vernünftig angegangen werden könnte.

Jeder, der einmal aus den sauerstoffarmen sozialen Blasen, in denen die Privilegierten ihre Zeit verbringen, herausgetreten ist, weiß, dass es in der Tat einen Grund gibt, warum so viele Menschen heutzutage so deprimiert sind. Wenn die Regierungspolitik, die von Intellektuellen wie Schwab und Malleret enthusiastisch unterstützt wird, ganze Bevölkerungsgruppen in Armut und Elend treibt, indem sie Arbeitsplätze abschafft und ins Ausland verlagert, Löhne und Sozialleistungen senkt und kleine Unternehmen durch bürokratische Überregulierung verdrängt, dann wird es sehr viele deprimierte Menschen geben – und das aus gutem Grund. Darauf zu bestehen, dass sie alle auf Antidepressiva gesetzt werden sollten, damit sie keine ehrliche Reaktion auf das empfinden, was ihnen angetan wurde, steht auf einer Stufe mit dem Verteilen von Pflastern an Menschen, die eine Amputation erlitten haben.

Wie die amerikanischen Soldaten in Vietnam wird also von den meisten Menschen in der heutigen Welt erwartet, dass sie sich durch einen Alptraum aus Elend und erzwungenem Scheitern quälen. Diese Erwartungen wurden ihnen auferlegt, weil so genannte Experten mit zu vielen Universitätsabschlüssen und zu wenig Kontakt zur realen Welt darauf bestanden, wie Robby Mook in Hillary Clintons zum Scheitern verurteilter Präsidentschaftskampagne, dass die offiziell anerkannten Modelle die gelebten Erfahrungen derjenigen widerlegten, die die Folgen tatsächlich aus nächster Nähe zu sehen bekommen. Das ging für Mook und seinen Arbeitgeber nicht gut aus; es geht für Wickremesinghe und Rajapaksa nicht gut aus; und alles in allem könnte es auch für Klaus Schwab nicht gut ausgehen, dessen Großer Aufguss einfach die gleichen, wiederholt gescheiterten Programme unter einem neuen Etikett auftischt. (Anm. d. Übersetzers: Deshalb wollte ich “rehash” zeitweise statt mit “Aufguss” auch mit “Abklatsch” oder mit “Neuauflage” übersetzen.)    

Das wiederum bringt uns zu den Georgia Guidestones – aber diese Diskussion wird auf einen späteren Beitrag warten müssen.

Ende der Übersetzung.

Links auf meine Übersetzungen  der  Teile dieser Serie von John Michael Greer:
  1.  www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-eins-die-besten-und-die-kluegsten/ Hauptthema hier ist Klaus Schwabs Buch “Covid-19: The Great Reset” (Titel der dt. Ausgabe: Covid-19: Der Große Umbruch)
  2. www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-zwei-die-kalten-augen-der-zukunft/ Hauptthema sind die Georgia Guide Stones und wie man voraussichtlich in späteren Zeiten auf unsere Zivilisation zurück blickt.
  3. www.freizahn.de/2022/08/der-grosse-aufguss-teil-drei-unsicher-und-ineffektiv/ Hauptthema sind das Ende von “Eliten” und die Covid-Impfungen.
Anmerkungen

Ich habe nun eine eigene Kategorie zu John Michael Greer angelegt:  www.freizahn.de/category/john-michael-geer/ .

Das Buch Covid-19: Der große Umbruch habe ich mir seiner Zeit gekauft und ich habe es etwas quer gelesen. Meines Erachtens werden von Klaus Schwab und damit wohl auch vom WEF ganz wesentliche Grundlagen und Probleme nicht beachtet.