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10-Milliarden-Der Film

Lesedauer 7 Minuten
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Am 7. Mai 2015 wurde in Hillesheim in der Eifel der Film 10 Milliarden – Wie werden wir alle satt? [2] gezeigt. Anschließend gab es eine Diskussion  mit dem Rheinland-Pfälzischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Dietmar Johnen.

Der Film ist auf den ersten Blick recht informativ und ich habe durch die Beschäftigung mit dem Film direkt und indirekt einige interessante neue Informationen gefunden.

Insgesamt finde ich aber, dass der Film sehr zu wünschen übrig lässt. Die anschließende Diskussion fand ich bedrückend naiv.

Warum?

Weder die Macher des Films, noch die vielen, zum Teil sehr hoch bezahlten, scheinbar hochqualifizierten, Interviewpartner sprechen das Problem an, dass der globale Handel und die westlichen Industriegesellschaften jederzeit kollabieren können und in Zukunft, lange vor 2050, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch kollabieren werden.  Man sollte jedenfalls vernünftiger Weise  damit rechnen, dass Saatgutlieferanten wie Bayer Crops und Monsanto irgendwann in Zukunft von einem Tag auf den anderen, lokal oder auch weltweit wegen eines Krieges, einer Naturkatastrophe oder aus anderen Gründen nicht mehr liefern können.  Das gleiche trifft für die Lieferanten von industriell hergestellten Düngemitteln, Pflanzenschutzmitteln und Schädlingsbekämpfungsmitteln zu.  Der sicherlich krasseste Grund könnte ein unter anderem in der Anfangsphase des 3. Weltkrieges  zu erwartender EMP-Angriff, insbesondere auf Europa und Nordamerika sein. Ein extrem schwerer Sonnensturm, wie der von Lord Carrington im Jahre 1859 beobachtete könnte ebenfalls einen solchen Kollaps auslösen. Der von Joseph Tainter beschriebene, kaum zu vermeidende  Kollaps komplexer Gesellschaften könnte in unserer global vernetzten Welt ebenfalls indirekt zum Kollaps der Nahrungsmittelversorgung führen  – soweit und solange diese vom Funktionieren komplexer Systeme, wie z.B. dem globalen Handel, dem Funktionieren des Finanzsystems, der Stromversorgung, der elektronischen Infrastruktur  usw. abhängt.  Wer zu den verschiedenen Möglichkeiten und Ursachen eines Kollapses der  Industriegesellschaften mehr erfahren will kann in den älteren Artikeln meiner Webseite www.freizahn.de [3] einiges an Literatur, Denkanstößen und Interviews finden.

Meines Erachtens ist es naiv bis verantwortungslos, sich mit der Frage ob und wie die Menschheit in Zukunft ernährt werden kann zu beschäftigen, ohne dabei das Risiko eines Systemkollapses zu bedenken oder dieses als zu unwahrscheinlich an zu sehen. Wenn Milliarden Menschenleben, und dabei auch das Überleben von 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung des eigenen Landes, davon abhängen, ob und wie man mit einem Systemkollaps umgehen kann, dann ist das nichts was  verantwortungsbewusste, vernünftige Menschen einfach so – wie es heute der Fall ist – verdrängen oder ignorieren sollten, nur weil es unbequem und “gefühlt unwahrscheinlich” ist. 1

Das heißt, statt Zeit mit der Darstellung von allerhand technischen Spielereien wie Pflanzenfabriken in Japan, Laborexperimenten in Holland  zur fabrikmäßigen Herstellung von Fleisch oder der Warenbörse in Chicago zu verbringen, hätte der Film besser einfach nur 5 oder 10 Minuten gezeigt, dass und warum sämtliche industriellen und großtechnischen Lösungen in der Nahrungsmittelversorgung wegen der systembedingten Risiken verantwortungsloser Schwachsinn sind, die Großstädte und zum Teil ganze Länder in potentielle  Todeslager verwandeln – ähnlich makaber und irreführend wie die naiven Ankömmlingen viel versprechende, zynische Torüberschrift von Auschwitz (Arbeit macht Frei). Man hätte vielleicht einige Szenen aus dem Film Die EMP Bombe – Impuls zum Blackout  einbinden sollen oder ein Interview mit John Casti [4] oder/und Roscoe Bartlett [5], statt Interviews mit Wissenschaftlern und Führungspersonen von Bayer Crops. Die im Film lang und breit dokumentierten und mit Interviews bedachten industriellen Lösungen hätte man kurz in wenigen Sätzen zusammenfassen und als das klassifizieren können was sie sind: Teilweise sicherlich sehr interessante technisch-wissenschaftliche Spielereien, die aber in der Praxis aus Sicht der Ernährungssicherung völlig verantwortungslos und im Grund dumm sind – zumindest wenn und solange das Ziel nicht weltweit milliardenfacher Massenmord und kollektiver Selbstmord der eigenen Bevölkerung durch Hunger ist .

Etwas zeigt der Film das dann schon, er übersieht jedoch komplett das Thema Systemkollaps mit all seinen möglichen Folgen.

Das Beispiel von dem nun verschiedene Gemüse anbauenden  Dorf in Afrika könnte auf die Initiative von John Jeavons Organisation Ecology Action – Grow Biointensive [6] zurückgehen.  Ich hätte unmittelbar vor oder nach dieser Stelle im dem Film, gerne ein Interview mit Jeavons an seinem Institut in Kalifornien  gesehen.

Bemerkenswert fand ich dann noch, dass alle deutschen Biobauern in dem Film mit mehr oder weniger großen, Diesel betriebenen Landmaschinen gearbeitet haben. Das finde ich soweit in Ordnung, nur hätte ich hier auch eine Doku über die Amish mit ihren Pferdegespannen und ihren, wie mir kürzlich ein deutscher Landwirtschaftmeister gesagt hat, auch ökonomisch sehr gesunden Höfen eingefügt, denn das Vorbild der Amish dürfte letztlich, anders als die deutschen Biobauern mit ihren Diesel getrieben Traktoren, wirklich eine Zukunft haben .  Der amerikanische Autor J.H. Kunstler, der sich sehr gut mit den Problemen unserer Zeit auseinandergesetzt hat, hat nach seinem Sachbuch The Long Emergency: Surviving the Converging Catastrophes of the Twenty-first Century [7] in seinen Romanen der World Made by Hand [8] -Reihe die Zukunft im nachindustriellen, nachfossilen Zeitalter im Nordwesten der USA so geschildert, dass dort ganz selbstverständlich die Landwirte keine Traktoren und Mähdrescher mehr haben, sondern nur noch Pferde- und Maultiergespanne, und jede Menge ehemalige Computerspezialisten, Büroangestellte  usw. die nun als Tagelöhner bei den Landwirten und teilweise auch faktisch als leibeigene Landarbeiter bei Großgrundbesitzern ihren Lebensunterhalt verdienen.  Im letzten Roman der Reihe kann die Hauptperson sich nur mit brutaler Gewalt im letzten Moment einer Zukunft als Arbeitssklave entziehen. Kunstlers Sichtweise auf die Zukunft erscheint mir grundsätzlich ziemlich realistisch und vernünftig, auch wenn die Zukunft in Europa meines Erachtens aus geopolitischen Gründen wesentlich weniger idyllisch werden dürfte Kunstler sie in seinen  Romanen für den Nordwesten der USA beschreibt.

Die Macher des Films 10 Milliarden – Wie werden wir alle satt? [2] haben nach Lösungsmöglichkeiten gesucht und ich habe dabei auch einige interessante Ansätze gesehen, die aber für mich kaum neu waren.  Meines Erachtens hätte der Film  insbesondere auch Interviews mit John Jeavons, Mark Shepard und Allan Savory bringen und dazu deren praktische Beispiele dokumentieren sollen. Siehe dazu insbesondere auch meine Beiträge Weltweite Verschlechterung der Bodenqualität [9]Unsichtbare Nutzflächen [10], Restaurierende Landwirtschaft [11], Das Keyline-Konzept [12], Überleben in der Eifel [13]  usw..

Die Diskussion nach dem Film fand ich vor diesem Hintergrund gespenstisch. Als ich versucht habe darauf hinzuweisen, dass vor allem auch die hochindustrialisierten westlichen Industriestaaten möglicherweise schon relativ kurzfristig durch ihre totale Abhängigkeit vom Funktionieren ihrer technischen und wirtschaftlichen Infrastruktur an extremem Nahrungsmittelmangel zugrunde gehen könnten,  ist das eher auf Unverständnis gestoßen. Eine ältere Frau meinte sogar “das gehöre doch nicht zum Thema”.

Der Grünen-Landtagsabgeordnete hat dann noch referiert, dass die industrielle Landwirtschaft durchaus gesetzeskonform und völlig rechtens und so gesehen in Ordnung sei. Und dann hat er noch gemeint, kein Bauer wolle zurück zur Bewirtschaftung seiner Felder und Wiesen mit Pferden – was ich so verstanden habe, dass er ernsthaft glaubt, dass Traktoren und alles was man für deren Betrieb benötigt bis in alle Zukunft verfügbar bleiben würden.

Insgesamt war mein Eindruck von der dem Film folgenden Diskussion, dass sich die Leute, inklusive Landtagsabgeordneter, extrem sicher sind, dass der Frieden in Europa auf Dauer sicher ist und dass sie die Gefahr eines Kollapses unserer extrem von Technik und Importen abhängigen Gesellschaft nicht sehen. Dazu fällt mir ein Fazit von Henry Kissinger aus dessen Buch Großmacht Diplomatie. Von der Staatskunst Castlereaghs und Metternichs. [14]ein. Kissinger schreibt dort, dass der von Castlereagh und Metternich auf dem Wiener Kongress 1815 herbeigeführte Friede im wesentlichen, bis auf einige kleine Zwischenfälle, bis 1914, also rund 100 Jahre gehalten habe. Diese Stabilität des Friedens sei mit ein Grund für die Katastrophe des 1. Weltkrieges geworden, denn sie habe die Europäer zu sicher werden lassen und sie das Gefühl für die Tragik des Krieges verlieren lassen. Für Hungersnöte und allgemeines Systemversagen scheint ähnliches zu gelten.  Die Diskussion nach dem Film lässt mich damit auch an die Generationstheorie von Strauss und Howe [15] denken, die auch John Xenakis in seinem Buch und seinem Blog über die Generationsdynamik [16] aufgreift.  Xenakis sieht die Lage ziemlich finster, wie ich in Neues vom Nahen und Fernen Osten [17]kurz auszugsweise dargestellt habe. Das ist wäre meines Erachtens der wichtigste und dringendste Hintergrund, um auf eine zukunftsfähige, weitgehend katastrophensichere,  kleinbäuerliche Landwirtschaft  umzuschalten, um die Gemeindewälder und Parks in vielfältige, plegeleichte Obst- und Nussbaumplantagen mit zudem vielen essbare Früchte tragenden Sträuchern und Gemüsen um zu wandeln, in denen außerdem Schweine, Rinder und andere Nutztiere oder/und  viel Wild gedeihen.  Der Film zeigt einige Beispiele in diese Richtung. Meine Webseite zeigt aber noch viel mehr, und sie zeigt einiges an Literatur und Links zur professionellen Vorbereitung. Insbesondere Mark Shepard mit seiner Restaurierenden Landwirtschaft [11] und seiner New Forest Farm [18], sowie John Jeavons mit seinem Biointensiven, nachhaltigen Gartenbau [19], zusammen mit dem Buch über die Nachhaltige Bodenverbesserung [20] von  Fred Magdoff und Harald van Es scheinen mir derzeit die besten Informationsquellen zu sein. Sepp Holzer gehört hier dazu, zumindest als zusätzliche, ergänzende Informationsquelle.

Anlässlich meiner Recherchen für den obigen Artikel habe ich noch die beiden folgenden Entdeckungen gemacht:

  1.  Es gibt nun eine 22-seitige Broschüre, das Farmers Handbook, über die Growbiointensive-Methode in deutscher Sprache, unter dem Titel Ein Gartenhandbuch: Die NachaltigeGROW BIOINTENSIVE Gartenbaumethode [21]als pdf-Dokument zum kostenlosen Herunterladen.
  2. Im Sommer 2015 findet in Mailand eine Weltausstellung statt, deren Thema “Feeding the Planet  – Energy for Live“, also “Den Planeten Ernähren – Energie für das Leben“. Siehe die Internetseite der EXPO-2015 [22]Es wird die erste Weltausstellung sein, die ich mir  ansehe.

Kelberg, den 8. Mai 2015 Christoph Becker

 

 

 

 


  1. Ein Teil der Realität ist auch, dass das menschliche Gehirn die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens seltener,  extremer Ereignisse weit unterschätzt, während es geringe, häufiger vorkommende Risiken überschätzt. Siehe dazu die Bücher Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse [23] von Nassim Nicholas Taleb  und Der plötzliche Kollaps von allem: Wie extreme Ereignisse unsere Zukunft zerstören können [24] von John Casti
      [25]

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