Dehumanisierung und Empathie

Warum und unter welchen Umständen kann es dazu kommen, dass Menschen andere Menschen und Gruppen von Menschen nicht mehr als Mitmenschen sehen, sondern als Objekte und sie  schamlos ausbeuten, plündern und wenn die  Umstände und Gesetze es erlauben, auch physisch vernichten? Ein Nebeneffekt der Suche nach einer Antwort ist die Feststellung, dass die heute allgemein als gut  dargestellte Empathie in der Realität oft auch ein wichtiges Werkzeug zur Maximierung des Grauens ist.  Auf das Thema wieder (( wieder, weil die verschiedene Aspekte des Problems der Dehumanisierung schon durch die  einige Zeit zurückliegende Lektüre von Eugen Sorgs Die Lust am Bösen: Warum Gewalt nicht heilbar ist und von Jean Hatzfelds Zeit der Macheten: Gespräche mit den Tätern des Völkermordes in Ruanda sowie einige Zeit später William Cattons Bottleneck : Humanity’s Impending Impasse: Humanity’s Impending Impasse kannte. )) aufmerksam geworden bin ich durch den  auf Youtube verfügbaren und hier verlinkten  Vortrag des kanadischen Professors Thomas Homer-Dixon: Catastrophic dehumanization: the psychological dynamics of severe conflict (dt.: Katastrophale Dehumanisierung: Die psychologische Dynamik schwerer Konflikte). Prof. Homer-Dixon hat diesen Vortrag  am 17. April 2012 an der James Martin School, an der Universität Oxford gehalten. Bereits am 13.  Februar 2012 hatte er einen vorläufigen Artikel mit dem Titel Catastrophic Dehumanization veröffentlicht, der auf seiner Internetseite im pdf-Format verfügbar ist: www.homerdixon.com/wp-content/uploads/2012/02/CATASTROPHIC-DEHUMANIZATION-Homer-Dixon-Feb-13-draft.pdf. Obwohl darin weitere Forschungsarbeiten zu diesem Thema angekündigt wurden, konnte ich per google (Stand 14. April 2017) außer dem oben erwähnten Vortrag keine weiteren Informationen dazu finden.

Prof. Homer-Dixon hatte sich lange Zeit mit Fragen der Konfliktforschung beschäftigt. Insbesondere war er an der Universität Toronto von 1990 bis 2001 Direktor, Peace and Conflict Studies Program, University College und von 2001–2007 Director, Trudeau Centre for Peace and Conflict Studies, University College. Seit 2008 hat er einen Lehrstuhl an der Universität Waterloo in Kanada. Man kann also davon ausgehen, dass sein Modell zur Dehumanisierung ziemlich gut fundiert ist (( Zu bedenken ist allerdings, dass gerade auch die kanadischen Universitäten (genauso wie die deutschen)  heute sehr dem Zeitgeist unterworfen und extrem “politisch korrekt” sind, so dass man leider davon ausgehen muss, dass Forschung und Lehre nicht mehr so frei sind wie früher. Prof. Homer-Dixon hat mit How Free Is Academic Freedom? (dt.: Wie frei ist die akademische Freiheit) im Mai 2012, also kurz nach seinem oben verlinkten Vortrag zur Dehumanisierung, einen Artikel zur Freiheit von Forschung und Wissenschaft veröffentlicht, der darauf schließen lässt, dass er seine akademische Freiheit etwas eingeschränkt sieht. Möglicherweise ist diese ein Hinweis darauf, warum er zum Thema Dehumanisierung keine weiteren Arbeiten veröffentlicht hat. )).

Einführung zum Thema Dehumanisierung

Ich übersetze und zitiere hier die ersten beiden Absätze der Einleitung von Prof. Homer-Dixons oben verlinkten Artikel über die katastrophale Dehumanisierung:

Teilnehmer von gewaltsamen Konflikten dehumanisieren ihre Gegner. In der Tat, sind einige Formen der Dehumanisierung diskutierbar eine definierende Eigenschaft der brutalsten Formen menschlicher Gewalt, wie das Flächenbombardement von Zivilbevölkerungen, Terrorangriffe auf städtische Zentren, intensive Kampfhandlungen auf Schlachtfeldern und Völkermorde.

Menschen, die Angehörige anderer Gruppen dehumanisieren, scheinen mindesten drei kognitive Veränderungen durchzumachen, die nicht notwendigerweise in der folgenden zeitlichen Reihenfolge erfolgen:

Erstens, deindividuieren sie die Mitglieder der anderen Gruppe. Wo sie vorher vielleicht die Mitglieder der anderen Gruppe als Individuen gesehen haben, jedes mit einer bestimmten und komplexen Charakteristik, Geschichte und Zielen, sehen sie diese, wenn sie erst einmal dehumanisiert sind, undifferenziert innerhalb ihrer Gruppe.

Zweitens, sie wenden auf diese undifferenzierten Mitglieder der anderen Gruppe hochgradig vorurteilsbeladene Karikaturen oder Sterotype an, die oft Analogien mit Tieren oder Maschinen beinhalten.

Drittens, und am wichtigsten: Sie verneinen die moralische Legitimität des Lebensstils, der Interessen und Aktionen der anderen Gruppe und sogar das Existensrecht der anderen Gruppe. In diesem Prozess  verweigern sie den Mitgliedern der anderen Gruppe den Schutz der allgemeinen moralischen Prinzipien.

Als ich den Vortrag zum ersten mal gehört habe, hat sich mir der Eindruck aufgedrängt, dass die sich für anständig und zivilisiert haltenden “Kampf-Gegen-Rechts”-Kämpfer gegenüber den Anhängern und Wählern der NPD und auch der AfD eben diesem Muster der katastrophalen Dehumanisierung folgen. Dasselbe gilt für viele der nach Deutschland geflüchteten oder eingewanderten “kulturellen Bereicherungen” aus dem Orient und aus Afrika.

Dehumanisierungs-Schalter mit Hysterese

In seinem Vortag erklärt Homer-Dixon, dass es bei den meisten Menschen von Natur aus so ist, dass sie gegenüber Menschen anderer Gruppen schlagartig auf Dehumanisierung umschalten können. Zurückschalten, bei dem aus den dehumanisierten Mitgliedern einer Gruppe wieder Menschen oder gar Nächste werden ist sehr viel schwieriger. Das heißt zum Zurückschalten ist wesentlich mehr Vertrauen und “Gerechtigkeit” nötig. Diesen Unterschied nennt man Hysterese.

Ein Beispiel, das Prof. Homer-Dixon zur Illustration des möglichen evolutionären Grundes für die Fähigkeit der meisten Menschen Mitglieder anderer Gruppen schlagartig zu dehumanisieren nennt: Wenn die Mitglieder eines anderen Stammes über den Hügel kommen, ihre Keulen auspacken und vorhaben, Ihre Vorräte mitzunehmen, dann ist es vielleicht keine gute Idee, es mit gutem Zureden und Deeskalation mit Worten zu versuchen. Jedenfalls kann man sich vorstellen, dass es in solchen Situationen für die Überlebensfähigkeit oft vorteilhaft war, die anrückenden Plünderer zu Dehumanisieren und zu bekämpfen.

In seinem Vortrag zeigt Homer-Dixon auch ein Bild von einer Massenerschießung die am 14. Oktober 1942 in der Nähe des Mizocz Gettos stadtfand. Er meint dazu, dass das Personal der Einheiten, die diese Massenmorde durchgeführt haben,  sicherlich speziell ausgesucht gewesen sei, aber dass man leider durch nachfolgende Untersuchungen und Experimente, wie das Milgram-Experiment und das Stanford-Prison-Experiment festgestellt habe, dass zwar nicht alle, aber doch die meisten Menschen zu solchen Taten fähig sind, wenn die Umstände dies zu erfordern scheinen. Nach dem Milgram-Experiment haben, wie in dem verlinkten kurzen Film erwähnt wird, 65 %, also rund zwei Drittel der Versuchspersonen, dem Opfer einen im Ernstfall tödlichen Stromstoß versetzt, während man ursprünglich nur damit gerechnet hatte, dass nur 2-3 % psychisch Kranke so etwas tun würden.

Wir wissen also, dass selbst die angeblich “guten”, “anständigen”, der “Demokraten” der “Linken” und auch der “Christen”  im heutigen Deutschland, ebenso wie ein großer Teil der “Flüchtlinge” und “Einwanderer” trotz  fetter Friedenszeiten, trotz halbwegs funktionierender Demokratie und trotz halbwegs funktionierendem Sozialstaat ziemlich schamlos Angehörige anderer Gruppen dehumanisiert. Und wir wissen auch, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung als Handlanger für Verbrechen zu haben ist, wenn die Leute den Eindruck bekommen,  dass die Umstände es zu erfordern.

Vor diesem Hintergrund kann es hilfreich sein, der Frage nachzugehen, wie und wann es zu katastrophaler Dehumanisierung und dem Entstehen entsprechender Umstände kommen kann.

Empathie als Werkzeug des Bösen

Wie Prof. Homer-Dixon in seinem Vortrag und Artikel erläutert, beeinträchtigt eine Dehumanisierung NICHT die Fähigkeit zur Empathie. Die Fähigkeit zur Empathie, also die Fähigkeit sich in die Lage der anderen zu versetzen und deren Gefühle nachzuvollziehen wird nach der Dehumanisierung vielmehr oft genutzt, um die dehumanisierten Gegner besser und grausamer zu bekämpfen und zu vernichten.

Die Homer-Dixonsche Wir-Gerechtigkeits-Einschränkungs-Fläche

Homer-Dixon meint, dass für das Verständnis von Konflikten und Dehumanisierung insbesondere drei Variablen beachtet werden müssen, nämlich

  • Identität, im Sinne der Wahrnehmung des “Wir”. Die Extreme dieser Variablen sind “inklusiv / tolerant”, im dem Sinne, dass alle Menschen, ohne Rücksicht auf Rasse, Hautfarbe, Religion, Ethnie, Geschlecht, usw. als zur eigenen Gruppe gehörend betrachtet und akzeptiert werden. Der andere Extremwert ist “exklusiv / ausschließend”. Die Grenze derjenigen, die zur eigenen Gruppe gehören,  ist hierbei sehr eng gezogen.
  • Strukturelle Einschränkung, Wahrnehmung der Einschränkung der Möglichkeiten (“agency” habe ich hier als “Möglichkeiten übersetzt). Die Extremwerte sind hier, wenn ich Homer-Dixon richtig verstanden habe,  in Grunde ein maximal totalitärer orwellscher Polizei- und Überwachungsstaat einerseits und völlige Anarchie andererseits.
  • Gerechtigkeit, Wahrnehmung ethisch auffälliger Situationen und Aktionen. Die Extremwerte sind hier “ungerecht” und “gerecht”

Wenn man die Variablen stark vereinfachend in einem dreidimensionalen Würfel wie in der folgenden Zeichnung zuordnet, erhält man eine Fläche. Die dicken schwarzen, mit 1 bis 4 gekennzeichneten  Striche verlaufen dabei entlang der Außenseiten des Würfels.  Die graue, spitz zulaufende Fläche kann man sich als den Schatten vorstellen, den ein aus großer Entfernung senkrecht von oben auf die Fläche fallendes Licht werfen würde.

Erläuterung der 4 äußeren Grenzlinien:

Linie 1:  In einer extrem  totalitären und kontrollierten Gesellschaft, in der die Menschen so gut wie keinen Spielraum für eigenes, selbstbestimmtes Handeln haben, ist die Toleranz gegenüber anderen, bzw. die Wahrnehmung der zur Gruppe des “wir” gehörenden ziemlich groß – sofern die Regierung bzw. der Diktator es wünschen. Insbesondere verändert sich die Toleranz nicht mit der Wahrnehmung der Gerechtigkeit des Systems.  Ein Beispiel Homer-Dixons: Eine Krebserkrankung kann als extrem ungerecht empfunden werden, aber man wird die Schuld nicht auf eine andere Menschengruppe schieben und diese Dehumanisieren (( Tatsächlich ist dieses Beispiel mit der Krebserkrankung keinesfalls so klar und eindeutig. Man kann sich z.B. vorstellen, dass die Krebserkrankung je nach Gesellschaft auf Hexerei oder auf Umweltverschmutzung oder ähnliches geschoben werden kann und dass dafür dann sehr wohl einzelne Personen oder ganze Gruppen von Menschen dehumanisiert und verfolgt werden können. In solchen Fällen würde Linie 1 von links nach rechts abfallen. ))

Linie 2: In einem absolut gerechten System führt eine Vergrößerung der individuellen Freiheiten und Möglichkeiten sogar zu einer Steigerung der Toleranz und der Größe der als zum “wir” gehörigen Gruppe. Der Grund ist, dass die Wertschätzung der anderen steigt, wenn bemerkt wird, dass diese von ihren Möglichkeiten einem selbst und der engsten Gruppe der mam angehört zu schaden, keinen Gebrauch machen, sondern im Gegenteil sogar im Sinne einer wirklichen kulturellen Bereicherung handeln. In der Realität dürfte dieses Extrem eher nicht vorkommen.

Linie 3: Hier  fehlt jede strukturelle Einschränkung. Die Menschen sind absolut frei und werden von den Mitmenschen als für ihr Verhalten und ihre Taten voll verantwortlich wahrgenommen. Wenn das Verhalten aller trotzdem als gerecht und korrekt wahrgenommen wird, wird die Toleranz gegenüber den anderen sehr hoch sein. Man wird diese nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung wahrnehmen. Wenn die anderen aber von ihrer Freiheit und ihren Möglichkeiten in einer als schädlich empfundenen Weise Gebrauch machen, wird die Toleranz gegenüber den anderen abnehmen.   Zunächst wird sie nur wenig abnehmen. Aber es kommt dann bald zu einem Punkt, an dem die Toleranz schlagartig sinkt. Die Menschen fallen dann von der “Friedensebene” auf die “Kriegsebene”, Das ist der Punkt, an dem Dehumanisierung stattfindet. Die vom “Wir”-Gefühl erfassten Gruppen werden kleiner. Die mit “Schatten” bezeichnete graue Fläche kann nicht erreicht, sondern nur übersprungen werden. Es gibt hier eine “Hysterese”, d.h. der Weg zurück auf die Friedensebene zu mehr Toleranz erfordert sehr viel mehr “Gerechtigkeit”, bzw. Wohlverhalten, als  der Weg von der Friedensebene zur Kriegsebene.

Treffpunkt der Linien 3 und 4: Hier erreichen alle drei Variablen ihren niedrigsten Wert.

Linie 4: Diese verläuft maximal von ungerecht, Fehlen jeder strukturellen Einschränkung und maximal andere ausschließend und intolerant, zu maximaler struktureller Einschränkung bei weiterer maximaler Ungerechtigkeit. Der dabei zu beobachtende Anstieg der Toleranz bzw. die Vergrößerung der als “Wir” wahrgenommenen Gruppe erklärt sich damit, dass “die anderen” wegen der abnehmenden Freiheit zunehmend als für ihr Verhalten, ihre Situation und ihre Taten nicht verantwortlich angesehen werden.

Das  Schema von Homer-Dixon ist stark vereinfachend  und es kann die Wirklichkeit in ihrer Komplexität nicht vollständig erklären. Das Modell von Homer-Dixon kann aber einige wichtige Zusammenhänge zeigen. Z.B. zeigt es, warum funktionierende, bzw. im inneren friedliche multikulturelle Gesellschaften in der Regel totalitäre Gesellschaften oder Diktaturen sind und es zeigt, warum das Verschwinden der Diktatur in multikulturellen,  multiethnischen Gesellschaften in der Regel zum Zerfall der öffentlichen Ordnung und zu erbitterten  Bürgerkriegen führt:  Mit dem Untergang der Diktatur, bzw. mit dem Ende des totalitären Systems sinkt nämlich die strukturelle Einschränkung der Einzelnen und der einzelnen Gruppen. Damit werden diese von den anderen zunehmend für ihre Taten und ihre Situation verantwortlich gehalten. Wenn “die anderen” Engel sind und sich sehr vorbildlich verhalten, wird das dann sogar zu einer Zunahme der als “Wir” wahrgenommenen Gruppe führen. Aber wehe es kommt zu tatsächlichen oder scheinbaren Ungerechtigkeiten, mit denen auf Grund der menschlichen Natur, auf Grund kulturelle Unterschiede und vor allem bei zunehmendem Ressourcenmangel zu rechnen ist.  Dann stürzt die Gesellschaft von der Friedens- auf die Kriegsebene und die Auswahl der als zum “Wir” gehörenden Menschen schrumpft schlagartig.

Das Extrem dieser Schrumpfung  der zum “Wir” gehörenden Gruppengröße beschreibt Collin Turnbull in seinem Buch The Mountain People bzw. in dessen deutscher Übersetzung Das Volk ohne Liebe. Der soziale Untergang der Ik. Die Ik sind ein Bergvolk im nördlichen Uganda, an der Grenze zum Sudan un zu Kenia, die ihre ursprüngliches Jagdgebiet wegen der Ausweisung eines Nationalparkes verloren haben und die dann, in der Zeit als Turnbull sie beobachtete, Opfer einer Hungersnot waren. In diesem Stadium wurden die Menschen zu maximalen Egoisten. Die einzige Freude war die Schadenfreude. Kinder wurden von den Eltern schon mit drei Jahren sich selbst überlassen, alte Menschen lässt man einfach sterben, und es kann durchaus sein, dass eine Mutter sich  freut wenn ihr Kind von einem Raubtier gefressen wird, weil das Raubtier dann erst mal satt ist und weil ein Esser weniger da ist.

Hier zu passen auch die Essays Witchcraft (dt. Hexerei) und War (dt. Krieg) des amerikanischen Soziologieprofessors William Graham Sumner, die man u.a. auf meiner Webseite unter Sumner – “War and other Essays” findet, bzw. herunterladen kann. Die Hexenverfolgung war eines der schrecklichsten Beispiele für “Dehumanisierung”.

Sumner hat die Literatur zum Thema Hexenverfolgung ziemlich gut untersucht und meint, dass man rund die Hälfte der Hexenprozesse einfacher Geldgier und den Rest naiver Leichtgläubigkeit zuschreiben kann. Entsprechend ist auch Sumners Schlußfolgerung: Er meinte 1909, als er “Witchcraft” geschrieben hat, dass das Phänomen der Hexenverfolgung keinesfalls Vergangenheit sei. Man müsse im (damals beginnenden) 20. Jahrhundert insbesondere damit rechnen, dass von Seiten der Sozialisten neue “Hexenverfolgungen” initiiert würden. Tatsächlich haben die Kommunisten in der UdSSR und auch die Nazis in Deutschland durchaus so etwas wie “Hexenverfolgungen” betrieben.

Mit “witcraft africa death” findet man per google Hinweise dafür, dass es in Afrika auch heute noch einen für europäische Begriffe mittelalterlichen Hexenglauben und Hexenverfolgungen gibt.

Hier meine Übersetzung der letzten Sätze von Sumners Essay “Witchcraft”:

Anarchisten, die fanatisch genug sind, Bomben in Theater und Restaurants zu werfen und Könige und Präsidenten zu ermorden, nur weil sie solche sind, sind fähig alles zu tun, was die Richter der Hexen und die Inquisitoren getan haben, wenn sie denken, dass der Erfolg der Partei es erfordert. Wenn wieder schlechte Zeiten über die zivilisierte Welt kommen sollten, durch Überbevölkerung oder durch unvorteilhafte wirtschaftliche Entwicklungen, dann wird die Bildung der Bevölkerung sinken und die Klassentrennung  wird größer werden. Es ist zu erwarten, dass der alte Dämonismus sich dann wieder Bahn bricht und wieder das alte Phänomen reproduziert.

In seinem Essay War, also über den Krieg, beschreibt Sumner,  die Organisation der Menschen in Friedens- bzw. Binnengruppen, in denen die Menschen sich sozial verhalten und gegenseitig helfen, und in zu diesen komplementären Außengruppen, mit denen sie konkurrieren und kämpfen. Der Mensch ist sozial und unterstützt seine Binnen- oder Friedensgruppe im Grunde nur, wenn, weil und soweit dies ein Vorteil im Kampf und Wettbewerb mit den feindlichen Außengruppen ist.  Die Größe dieser Friedens- oder Binnengruppen ist variabel. Sie reicht von der Größe einer Familie über Dorfgemeinschaften und Stämme bis zu Nationalstaaten oder auch zu Staatenbünden wie der UdSSR und der EU. Je größer eine Gruppe, je größer ist aber auch der Aufwand für deren Organisation und Aufrechterhaltung. Dieser Aufwand muss sich rechnen. Wenn er sich nicht mehr rechnet, oder wenn die Ressourcen zu knapp werden, um die Organisation einer solche großen Gruppe aufrecht zu erhalten, dann zerfällt sie. Damit schrumpft aber auch die Größe der als “Wir” wahrgenommen Gruppe.

An dieser Stelle möchte ich auch auf Sumners Essay Earthhunger  and the Philosophy of Landgrabbing hinweisen, das ich großenteils in meinem Blogbeitrag Landhunger übersetzt habe.

Dehumanisierung durch Wissen

Der Soziologe und Ökologe William Catton erläutert in seinem Buch Bottleneck : Humanity’s Impending Impasse (dt. Flaschenhals: Die kommende Unpassierbarkeit auf dem Weg der Menschheit) das Phänomen der Dehumanisierung anders. Catton bezieht sich dabei auf den französischen Soziologen Émile Durkheim und erklärt, dass und wie die berufliches Spezialisierung zur Dehumanisierung führt.  Angehörige hochspeziallisierter Berufe  bilden daher jeweils eigene Spezies oder Gruppen, die sich durch ihre Fachsprache, ihr speziallisiertes Wissen und ihre  Organisation vom Rest der Gesellschaft unterscheiden. Eine negative Folge dieser Dehumanisierung durch Wissen ist eine damit mögliche, skrupellose  Ausnutzung des Wissensunterschiedes etwa  zur Erzielung wirtschaftlicher Vorteile. Wenn Banker, Ärzte, Zahnärzte usw. als “Abzocker” auffallen, dann hat man es mit dieser Dehumanisierung durch Wissen zu tun. Auch hier versucht man durch immer mehr Vorschriften und Kontrollen, die im Homer-Dixonschen Würfel als “Strukturelle Einschränkungen” dargestellt sind,   der Dehumanisierung entgegen zu wirken.

Es gibt schließlich noch das Argument, dass eine Dehumanisierung durch Wissen zum Selbstschutz der Psyche der Spezialisten, z.B. in bestimmten Bereichen des Gesundheitswesens und der Pflegedienstleister notwendig sein kann. Man kann das aber auch verallgemeinern und sagen, dass Dehumanisierung immer zum Schutz der eigenen Psyche der Dehumanisierenden nützlich sein kann.

Neben dem Schutz der Psyche der Dehumansierenden dient das Phänomen der Dehumanisierung in der Regel zur Verbesserung der Überlebenschancen und auch zur Realisierung materieller und wirtschaftlicher Vorteile der eigenen Gruppe oder Person.

Insgesamt ist die Beschäftigung mit dem Thema der Dehumansierung und ihren möglichen Folgen und Ursachen ein Blick in die Abgründe auf die unserer Gesellschaft sich zu bewegt.

Kelberg den 20. April 2017

Christoph Becker




Weidemanagement und Rohmilch als Dünger und Bodenverbesserer

Wenn man auf Youtube mit “National Small Farm Trade Show and Conference 2012” sucht, bekommt man einige landwirtschaftliche Präsentationen gelistet, von denen ich hier auf drei besonders hinweisen möchte:

Ralph Voss ist der Inhaber der  Voss Land & Cattle Company.

Erstaunlich und neu an seinem Vortrag war für mich insbesondere, dass die Anwendung von relativ kleinen Mengen Rohmilch (ca. 2 bis 3 US-Gallon pro Acre bzw. knapp 20 bis 30 Liter pro Hektar)  zu einer deutlichen Verbesserung des Ertrages, der Weidequalität und auch zur Bodenlockerung führt.

Mit “Rohmilch Dünger” oder auch mit “Rohmilch Weide” findet google derzeit (10. April 2017) nichts. Mit “Raw milk spray pasture” findet sich aber einiges.

Die Studienergebnisse und auch die Meinungen zu diesem Thema sind unterschiedlich.  Ich fand z.B. den Bericht über eine Untersuchung der Universität Vermont aus dem Jahre 2014 und den Artikel Field trials show applying milk to pasture is increasing Brix values, reducing compaction and increasing tonnage  (dt.: Feldversuche zeigen, dass die Ausbringung von Milch auf Weiden die Brixwerte steigert, die Bodenverdichtung reduziert und zu einer Steigerung der Trockenmasse führt.)

Zum Thema Brix-Werte

Weil es bei Landwirten in Deutschland nicht unbedingt bekannt ist, möchte ich darauf hinweisen, dass der Brixwert oder Brix, der in den USA offenbar häufig zur Messung der Qualität oder Qualitätsverbesserung von Weiden verwendet wird, einen Hinweis auf den Nährstoffgehalt der Pflanzen liefert. Gemessen wird er in der Regel mit einem Refraktometer, das dazu einen Messbereich von 0 bis ca. 25 oder besser 30 Prozent hat.  Um Gras und Kräuter für solche Messungen auspressen zu können, habe mir zwei kleine Platten aus einer Legierung für die Herstellung von Modellgußprothesen gegossen und galvanisch poliert,  man könnte aber genauso gut  zwei dicke Edelstahlblechstücke nehmen. Wenn man die Pflanzenteile, von denen man den Brixwert messen möchte zwischen diese Platten legt und diese z.B. mit einem Knippex-Zangenschlüssel (weil sich bei diesem die Backen parallel bewegen), oder auch mit einer einfachen Wasserpumpenzange zusammendrückt, kann man damit leicht die nötige Menge Saft für die Messung erzeugen, und man kann die Platten anschließend leicht für die nächste Messung reinigen.

Ralph Voss erwähnt in seinem Vortrag auch noch andere Möglichkeiten wie Melasse, Fischlösungen, Komposttee und Seesalz. Rohmilch scheint aber besonders gut zu wirken, wenn ……

Warum könnte Rohmilch als Dünger wirken?

Warum könnte es tatsächlich sein, dass Rohmilch den Ertrag und die Bodenqualität verbessert und wie kann man sich erklären, dass die Ergebnisse  bei unterschiedlichen Studien und Landwirten sehr unterschiedlich sind?

Ralph Voss ist ein Nachbar und Schulkamerad  von Dr. Robert Kinkhead, einem pensionierten Tierarzt und Hobby-Farmer, der bei der National Small Farm Trade Show and Conference 2012 ebenfalls einen Vortrag gehalten hat und zwar über Mob-Grazing oder rationales Beweiden, wie André Voisin es in  seinem 1958 auch ins Deutsche übersetzten, aber leider vergriffenen Klassiker Die Produktivität der Weide genannt hat. Ich beziehe mich dabei auf die mir nur vorliegende amerikanische Ausgabe Grass Productivity: An Introduction to Rational Grazing. Allan Savory, der auf darauf aufgebaut hat nennt es, oder besser seine Erweiterung,  Holistic Management: Holistic Management: A New Framework for Decision-making. Man könnte auch ganzheitliches Weidemanagement sagen. Dr. Kinkhead empfiehlt übrigens jedem, der dieses Weidesystem wirklich verstehen und anwenden will,  zunächst die vollständige Lektüre der beiden genannten Bücher von Voisin und Savory, auch wenn diese nicht immer ganz einfach und teilweise langweilig sei.

Wie der oben verlinkte Vortrag von Robert Kinkhead gut erklärt, sind die Resultate dieses Beweidungssystems:

  • Steigerung des Kohlenstoffgehaltes im Boden, was u.a. wegen der extremen Oberfläche des Kohlenstoffs zu einer drastischen Steigerung der Wasseraufnahme und damit auch dem Hochwasserschutz dient und das Regenwasser für Trockenperioden auf der Wiese des Bauern hält.
  • Ein reges Leben von Mikroorganismen und Kleinlebewesen im Boden. Dadurch können insbesondere auch Mineralien aus dem Boden gelöst werden, was u.a. den Düngerverbrauch reduziert. Das heißt, ein wesentliches Merkmal und Ziel dieses  Beweidungssystems ist, ein für die Mikroorganismen und Kleinlebewesen im und auf dem Boden förderliches Mikroklima zu schaffen und diese gut zu füttern. Ein Ergebnis davon ist, dass insbesondere auch Mineralien und Spurenelemente aus dem Boden gelöst und für die Pflanzen verfügbar gemacht werden, die für die Pflanzen sonst nicht verfügbar wären bzw., die sonst der Bauer oder Gärtner als Industrieprodukte kaufen und aufbringen müsste.
  • Der Netto-Ertrag entsprechend bewirtschafteter Flächen kann wesentlich besser sein als bei konventionell-industrieller Landwirtschaft. Dr. Kinkhead hat z.B. mit einer betriebswirtschaftlichen Analyse seines Betriebes festgestellt, dass er ca. 250 kg schwere Kälber für ungefähr die Hälfte der in den USA üblichen, durchschnittlichen Kosten produziert hat.

Das Vorhandensein von reichlich Mikroorganismen und Kleinlebewesen im Boden dürfte der entscheidende Faktor für die Wirksamkeit von Rohmilch und auch von Komposttees usw. sein. Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass die Milch biologische Bausteine und Katalysatoren (Enzyme), enthält, die für manche Bakterien und Kleinlebewesen sehr förderlich sind und die ohne Rohmilch  nicht oder nur in wesentlich geringerer Menge vorhanden sind. Auf solche Katalysatoren weisen auch die Versuchsergebnis mit unterschiedlichen Milchmengen hin. Es bringt nichts, die Menge auf mehr als 20 bis 30 Liter pro Hektar zu steigern. Das sind zwei bis drei ml  pro Quadratmeter. Ein Teelöffel sind ca. 5 ml und ein Esslöffel sind ca. 10 bis 15 ml (Wikipedia-Küchenmaße).  Es geht hier also um nur einen einzigen Teelöffel Rohmilch für rund 2 Quadratmeter.

In einem Boden,  wie ihn die industrielle Landwirtschaft z.B. durch Umpflügen, Pestizide, Herbizide, Monokulturen, hohen Bodendruck mit sehr schweren Maschinen usw. produziert, also in einem Boden, in dem die Mikroorganismen und Kleinlebewesen tot sind oder hungern und verdursten, wird Rohmilch  voraussichtlich keinen oder nur einen vergleichsweise sehr geringen Effekt haben, weil eben keine oder nicht genug Mikroorganismen und Kleinlebewesen vorhanden sind, die von der Milch und dergleichen profitieren können.

Der oben verlinkte Vortrag von Mark Bader, einem Biochemiker, der offenbar auch selbst Rinder hält und sich mit der Firma Free Choice Enterprises, einem seit über 60 Jahren bestehenden Familienbetrieb, auf Nahrungsergänzungsstoffe für Rinder spezialisiert hat, passt zu diesem Themenkomplex. Baders Vortrag habe ich mir nicht jetzt, sondern schon im letzten Herbst angehört und fand ihn damals sehr informativ. Baders Vortrag passt hier, weil er auch das Thema Mikroorganismen im Boden anspricht.

Jeder der drei, verlinkten und inzwischen schon ca. 5 Jahre alten Vorträge wäre im Grunde einen eigenen Artikel wert. Alleine schon Dr. Kinkheads Bemerkung, dass eine Kuh, die ein Jahr  auf knappen halben  Hektar weidet, 1000 Pflanzen töten kann, aber dass 1000 Kühe, die einen Tag auf einem knappen halben Hektar grasen keine einzige Pflanze töten,  wäre einen Artikel wert. Allerdings habe ich dazu im Prinzip schon in Was würde der alte deutsche Weidepapst sagen? etwas geschrieben. Das Bittere dabei ist, dass dieses Wissen hier in der Eifel, auf dem Versuchsgut Rengen, das dessen damaligem Leiter, Prof. Ernst Klapp, der auch André Voisin gut kannte, sehr wohl bekannt war.

Das ganze erinnert etwas an Sag mir wo die Blumen sind:

Verstehen wird man in Deutschland wohl immer erst viel zu spät oder zumindest unnötig spät.

Kelberg, den 10. April 2017

Christoph Becker

 

 




Die Symbiose von Bauern und Kriegern

Am 7. März 2017 hat Alice Friedemann in ihrem Blogbeitrag After a collapse will people grow their own food or plunder others? (dt. Werden die Menschen nach einem Kollaps ihre Nahrungsmittel selbst anbauen, oder werden sie andere plündern?)  auf den schon über ein Jahr alten Blogbeitrag The Neopaleolithic: Hunter-Gatherers of the 21st century (dt. Die Neu-Frühsteinzeitlichen Jäger und Sammler des 21. Jahrhunderts) hingewiesen, hinter dem der anonyme niederländische Autor des Webblogs thesenecaeffect.wordpress.com steht.

Ich übersetzte hier die letzten vier Absätze  des Artikels dieses anonymen Niederländers:

Ein Szenarium in dem die Menschen ihre Lebensmittel selbst anbauen erscheint mir sehr viel unwahrscheinlicher als ein Szenarium, in dem umherwandernde Gruppen von Menschen beginnen, die ländlichen Gegenden zu plündern. Dies ist es, was tatsächlich im römischen Reich passiert zu sein scheint, wo herumwandernde Stämme eingedrungen sind und wo lokale Banden römischer Bürger, bekannt als Bagauden, damit begannen, die ländlichen Gegenden zu plündern.

Schließlich, wenn die Lebensmittel, die aus den Häusern und von den Feldern geplündert werden können, zur Neige gehen, werden die Leute gezwungenermaßen ausschließlich von dem abhängen, was in den ländlichen Gegenden wild wächst. Der Klimawandel kann bedeuten, dass sich dies als eine brauchbarere Strategie herausstellt, als man erwarten sollte.

In Europa haben einige Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sich bereits an einen Wanderung-Lebensstil angepasst, der wild wachsende Lebensmittel als Teil der Diät einschließt. Ein Spitzenwert von Pilzvergiftungsfällen wurde in Deutschland registriert, weil Flüchtlinge wilde Pilze gegessen haben.

Es scheint mir, dass wir auch in den kommenden Jahren viel mehr von dieser Art erwarten sollten. Unser Nahrungsmittelproduktionssystem hat sich in einer Weise entwickelt, die eine Rückentwicklung selbst dann schwierig macht, wenn sie notwendig wird. Es sieht eher danach aus, dass die Nahrungsmittelproduktion vollständig aufhört als dass sie weniger komplex wird.

Als ich vor einiger Zeit einem alten Mann aus meinem Dorf, der die Nahrungsmittelknappheit nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, von meinen Bedenken bezüglich eines plötzlichen Systemzusammenbruchs erzählt habe, meinte er trocken: “dann wird nur noch zu essen haben, wer eine Pistole hat”.

Ein Landwirt, mit dem ich darüber diskutiert habe, ob man nicht vielleicht doch etwas unternehmen könnte, um die Ernährungsicherheit der Bevölkerung lokal zu verbessern, meinte “das hat doch alles keinen Sinn, Diebstahl und Vandalismus waren und sind schon jetzt ein Problem, wie soll das erst mal sein, wenn es den Leuten wirklich richtig schlecht geht”.
Auch von Winzern an der Mosel weiß ich, dass Diebstahl und Vandalismus schon jetzt,  in fetten Friedenszeiten, ein Problem sind und dass der Staat schon jetzt keinen Schutz dagegen bietet.

Überhaupt werden Eigentumsdelikte und Betrug schon heute oft nicht mehr von Staats wegen verfolgt und es macht oft keinen Sinn mehr, diese überhaupt auch nur anzuzeigen, weil der Staat  sehr offensichtlich schon jetzt einfach unfähig ist und seine Aufgaben in einigen Bereichen nicht mehr erfüllt.

Ich selbst habe mich, wie man verschiedenen Artikeln meines Blogs entnehmen kann, sehr für Landwirtschaft und Gartenbau interessiert, aber ich sehe keinen Sinn mehr darin, irgendetwas von dem was ich herausgefunden habe, praktisch umzusetzen, weil ich nicht sehe, dass und wie Felder, Gärten, Viehbestände und Nahrungsmittelvorräte im Ernstfall gegen Plünderung und Diebstahl gesichert werden könnten. Die Leute müssen wohl leider erst massenhaft verhungern und Opfer von brutalen Plünderungen werden, bevor sie entsprechende Maßnahmen für sinnvoll halten.

John M. Greer hat in seinem Buch Dark Age America, aus dem ich u.a. das erste Kapitel in In der Folge der industriellen Zivilisation übersetzt habe, folgende klassische Lösung beschrieben, auf die die Leute voraussichtlich irgendwann in der Zukunft kommen werden:

Man rechne diese Muster zusammen, folge ihnen über die üblichen ein bis drei Jahrhunderte der Abwärtsspirale und man hat das Standardbild einer Gesellschaft in einem dunklen Zeitalter: eine größtenteils verwüstete ländliche Gegend mit kleinen verstreuten Dörfern, wo selbst versorgende Bauern, die verarmt sind und nicht lesen und schreiben können, darum kämpfen, die Fruchtbarkeit zurück in den ausgelaugten Mutterboden zu bringen. Ihre Regierung besteht aus der persönlichen Machtausübung lokaler Kriegsherren, die im Tausch für den Schutz vor Plünderern ihren Teil der jährlichen Ernte fordern,  und die eine raue Rechtsprechung im Schatten jedes passenden Baumes anwenden.

Das Fazit aus alledem ist für mich, dass Bauern und Gärtner zwingend eine Symbiose mit Kriegern eingehen müssen oder sie müssen – wenn ihnen ihre Freiheit etwas wert ist – wohl oder übel selbst Krieger werden.

Der Staat ist – solange er funktioniert, wie man Jack Donovans Gewalt ist Gold wert entnehmen kann, die Verkörperung des Kriegers und Kriegsherrn. Solange er zumindest im Großen und Ganzen noch funktioniert und die Schäden durch Diebstahl, Plünderung und Vandalismus zumindest aus Sicht der Mehrheit der Bauern und Gärtner noch erträglich sind, funktioniert das System noch.

Doch was ist, wenn das System nicht mehr funktioniert? Außerdem ist es schon jetzt so, dass Investitionen in Landwirtschaft und Gartenbau für Leute, die etwas vorausdenken sinnlos sind, weil bzw. so lange kein überzeugendes Konzept zu einer wirksamen  lokalen Verteidigung von Nahrungsmittelvorräten, Gärten, Feldern und Viehbeständen vorhanden ist.

Ein anderer Aspekt ist, dass die Bauern und Gärtner, wenn sie die Verteidigung ihres Eigentums in Zukunft Kriegern überlassen, ihre Freiheit wieder verlieren werden. Sie und ihre Nachkommen werden wieder zu Leibeigenen und vielleicht sogar Sklaven der Krieger und Kriegsherren werden.

Die Bauern haben ihre Befreiung von der Leibeigenschaft in erster Linie der durch die Entdeckung und Nutzung der fossilen Brennstoffe möglich gewordenen Industrialisierung zu verdanken. Durch die Industrialisierung wurde es nützlich, die Bauern zu befreien, weil sie als freie, mobile und gebildete Bürger flexibler und besser in der Industrie einsetzbar waren. Das heißt, ohne die Industrialisierung hätten wir vermutlich noch immer Leibeigenschaft und auch Sklaverei. Wenn man eine Rückentwicklung zu Leibeigenschaft und Sklaverei ebenso wie einen Rückfall Europas in eine frühsteinzeitliche Gesellschaft der Jäger und Sammler verhindern möchte, wird man auch dafür sorgen müssen, dass die Bauern und Gärtner ebenso wie deren (potentielle) Arbeiter zugleich auch Krieger sind.

Selbstverständlich ist es aber auch so, dass die Krieger Bauern und Gärtner benötigen weil diese drastisch mehr Nahrungsmittel auf einer  gegebenen Fläche produzieren können, als durch eine Gesellschaft von Jägern und Sammlern geerntet werden kann. Bauern und Gärtner brauchen also die Krieger genauso, wie umgekehrt die Krieger Bauern und Gärtner brauchen. Allerdings ist die Gewalt, zu deren Anwendung die Krieger per Definition ja sogar da sind, ein Mittel mit dem die Krieger den Bauern die Preise und Vertragsbedingungen diktieren können, wenn die Bauern zu faul, zu geizig, zu feige oder zu bequem sind, selbst auch Krieger zu sein.

Angenommen, man wäre heute klug genug das einzusehen und wollte entsprechend handeln. Was könnte man tun?

Die Bauern und Gärtner und auch der Rest der Bevölkerung könnten und würden dann zuerst und vor allem auch  Mitglieder im Reservistenband und in diesen angeschlossenen schießsportlichen Arbeitskreisen. Ungediente können übrigens im Reservistenverband  als Fördermitglieder mitmachen.

Darüber hinaus könnten die Leute sich in Schießsportvereinen organisieren und deren Möglichkeiten nutzen.

Insgesamt bietet der deutsche Staat erstaunlich gute Möglichkeiten, die aber kaum genutzt werden.

Kelberg, den 8. April 2017

Christoph Becker




Eine Diskussion der phantastischen Vier des Niedergangs

Am 25. März 2017 fand in Lancaster, Pennsylvania, USA, eine Podiumsdiskussion mit dem Titel Our Reality Is No Longer An Option: Why Our Way of Life Is Not Sustainable (dt. Unsere Realität ist nicht länger nur eine Option:  Warum unsere Lebensart nicht nachhaltig ist) statt . Ich habe mir die insgesamt 2 Stunden und 36 Minuten dauernde Diskussion inzwischen zweimal angehört und werde sie sicher noch einmal anhören, …

Hier zu nächst die Übersetzungen der Beschreibung der Diskussion auf Youtube und die Übersetzung einiger Kommentare auf Youtube:

Beschreibung auf Youtube:;

Dieses Spitzentreffen brachte eine bewundernswerte Diskussionsrunde zusammen. Sie bestand aus John Michael Greer, James Howard Kunstler, Chris Martenson, Frank Morris, und Dmitry Orlov. Die Diskussion umfasste Themen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, unserer Ernährung, Einwanderung, Arbeit, Armut, Minderheiten, Krieg, und viele mehr. …..

Der Kommentar auf Youtube, der mich zur Überschrift inspririerte

Oh ja, Die Fantastischen Vier (nur spaßeshalber) + Frank Morris, Neuzugang, mit einem Auftritt von KMO vom C-Realm podcast, alle zu Ihnen gebracht durch den CFPUB (Center for Progressive Urban Politics, (dt. etwa Zentrale für progressive städtische Politik). Diese sagenhafte Diskussion deckte die ganze Skala der Zwangslagen, die das moderne Amerika plagen, ab: fortschreitender Zerfall der politischen und physikalischen Infrastruktur, die Auswirkung der steigenden Verschuldung der Studenten, Einwanderungsschmerzen, zukünftige Herausforderungen für das wirtschaftliche und soziale System, politischer Kollaps, usw. Jeder Teilnehmer bot einige seiner erprobten und wahren argumentativen Standpunkte an (zum Beispiel, James Howard Kunstlers neuartiges and ziemlich nützliches Instrument der sogenannten “Psychologie der vorhergehenden Investitionen”); antwortete auf die Kritik der jeweils anderen, des Moderators und der Zuhörerschaft; lieferte ergreifende Vorhersagen der zukünftigen Realität, die auf die Einwohner Nordamerikas wartet, und das alles während der Humor beibehalten wurde, der es zu einem so großen Vergnügen macht, dieser Konversation zuzuhören. Wahrscheinlich eines der wichtigsten Videos, die YouTube.com seit der Finanzkrise von 2008 veröffentlicht hat. Es sollte nicht verpasst werden. Sehr zu empfehlen.

Die Diskussion ist insgesamt sehr umfassend und vielfältig, so dass ich es keine gute Idee finde, sie in einem Blogbeitrag nachzuerzählen.

Ich möchte nur einige wenige Aspekte heraus greifen.

Die Diskussion beginnt mit eine Analyse der Gründe für den Wahlsieg von Donald Trump. Greer hatte den Sieg Donald Trumps schon im Januar 2016 für den wahrscheinlichsten Wahlausgang gehalten (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Donald Trump als Klassenkämpfer). Greer erklärt warum, und auch die anderen Diskussionsteilnehmer haben zu diesem Thema interessante Ansichten.  Erstaunlich fand ich dabei insbesondere, wie Orlov erklärt, dass und warum Trump im Grunde eine sehr pessimistische Sicht auf die USA pflegt,  wobei Trump aber jemand sei, der eher zerstören möchte, was nicht funktioniert und eher keine Ideen zum Aufbau von neuen Strukturen und Institution hat, die funktionieren.

Wichtige Aspekte der Diskussion, die ich nach zweimaligem Anhören in besonderer Erinnerung habe:

Klassenkampf

Klassenkampf: Die Klasse der Gehaltsempfänger (und der Reichen und Freiberufler) hat sich auf Kosten der Lohnempfänger bzw. der einfachen Arbeiter schamlos, insbesondere auch mit Hilfe von Zuwanderung und Globalisierung bereichert.

Geld, Kapital und Reichtum

Ein Teil der Diskussion befasst sich mit dem Umstand, dass Geld nichts weiter als ein Symbol und eine Rechnungseinheit ist, mit der man mache Dinge messen und berechnen kann. Geld ist kein Wert an sich. Kapital und Reichtum haben nicht zwingend etwas mit Geld zu tun. Eine Gesellschaft kann extrem viel Geld haben, aber es kann ihr an Reichtum und echtem Kapital fehlen.

Martenson zählte insgesamt 8 verschiedene Formen von Kapital auf, von denen Geld nur die achte ist. Andere sind z.B. Lebendes Kapital (Gesundheit, Artenreichtum usw.), Wissen, Sozialkapital, reale Energie und Rohstoffe.

Die USA haben heute auf dem Papier extrem hohe Geldwerte, aber das reale Kapital und der reale Reichtum sind drastisch geringer und sie schrumpfen. Man war sich darüber einig, dass die amerikanische Wirtschaft faktisch schrumpft und dass sie dies auch weiter tun wird. Die Zeit des Wirtschaftswachstums ist vorbei und es wird wegen der sich verschlechternden Nettoausbeute der Förderung  fossiler Energieträger auch nicht wiederkommen, es sei denn,  man würde – was so gut wie ausgeschlossen ist – eine Methode finden extrem billige, extrem leistungsfähige, umweltfreundliche  Batterien aus Materialien zu bauen, die faktisch unbegrenzt zur Verfügung stehen. Wenn man das würde, hätte man für einige Zeit Ruhe – bis einen die negativen Folgen dieser Erfindung einholen würden.

Einige Zitate und Informationen, teilweise nur sinngemäß:

  • An unbegrenztes Wachstum glauben nur Verrückte und Wirtschaftswissenschaftler. In der begrenzten, realen Welt in der wir nun einmal leben, ist das Wachstum begrenzt.
  • Ein großes Problem ist, dass es für unser Geldsystem, systembedingt, Wachstum oder Kollaps gibt. Für eine schrumpfende Wirtschaft ist das Geldsystem nicht ausgelegt.
  • Konstruktionen aus Stahlbeton haben systembedingt nur eine Lebensdauer von ca. 100 Jahren. Der Grund ist, dass eindringender Sauerstoff zu Rost führt, der zu einer Volumensvergrößerung führt, die zur Zerstörung des Betons führt. Jedenfalls sollte man bedenken, dass alle Stahlbetonkonstruktionen in diesem Zeitrahmen unbrauchbar werden und ggf. erneuert werden müssen, was entsprechende Mengen an Energie und Material erfordert, die man dann voraussichtlich nicht mehr haben wird.
  • Die meisten großen Erfindungen wurden in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts gemacht. Die Ausbeute an bahnbrechenden Erfindungen nimmt seitdem ab. (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Dem Energiedilemma auf den Grund gegangen).
  • Einwanderungspolitik sollte emotionslos diskutiert werden und sie sollte sich an den realen Interessen und Notwendigkeiten der eigenen, schrumpfenden und zugleich zunehmend automatisierten Wirtschaft orientieren. Man sollte bedenken, dass die USA, nach gut 70 Jahren ungebremster Einwanderung während des Aufbaus der amerikanischen Industrie, die Einwanderung 1923 radikal gedrosselt bis gestoppt haben, weil man allgemein der Ansicht war, dass man in Sachen Einwanderung eine Pause bräuchte. Die Argumente für die Einwanderung, die von den Linken und dem linken Establishment heute vorgebracht würden, seien kindisch-idiotisch oder scheinheilig egoistisch (mit dem Ziel die Arbeiterklasse zum Vorteil des gehobenen Mittelstandes und der Reichen weiter zu ruinieren). Orlov gab zu bedenken, dass Einwanderung auf Weisen reversibel und unkontrollierbar sein kann, an die man zunächst nicht denkt. So würden z.B. hochqualifizierte Ausländer in die USA kommen, um dort zu arbeiten, aber wenn sie Kinder bekämen oder und die Situation sich verschlechtere, würden sie das Land wieder verlassen – diese Leute würden die Identität ihrer Heimatländer oft behalten wollen und diese nicht aufgeben.  Wie die Diskussion auch zeigte, werden Amerikaner von Universitäten aus verschiedenen Gründen oft gegenüber Ausländern diskriminiert.
  • Ein Schrumpfen der Wirtschaft und des Wohlstandes muss nicht so schlimm sein wie viele denken. Wenn sich materielle Armut breit macht, passen sich zumindest die Überlebenden daran an.
  • Wir haben ein Glaubensproblem. Die Hauptreligion in den westlichen Industriestaaten ist nicht das Christentum, sondern der Glaube an den Gott des Fortschritts (siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Nach dem Fortschritt und meine Übersetzung des Interview von Chris Martenson mit John M. Greer mit dem Titel Der Gott des technischen Fortschritts könnte tot sein).
  • Menschen lernen zu 99 Prozent leider nur durch Schmerzen und Schäden und nur zu einem Prozent durch Einsicht.
  • Insbesondere, wenn man einfache Leute überzeugen möchte sollte man eine verständliche, einfache “30 Sekundenversion” seiner Überlegungen haben und diese geduldig von Zeit zu Zeit vorbringen.
  • Mit einer Revolution von oben oder mit einer klugen Politik sollte man besser nicht rechnen. Aussichtsreicher sei lokal, im Kleinen Veränderungen anzustreben. Das erinnert mich an das Interview mit Richard Heinberg zu dem Film What a Way to Go. Ich hatte zu diesem Film einen kleinen Blogbeitrag (Der Film What a Way To Go) verfasst und dort alle Interviews zu diesem Film verlinkt.

Mein Aufzählung ist sehr unvollständig und es lohnt sich meines Erachtens, diese Podiumsdiskussion selbst anzusehen und auch etwas in den Kommentaren zu dieser Diskussion auf Youtube zu lesen. Teilweise werden dort auch einzeln Punkte der Diskussion gezielt verlinkt und kommentiert.

Kelberg, den 8. April 2017

Christoph Becker

 




Die Große Schrumpfung – Interview mit J.H.Kunstler

Am 30. März 2017 erschien The Big Contraction – An Interview with James Howard Kunstler mit Erico Matias Tavares. Ich habe hier aus diesem Interview den Europa und den Nahen Osten betreffenden Teil übersetzt. Kunstlers Webseite ist www.kunstler.conm. Er ist unter anderem  Autor der Sachbücher The Long Emergency: Surviving the End of Oil, Climate Change, and Other Converging Catastrophes of the Twenty-First Century (dt.: Der Lange Notfall: Das Ende des Öls, des Klimawandels und der zusammentreffenden Katastrophen des 21. Jahrhunderts überleben) und Too Much Magic: Wishful Thinking, Technology, and the Fate of the Nation (dt.: Zu viel Magisches Denken: Wunschdenken, Technologie und das Schicksal der Nation), sowie der Romane der World Made By Hand Reihe.

Abkürzungen der Interviewpartner:

ET = Erico Matias Tavares

JHK = James Howard Kunstler

Ab hier nun die Übersetzung:

Kunstler: Das Leben ist tragisch. Wie ich zu Beginn des Interviews gesagt habe, können Gesellschaften ziemlich schlechte Entscheidungen treffen. …..

ET: Sie sprachen von  einem “Überschießen der Bevölkerung” [population overshoot] im Zusammenhang mit der Bevölkerungsexplosion in Afrika und im Mittlern Osten, von dem Sie behaupten, dass er angesichts der vorhandenen Ressourcen in diesen Regionen nicht nachhaltig sein kann. Was sagen Sie dazu?

JHK: Vieles von dieser Region ist wüstenartiges Ödland.  Die Bevölkerung der “Nationen” (Viele Grenzen sind willkürlich von den Siegern des ersten Weltkrieges gezogen)  in diesem Gebiet ist zahlenmäßig explodiert.  Die Region kann sich weder selber ernähren noch mit Wasser versorgen. Noch können Sie er explodierte Bevölkerung beschäftigen. Es ist ein reines Produkt des fossilen Pseudo-Fortschritts. Es ging auf diese Weise weniger als ein Jahrhundert und dann wird es vorbei sein. Momentan explodieren diese Bevölkerungen (besonders die jungen Männer) mit politischer Gewalt. Wir sehen bereits den umfassenden Zerfall ganzer Gesellschaften. Das wird sich beschleunigen.

ET: Die obige Grafik zeigt die Beschäftigung der Jugend (15-24 Jahre alt) pro Quartal in Prozent der selben Altersgruppe für ausgewählte Gruppen und Länder. Eine Schrumpfung ist hier ziemlich offensichtlich, besonders nach der Finanzkrise von 2008. Die Aussichten scheinen im Vergleich zu früheren Generationen nicht so rosig zu sein. Stimmen Sie zu?

JHK:Einige Dinge sind einfach selbsterklärend. Die Beziehungen zwischen Energieflüssen, Energiekosten, Kapitalbildung, und produktiven Unternehmen lösen sich auf, und damit die wirtschaftlichen Rollen die die Leute spielen, zum Beispiel Arbeitsplätze.
Das Resultat ist kein weiteres wirtschaftliches „Wachstum“ oder Ausweitung der produktiven Aktivitäten. Die „Tätigkeit“ hat sich hin zu finanziellen Betrügereien verlagert, die weil sie vollständig und seriös und nicht produktiv sind nur eine begrenzte Zeit andauern werden. Die Dynamik führt hier bereits zu politischen Unruhen, die schlimmer werden. Es kann wie ein historisches Erdbeben enden wie der Fall des römischen Reiches.
Ich habe vorausgesagt dass Japan die erste hochentwickelte Nation sein wird die zurück ins Mittelalter geht. Sie hatten in der vormodernen Edo-Periode eine liebenswerte Kultur hochentwickelter Kunstfertigkeit. Sie werden das Glück haben zu etwas wie diesem zurückkehren zu können. (Ich denke sie vermissen es, und dass die Modernität wie eine große Strafe für sie war.)

ET: Eine Region der entwickelten Welt die mit Sicherheit auf dem Weg zu einer großen Schrumpfung ist, ist Europa. Während es ein Kraftzentrum Lebensmittelproduktion ist, schwinden seine fossilen Brennstoffreserven schnell. In vielen Ländern altert die Population rapide und es sind nicht genug Babys da um die wachsenden Sozialleistungen zu bezahlen. Und um noch mehr angst machendes hinzuzufügen, werden diese massiven Flüchtlingsströme aus Afrika und dem mittleren Osten wahrscheinlich dort bleiben, was weitere soziale Spannungen und wahrscheinlich sogar Konflikte verursachen wird. Was denken Sie sich zu all diesem?

JHK: Es ist ziemlich klar dass auf Europa sehr harte Zeiten zukommen. Sie haben das ganze Ding mit den EU/EZB Schuldenspiel am Laufen gehalten und eine Zeit lang haben sie versucht ihre demographischen Probleme mit Einwanderung auszugleichen, aber das ist ebenfalls schrecklich außer Kontrolle geraten. Ich gehe soweit zu sagen, dass Westeuropa in einigen Jahren versuchen wird seine nicht angepasste muslimische Bevölkerung auszuweisen.  Es wird  wieder wie die Vertreibung der Mohren werden, nur viel weiter verbreitet und blutiger. [Kunstler meint die Reconquista]
Die Moderne, wie wir sie kennen, ist in Europa vorbei. Keine fossilen Brennstoffe mehr und keine neue Welt mehr in die man Bevölkerungsüberschüsse exportieren kann.  Die Europäer waren früher schon einmal in diesem Film vom dunklen Zeitalter.

Insbesondere zu Kunstlers letztem Satz hier siehe auch meine Übersetzung des Interviews mit dem Soziologen und Öklogen William Catton: Ökologisches Überschwingen – Interview mit Prof. William Catton  und mein Übersetzung u.a. des ersten Kapitels aus John M. Greers Buch Dark Age Amerika: In der Folge der industriellen Zivilisation

Kelberg, den 4. April 2017

Christoph Becker




Die Torheit der Pflügenden und die Geschichte

1943, als die Mordmaschinerie der Nazis insbesondere auch aus Furcht vor Engpässen in der Lebensmittelversorgung so richtig in Fahrt kam, erschien in den USA ein kleines Buch mit dem  Titel “Plowman’s Folly” (dt: Die Torheit des Plügenden) von Edward H. Faulkner, das bis heute oft nicht beachtete Einsichten vermittelte, die  den wichtigsten Antrieb für die Massenmorde der Nazis hätte verhindern können. Plowman’s Folly als eines der revolutionärsten Landwirtschaftsbücher gilt. Wenn man dieses kleine Buch, so wie ich es kürzlich getan habe, fast 74 Jahre nach der Veröffentlichung, im Frühjahr 2017,  vor dem Hintergrund der  gepflügten Felder in Deutschland liet und dabei auch an Christian Gerlachs  Krieg, Ernährung, Völkermord. Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg aus dem Jahre 1998, oder Krieg, Ernährung, Völkermord. Deutsche Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg  aus dem Jahr 2001 denkt,  dann bleibt kaum noch Grund zur Hoffunng auf die Lernfähigkeit der Menschen in Deutschland und Europa.

Jedenfalls ist es wohl so, dass die Nazis, wie Christian Gerlach zeigt, die Massenmorde nach 1940 in erster Linie als eine Art Raubmord betrieben haben, bei dem es unter anderem darum ging, unnötige Esser zu  vernichten, um die Ernährungslage im Deutschen Reich zu verbessern, bzw. um eine Hungersnot und eine daraus resultierende Revolution, wie im ersten Weltkrieg, zu verhindern. Siehe auch meinen Blogbeitrag Rationierung und Lebensmittelknappheit im 1. Weltkrieg. Gerlach verweist hier insbesondere auch auf den Staatssekretär Herbert Backe im Landwirtschaftsministerium und den Hungerplan der damaligen deutschen Regierung. Ich zitiere hier aus dem deutschen Wikipedia-Artikel  zum Hungerplan:

Am 14. Februar 1940 erklärte Herbert Backe, Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, es drohe der „Zusammenbruch der Ernährungswirtschaft im Laufe des zweiten Kriegsjahres, wie im Jahre 1918“.

Backe, der die Geschäftsgruppe Ernährung im Vierjahresplan leitete, war der Meinung, dass das deutsche Ernährungsproblem mit dem bevorstehenden Angriff auf die Sowjetunion gelöst werden könne. Da aber Berechnungen der Landwirtschaftsführung zeigten, dass größere Überschüsse in der Sowjetunion nicht vorhanden waren, wurde eine Strategie für die Behandlung der sowjetischen Bevölkerung entworfen, um ein Höchstmaß an Nahrungsmitteln aus dem Land zu pressen und gleichzeitig den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg im Osten voranzutreiben. Durch Abtrennen der Zuschussgebiete, insbesondere der großen Industriegebiete, von ihrer Ernährungsbasis sollten alleine an Getreide „Überschüsse“ in Höhe von 8,7 Millionen Tonnen für den deutschen Verbrauch erzielt werden. Nach Einschätzung des Historikers Christian Gerlach war die nationalsozialistische Wirtschaftsführung im Osten ein Instrument der Massenvernichtung.

…..

Sieben Wochen vor dem deutschen Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941 hieß es in einer Aktennotiz über eine Besprechung von mehreren Staatssekretären und führenden Offizieren der Wehrmacht am 2. Mai 1941 zu den kriegswirtschaftlichen Konsequenzen des geplanten „Unternehmens Barbarossa“:

„1.) Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird.
2.) Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.“

Vor diesem Hintergrund ist zu bedenken, dass Deutschland 1939 eine Bevölkerungsdichte von nur 139 Menschen pro Quadratkilometer hatte (Liste der Volkdzählungen) hatte, während es heute 230 Menschen pro Quadratkilometer sind, wobei zu bedenken ist, dass  inzwischen sehr viel Land durch Bebauung und industrielle Nutzung verbraucht wurde und für die land- und forstwirtschaftlicher Nutzung verloren ist.

1940 hatte man jedenfalls in Deutschland, vor dem historischen Hintergrund, trotz der im Vergleich zu heute geringen Bevölkerungsdichte, durchaus zu Recht die Sorge, dass Deutschland ausgehungert werden könnte, wenn nicht sehr krasse Gegenmaßnahmen ergriffen würden.

Was machen wir heute, wenn z.B. ein moderner Blitzkrieg die industrielle Landwirtschaft und die Möglichkeiten zur Einfuhr und Verteilung von Lebensmitteln zerstört, wie das z.B. Peter Pry im vor einem Untersuchungsausschuss im amerikanischen Kongress im Mai 2015 erklärt hat: EMP-Bedrohung – Anhörung im US-Kongress.

Mein Resümee aus der Lektüre von Faulkners Buch über die Torheit der Pflügenden ist, dass die von den Deutschen im Osten verübten Massenmorde weitgehend hätten vermieden werden können, wenn die deutsche Landwirtschaftspolitik und die Ausbildung der Bauern besser gewesen wäre.

Um so erschütternder finde ich, dass man heute, fast 74 Jahre später, mit drastisch höherer Bevölkerungsdichte in Deutschland noch immer ganz selbstverständlich im Frühjahr jede Menge gepflügte Felder sieht und damit zeigt, dass die Landwirtschaftspolitik in Deutschland und in der EU nach wie vor sehr zu wünschen übrig lässt.

Hier kurz etwas zu Faulkners Hintergrund und Versuchen.

Edward Faulkner (1886 – 1964) war auf einer Farm in den USA aufgewachsen. Sein Vater war ein sehr fortschrittlicher Landwirt. Faulkner hatte zunächst als staatlicher Landwirtschaftsberater gearbeitet. Später war er in der Wirtschaft tätig und hat dann um 1930 ein neues Haus mit ca. 185 qm Garten gekauft, wo er, weil er es so gewohnt war, Gemüse pflanzen wollte. Der Boden seines Gartens bestand aber, wie der zu spät bemerkt hat, aus Bauaushub in Form von Ton, und wäre, wie er schreibt, eher zur Ziegelproduktion als zum Gemüseanbau geeignet gewesen. Faulkner hat dann zunächst in seinem Garten,  auf den Erfahrungen auf der Farm seiner Eltern und seiner Tätigkeit als Landwirtschaftsberater aufbauend verschiedene Versuche zur Verbesserung der Bodenqualität unternommen. Nachdem er in seinem Garten den Boden gut verbessert und gute Ernten erzielt hat, hat er sich eine größere Fläche Land gepachtet um darauf in größerem Stil  seine im Kleinen erfolgreichen Experimente zu wiederholen und um damit die Richtigkeit seiner Thesen zu beweisen.

Das Ergebnis dieser Versuche, kombiniert mit einigem Literaturstudium, war dann das Buch Plowman’s Folly, auf Deutsch “Die Torheit des Pflügenden”. Mir waren verschiedene Hinweise auf dieses Buch und seine grundlegende Bedeutung begegnet.

Aus deutscher Sicht war die Lektüre auch deshalb interessant, weil Faulkner, als im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in den USA geborner und aufgewachsener Landwirt, die anfangs phantastische Fruchtbarkeit der neu für die Landwirtschaft erschlossenen Böden und deren dann rasante Verschlechterung teilweise selber miterlebt hat und teilweise aus den noch frischen historischen Berichten seiner Zeitgenossen kannte.  Im Gegensatz dazu kannten z.B. die Bauern in der Eifel in dieser Zeit nur seit Jahrhunderten von Menschen mit den in Europa üblichen Methoden genutzte und dabei übernutzte, oft sehr schlechte Böden.

Faulker hatte jedenfalls einen anderen Hintergrund als z.B. die Bauern in Deutschland, und er hatte mit seinem anfangs “eher für eine Ziegelfabrik” taugenden, extrem schlechten Boden seines Gartens eine Herausforderung, die krasser war als die der üblichen Böden in Deutschland.

Die Faulkners Problem lösende Einsicht, war letztlich, dass man möglichst viel organische Material in den Boden bringen muss und dass es Sinn macht einzig zu diesem Zweck Pflanzen anzubauen und diese dann in den Boden ein zu arbeiten. Dabei war es wichtig, die Pflanzen eben nicht wie beim Pflügen zu vergraben und mit Erde zu bedecken, sondern sie nieder zu drücken und z.B. mit einer Scheibenegge oder einem ähnlichem Instrument in die Bodenoberfläche zu drücken. Für seinen Garten hatte er sich dazu ein Werkzeug gebaut.  Für seine Felder hatte er eine Scheibenegge modifiziert.

Faulkner geht auf verschiedene Aspekte dieses Vorgehens ein und erklärt wie und warum durch den Verzicht auf das Umpflügen bzw. Umgraben und durch die stattdessen Erfolgende Einarbeitung organischen Materials in die Oberfläche, die Fruchtbarkeit und auch die Wasserspeicherkapazität des Boden massiv gesteigert,  Bodenerosion vermieden, und Schädlings- und Unkrautprobleme vermindert werden können.

Besonders bemerkenswert finde ich,  dass der Fortschritt im Sinne von Edward Faulkners in den letzten mehr als 70 Jahren nun gar nicht so sehr der Einsatz von Maschinen sondern die intelligente Nutzung von Rinden und anderen Wiederkäuern ist.  Siehe dazu meinen Blogbeitrag Optimierung im Getreideanbau und Hochwasserschutz durch Integration der Mutterkuhhaltung.

Insbesondere Rinder machen mit ihren scharfen Klauen und ihrem hohen Bodendruck bei intelligentem Weidemanagement und hoher Dichte, im Grunde genau das, was die Scheibenegge bei Edward Faulkner macht: Bei hoher Weidedichte zertrampeln sie 50 bis 70 Prozent des Pflanzenmaterials und drücken dies in die Bodenoberfläche. Dazu düngen sie dann auch noch.

Bestimmte Prinzipien der Landbewirtschaftung wiederholen sich von Edward Faulkners Plowman’s Folly (hier auf eine kostenlose pdf-Version verlinkt), über Allan Savorys Weidewirtschaft (hier Link auf TED-Vortrag mit deutschen Untertiteln), Gabe Browns Komination aus Getreideanbau und Mutterkuhhaltung, und eben auch dem biointensiven Gartenbau nach John Jeavons den unglaublichen Ergebnissen der Singing Frogs Farm der Familie Kaiser:

  • Wurzeln als Futter für Bakterien und Kleinlebewesen im Boden verrotten lassen ist der beste Kompost.
  • Ein großer Teil des organischen Materials (Pflanzenreste!) wird NICHT abgeerntet sondern als Futter für Bakterien und Kleinlebewesen belassen.
  • Ein großer Teil des organischen Materials (Pflanzenreste!) wird bei Sonne als Schattenspender und bei Regen zum Abbremsen von Regentropfen verwendet. Damit wird der Boden vor dem Austrocknen geschützt und es wird die Verdichtung und Errosion des Bodens bei Regen vermieden.
  • Das Land wird faktisch optimal als Sonnenpaneel genutzt. D.h., Sonnenstrahlen werden möglichst optimal für die Photosynthese genutzt.

Man vergleiche das alles mit den oft wochen- und monatelang blank liegenden, umgepflügten Feldern. Dort kann der Boden austrocknen und wenn ein starker Regenschauer kommt wird der Boden weggewaschen, wie ich es in meinem Blogbeitrag Bodenerosion in Maisfeldern nach einem Unwetter im Burgenland mit Fotos dokumentiert habe. Dazu kommt, dass auf umgepflügten Feldern so gut wie keine Photosynthese möglich ist. Die Sonnenstrahlen werden also nicht genutzt oder schaden sogar, anstatt zur Produktion von Biomasse genutzt zu werden, die man zur Verbesserung der Böden braucht – und mit der man, wie Edward Faulkner gezeigt hat, selbst auf einem Boden der zunächst “eher als Ziegelfabrik taugt”,  nach einiger Zeit hohe Erträge erzielen kann.

Wenn man nun bedenkt, dass Hunger, wie der russisch-amerikanische Soziologe Pitirim A. Sorokin in Hunger As a Factor in Human Affairs erklärt, die Menschen alle Werte und Gesetze vergessen und die Menschen zu Bestien werden lässt, dann könnte man annehmen, dass gerade auch  vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte,  2017 in Deutschland unter anderem keine gepflügten Felder mehr zu sehen sind.  Ich habe aber 2017 in Deutschland jede Menge gepflügte Felder gesehen.

Kelberg, den 3. April 2017

Christoph Becker