Ölfunde, Ölverbrauch und Wirtschaft

Chris Martenson hat mit seinem Artikel  The Looming Energy Shock – The next oil crisis will arrive in 3 years or less (dt. Der sich abzeichnende Energieschock – Die nächste Ölkrise wird in 3 oder weniger Jahren kommen) vom 30. Juni 2017 auf einige Entwicklungen hingewiesen, die auch für Deutschland von besonderem Interesse sind.

Zunächst möchte ich dazu hier noch einmal auf die Entwicklung des Mineralölverbrauchs und des Anteils des Mineralöls am gesamten Primärenergieverbrauch in Deutschland hinweisen: Energietrend in Deutschland seit 1990 . Der absolute Mineralölverbrauch Deutschlands ist demnach von 1990 bis 2016, also in 26 Jahren, von 5.228 PJ auf 4550 PJ gefallen. Das ist, bezogen auf 1990, nur ein Rückgang  von 12,97 % in mehr als einem viertel Jahrhundert oder eben knapp ein halbes Prozent pro Jahr. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach 1990 ein großer Teil energieintensiver Produktionen, insbesondere in ehemalige Ostblockländer und nach Asien ausgelagert wurde, so dass der tatsächliche, globale  Mineralölverbrauch der Bevölkerung der BRD möglicherweise sogar gestiegen ist. Deutschland deckt seinen Mineralölbedarf fast ausschließlich mit Importen.

Entdeckung neuer konventioneller Ölvorkommen

Vor diesem Hintergrund nun einige Grafiken und Fakten aus dem eingangs erwähnten und verlinkten Artikel von Chris Martenson. Die rote Linie in der folgenden Grafik zeigt die Entwicklung der Entdeckung neuer Ölquellen. Wenn man den aktuellen Verbrauch durch die Entdeckung neuer Ölquellen ausgleichen wollte, dann müßte man im Durchschnitt mehr als 25 Milliarden Barrel pro Jahr neu entdecken. Die oberste horizontale Linie in der Grafik entspricht 25 Milliarden Barrel und wurde im gesamten in der Grafik gezeigten Bereich kein einziges Mal erreicht. Die blauen Balken stehen für “Sanctioned by Year”, was man als “pro Jahr zur Erschließung genehmigt” übersetzen kann.

Quelle ist der Artikel Global oil discoveries and new projects fell to historic lows in 2016 der Internationalen Energieargentur (IEA), vom 17.  April 2017. Zitate aus diesem Artikel der IEA:

Die Ölentdeckungen sanken 2016 auf 2,4 Milliarden Barrel, verglichen mit 9 Milliarden Barrel pro Jahr in den letzten 15 Jahren. Inzwischen ist die Menge konventioneller Reserven, deren Erschließung genehmigt wurde, auf 4,7 Milliarden Barrel gefallen. Das sind 30 % weniger als im Vorjahr, während die Zahl der Projekte, die eine endgültige Finanzierungszusage erhielten, den niedrigsten Stand seit 1940 erreichte.

und

Die konventionelle Ölproduktion von 69 Millionen Barrel pro Tag repräsentiert den bei weitem größten Anteil der globalen Ölproduktion von 85 Millionen Barrel pro Tag. Dazu kommen 6,5 Millionen Barrel aus Flüssigkeiten, die in den amerikanischen Schieferölgebieten produziert werden. Bei dem Rest handelt es sich um andere Erdgasflüssigkeiten und unkonventionelle Quellen wie Teersande und schweres Öl.

Das oft als Rettung gepriesene, durch Fracking geförderte amerikanische Schieferöl trägt also weniger als ein Zehntel der Menge der konventionellen Ölförderung bei. Das ist mehr als nichts, aber nicht genug.

An dieser Stelle habe ich etwas gerechnet:

Wenn man “nur” 69 Millionen Öl Barrel pro Tag benötigt, dann sind dass 69 * 365 / 1000 = 25,18 Milliarden Barrel pro Jahr. Das heißt: 2016 entsprach die Entdeckung neuer konventioneller Ölvorkommen weniger als einem Zehntel des Verbrauchs – oder dem Verbrauch von weniger als 35 Tagen.

Aber auch mit dem Mittelwert der letzten 15 Jahren, der laut IEA bei 9 Milliarden Barrel pro Jahr lag, wurde pro Jahr nur noch soviel konventionelles Öl neu entdeckt wie die Welt heute in ca. 130 Tagen benötigt. Es wurde mehr als dreimal soviel konventionelles Öl verbraucht wie neu entdeckt wurde.

Die folgende Grafik zeigt die Entdeckung konventioneller Ölfelder in Milliarden Barrel pro Jahr seit 1950.

Quelle: https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-01-10/oil-discoveries-seen-recovering-after-crashing-to-65-year-low

Chris Martenson hat die Daten für die obige Grafik analysiert, indem er 3-Jahreszeiträume verglichen hat. Das Ergebnis war, dass der Zeitraum letzten 3 Jahre der schlechteste aller 3-Jahrszeiträume war. Nach Meinung von Chris Martenson wird es entweder in den nächsten 3 Jahren einen Energiepreisschock geben, weil zuwenig Öl am Markt erhältlich ist ODER die Wirtschaft schrumpft, so dass die Nachfrage nach Öl geringer als das schrumpfende Angebot bleibt. In diesem Fall würde der Ölpreis weiter niedrig bleiben.

Beispiele  “riesiger Ölfunde”

Vor dem Hintergrund der der oben erwähnten Berechnung des aktuellen Verbrauchs von weltweit über 25 Milliarden Barrel pro Jahr bzw. 69 Millionen Barrel pro Tag an konventionellem Öl  habe  ich etwas in den deutschen Medien recherchiert:

  • Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 10.3.2017: USA: Riesiges Ölvorkommen in Alaska entdeckt. Menge: 1,2 Milliarden Barrel, also soviel wie die Welt in nur 17,4 Tagen verbraucht. Dazu heißt es dann auch noch, dass es der für die USA größte Fund an konventionellem Öl seit 30 Jahren sei.
  • N-TV am 16.11.2016: 20 Milliarden Barrel Schiefer-Öl – USA melden größten Ölfund ihrer Geschichte. Wenn das konventionelles Öl wäre, würde es für immerhin für gut 9 1/2 Monate  reichen, wobei aber zu bedenken ist, dass die Erschließung und die Förderung von solchem Schieferöl sehr viel mehr Energie und auch Geld kostet als die von konventionellem Öl. Die Qualität der Journalisten offenbart folgendes Zitat aus dieser Meldung: “Beim gegenwärtigen Ölpreis von rund 45 Dollar pro Barrel wären die neu entdeckten Reserven rund 900 Milliarden Dollar auf dem Markt wert.” Die haben also einfach die mögliche Fördermenge mit dem aktuellen Ölpreis multipliziert. In der Realität errechnet sich der Wert einer Ölquelle aber aus Gesamter Fördermenge x Ölpreis MINUS Kosten für Entdeckung, Erschließung und Förderung. Der energetische Wert errechnet sich entsprechend: Geförderte Energiemenge abzüglich Energieaufwand für Entdeckung, Erschließung und Förderung.
  • Wirtschaftswoche vom 13. April 2012: Ende des Höhenflugs beim Ölpreis möglich. Die Prognose war richtig. Interessant ist hier das folgende Zitat: “In den amerikanischen, kanadischen und grönländischen Teilen der Arktis und tief unter dem Meer vor der Küste Brasiliens vermuten Experten mehr als 100 Milliarden Barrel. Vor allem vor der Küste Brasiliens haben Forscher in den vergangenen Jahren riesige Tiefsee-Ölfelder entdeckt; der staatliche Förderkonzern Petrobras hat bereits mit der Ausbeutung begonnen”. Das wären immerhin rund 4 Jahre wenn man an die 69 Millionen Barrel konventionelles Öl pro Tag denkt, oder es wären 3,2 Jahre wenn man den täglichen Gesamtverbrauch von 85 Millionen Barrel decken möchte. Shell hat die Bohrungen in der Arktis im September 2015 gestoppt, weil sie zu teuer und zu schwierig sind:  Spiegel-Online vom 28.09.2015:  Mangels Erfolg – Shell stoppt umstrittenes Arktis-Projekt. Zu Petrobas und dem Öl vor der Küste Brasiliens meldete Focus.de am 22.10.2015:
    Öl-Riese Petrobras – Milliarden in Gefahr! Hier droht die größte Anleihenpleite aller Zeiten.

Investitionen der Ölindustrie

Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der weltweiten Investitionen der Öl- und Gas fördernden Industrie von 2000 bis 2016:

Quelle: http://energyfuse.org/oil-gas-industry-dealing-unprecedented-decline-investment/

Wegen der gesunkenen Ölpreise sind die Investitionen in den Jahren 2015 und 2016 massiv eingebrochen. Davor hatten sich die Investitionen von 2000 bis 2014 mehr als vervierfacht. Man beachte dazu die weiter oben befindlichen Grafiken, die die Entwicklung der Entdeckung neuer konventioneller Ölvorkommen zeigen.

Zusammenhang von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum

Die folgende Grafik zeigt den engen Zusammenhang zwischen globalem Bruttosozialprodukt (= Gross Domestic Product = GDP) und globalem Energieverbrauch seit 1969. Wirtschaftswachstum bei sinkendem oder auch nur bei gleichbleibendem Energieverbrauch ist bis auf weiteres eine Illusion. In der Realität bedeutet Wirtschaftswachstum zwingend eine Steigerung des Energieverbrauchs:

(Quelle)

Die folgende Grafik zeigt wie das Wachstum des Globalen Bruttosozialproduktes (GDP) mit dem Öl- und Energieverbrauch verknüpft ist.

(Quelle)

Vor diesen Hintergründen und den Klimaproblemen möchte ich  auf die Rede von Frau Merkel am 2. Tag der Münchener Sicherheitskonferenz hinweisen ab Minute 19:30 . Demnach möchte sie also auch in Afrika den Energieverbrauch und damit natürlich auch den Mineralölverbrauch in Zukunft massiv steigern, um die Fluchtursachen zu beseitigen. Tatsächlich könnte das mit den Fluchtursachen auf diese Weise gelingen, aber nicht so wie die deutsche Bundeskanzlerin und ihre Berater sich das vorstellen, sondern eher indem damit der Zusammenbruch der deutschen Industriegesellschaft beschleunigt wird, was dann in der Tat die Fluchtursache Nr. 1, nämlich den realtiven Wohlstand der BRD und den deutschen Sozialstaat per Energiemangel noch etwas schneller beseitigt, als das ohnehin geschehen wird.

Die folgende Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen globalem Energieverbrauch und der Größe der Weltbevölkerung:

(Quelle)

Wie soll/wird das weitergehen? Die fossilen Energieträger, die das Bevölkerungswachstum erst ermöglicht haben, sind endlich und sie können und sollten mit Blick auf den Umwelt- und Klimaschutz nicht vollständig aufgebraucht werden. Auch kann ein großer Teil der Vorräte nur gefördert werden, wenn man bereit ist, für die Erschließung und Förderung mehr Energie und Kapital aufzuwenden als die Förderung einbringt (( Siehe auch meinen Artikel über die Studie der Hill’s Group: Erschöpfung – Das Schicksal des Ölzeitalters. )). Deutschland wird jedenfalls seine Leistungsfähigkeit verlieren, weil deren Grundlage insbesondere auch die Verfügbarkeit großer Mengen billiger fossiler Energie und da vor allem auch großer Mengen Erdöl ist. Ohne genug billiges Erdöl werden das Transportwesen, die Landwirtschaft, die Industrie,   die “erneuerbaren” Energieträger und damit dann auch der Sozialstaat und die die staatliche Ordnung und Verwaltung nicht mehr funktionieren ((Der Sozialstaat und auch die Solidarität in der Bevölkerung insgesamt wird aber unter anderen auch durch die  Masseneinwanderung zerstört: Das Migrationsproblem: Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung. )).

Verschiedene, die Verfügbarkeit großer Mengen an billigem Öl und anderen fossilen Energieträgern voraussetzende Paradigmen werden in den nächsten Jahren ausgewechselt werden müssen. Siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Landhunger, in dem ich hauptsächlich große Teile von William G. Sumners Essay Earth Hunger übersetzt habe.

Ein vor diesem Hintergrund sehr empfehlenswertes Buch zum Thema Paradigmenwechsel ist Die Stuktur wissenschaftlicher Revolutionen von Thomas Kuhn. Als kleine Einführung zum Thema Paradigmen siehe auch meinen Artikel Sichtweisen und Paradigmenwechsel.

An dieser Stelle sind auch die Essays The Mores of the Present and the Future (dt.: Die Sitten und Gebräuche der Gegenwart und Zukunft), Religion and the Mores (dt.: Religion und die Sitten und Gebräuche)  und Witchcraft (dt. Hexerei) des Soziologen William Graham Sumner sehr interessant, weil diese eine Ahnung davon geben, wie sich Sitten und Gebräuche und auch die Religionen an sich ändernde Umstände anpassen und verändern. Das Essay Witchcraft ist dabei interessant, weil es einen Eindruck davon gibt, wie Verfolgungen von Minderheiten möglich und vielleicht auch vermeidbar sind. In Sumner – “War and other Essays” habe ich verschiedene Downloadmöglichkeiten für diese, wie ich meine gerade auch heute, nach über100 Jahren noch wichtigen Essays gelistet.

Komplexität und Energieaufwand

Wenn Energie knapper wird, kann es hilfreich sein, den Zusammenhang von Komplexität, Organisationsgröße und Energieaufwand verstehen zu lernen: Je komplexer eine Organisation oder ein Staat wird, desto mehr Energie ist für die Instandhaltung nötig.

Wenn Energie knapper wird, wird man komplexe Staatenbünde und auch große Staaten und Verwaltungsstrukturen möglichst geplant und kontrolliert auflösen.  Zu diesem Thema empfiehlt sich die Lektüre des von mir übersetzten Interviews mit Prof. Joseph Tainter über den Kollaps komplexer Gesellschaften und vielleicht auch die Lektüre der beiden dort verlinkten Bücher. Eine sehr sichere Prognose für die nächsten Jahre und Jahrzehnte ist daher, dass unter anderem die EU zerfallen wird. Voraussichtlich werden selbst ethnisch nicht (mehr) homogene Staaten wie die USA, Großbritannien, Belgien und Deutschland zerfallen. Der Grund ist,  dass grosse und ethnisch und kulturell nicht homogene Gebilde einen hohen zusätzlichen Aufwand für Verwaltung und innere Sicherheit in Form von Energie und Kapital erfordern, für den sie in Zeiten knapper werdender Energie irgendwann nicht mehr gnügend Gegenleistung erbringen. Wie und warum sind überhaupt monoethnische, monokulturelle Gesellschaften entstanden? Wieweit spielten Energie- und Ressourcenknappheit und damit auch Effizienz eine Rolle? Entwicklung des Menschen und seiner Organisationsformen bei Energie- und Ressourcenmangel? Was die meisten heute kennen, ist nur der historisch abnorme Sonderfall “Entwicklung und Verhalten des Menschen bei sicherem Frieden und Überfluß an Ressourcen und hochwertiger, billiger Energie”.

Ein modernes Mittelalter als Zukunft?

Reduzierung der Komplexität der Staatenbünde und Staaten wegen Energiemangel bedeutet auch, dass wirtschaftliche Aktivitäten (Lebensmittelproduktion und Handwerk)  wieder zunehmend lokaler werden.  Das Leben im Mittelalter kann man auch als eine durch Energiemangel, oder durch das Fehlen fossiler Energieträger erzwungene, energiesparende  Lebensform sehen – womit es nicht nur Geschichte, sondern auch ein Hinweis auf die Zukunft sein kann. Wenn wir wegen Mangel an Energie zu einer Art Mittelalter zurück müßten, was könnten und sollten wir aus unserer heutigen Welt an Wissen und Können mitnehmen? Was sollte man lernen und erforschen, solange man noch die Energie und die Mittel hat, die wir heute noch haben?  Welche medizinischen, technischen, landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Verfahren und Bereiche würde man mit dem heutigen Wissen und Können wie optimieren wollen, wenn man wüßte, dass die Zukunft wegen zunehmender Energieknappheit eine Rückkehr in ein noch optimierbares “Mittelalter” bringt?

Kelberg, 4. Juli 2017

Christoph Becker