Daten zur Entwicklung der Lebenserwartung

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Was gibt es an statistischen Daten über negative Entwicklungen der Lebenserwartung und was kann man daraus lernen?

Anlass zu diesem Artikel war der Einwand, dass meine Annahme, dass die Lebenserwartung in Deutschland in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts sinken wird, im Gegensatz zu dem stehe, “was die Statistiker und viele wissenschaftliche Studien” zeigen.

Inhaltsverzeichnis

Die Daten der Weltbank

Zunächst habe ich einige Graphen zur Entwicklung von Lebenserwartungen gesucht, die fallende Lebenserwartungen zeigen. Die beste Quelle die ich gefunden habe war   Life expectancy at birthdata.worldbank.org/indicator/SP.DYN.LE00.IN ). Länder zu denen ich Grafiken mit im Zeitraum von 1960 bis 2015, also in “unserer” Zeit, zeitweise fallender Lebenserwartung gefunden habe sind unter anderem Russland, Ukraine, Südafrika, Zimbabwe und Ruanda.

Entwicklung der Lebenserwartung in Russland
Quelle: https://data.worldbank.org/indicator/SP.DYN.LE00.IN

Wie man sieht, sank die Lebenserwartung der Russen nach dem Zusammenbruch der UdSSR zunächst heftig.  Dazu habe ich auf Wikipedia etwas zur russischen Geschichte nachgelesen:

1991/92 gab es eine Rubelkrise. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) lag 1993 um 12 % unter dem von 1992 und um 29 % unter dem von 1991. Die Industrieproduktion war 1993 um 31,3 %, die Konsumgüterproduktion um 24,8 % und die Nahrungsmittelproduktion um 27,3 % niedriger als 1991. Im Oktober 1993 waren 2.400 Produktionsbetriebe vorübergehend stillgelegt, im Februar 1994 4.280. Wegen Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern kam es zu gesamtwirtschaftlich folgenschweren Streiks, z. B. in den Kohlerevieren.

Die Inflation war jahrelang hoch und große Teile der Bevölkerung verarmten. 1998 rutschte das Land in die Zahlungsunfähigkeit

Putin wurde übrigens im Jahr 2000 erstmals russischer Präsident.

Entwicklung der Lebenserwartung in der Ukraine
https://data.worldbank.org/indicator/SP.DYN.LE00.IN
Entwicklung der Lebenserwartung in Südafrika
https://data.worldbank.org/indicator/SP.DYN.LE00.IN

Zur Geschichte Südafrikas aus  de.wikipedia.org/wiki/Südafrika:

nach der Wahl Frederik Willem de Klerks, der zunächst als Verfechter der Apartheid galt, zum Staatspräsidenten im Jahr 1989 signalisierte dieser Reformen, die den Anfang vom Ende der Apartheidpolitik setzten. In seiner Aufsehen erregenden Rede zur Parlamentseröffnung am 2. Februar 1990 kündigte de Klerk an, das Verbot von ANC, PAC, SACP sowie anderer verbotener Gruppen aufzuheben und in ernsthafte Verhandlungen einzutreten. Bereits einige Tage später wurde Nelson Mandela freigelassen. Regierung und ANC verhandelten über einen friedlichen Übergang zur Demokratie und eine neue Verfassung. Ein Allparteien-Kongress bereitete ab 1991 eine Konstituierende Nationalversammlung vor. Der Group Areas Act, die Land Acts sowie der Population Registration Act wurden ersatzlos gestrichen.

Offenbar sank die Lebenserwartung in Südafrika nach dem Ende der Apartheid fast 15 Jahre lang. Warum die Lebenserwartung ab 2005 wieder so relativ schnell angestiegen ist, ist mir momentan nicht klar. Deutlich ist aber auf jeden Fall, dass die Lebenserwartung unter dem weißen Apartheidsregime gestiegen ist, während sie nach dessen Ende zunächst für 15 Jahre sank. Als Ursache könnten neben AIDS  wirtschaftliches Chaos und Verschlechterungen der Verwaltung in Frage kommen.

Erstaunlich ist, dass bei  de.wikipedia.org/wiki/Südafrika eine Grafik zur Bevölkerungsentwicklung gezeigt wird, die angeblich von der UN-Abteilung für Bevölkerung  www.un.org/en/development/desa/population/ stammt und in der die Lebenserwartung kontinuierlich gestiegen und zu keinem Zeitpunkt gefallen ist.  Die von mir hier wiedergegebenen Grafiken sind alle von der Weltbank. Vielleicht möchte man bei UNO aus Gründen der politischen Korrektheit vertuschen, dass das Ende der Apartheid insgesamt für die Menschen in Südafrika bei weitem nicht so vorteilhaft war wie man sich das erhofft hatte. Letzteres zeigt auch das Beispiel von Rhodesien bzw. Simbabwe, wo die “Befreiung” von der Herrschaft der Weißen die Lebenserwartung der Bevölkerung zunächst offenbar deutlich verringert hat:

Entwicklung der Lebenserwartung in Simbabwe
https://data.worldbank.org/indicator/SP.DYN.LE00.IN

Zimbabwe ging 1985, nach einem 15-jährigen Bürgerkrieg, aus dem von Weißen regierten Rhodesien hervor. Bürgerkrieg und die Regierung der Weißen haben die  Steigerung der Lebenserwartung offenbar nicht behindert. Warum die Lebenserwartung nach 2002 wieder so steil angestiegen ist, ist mir nicht klar.

Auf de.wikipedia.org/wiki/Simbabwe fand ich folgendes:

Das einst starke Bevölkerungswachstum ist seit der Jahrtausendwende aufgrund der extremen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes und der AIDS-Epidemie stark gesunken. Dabei spielte auch Abwanderung eine Rolle. Bis zu drei Millionen Simbabwer sollen illegal nach Südafrika ausgewandert sein.[11] In keinem Land der Welt ist die Lebenserwartung innerhalb so kurzer Zeit derart stark zurückgegangen: in weniger als einem Jahrzehnt von 55 auf 44 Jahre. Die Lebenserwartung stieg jedoch bis 2013 wieder auf 60 Jahre.

Entwicklung der Lebenserwartung in Ruanda
https://data.worldbank.org/indicator/SP.DYN.LE00.IN

Hier ist überraschend, dass der Rückgang der Lebenserwartung bereits vor 1985 einsetzt. Der Völkermord in Ruanda findet in der Zeit von April bis Juni 1994 statt. Der Völkermord war also nur der Endpunkt und nicht der Grund eines fast 15 Jahre langen Trends sinkender Lebenswartung. Nach dem Völkermord stieg die Lebenserwartung der Bevölkerung wieder rasant an. Es kann aber auch sein, dass ich die Grafik falsch verstanden habe und dass die Lebenserwartung für die vor dem Völkermord geborenen Menschen in Ruanda NACH dem Völkermord berechnet wurde. Das folgenden Zitat legt aber den Schluss nahe, dass es in der Tat auch in Jahren vor 1994 die Lebenserwartung reduzierende Probleme gab.

Zitat aus de.wikipedia.org/wiki/Ruanda:

Wegen struktureller Probleme, einer hohen Bevölkerungsdichte und Konflikten zwischen den Volksgruppen der Hutu und Tutsi – die im Völkermord an den Tutsi 1994 gipfelten – zählte das Land zu den ärmsten in Afrika. In den letzten Jahren waren starke wirtschaftliche Fortschritte zu verzeichnen, die unter anderem durch die Ausbeutung von Rohstoffen in den östlichen Kongoprovinzen erzielt werden.

Lebenserwartung in den USA in den 20er und 30er Jahren

Auf der Suche, wie sich die Wirtschaftskrise in den USA auf die Lebenserwartung ausgewirkt hat fand ich völlig unerwartete Ergebnisse:

Dem Artikel Life and death during the Great Depressionwww.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2765209/  ) kann man entnehmen, dass die Lebenserwartung und die Gesundheit in den 20er und 30er Jahren in den USA während der Wirtschaftkrisen besser wurden und in Zeiten der Hochkonjunktur schlechter wurden. Ein mögliche Erklärung ist, dass bei Hochkonjunktur mehr Arbeitsunfälle und mehr Gesundheitsschäden durch Stress und schwere Arbeit vorkamen.

In den Zeiten der Rezession stieg nur die Selbstmordrate an, was aber insgesamt nicht so ins Gewicht gefallen sei.

Man beachte dabei aber, dass die Menschen in den USA damals eine andere Beziehung zur Landwirtschaft und zum Gartenbau hatten als heute. Auch war Nahrungsmittelproduktion und Verteilung wohl bei weitem nicht so von Technik, fossilen Energieträgern und einer intakten, hochkomplexen Wirtschaft abhängig wie heute.

Die Frage ist auch, wie sich die ethnischen und kulturellen Unterschiede zwischen den USA in der Zeit von 1920 bis 1940  zu den Bevölkerungen in den anderen oben erwähnten Beispielen verhalten hat.

Wie aber wäre das heute? Was könnte man von den Amerikanern jener Zeit lernen?

Frühere historische Daten

Ungarn 1241 im Mongolensturm

de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Ungarns )

Im Jahr 1241 verwüsteten die Mongolen unter Batu Khan nach ihrem Sieg in der Schlacht bei Muhi das Land und töteten etwa die Hälfte der Einwohner, so dass König Béla IV. (1235–1270) wieder viele deutsche Einwanderer ins entvölkerte Land holen musste, die hauptsächlich in Siebenbürgen (siehe Siebenbürger Sachsen) und in der heutigen Slowakei angesiedelt wurden.

30-jähriger Krieg

www.dreissigjähriger-krieg.de/opfer.html:

Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass etwa 40 % der Landbevölkerung, innerhalb der Kriegszeit, ihr Leben ließ. Neben den direkten Gräueltaten des Krieges waren vor allem Hunger und Seuchen für das Massensterben verantwortlich. In den Städten wird der Verlust an Menschen etwas niedriger geschätzt und lag wohl zwischen 20 und 30 %. ….

Zu den großen Kriegsverlierern lassen sich die Pfalz, Mecklenburg, Pommern, sowie Teile Württembergs und Thüringens zählen. Hier wurden etwa 50 – 70 % der Bevölkerung dahingerafft. Einen traurigen Platz nimmt auch Magdeburg ein, dass in Folge seiner Zerstörung (Magdeburger Hochzeit) praktisch fast alle Einwohner verlor.

Das Römische Reich

Theorien über den Untergang des Römischen Imperiums von Karlheinz Winkler ist dazu ein gut lesbarer, interessanter Artikel. Zwei Zitate daraus:

Die Warenströme zwischen Stadt und Land versiegten. Die Stadtbevölkerungen verließen ihre Siedlungen. Dies war natürlich ein langer Prozess, aber im frühen Mittelalter waren ja zum Schluss viele Großstädte wie Köln und Trier, zeitweilig überhaupt nicht bewohnt und Rom selbst auf ein kleines Dorf zusammengeschrumpft.

Vielfach versank allerdings das gesamte Land in Chaos, große Ländereien blieben unkultiviert, die Bevölkerungszahl schrumpfte erheblich, viele Städte waren verlassen und wurden von der Wildnis überwuchert.

In einem Vortrag über Untersuchungen vorn Maarsedimenten in der Eifel  hat der Geologe Heiko Brunk (  www.volksfreund.de/region/gerolstein/geologe-spricht-ueber-maarsedimente-als-zeugen-der-geschichte_aid-5916735 ) erwähnt, dass man an den Pollen in den Maarsedimenten deutlich erkennen könne, wie die Kulturlandschaft in der Eifel gegen Ende der Römerzeit aufgegeben wurde und verwilderte.

Der Untergang der Titanic

Das Schicksal der Titanic ( de.wikipedia.org/wiki/RMS_Titanic ) und ihrer Passagiere und Besatzung ist ein gutes Beispiel für

Die Pest in Europa

Die Pest, siehe de.wikipedia.org/wiki/Schwarzer_Tod hat in weiten Teilen Europas (aber nicht überall!)  die Bevölkerung stark reduziert.

Die Geschichte der Rentiere auf St. Matthew-Island

Dazu ein Blogbeitrag und ein Komik:

rasteredpov.blogspot.de/2011/02/die-rentiere-von-st-matthews.html

www.stuartmcmillen.com/de/comic/die-insel-st-matthew/

Zum Beispiel der Rentiere auf der St. Matthew-Insel kann es ganz interessant sein, sich die Animation zum Wachstum der Weltbevölkerung anzusehen, die ich in Weltbevölkerung, Wasser und Wintergemüse eingebunden habe. Dazu habe ich dort eine Übersetzung des gesprochenen Textes und der Beschriftung angefertigt. In Weltbevölkerung, Flugzeuge, Schiffe und die chinesische Schubkarre hatte ich eine andere Version verlinkt. In diesem Artikel hatte ich auch schon auf Rentiere auf der St. Matthew-Insel hingewiesen und auch eine ähnliche Geschichte mit Kaninchen in einem Jagdrevier geschildert.

Was hätten die  Statistiker jeweils vorhergesagt?

Vor den Ereignissen angeforderte wissenschaftliche Untersuchungen und Statistiken, die die Daten und Entwicklungen der Vergangenheit fortschreiben, hätten bei allen der oben aufgeführten Einbrüchen der Bevölkerungszahlen und der Lebenserwartung zu krassen Fehleinschätzungen der Zukunft geführt. Die Zukunft kann man NICHT einfach durch Fortschreibung der Entwicklungen jüngeren Vergangenheit vorhersagen. Die nächsten zwanzig Jahre sind vor allem in Zeiten wie der unseren ganz sicher NICHT so wie die letzten 20 Jahre. Chris Martenson erklärt sich in der zwar schon etwas älteren, aber dafür auch auf Deutsch verfügbaren Version seines Crash Course ( www.peakprosperity.com/crashcourse/deutsch ) sehr gut. Ich habe auch auf www.freizahn.de auch versucht zu zeigen, dass die Einfache Fortschreibung der jüngeren Vergangenheit zu sehr bösen Überraschungen und schweren Enttäuschungen führen wird.

Die Daten der Deagel-Liste vor diesem Hintergrund

Die Daten der Deagel-Liste, auf die ich in US-Militärwerbung: BRD verliert fast 50 Millionen Einwohner bis 2025 hingewiesen hatte beruhen letztlich, wie die Autoren in der Anmerkung schreiben, auf der Auswertung vieler Statistiken und der Annahme, dass ein wirtschaftlicher Kollaps wie der in den Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR nach 1990 in den westlichen Industriestaaten um ein Vielfaches schlimmer wäre als früher zur Sowjetunion gehörenden  Staaten.

Fazit

Die verblüffendste, am wenigsten erwartete Feststellung bei der Recherche für diesen Artikel war, dass die Daten der USA für die Zeit von 1920 bis 1940 zeigen, dass weniger Wirtschaftswachstum oder auch eine Wirtschaftskrise und der damit sinkende materielle Lebensstandart,  für die Lebenserwartung und Gesundheit insgesamt sogar vorteilhaft sein können – auch wenn die Selbstmordrate in solchen Zeiten zunimmt.

Die Daten der Staaten der ehemaligen Sowjetunion und die Daten einiger afrikanischer Staaten und der Zusammenbuch des weströmischen Reiches zeigen aber auch, dass ein wirtschaftlicher Kollaps und auch  multiethnische Konflikte die Lebenserwartung deutlich reduzieren können.

Die historische Daten zeigen, dass sehr drastische Bevölkerungsrückgänge möglich sind. Solche Katastrophen mit Hinweis auf die Statistik und Erfahrung der letzten Jahre oder Jahrzehnte vor der Katastrophe auszuschließen oder auch nur für extrem unwahrscheinlich zu halten, kann letztlich dazu führen, dass solche Katastrophen überhaupt erst möglich werden  oder es kann die Folgen der Katastrophe verschlimmern.

Schließlich haben wir es bei großen aber relativ seltenen Katastrophen mit einem psychologischen Problem zu tun, das als archetypische Geschichte bereits in der Bibel im Alten Testament in Form der Geschichte von Noah und der Arche erzählt wird. Der kanadische Psychologieprofessor Jordan Peterson hat das in seinem Vortrag Biblical Series VII: Walking with God: Noah and the Flood im Sommer 2017 ganz gut erklärt.

Kelberg, den 24. Februar 2018

Christoph Becker

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Ulli
Ulli
25. Februar 2018 8:31

Sehr interessant. Insbesondere die Geschichte mit den Rentieren.

Man hat das Thema ja indirekt auf die Agenda gesetzt über die Themen CO2 und ökologischer Fußabdruck. Allerdings ist der Ansatz etwas Unsinniges zu propagieren, um etwas Sinniges zu erreichen, nicht geeignet einen Konsens unter allen herzustellen und soll es auch nicht, sondern es sollen Konzepte erarbeitet werden für die Zeit danach.