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Starkregen und Sturzfluten

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Der Artikel “Keine Lange Vorwarnzeit – Bundeswehrstudie fordert Schutz vor kommunalen Sturzfluten / Mehr Versickerungs- und Rückhaltebecken nötig” von Paul Leonhard, auf S. 21, in der Wochezeitung Junge Freiheit vom 26. Mai 2017 hatte mich neugierig gemacht.

Dem Artikel liegt hauptsächlich eine an der  Bundeswehrhochschule in München, unter der Führung einer Professorin für Journalistik, im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe angefertigte Studie zu Grunde. Außerdem wird am Ende des Artikels ein Hinweis auf die Webseite www.starkregen-ews.de [2] gegeben. Dabei handelt es sich um eine Firma, die darauf spezialisiert ist, Simulations-Software und Beratung für die Planung und den Bau von Versickerungs- und Rückhaltebecken zu liefern.

Erst habe ich mir die Webseite dieser Firma angesehen und darüber gestaunt, dass die halt nur teure Technik und Beratungsleistungen verkaufen wollen, die meines Erachtens nur in größeren Städten und Industriegebieten mit sehr weitgehend zu betonierten, asphaltierten und bebauten Flächen Sinn machen, in denen die von mir hier weiter unten noch einmal angesprochenen Maßnahmen keinen Sinn machen.

Wenn die Software dieser Firma das hergibt und die Nutzung detaillierter Versickerngsraten erlaubt, dann könnte man damit allerdings auch den Nutzen von Maßnahmen der Bodenverbesserung im Bezug auf Starkregenereignisse und Sturzfluten im Detail simulieren und zeigen. Neben landwirtschaftlichen Nutzflächen könnte man schließlich auch Gärten und öffentliche Grünflächen optimieren, indem man die Bodenqualität und damit auch die Versickerungsrate steigert.

Die “Bundeswehrstudie”, deren vollständiger Titel “Die unterschätzten Risiken„Starkregen“ und „Sturzfluten“  Ein Handbuch für Bürger und Kommunen [3]” lautet, und die von der verlinkten Seite als pdf-Datei kostenlos heruntergeladen werden kann, habe ich nach etwas Suchen gefunden und mir heruntergeladen. Das Handbuch ist aus dem Jahre 2015. Ich habe etwas darin gelesen (wer und was sind die Autoren? Inhaltsverzeichnis? Anhänge? und und dann mit Hilfe der erweiterten Suchfunktion von Acrobat-Reader etwas  untersucht, und dann gezielt weiter gelesen). Ich habe die Studie mit ihren 400 Seiten also nicht ganz gelesen.

Mit den Stichwörtern bzw. Wortteilen Humus, versicker und Liter bin ich schnell fündig geworden:

Auf S. 196, “Ganzjährige Nutzung von Agrarflächen”, findet man zunächst:

Jeder natürliche Boden funktioniert grundsätzlich wie ein Wasserspeicher, da in den Hohlräumen und Poren zwischen
den Bodenpartikeln das Wasser wie von einem Schwamm aufgesaugt wird. Je nach Humusgehalt, Art des Bodens und der
Dichte kann die Aufnahmefähigkeit variieren. Im günstigsten
Fall wird das Wasser einfach vom Boden aufgenommen oder
kann auf den weiten Außenflächen verdunsten. Bei Starkregen
ergibt sich das Problem, dass das Wasser nicht schnell
genug vom Boden aufgenommen werden kann und somit
oberirdisch abfließt, obwohl die Speicherkapazität nicht ausgeschöpft ist. Der Grund hierfür liegt in der landwirtschaftlichen
Nutzung vieler Böden, die dadurch stark komprimiert
und meist auf schnelles Wachstum (Monokulturen) ausgelegt
sind. Die Bodenschichten sind weniger heterogen und verdichten
sich schneller durch eher oberflächlichen Wurzelwuchs.
Um den Boden auch für Starkregen so aufnahmefähig
wie möglich zu gestalten, können gegen dieses Problem verschiedene Maßnahmen ergriffen werden: Zum einen durch
eine Umstrukturierung der Flächen, zum anderen durch eine
Umstrukturierung der Böden. Die Ziele sind die Steigerung
der Aufnahmekapazität sowie die Vergrößerung der Verdunstungsflächen.

Zahlen dazu?

Die Suche mit “Liter” führte zu Seite 198, Zitat:

Eine ganzjährige Bepflanzung (z. B. Dauergrünland) kann bewirken, dass der Boden sich wieder auflockert (Durchwurzelung), fruchtbarer wird und somit mehr Wasser aufnehmen kann. So können Grasflächen zwei, Wälder bis zu fünf Liter Regen pro Quadratmeter aufnehmen. In dichten Waldbeständen können so 60 bis 75 Liter/m² versickern, auf einer Weidefläche nur 20 Liter.

Was denn nun? Grasfläche zwei Liter aber  Weide  20 Liter und in welcher Zeit?  Wald fünf Liter oder 60 bis 75 Liter und in welcher Zeit? Von Leuten die vielleicht mal Generalstabsoffizier oder sogar General werden wollen und auch von einer Professorin für Journalismus, erst recht an einer Bundeswehrhochschule, habe ich mehr Präzision im Detail erwartet.

Die per Fußnote angegebene Quelle, auf die in dem gesamten Buch übrigens fünf mal verwiesen wird ist laut Literaturverzeichnis:

GRAW, MARTINA (2005): Hochwasser – Naturereignis oder Menschenwerk? Schriftenreihe der Vereinigung
Deutscher Gewässerschutz, Band 66, 3. Auflage, Bonn.

Das hat mir dann gereicht, weil ich ganz andere Daten in Erinnerung hatte.

Auf Youtbube findet man mit “Infiltration rate” einige Beispiele für Infiltationstests. Ich habe die Suche dann noch auf “Infiltration rate archeluta” erweitert und habe mir noch einmal Ray Archelutas “Soil Slake and Infiltration Test” (dt. Mutterboden-Zerfall und Infiltrationstest) angesehen.

Dann habe ich noch einmal Gabe Browns Vortrag Key to Building healthy Soil – Holisctic Regeneration of Our Lands: A Producer’s Perspectiv [4] (dt.: Schlüssel zum Aufbau von gesundem Mutterboden – Ganzheitliche Regeneration unseres Landes: Aus der Perspektive eines Erzeugers) gescannt und nach der Stelle gesucht, wo er auf die Verbesserung der Versickerungsrate auf seinen Flächen und auf die Wirkung extremer Starkregenereignisse auf seinem Land und bei seinem Nachbarn eingeht.  Das ist etwa ab Position Minute 20.

Am 15 Juni 2009 wurde für das Gebiet von Browns Ranch Starkregen angesagt. Um 18:30 fing es an zu regnen um Mitternacht hat er 13,2 Zoll, dass sind 335 mm bzw. 335 Liter pro Quadratmeter in nur 5 1/2 Stunden, gemessen.

Das folgende Bild (Poor Infiltration, but Good for Ducks = Schlechte Infiltration, aber gut für Enten) des “Entengebietes” seines Nachbarn, womit er hier ironisch dessen Weide und Ackerland nach Starkregen meint, hat er 3 Wochen nach diesem Starkregen aufgenommen.

[5]

Das Bild folgende Bild (Adequate Infiltration: 13.6″ in 22 Hours , auf deutsch: Angemessene Infiltration: 345 Liter Regen in 22 Stunden) hat ein  Angestellter vom zuständigen Soil Conservation Service (amerikanische Bodenerhaltungsbehörde) aufgenommen. Es zeigt Gabe Browns Ackerland am nächsten Tag, nachdem am Abend und in der  Nacht davor insgesamt 345 Liter in 22 Stunden gefallen waren:

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Er erwähnt dann, dass 1991, als er den Betrieb  übernommen habe, eine Wasserinfiltrationsrate von 1/2 Zoll pro Stunde, das sind 12,5 Liter pro Quadratmeter und Stunde, gemessen wurden. 2016 wurden 8 Zoll, dass entspricht 203 Liter pro Quadratmeter und Stunde, gemessen. Einen Starkregen mit 8 Zoll pro Stunde habe er noch nicht erlebt.

Landwirtschaftliche Nutzfläche kann also, mehr als 10 mal soviel Wasser bei Starkregen in einer Stunde aufnehmen, wie man an der Bundeswehrhochschule und beim Deutschen Gewässerschutz meint.

Gabe Brown erwähnt dann auch noch,  sein Land  sei auch nach dem oben erwähnten, extremen Starkregenereignis noch mit jeder seiner Maschinen befahrbar gewesen. Das Wasser, das sein Land bei dem Starkregen aufgesogen habe, hätte er natürlich zu anderen Zeiten für das Pflanzenwachstum.

Zu Gabe Brown und seinem Betrieb hatte ich auch schon in Optimierung im Getreideanbau und Hochwasserschutz durch Integration der Mutterkuhhaltung [7] geschrieben. Damals war mir aber noch nicht bewusst, dass zwischen Hochwasser und Starkregen zu unterscheiden ist.

Mit “no till gardening” und “garden crimping” findet man auf Youtube interessante Informationen und Beispiele dafür, wie auf kleineren und auch auf großen Flächen vorgegangen werden kann, wenn man keine Herde mit Kühen oder anderen Wiederkäuern hat.

Das Crimpen der Zwischenfrüchte oder der Einsatz von Wiederkäuern mit hoher Tierdichte (Mob-Grazing) ist aber ein Teilaspekt.  Gabe Brown setzt z.B. durchweg sehr vielfältige Zwischenfrucht-Mischungen ein.

Die Methode von John Jeavons [8], mit seinem Biointensiven Gartenbau, der sehr wohl umgräbt und der den Boden dabei bis zu 60 cm tief mechanisch auflockert und auch die der Singing-Frogs-Farm [9], mit ihrem extrem intensiven und ohne Umgraben auskommendem Gartenbau und inzwischen über 90 cm tiefer Humusschicht, erreichen wohl alle auch sehr gute Wasserinfiltrationsraten und damit auch gute Beiträge zum Schutz vor Starkregen und Hochwasser.

Insgesamt kann man festhalten, dass im Bereich Landwirtschaft und Gartenbau Verbesserungen möglich sind, die gerade auch vor dem Hintergrund des Starkregenrisikos Verbesserungen erlauben, die heute in Deutschland in der Regel nicht für möglich gehalten werden.  Wie weit diese Möglichkeiten auch für Dörfer und Städte zum Schutz vor Schäden durch Starkregen und Sturzfluten geeignet sind wäre durch entsprechende Berechnungen und Simulationen zu prüfen. Der angenehme Nebeneffekt dieser Verbesserungsmöglichkeiten ist, dass damit zugleich auch die Qualität der produzierten Nahrungsmittel und damit die Gesundheit der Bevölkerung, die Ernährungssicherheit der Bevölkerung bei lange andauernden Katastrophen und auch die Ertragslage der Erzeuger verbessert werden kann, während die Bodenerosion vermindert werden kann. Die Ertragslage der Erzeuge würde dabei u.a. auch dadurch verbessert, dass sich Trockenperioden weniger auf die Erträge auswirken, dass die Niederschlagsmengen besser im Boden gehalten und genutzt werden.

Der Journalist der Jungen Freiheit hat seinen Job meines Erachtens schon gut gemacht. Aber von der Bundeswehrhochschule und einem an dieser angesiedelten Lehrstuhl für Journalistik, der sich dem Thema umfassend mit Staatsmitteln gewidmet hat – und auch ganz allgemein von einer Regierung eines “so großen und reichen Landes wie Deutschland” – sollte man sehr viel mehr erwarten können.

Was ist, wenn die Hochschulen, die Führung der Bundeswehr und die Regierung auch in anderen, für das Überleben und die Zukunft des Landes noch viel wichtigeren Fragen genauso oberflächlich recherchieren und zu ähnlich irreführenden Daten und Zahlen kommen und als Folge davon angemessene und brauchbare Problemlösungen nicht sehen?

Kelberg, den 26. Mai 2017

Christoph Becker

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