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Gedanken zum Film Bauer Unser

Lesedauer 8 Minuten
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Am 11. Mai 2017 habe ich mir den Film Bauer Unser [2] (Link auf Trailer) angesehen. Für eine Diskussion nach dem Film war der auch im Film vorkommende, derzeitige agrarpolitische Sprecher der Grünen/EFA im EU-Parlament eingeladen.

Der Film zeigt verschiedene Formen der Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und Vermarktung in Österreich. Dazu kommen Interviews, insbesondere mit Landwirten und Agrarpolitikern in Österreich aber auch auch EU-Ebene. Man bekommt einen guten Eindruck davon, wie die Mechanisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat und wie sie sich weiter entwickeln würde, wenn die in dem Film offenbar von allen völlig ignorierten Trends am Energiemarkt und in Bereich der Sicherheitspolitik nicht existent wären. Der Film – und auch die Diskussion, die ich nach dem Film erlebt habe – waren ein schönes Beispiel für den fanatisch-naiven Fortschrittsglauben der Bauern, der Agrarpolitiker und auch der Bevölkerung. (Zum Thema Fortschrittsglauben siehe Nach dem Fortschritt [3].)

Erstaunlich für mich war die Information, dass alleine in Frankreich jedes Jahr ca. 600 Bauern Selbstmord begehen. Die wirtschaftliche Lage, insbesondere auch der landwirtschaftlichen Großbetriebe scheint bedrückend zu sein. Gründe sind hohe Schulden und die Offenheit der Grenzen. Der wichtigste Hintergrund ist aber, dass die Bevölkerung und die Industrie die Kosten für Lebensmittel gering halten wollen, damit mehr Geld für Konsumgüter übrig ist. Der Inhaber eines hochmodernen Betriebes, der für 1300 Mastschweine ausgelegt ist,  sagte z.B., dass er pro Schwein einige Euro Verlust mache.

In dem Film werden auch Biobauern gezeigt. Auch hier ist die wirtschaftliche Lage teilweise so, dass ein Überleben nur mit staatlichen Subventionen möglich ist. Am Besten steht sich in dem Film noch ein kleiner Biobauer mit einem sehr vielseitigen Angebot, der offenbar keine Schulden hat. Hier hätte dem Film vielleicht der Hinweis darauf gut getan, dass die “früher” sehr vielseitigen landwirtschaftlichen Betriebe in Europa, in Flandern beginnend, sich als Folge eines Klimawandels  im frühen Mittelalter entwickelt haben, der damals in Form der kleinen Eiszeit für Missernten gesorgt hatte (Carol Deppe: The Resilient Gardener: Food Production and Self-reliance in Uncertain Times [4]). Vorher war die Landwirtschaft in Europa offenbar sehr einseitig auf den Anbau von Getreide spezialisiert.) Jetzt stehen wir wieder am Anfang eines Klimawandels wie z.B. die Temperaturentwicklungen in Wie Unwahrscheinliches wahrscheinlich werden kann [5] zeigen.

Aus dem Publikum, in dem relativ viele Landwirte aus der Eifel, also aus Deutschland, anwesend waren, kam kein Protest gegen diese Darstellung der Landwirtschaft und der wirtschaftlichen Lage.

Meine Hauptgedanken beim Ansehen von “Bauer Unser”

Der Film zeigt sehr gut die totale Abhängigkeit der Landwirtschaft in Österreich und wohl auch im Rest Europas von

Während ich den Film gesehen habe, drängte sich mir daher immer wieder der folgende Gedanke auf: “Die Menschen in Europa bauen sich ihr eigenes Vernichtungslager.”  Die bereiten eine Massenvernichtung der Mitglieder ihrer eigenen Zivilisation vor, verglichen mit der die Verbrechen der Nazis sich wie ein zwar extrem schreckliches, aber mit Blick auf die Zahl der Toten am Ende wohl ziemlich harmloses Vorspiel ausnehmen werden1 [6].

Am nächsten Tag habe ich mir dann auch noch den Prospekt des betreffenden Kinos für den Monat Mai angesehen und dabei erstaunt registriert, dass die Betreiberin sogar dem links-alternativen Spektrum zuzuordnen ist, so ganz im Sinne von “nie wieder”, “Gegen das Vergessen” (des Holocausts) usw..

Wenn es mein Kino wäre, hätte ich auf die Diskussion nach “Bauer Unser” verzichtet und stattdessen direkt anschließend die Doku Der Impuls zum Blackout – Die EMP-Bombe [7] gezeigt, die hin und wieder auch auf N24 gezeigt wird und auf die ich schon vor über zwei Jahren in Weitere Literatur zum Thema EMP [8] verlinkt und eingebunden habe. Dazu hätte ich vielleicht einen Handzettel mit Links über Landwirtschaft, Gartenbau, Umwelt, EMP und Sicherheit von meiner Webseite www.freizahn.de verteilt, von denen ich hier eine Auswahl liste und verlinke:

Schließlich hätte ich darauf hingewiesen, dass ich den österreichischen Bergbauern Sepp Holzer [36] bei einer Fortbildung 2015 im Burgenland habe sagen hören:

Es geht mir sehr gut. Für mich ist jeden Tag Sonntag, weil ich tue was mir Freude macht. Das einzige was mich ärgert ist, dass ich, wie ich ausgerechnet habe, rund 80 % Steuern bezahle.

Mit anderen Worten Holzer zahlt neben Mehrwertsteuer und anderen Steuern im Bereich Einkommensteuer den Spitzensatz und macht sich dabei über die Bauern lustig, die “kaum genug verdienen, um ihren Diesel zu bezahlen”. Sepp Holzer ist für gewöhnliche Bauern sicher kein gutes Beispiel, weil er sein Geld heute wohl hauptsächlich als Berater verdient. Anderseits war er immer ein sehr einfallsreicher und geniale Kopf, der mit seinem Krameterhof [37] trotz dessen ungünstiger Lage ein ganzes Berufsleben als Bauer überlebt hat.

Als Ergänzung hätte ich dann auch auf Landwirte wie Gabe Brown (Browns Ranch [38]), Greg Judy (Green Pastures Farm [39]), Jim Gerrish (American Grazinglands [40] ), Joe Salatin (Polyface Farms [41] ), die Paul und Elizabeth Kaiser (Singing Frogs Farm [42]),  Eliot Coleman und Barbara Damrosch (Four Season Farm [43]) und Mark Shepard (derzeit Forest Agriculture Enterprises [44])  und deren Bücher und Vorträge hingewiesen. Alle diese gerade aufgeführten Bauern oder Gärtner kommen ganz oder fast ohne Subventionen aus, und sie können alle Beispiele dafür bieten, wie wirklich professionelle, nachhaltige, zukunftsorientierte und die Ernährungssicherheit der Bevölkerung gewährleistende Landwirtschaft funktionieren und auch wirtschaftlich rentabel sein kann.

Für die Kleingärtner, Kleinbauern und ganz besonders auch an Möglichkeiten der Verbesserung der Lage im Orient und in Afrika Interessierte, wäre dann hier auch noch auf John Jeavons [45] und seinen Biointensiven Gartenbau hinzuweisen, zu dem neben den Büchern (vor allem sein Klassiker How to Grow More Vegetables [46](and Fruits, Nuts, Berries, Grains, and Other Crops) Than You Ever Thought Possible on Less Land Than You imagine.), Vorträgen und Einführungsvideos [47] insbesondere auch die Filme des Farmer-Seminars [48] sehr wertvoll sind.

Vor dem Hintergrund von “Bauer  Unser”, in Kombination mit dem Thema Afrika, sind von diesen Filmen sind ganz besonders diejenigen über das G-BIAK-Projekt [49] in Kenia von Interesse:

Bemerkenswert in dem Film und ganz besonders auch in der Diskussion nach dem Film fand ich die Naivität und teilweise auch Ratlosigkeit zur Frage “wie geht das mit der Landwirtschaft weiter”?  Nicht nur die großen und kleinen Bauern, sondern auch die Agrarpoltiker sehen die Welt offensichtlich als einfache und berechenbare Maschine im Sinne von Eigenschaften einfacher Maschinen und komplexer Systeme [52] UND sie glauben alle im Grunde ganz fest an den technischen Fortschritt im Sinne von John M. Greers Nach dem Fortschritt [3]. Dass Diesel und andere Mineralölprodukte vielleicht schon in wenigen Jahren nicht mehr bezahlbar oder sehr knapp werden könnten, scheint nicht vorstellbar zu sein.

Die extreme Verwundbarkeit der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion durch Kriege und  Naturkatastrophen  wird ebenfalls nicht wahrgenommen.

Die Notwendigkeit der Symbiose von Bauern und Kriegern [53] ignoriert man und damit selbstverständlich auch die Gefahren, die von dem völligen Versagen bzw. der extremen Schwäche der europäischen Streitkräfte ausgehen. Siehe dazu Nur noch Schmusekatzen [54] und die folgenden beiden, sehr lesenswerten Bücher des israelischen Militärhistorikers Martin van Creveld:  Kriegs-Kultur  – Warum wir kämpfen: Die tiefen Wurzeln bewaffneter Konflikte [55]  und Wir Weicheier – Warum wir uns nicht mehr wehren können und was dagegen zu tun ist [56]  (Es handelt sich um eine Übersetzung des 2016 im Sommer auf Englisch erschienen Buches Pussycats – Why the Rest keeps beating the West and what can be done about it [57] ).

Vor diesem Hintergrund hat die Landwirtschaft in Europa vorerst keine Zukunft mehr.

Unter der Voraussetzung, dass die Europäer und da insbesondere auch die Deutschen doch noch im Sinne von Martin van Creveld vernünftig werden und die sicherheitspolitischen Probleme meistern, könnten Landwirtschaft und Gartenbau in Deutschland und Europa vielleicht doch noch eine Zukunft haben. Die wäre dann aber wegen der Erschöpfung der Ölquellen (siehe u.a. Erschöpfung – Das Schicksal des Ölzeitalters [58]) im besten Fall eine kontrollierte, intelligente Rückkehr in eine Art modernisiertes Mittelalter. Das heißt,  wir könnten mit dem Wissen von Leuten wie John Jeavons, Gabe Brown, Greg Judy, Jim Gerrish, Eliot Coleman, Paul Kaiser und vielen, vielen anderen sehr viel effizienter, sehr viel mehr und sehr viel nachhaltiger Landwirtschaft und Gartenbau betreiben, als das früher im Mittelalter und auch in der Römerzeit möglich war.  Wir könnten damit vielleicht sogar einen relativ hohen Zivilisationsgrad und eine relativ große Bevölkerungsdichte erhalten oder nach einem Zusammenbruch unserer heutigen Zivilisation relativ zügig wieder erlangen.

Ich habe aber weder den Eindruck noch die Hoffnung, dass man dazu in Deutschland und Europa vernünftig genug sein wird. Der Film “Bauer Unser” und die nachfolgende Diskussion haben mich in dieser pessimistischen Einschätzung bestärkt.

Was kann man tun?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten:

  1. Nichts tun, ignorieren und das Leben aus vollen Zügen genießen so lange es noch geht und dabei vielleicht auf “die da oben” schimpfen und als braver Gläubiger der allgegenwärtigen Religion des Fortschritts glauben, dass “die” (Wissenschaftler, Ingenieure usw. schon immer rechtzeitig eine Lösung finden). Der Glaube wird garantiert bitter enttäuscht, aber für ein paar fröhliche Henkersmahlzeiten reichen der Sozialstaat und die Ölvorräte noch. Der Kollaps kann durchaus noch ein, zwei oder auch 5 und vielleicht sogar noch 10 Jahre auf sich warten lassen.
  2. Auswandern, bzw. sich ein sicheres Plätzchen suchen, von dem aus man den Kollaps und Untergang Deutschlands und Europas einigermaßen ungestört aus der Ferne beobachten und das Leben weiter genießen kann. Das ist nicht jedermanns Sache und wenn mein kein “armer Syrer”, Afghane oder Afrikaner sondern ein weißer Mann ist, muss man schon einiges in die neue Heimat mitbringen, dass einen für die Menschen dort zu einer wirklichen Bereicherung macht.  Dazu ist längst nicht jeder in der Lage.
  3. Man kann hoffen, dass der Prozentsatz vernünftiger Mitmenschen lokal für lokale “Rettungsboots-Initiativen” ausreicht. Man kann z.B. lokal, auf Verbandsgemeinde oder Landkreisebene, z.B. mit Hinweis auf diesen Blogbeitrag hier schalten und eine lokale Initiative vorschlagen. Auch die Großbauern brauchen Ideen und sie brauchen im Ernstfall vor allem auch Krieger und wenn der Diesel knapp wird auch viele Hände. Insbesondere dann, wenn ich ein Großbauer wäre, würde ich z.B. nicht nur auf die Methoden von Gabe Brown, Greg Judy und Joel Salatin umstellen, vielleicht das Hauptliniensystem umsetzen und zudem viele Haselnusssträucher, Nussbäume und Obstbäume pflanzen . Ich würde vielmehr auch einen Teil meines Landes Familien aus meiner Gegend zur Verfügung stellen, damit diese dort krisensichere Gärten nach John Jeavons, Eliot Coleman, Paul Kaiser usw. anlegen. Als Pacht und Bedingung würde ich verlangen, dass zumindest die Männer Mitglieder in einem Schützenverein und im Reservistenverband werden und regelmäßig an Schießübungen und  Wehrübungen teilnehmen. Insbesondere denen, die das nicht können oder wollen und die aber trotzdem gerne mitmachen wollten, würde ich anbieten, dass sie alternativ alte Handwerke lernen und verbessern. Schließlich möchte man ja auch gerne Schuhe und etwas zum anziehen haben, wenn der Welthandel kollabiert.  Die Bevölkerung ist aber nicht von der Vernunft und Voraussicht der Bauern abhängig. Auch die Gemeinden haben zum Teil erhebliche Landflächen, die sie entsprechend nutzen und ihren Bürgern anbieten können, um die Sicherheit der lokalen Lebensmittelversorgung zu verbessern. Hier ist zu bedenken, dass man mindestens 5 bis 10 Jahre benötigt, um die Bodenqualität gründlich zu verbessern und eine lokale, resiliente Lebensmittelversorgung auf zu bauen. Mit viel Glück könnte die Zeit in Deutschland, Österreich usw. gerade noch ausreichen.

Kelberg, den 12. Mai 2017

Nachtrag am 17. Mai 2017: Meine inzwischen erstellten Artikel Elektroautos und fröhliches Autofahren [59] und vor allem auch Lage und Perspektive am Ölmarkt im Frühjahr 2017 [60] und die darin enthaltenen Links ergänzen das Lagebild zum Film “Bauer Unser”.

Christoph Becker


  1. Der Soziologe und Ökologe William Catton hatte auf diesen Aspekt allerdings schon 1982 in seinem nach wie vor wichtigen Buch Overshoot: The Ecological Basis of Revolutionary Change [61] hingewiesen. Die deutsche Übersetzung eines Interviews mit Catton findet sich auf meiner Webseite: Ökologisches Überschwingen – Interview mit Prof. William Catton [62].   [63]

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