Weidemanagement und Rohmilch als Dünger und Bodenverbesserer

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Wenn man auf Youtube mit “National Small Farm Trade Show and Conference 2012” sucht, bekommt man einige landwirtschaftliche Präsentationen gelistet, von denen ich hier auf drei besonders hinweisen möchte:

Ralph Voss ist der Inhaber der  Voss Land & Cattle Company.

Erstaunlich und neu an seinem Vortrag war für mich insbesondere, dass die Anwendung von relativ kleinen Mengen Rohmilch (ca. 2 bis 3 US-Gallon pro Acre bzw. knapp 20 bis 30 Liter pro Hektar)  zu einer deutlichen Verbesserung des Ertrages, der Weidequalität und auch zur Bodenlockerung führt.

Mit “Rohmilch Dünger” oder auch mit “Rohmilch Weide” findet google derzeit (10. April 2017) nichts. Mit “Raw milk spray pasture” findet sich aber einiges.

Die Studienergebnisse und auch die Meinungen zu diesem Thema sind unterschiedlich.  Ich fand z.B. den Bericht über eine Untersuchung der Universität Vermont aus dem Jahre 2014 und den Artikel Field trials show applying milk to pasture is increasing Brix values, reducing compaction and increasing tonnage  (dt.: Feldversuche zeigen, dass die Ausbringung von Milch auf Weiden die Brixwerte steigert, die Bodenverdichtung reduziert und zu einer Steigerung der Trockenmasse führt.)

Zum Thema Brix-Werte

Weil es bei Landwirten in Deutschland nicht unbedingt bekannt ist, möchte ich darauf hinweisen, dass der Brixwert oder Brix, der in den USA offenbar häufig zur Messung der Qualität oder Qualitätsverbesserung von Weiden verwendet wird, einen Hinweis auf den Nährstoffgehalt der Pflanzen liefert. Gemessen wird er in der Regel mit einem Refraktometer, das dazu einen Messbereich von 0 bis ca. 25 oder besser 30 Prozent hat.  Um Gras und Kräuter für solche Messungen auspressen zu können, habe mir zwei kleine Platten aus einer Legierung für die Herstellung von Modellgußprothesen gegossen und galvanisch poliert,  man könnte aber genauso gut  zwei dicke Edelstahlblechstücke nehmen. Wenn man die Pflanzenteile, von denen man den Brixwert messen möchte zwischen diese Platten legt und diese z.B. mit einem Knippex-Zangenschlüssel (weil sich bei diesem die Backen parallel bewegen), oder auch mit einer einfachen Wasserpumpenzange zusammendrückt, kann man damit leicht die nötige Menge Saft für die Messung erzeugen, und man kann die Platten anschließend leicht für die nächste Messung reinigen.

Ralph Voss erwähnt in seinem Vortrag auch noch andere Möglichkeiten wie Melasse, Fischlösungen, Komposttee und Seesalz. Rohmilch scheint aber besonders gut zu wirken, wenn ……

Warum könnte Rohmilch als Dünger wirken?

Warum könnte es tatsächlich sein, dass Rohmilch den Ertrag und die Bodenqualität verbessert und wie kann man sich erklären, dass die Ergebnisse  bei unterschiedlichen Studien und Landwirten sehr unterschiedlich sind?

Ralph Voss ist ein Nachbar und Schulkamerad  von Dr. Robert Kinkhead, einem pensionierten Tierarzt und Hobby-Farmer, der bei der National Small Farm Trade Show and Conference 2012 ebenfalls einen Vortrag gehalten hat und zwar über Mob-Grazing oder rationales Beweiden, wie André Voisin es in  seinem 1958 auch ins Deutsche übersetzten, aber leider vergriffenen Klassiker Die Produktivität der Weide genannt hat. Ich beziehe mich dabei auf die mir nur vorliegende amerikanische Ausgabe Grass Productivity: An Introduction to Rational Grazing. Allan Savory, der auf darauf aufgebaut hat nennt es, oder besser seine Erweiterung,  Holistic Management: Holistic Management: A New Framework for Decision-making. Man könnte auch ganzheitliches Weidemanagement sagen. Dr. Kinkhead empfiehlt übrigens jedem, der dieses Weidesystem wirklich verstehen und anwenden will,  zunächst die vollständige Lektüre der beiden genannten Bücher von Voisin und Savory, auch wenn diese nicht immer ganz einfach und teilweise langweilig sei.

Wie der oben verlinkte Vortrag von Robert Kinkhead gut erklärt, sind die Resultate dieses Beweidungssystems:

  • Steigerung des Kohlenstoffgehaltes im Boden, was u.a. wegen der extremen Oberfläche des Kohlenstoffs zu einer drastischen Steigerung der Wasseraufnahme und damit auch dem Hochwasserschutz dient und das Regenwasser für Trockenperioden auf der Wiese des Bauern hält.
  • Ein reges Leben von Mikroorganismen und Kleinlebewesen im Boden. Dadurch können insbesondere auch Mineralien aus dem Boden gelöst werden, was u.a. den Düngerverbrauch reduziert. Das heißt, ein wesentliches Merkmal und Ziel dieses  Beweidungssystems ist, ein für die Mikroorganismen und Kleinlebewesen im und auf dem Boden förderliches Mikroklima zu schaffen und diese gut zu füttern. Ein Ergebnis davon ist, dass insbesondere auch Mineralien und Spurenelemente aus dem Boden gelöst und für die Pflanzen verfügbar gemacht werden, die für die Pflanzen sonst nicht verfügbar wären bzw., die sonst der Bauer oder Gärtner als Industrieprodukte kaufen und aufbringen müsste.
  • Der Netto-Ertrag entsprechend bewirtschafteter Flächen kann wesentlich besser sein als bei konventionell-industrieller Landwirtschaft. Dr. Kinkhead hat z.B. mit einer betriebswirtschaftlichen Analyse seines Betriebes festgestellt, dass er ca. 250 kg schwere Kälber für ungefähr die Hälfte der in den USA üblichen, durchschnittlichen Kosten produziert hat.

Das Vorhandensein von reichlich Mikroorganismen und Kleinlebewesen im Boden dürfte der entscheidende Faktor für die Wirksamkeit von Rohmilch und auch von Komposttees usw. sein. Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass die Milch biologische Bausteine und Katalysatoren (Enzyme), enthält, die für manche Bakterien und Kleinlebewesen sehr förderlich sind und die ohne Rohmilch  nicht oder nur in wesentlich geringerer Menge vorhanden sind. Auf solche Katalysatoren weisen auch die Versuchsergebnis mit unterschiedlichen Milchmengen hin. Es bringt nichts, die Menge auf mehr als 20 bis 30 Liter pro Hektar zu steigern. Das sind zwei bis drei ml  pro Quadratmeter. Ein Teelöffel sind ca. 5 ml und ein Esslöffel sind ca. 10 bis 15 ml (Wikipedia-Küchenmaße).  Es geht hier also um nur einen einzigen Teelöffel Rohmilch für rund 2 Quadratmeter.

In einem Boden,  wie ihn die industrielle Landwirtschaft z.B. durch Umpflügen, Pestizide, Herbizide, Monokulturen, hohen Bodendruck mit sehr schweren Maschinen usw. produziert, also in einem Boden, in dem die Mikroorganismen und Kleinlebewesen tot sind oder hungern und verdursten, wird Rohmilch  voraussichtlich keinen oder nur einen vergleichsweise sehr geringen Effekt haben, weil eben keine oder nicht genug Mikroorganismen und Kleinlebewesen vorhanden sind, die von der Milch und dergleichen profitieren können.

Der oben verlinkte Vortrag von Mark Bader, einem Biochemiker, der offenbar auch selbst Rinder hält und sich mit der Firma Free Choice Enterprises, einem seit über 60 Jahren bestehenden Familienbetrieb, auf Nahrungsergänzungsstoffe für Rinder spezialisiert hat, passt zu diesem Themenkomplex. Baders Vortrag habe ich mir nicht jetzt, sondern schon im letzten Herbst angehört und fand ihn damals sehr informativ. Baders Vortrag passt hier, weil er auch das Thema Mikroorganismen im Boden anspricht.

Jeder der drei, verlinkten und inzwischen schon ca. 5 Jahre alten Vorträge wäre im Grunde einen eigenen Artikel wert. Alleine schon Dr. Kinkheads Bemerkung, dass eine Kuh, die ein Jahr  auf knappen halben  Hektar weidet, 1000 Pflanzen töten kann, aber dass 1000 Kühe, die einen Tag auf einem knappen halben Hektar grasen keine einzige Pflanze töten,  wäre einen Artikel wert. Allerdings habe ich dazu im Prinzip schon in Was würde der alte deutsche Weidepapst sagen? etwas geschrieben. Das Bittere dabei ist, dass dieses Wissen hier in der Eifel, auf dem Versuchsgut Rengen, das dessen damaligem Leiter, Prof. Ernst Klapp, der auch André Voisin gut kannte, sehr wohl bekannt war.

Das ganze erinnert etwas an Sag mir wo die Blumen sind:

Verstehen wird man in Deutschland wohl immer erst viel zu spät oder zumindest unnötig spät.

Kelberg, den 10. April 2017

Christoph Becker

 

 

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Mirko Eichhorn
Mirko Eichhorn
29. April 2017 18:06

Sehr interessanter Artikel. Vielen Dank. Das mit der Milch klingt plausibel und wir probieren das auf jeden Fall aus. Mit besten Grüßen Mirko Eichhorn