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Was würde der alte deutsche Weidepapst sagen?

Lesedauer 6 Minuten
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Als ich das erste Mal vor einigen Wochen im   Lehrbuch Wiesen und Weiden [2],  von  Prof. Ernst Klapp [3], zum Thema Weidesysteme nachgelesen habe, habe ich  den von ihm genannten, per Weidesystem möglichen Steigerungsfaktor  der Weideleistung für einen Druckfehler gehalten.   Jetzt habe ich noch einmal in Ruhe nachgelesen und mir auch die Tabelle mit den Zahlen des Versuchsgutes Rengen aus den Jahren 1935 – 1940 angesehen,  die man in der 1971 erschienenen 4. Auflage,    seines Buches Wiesen und Weiden [2] , auf S. 454, findet.    Sein Fazit passt tatsächlich zur Tabelle, so unglaublich es auch klingt:

Mit Verkürzung der Freßzeit und Erhöhung des Besatzes wächst die Weideleistung je ha auf das 12 bis 14-fache an. Es wurde gelegentlich sogar die “Zuteilung nur je einer Tagesration” erreicht. Aber Zaunkosten und Arbeitslast wurden dabei zu groß. Eine noch stärkere Herabsetzung der Freßzeiten mit steigendem Besatz – früher mit Tüdern oder versetzbaren Zäunen (Pferche) erreicht – wird erst mit der Einbürgerung elektrischer Weidezäune möglich.

Eine noch stärkere Herabsetzung der Fresszeiten und eine weitere Erhöhung des Besatzes, wie sie heute mit modernen Elektrozaunausrüstungen möglich ist und teilweise auch praktiziert wird lässt demnach eine weitere Steigerung erwarten.

Hier die  Tabelle, zu deren Erläuterung  Klapp schreibt, dass es sich um Wirtschafts- und nicht um Versuchsergebnisse handele, weshalb sich in der Tabelle Unstetigkeiten befänden. Auch habe der Gewichtszuwachs der Tiere nicht lückenlos ermittelt werden können, weshalb nur die erzielten Weidetageinheiten genannt wurden:

Freßtage im Mittel Besatz je Nutzung

[Tiere/ha]

Besatz je Nutzung

[dz LG/ha]

Weideleistung
in Weidetageinheiten je Tag und ha relativ
62,7 1,8 7,8 11,3
20,8 3,5 15,2 18,8
14,2 14,1 61,5 32,8
 7,7 30,8  135,0 81,5
 5,0 32,2 140 101,7
4,0 32,2 140 99,7
 3,0 35,6 157 113,7
2,0 39,6 172 159,7

Joel  Salatin nennt  für  die Polyface Farm [4] 400 Kuhtage pro Acre.  Das entspricht  989 Kuhtage pro  ha. Dabei ist zu bedenken, dass die Salatins ihre Kühe  dank moderner Elektrozäune täglich auf eine neue Fläche treiben. Damit läge die Weideleistung des Versuchsgutes Rengen sogar noch über der der Polyface Farm. Joel Salatin übertreibt also keinesfalls. Den Durchschnitt von Salatins Landkreis gibt er mit 80 Kuhtagen pro Acre, was 198 Kuhtagen pro ha entspricht.  Nach obiger Tabelle entspräche das einem 14-tägigen Wechsel der Weide. Auch das ist eine realistischer Zahlenwert. Einige, wie die Salatins haben sehr viel bessere Werte, aber andere werden ihre Tiere auch 20 und mehr Tage auf der selben Weidefläche lassen.

Das  Versuchsgut Rengen, auf dem diese  Daten der obigen Tabelle in den Jahren 1935 – 1940 ermittelt wurden, hatte damals 32 Koppeln für 98 bis 121 Stück Jungvieh (Rinder und  Kälber) zur Verfügung. Es wurden nebeneinander Standweiden sowie Umtriebsweiden mit langsamem und schnellen Umtrieb benutzt. Die Tabelle zeigt die Mittelwerte über 6 Jahre.

Prof. Klapp wurde 1936  Direktor des Instituts für Boden- und Pflanzenbaulehre der Universität Bonn,  zu dem das Versuchsgut Rengen gehörte. Die  obige Tabelle und den dazu gehörigen Bericht über den Versuch hat er offenbar  erstmals 1943 im Landwirtschaftlichen Jahrbuch veröffentlicht.

Auf S. 454, (wie gesagt, 4. Auflage, 1971 ) etwas weiter oben, schreibt Klapp auch:

Wir sind in den früheren Auflagen des Buches näher auf die Frage der geeignetsten Koppelgröße eingegangen, halten dies aber nicht mehr für notwendig. Mehrtägige Beweidung der Koppeln findet sich praktisch nur noch bei extensiven Weideformen (Jungvieh, Mastweiden). Das Verständnis für die Grundsätze ist fast Allgemeingut geworden.

Klapp hat, wie man dem sehr umfassenden Quellenverzeichnis seines Buches entnehmen kann, auch die Arbeiten und Bücher  des französischen  Biochemikers und Landwirtes André Voisin gekannt. Voisin selbst hat in seinem in der deutschen Übersetzung leider vergriffenen Buch Die Produktivität der Weide dem Versuchsgut Rengen ein Kapitel gewidmet. Dieses Buch von Vosin ist aber das, von dem Allan Savory sagt, dass darin im Wesentlichen eigentlich schon alles stand, was er selbst herausgefunden hat.

Was würde also Prof. Ernst Klapp, zu meinen Artikeln Ganzheitliches Weidemanagement [5] und Optimierung im Getreideanbau und Hochwasserschutz durch Integration der Mutterkuhhaltung [6] sagen?

Vielleicht mit Trauer, vielleicht mit freundlichem oder bitterem Spott, vielleicht mit Zorn, oder mit einer Mischung aus alledem, würde er zunächst das Landwirtschaftliche Jahrbuch von 1943 und sein Buch Wiesen und Weiden [2] zur Hand nehmen  und darauf hinweisen, dass er und andere, in Deutschland und  in Frankreich, die Grundlagen des von Joel Salatin, Jim Gerrish und anderen propagierten Weidesystems eigentlich schon vor und im 2. Weltkrieg herausgefunden und publiziert hatten.   Die Amerikaner haben lediglich weiter darauf aufgebaut.  Einerseits haben sie  ausprobiert  was mit Hilfe  moderner Elektrozaungeräte heute möglich1 [7] ist und  anderseits haben sie  auch im Bereich  der  biologischen Hintergründe  und des Bodenlebens interessante  Beiträge  geleistet.

Gabe Browns Experimente im Getreideanbau dürften auch Prof. Klapp fasziniert und zu eigenen weiteren Versuchen angeregt haben.   Wie die beiden auf Youtube verfügbaren Vorträge von Jay Fuhrer [8] und Jerry Doan [9] zum NRCS Soil Health Workshop in Utah  2016.     NRCS steht für  Natural Resources Conservation Service .  Es  handelt sich  um eine  Naturschutzbehörde,  deren Aufgabe es ist die  natürlichen  Ressourcen des Landes zu erhalten, zu denen  auch  der Mutterboden gehört. Die beiden Vorträge zum NRCS Soil Health Workshop in Utah  2016 sind beide sehr empfehlenswert. Jay Fuhrer ist Angestellter und Soil Health Specialist (dt.: Mutterbodengesundheitsspezialist) beim NRCS in Bismarck, North Dakota [10]. Jerry Doan ist der Besitzer der ca. 6800 ha großen Black Leg Ranch [11].     Wie Fuhrer erläutert beschränkt sich der NRCS in North Dakota nicht nur auf Beratung, Ausbildung und dergleichen, sondern betreibt auch Forschung.   Ab [18:50] stellt  er  das  Soil Health Team , also das Mutterbodengesundheitsteam  vor,   zu dem  er gehört  und  bei [20:00]  stellt er das Wissenschaftlerteam vor, das sie zu  Beantwortung  verschiedener Fragestellungen   zusammengestellt  hatten.  Offensichtlich  gehört das alles auch zum Hintergrund  von Gabe Browns eigenen Versuchen und  Methoden. Der von Brown erwähnte südamerikanisch Spezialist für Cover Crops, Dr. Ademir Caligari, gehört z.B. auch zu dem von Jay Fuhrer vorgestellten Wissenschaftlerteam des NRCS von North Dakota.   Jerry Doan, weist nebenbei  einige Male  auf seine Zusammenarbeit mit Jay Fuhrer und damit mit dem NRCS und auf gemeinsame Versuche hin.    Die “5 Methoden” von Gabe Brown  empfiehlt, faktisch identisch, auch Jerry Doan vor [8:20}:

Jay Fuhrer erwähnt bei seiner Präsentation, dass das beste Buch in Sachen Mutterboden das Buch The Nature and Properties of Soils [12] von Ray R. Weil ist.

Ich denke Prof. Klapp hätte auch an diesen Vorträgen seine Freude.

Auf meinen Hinweis, dass die Uni Bonn die Domäne verkauft habe,  würde er  vermutlich  mit Trauer, Spott und Zorn auf seine Nachfolger antworten und sein Bedauern bekunden,  und mit  einer gewissen Verbitterung  aufzählen, was man  alles hätte  erforschen   und  weiterentwickeln können und sollte. Mit Wissenschaftlern und Professoren wie ihm hätte ich es sicher nie für nötig befunden mich auch noch mit Landwirtschaft zu befassen. Im Grunde treibt mich nur  die  Sorge , dass auch auf unsere deutschen Landwirtschaftsexperten heute kein Verlass mehr ist.

Was ich an der ganzen Sache bedrückend und ernüchternd finde ist, dass man hier sehen kann, dass und wie bereits vorhandenes Wissen unserer Zivilisation zumindest lokal verloren gehen kann.  Nachdem  ich das mit dem Mob grazing gelesen bzw. im Internet gehört und gesehen habe, habe ich Touren durch die Eifel  unternommen um Ausschau zu halten, wie die Bauern ihre Kühe, Rinder und auch Pferde weiden.   Was ich gesehen habe, hat mir immer wieder gezeigt, dass “das Verständnis für die Grundsätze”, das Prof. Klapp 1971 schon fast als Allgemeingut betrachtet hat, offenbar weitgehend verloren oder vielleicht  selbst nach  45 und mehr Jahren  nie angekommen ist.     Was ich in Sachen Weidewirtschaft und auch in Sachen Ackerbau hier in der Eifel gesehen habe und sehe ist  deprimierend. Dabei habe ich mir auch Flächen von Ökobetrieben angesehen.    Auch die fand ich enttäuschend. Man muss diesem Land und seiner Bevölkerung schon den Untergang wünschen, um wirklich gut zu finden was man auf den Wiesen, Weiden und Äckern sieht.

Links zum Ökolandbau und zum Bodenleben in Deutschland

An dieser Stelle habe ich, wegen Kritik an meinem Artikel Optimierung im Getreideanbau und Hochwasserschutz durch Integration der Mutterkuhhaltung [6]  mit  “ökologischer landbau bodenbearbeitung” per google gesucht. Dabei fand ich die Seite www.oekolandbau.de -> reduzierte-bodenbearbeitung [13] und www.oekolandbau.de ->landtechnik-im-getreideanbau [14]. Ich sehe überall viele Maschinen und Bodenbearbeitung.  Vieherden als Werkzeug zur Optimierung des Ökolandbaus kommen dagegen nicht vor, während z.B. der oben erwähnte Jay Fuhrer vom NRCS  klar  sagt,  dass nach  ihren  Messungen  und Versuchen  der Einsatz von Vieherden den Maschinen im Ergebnis,  in  Sachen Bodenqualität klar überlegen ist. Dabei  habe ich bei  www.oekolandbau.de  auch einen Link wie www.bodenwelten.de   [15] gefunden,   woraus ich schließe, dass die Probleme  auch in Deutschland bekannt sind.

Vielleicht würde der Spruch des  Kanadiers  Don Campbell weiterhelfen, den Gabe Brown als für ihn, in der Krise seines Betriebes letztlich als sehr hilfreich, erwähnt hat:

“If you want to make small changes, change how you do things. If you want to make major changes, change how you SEE things!”

auf Deutsch:

Wenn Du kleine Änderungen durchführen  willst ,   verbessere die Art  und Weise  wie  Du  die  Dinge tust. Wenn Du große Veränderungen  durchführen  willst, verändere  wie Du die  Dinge SIEHST.

Ein Problem für manche Deutsche, zu meinen Erstaunen gerade auch für Linke und Grüne, scheint zu sein, wenn Ideen aus dem Ausland und dabei insbesondere auch den USA kommen. Vielleicht hilft es, dass ich zeigen konnte, dass gerade auch in der Weidewirtschaft die Amerikaner,   Dank sei Prof. Klapp und  dem Versuchsgut Rengen, letztlich auf ursprünglich deutschen Forschungsarbeiten und Einsichten aufgebaut haben.

Was Prof. Klapp heute sicher sehr faszinieren würde wäre, dass die Landwirtschaft sich offenbar in einem Umbruch befindet, hin zu einer  Art  Ingenieurwissenschaft  des Bodenqualitätsmanagments , bei  der das Bodenleben  und   auch die  Viehwirtschaft intelligent  und ganz bewusst in  einer Weise genutzt werden, die  sich an die Vorgänge in der Natur anlehnen, wie sie z.B. in der Zeit der großen Bisonherden von ganz alleine abliefen und die nachhaltige Existenz und das Wachstum dieser großen  Herden, bei gleichzeitigem Wachstum der  Mutterbodenschichten  ermöglichten.

Erinnerung an Prof. Klapp

Als ich vor einiger Zeit gegenüber einem alten Bauern, der auf der Domäne in Rengen als Landarbeiter gearbeitet hat,    Prof. Klapp erwähnt habe, hat er gemeint, den habe er noch persönlich gekannt, Klapp sei  wirklich sehr in Ordnung gewesen.

Kelberg, den 17. September 2016

Christoph Becker

 

 

 

 


  1. Durch moderne Elektronik ist es heute möglich, sehr kurze Impulse auch hoher Spannungen mit sehr hoher Leistung zu erzeugen.  Damit sind selbst bei relativ starkem Bewuchs noch relativ starke aber ungefährliche Stromschläge möglich.     [16]

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