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Wie Deutschland doch noch den Krieg gewann

Lesedauer 11 Minuten
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Ich habe gerade das Buch Decline and Fall: The End of Empire and the Future of Democracy in 21st Century America [2] (dt. Niedergang und Fall: Das Ende des Reiches und die Zukunft der Demokratie im Amerika des 21. Jahrhunderts) von John Michael Greer zu Ende gelesen. Das Buch ist auch aus deutscher und europäischer Sicht aus einer ganzen Reihe von Gründen bedeutend und unbedingt lesenswert.  Anfangen möchte ich mit einem Zitat über Deutschland:

Auf Seite 129f schreibt Greer:

Die Realität jedoch [dass bankrotte Staaten wie Griechenland nur durch einen Staatsbankrott und die Weigerung, ihre Schulden zu tilgen und eben nicht durch Sparmaßnahmen wieder auf die Beine kommen können], ist nicht gerade eine willkommene Nachricht für jene Nationen, die von dieser modernen Form der Wohlstandspumpe profitieren, in der unbezahlbare Schulden gewöhnlich eine große Rolle spielen.

Wenn immer man sieht, dass der Washingtoner Consensus [3] einem Land verordnet wird, halte man nach den Nationen Ausschau, die dies am lautesten fordern. Es ist eine sichere Wette, dass es die Länder sind, die am aktivsten damit beschäftigt sind, die Vermögen der Schuldnerländer einzusammeln; im heutigen Europa ist das üblicherweise Deutschland. Es ist eine der ätzenden Ironien der Zeitgeschichte, dass Europa zwei der verlustreichsten Kriege der Weltgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geführt hat, um Deutschland ein europäisches Reich zu verweigern, und dass es dann die zweite Hälfte des selben  Jahrhunderts damit verbracht hat, Deutschland ohne einen Schuß abzufeuern,  zu erlauben,  nahezu alle seine Kriegsziele –  bis auf Überseekolonien und eine Siegesparade auf dem Champs Élysée zu erreichen.

Insbesondere seit der Gründung der Eurozone hat die europäische Wirtschaft zum Vorteil der Deutschen und sogar auf Kosten anderer europäischer Staaten gewirkt. Die gemeinsame Währung selbst ist ein immenser Vorteil für die deutsche Wirtschaft, die Jahrzehnte damit verbracht hat, mit Wechselkursen zu kämpfen, die deutsche Exporte teurer und ausländische Importe nach Deutschland preiswerter gemacht haben. Die Peseta, Lira, Franc und andere europäische Währungen können nicht länger auf Handelsbilanzdefizite mit Abwertungen relativ zur D-Mark reagieren.  Das resultierende System – kombiniert mit von von orthodoxen Wirtschaftswissenschaften geforderten und von Bürokraten in Brüssel durchgesetzten Freihandelsregelungen – hat als hocheffiziente Wohlstandspumpe funktioniert und es hat Deutschland und ein paar seiner nordeuropäischen Nachbarn erlaubt zu gedeihen, während das südliche Europa tiefer in den wirtschaftlichen Kollaps gestolpert ist.

In einer Weise dann ist es kein Wunder, dass deutsche Regierungsvertreter lauthals darauf bestehen, dass andere europäische Länder ihre strauchelnden Banken retten und dann Steuergelder nutzen, um die resultierenden Schulden abzubezahlen, selbst wenn das dazu führt, dass diese Länder damit einem Rezept folgen, das auf den Selbstmord der nationalen Wirtschaft hinausläuft. Das Ende der Wohlstandspumpe muss nicht das Endspiel für Deutschlands derzeitige Blüte sein, aber es wird sicherlich die Dinge für die deutsche Wirtschaft sehr viel schwieriger machen, und daher nicht nur für die Zukunftsaussichten des deutschen Kanzlers, sondern auch für eine Vielzahl anderer deutscher Politiker. Selbst derjenige davon, der die größten Scheuklappen trägt, sollte erkennen, dass der Versuch den letzten Tropfen Wohlstand aus Südeuropa herauszupressen, lediglich die Ankunft des populistischen Führers beschleunigt, die einige Absätze zuvor erwähnt wurde. Aber ich nehme an, dass es möglich ist, dass diese Generation der deutschen Politiker zu ahnungslos oder zu gehetzt ist, um an so etwas zu denken.

Dennoch, es könnte noch mehr passieren, weil diese Dispute in einem größeren Kontext stattfinden.

Großreiche, bzw. Empire als Wohlstandspumpen

Im Vorwort von Decline and Fall erklärt Greer, dass und warum er Empire oder Großreiche, wie das Römische, das Britische und das US-Amerkanische als Wohlstandspumpen sieht. Er erklärt auch, dass Freihandel nüchtern betrachtet, eben nicht die Segnung für alle ist, wie es uns von Medien und in der Schule verkauft wurde und wird, sondern das,s Freihandel ein Werkzeug zur Ausbeutung und Niederhaltung anderer, weniger hochentwickelter Völker und Staaten durch höher entwickelte Staaten und Völker ist.

Wenn eine unterentwickelte Volkswirtschaft konkurrenzfähig werden will, braucht sie nach Greer zunächst Schutzzölle und Handelshemmnisse, hinter denen sie sich entwickeln kann. Greer erklärt dies insbesondere an der amerikanischen Geschichte. Ein Grund für den amerikanischen Bürgerkieg war offenbar der Interessengegensatz zwischen den für Freihandel (und so gesehen auch für Weltoffenheit) plädierenden, sklavenhaltenden Südstaaten und den am Aufbau einer eigenen Industrie interessierten, dem britischen Vorbild der Industrialisierung folgenden  Nordstaaten, die für ihre vorerst noch unterlegenen Produkte Handelshemmnisse  brauchten.

Ein Empire oder Großreich ist nach Greer eine Konstruktion, die dazu dient, Kapital bzw. Wohlstand aus anderen Ländern und Völkern abzusaugen und im Zentrum des Reiches zu konzentrieren, so dass es dort zu einer kulturellen und technischen Blüte kommen kann.

Die Methoden zur Ausbeutung der peripheren Staaten und Völker können dabei schwanken. Im Wesentlichen werden aber in der Regel manche Völker und teilweise auch nur bestimmte Bevölkerungsschichten bzw. Klassen aus diesen Völkern von Zentralmacht durch Zugeständnisse und Privilegien “gekauft”, um den Prozess der Ausbeutung durchführbar und wirtschaftlicher zu machen. Deutschland, Großbritannien, Kanada und einige weitere Staaten sind sind faktisch der Zentralmacht USA nahestehende, sozusagen zum inneren Kreis des amerikanischen Empires gehörende Staaten, die durch diese Stellung besondere Vorteile haben und so besonders von diesem Empire profitieren – aber die damit auch vom Zerfall des amerikanischen Empires besonders hart getroffen werden.

Generell kostet die Unterhaltung von  Großreichen und großen Organisationen aber Energie und Kapital und wird im Laufe der Zeit zunehmend unwirtschaftlicher, bis sie schließlich für die Zentralmacht mehr Belastung als Vorteil ist und dann irgendwann untragbar wird und zerfällt.

Nutzung fossiler Brennstoffe als zeitliches Empire

Greer erklärt, dass das amerikanischeEmpire nicht nur auf der Ausbeutung von Staaten der zweiten und dritten Welt beruht, sondern dass wir es hier insofern mit einem Sonderfall zu tun haben als zusätzlich auch Vermögen aus der fernen Vergangenheit abgesaugt wird.  Bei diesen Vermögen aus der fernen Vergangenheit handelt sich sich um die durch Photosynthese in vorhistorischen Zeiten entstandenen fossilen Energieträger und da insbesondere um das Erdöl.  Der Aufstieg und Niedergang des amerikanischen Empires ist auch mit der Nutzung der fossilen Energieträger verbunden.

Aus deutscher Sicht interessant ist vor diesem Hintergrund, dass Greer erklärt, wie und warum junge deutsche Offiziere, aber auch Japaner, nach dem 1. Weltkrieg die militärischen Möglichkeiten des Erdöls und der mit Benzin- und Diesel getriebenen Motoren erkannt und in der Anfangsphase des 2. Weltkriegs sehr erfolgreich genutzt und damit die bis dahin gültige  Militärdoktrin auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen haben (Stichworte Blizkrieg).

Gewonnen wurde der 2. Weltkrieg dann von den Allierten, weil diese und da insbesondere die Amerikaner, sehr schnell von den Deutschen und Japanern gelernt haben, während den Deutschen und Japanern im Laufe des Krieges zunehmend der Treibstoff knapp geworden ist.

Die amerikanische Militärmaschine und deren Einsatzplanung sei bis heute sei im Wesentlichen auf den Entwicklungen des 2. Weltkrieges aufgebaut.  Bewegliche, motorisierte Kriegsführung an Land und Flugzeugträger auf See sowie Einsatz der Luftwaffe an Land und auf See.

Greer hat in Decline and Fall ein ganzes Kapitel dem Thema Militär gewidmet und zeigt anhand historischer Beispiele, dass man damit rechnen sollte, dass das amerikanische Militär in den nächsten Jahren eine empfindliche Niederlage erleiden könnte. Er hält so eine Niederlage für die wahrscheinlichste Ursache für den insgesamt unvermeidlichen Zusammenbruch der USA. In seinem 2015 erschienen Roman Twilight’s Last Gleaming [4]schildert er eine solche Niederlage der USA in einem Krieg mit China und er schildert dort auch die anschließende Auflösung der USA in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts.

Anacyclosis

In dem Kapitel The Failure of Politics (dt. Das Versagen der Politik)  bezieht sich Greer auf ein offenbar zuerst von dem griechischen Historiker Polybios [5]beschriebenes  Phänomen. Demnach folgt die Geschichte dem Zyklus

  1. Monarchie
  2. Aristokratie
  3. Demokratie, und dann wieder
  4. Monarchie usw.

Greer setzt dann anstelle von Monarchie auch Diktatur und anstelle von Aristokratie auch Junta sein. Dann betrachtet er vor diesem Hintergrund unter anderem auch die Geschichte der USA und erkennt dort drei dieser  Zyklen. Als “Diktatoren” sieht er dabei George Washington (1776), Abraham Lincoln (1861) und Franklin Roosevelt (1933). Nach deren Tod habe dann jeweils eine Gruppe von Nachfolgern geherrscht (sozusagen die Junta oder Aristokratie). Dann sei jeweils eine demokratischere Herrschaft gefolgt, bis die Demokratie sich dann, wie heute auch wieder, festgefahren habe und nicht mehr in der Lage gewesen sei, die anstehenden Probleme zu lösen.

Nach dieser Theorie  können wir in den USA einen neuen “Diktator” erwarten. Interessant ist natürlich die Frage was, wir in Deutschland und Europa angesichts des aktuellen Totalversagens der derzeit herrschenden Parteien erwarten können.

Demokratische Kultur und Bildung

Greer geht auch umfassend auf das gesunkene intellektuelle und kulturelle Niveau der Demokratie in den USA ein und macht Vorschläge, wie dieses nach einem Zusammenbruch der USA wieder verbessert werden könnte. Natürlich erklärt er auch gut, warum man sich die Mühe machen sollte, die Demokratie zu retten.

Interessant an seinen diesbezüglichen Ausführungen fand ich, dass er Aufzeichnungen von politischen Diskussionen bei Präsidentschaftswahlen aus der Zeit von vor 1860 mit heutigen Präsidentschaftswahlen verglichen hat. Dabei kam heraus, dass die einfachen Arbeiter und Farmer vor über 150 Jahren den heutigen Wählern in den USA intellektuell offenbar deutlich überlegen waren.

Die politische Diskussion in den USA heute beschränke sich oft nur noch auf leere Formeln, deren Zweck darin besteht die Zugehörigkeiten zu Gruppen zu markieren und  Gefühle “diffuser Wärme” oder “stechender Kälte” zu erzeugen.

Es fehle allgemein an der Fähigkeit, sich mit Menschen anderer Meinung zusammenzusetzen und nüchtern, in zivilisierten, gemeinsamen Diskussionen die Meinungsunterschiede und deren Ursache zu erkunden und zu überlegen, was für Lösungen möglich sind.

Es fehle an grundlegenden, erlernbaren Fähigkeiten der Logik und philosophischen Einsicht. Das Aufkommen der Demokratie im alten  Griechenland sei nicht zufällig auch das Produkt einer Zeit in der dort Mathematik, Philosophie und Logik entwickelt worden seien.

Früher habe es in den USA allerorten Vereine und Gruppen gegeben, wo regelmäßig eben auch politische Meinungen diskutiert worden seien. Heute sei das nicht mehr so.

Greer geht auch ziemlich ausführlich auf das Schulwesen in den USA ein und erklärt dessen Geschichte. Früher waren die Schulen offenbar sehr dezentrale, von lokalen Schulvereinen getragene und  finanzierte  Institutionen, die nur minimal von der Landes- und Bundesregierung beaufsichtigt wurden. Die Qualität und auch die Vielfalt der Schulen sei sehr gut gewesen. Heute würden große Summe in eine zentral gesteuerte Bildungspolitik gesteckt und das Ergebnis sei erbärmlich schlecht.

Ernsthaft um die Zukunft Deutschlands und den Erhalt der Demokratie in Deutschland  bemühte Wähler, Parteien und Politiker  könnten von Greers Buch und seinen Überlegungen und Ausführungen über die Grundlagen Geschichte und Realisierung demokratischer Gesellschaften sehr profitieren.

Wenn man über Greers Ausführungen zur Funktionsweise der Demokratie nachdenkt, beginnt man auch zu verstehen, warum eine multikulturelle Gesellschaft nicht wirklich demokratisch sein kann, wie das auch schon z.B. Frank Salter  erklärt hat ( siehe Die humanitären Kosten des westlichen Multikulturalismus [6] und Krieg gegen die menschliche Natur, Bevölkerungsaustausch durch Migration & Verbrechen der Vielfalt [7]).

Dialektik

Mit dem Begriff Dialektik hatte ich bisher nur abgehobene Gedankenschlösser extrem Linker verbunden.

Greer weist daraufhin, dass der Begriff Dialektik aber älter ist und noch eine andere Bedeutung hat, nämlich:

Dass zwei oder mehr Leute sich zusammensetzen und sagen “Lass uns zusammen nachdenken”. Er führt dazu auch den Philosophen Plotinus an und schreibt, dass Dialektik die Fähigkeit meint, sich mit jemand anderem, der in einem wichtigen Punkt ganz anderer Meinung ist, zusammenzusetzen, die Sache zu diskutieren und festzustellen welche gemeinsamen Grundlagen man hat, wo die Meinungsunterschiede liegen, wie man die Meinungsunterschiede auflösen kann oder eben wie man die Fragen und Werte herausfinden kann, die man berücksichtigen muss, um die Meinungesverschiedenheit zu lösen bzw. damit zivilisiert zusammenleben zu können.

Warum auch die EU scheitern wird

Greer führt, wie ich meine sehr richtig  aus, dass Organisation mehr Energie und Kapital für ihre Verwaltung und ihren Erhalt benötigen, je größer und komplexer sie werden. Wenn die Nettoenergie ( = Gewonnene Energie abzüglich der für die Energiegewinnung nötigen Energie) immer geringer wird, weil die Energievorräte geringer werden oder/und weil der Aufwand für die Energiegewinnung steigt, dann schwinden auch die Mittel für die Erhaltung und Erweiterung komplexer Organisationen. Das entspricht auch dem, was Joseph Tainter in dem von mir mir übersetzten Interview über den Kollaps komplexer Gesellschaften [8] gesagt hat und auch in dem auf dem Buch von Tainter und Patzek aufbauenden Artikel Dem Energiedilemma auf den Grund gegangen [9].

Vor diesem Hintergrund können wir als sicher erwarten, dass nicht nur die USA als Bundesstaat und Weltmacht, sondern  auch die EU in den nächsten Jahren oder spätestens Jahrzehnten zerbrechen wird.

Vielleicht wird sogar Deutschland zerbrechen. Immerhin kann man die Einheit Deutschlands auch als Folge der Industrialisierung sehen, die ihrerseits eine Folge der Entdeckung und Nutzung fossiler Energieträger war und die mit der zunehmenden Verknappung  der netto verfügbaren fossilen Energieträger auch wieder zerfällt, weil die Kosten der Einheit deren Vorteile zunehmend übersteigen. Das derzeitige Versagen der Bundesregierung in der Flüchtlingsfrage und damit die Kosten, die durch die Flüchtlinge entstanden sind und weiterhin entstehen, kann man so gesehen auch als Kosten der Einheit Deutschlands betrachten, die man vielleicht nicht hätte, wenn Deutschland wieder wie früher, aus einer Reihe von Kleinstaaten bestünde.

Flüchtlinge und Zuwanderer hier, Mexikaner dort

Ein Aspekt im Bezug auf die USA, den ich als Deutscher und Europäer interessant fand, ist das Problem mit den Mexikanern. Bisher hatte ich gedacht, die USA hätten es besser, weil sie nicht mit diesen Flüchtlingen und Zuwanderern zu tun haben und weil sie vom Orient und Nordafrika durch den Atlantik getrennt sind. Aber Greer zeigt, dass die USA mit den Mexikanern und deren Gangs durchaus ähnliche Probleme haben. Die Lösung scheint nicht klar. So wie ich Greer bisher verstanden habe, werden sich die USA wohl darauf einstellen müssen, weite Gebiete [wieder] an Mexiko zu verlieren und dass sich gewaltätige mexikanische Gangs organisieren und wie früher die Barbaren in den Grenzgebieten des römischen Reiches ihr Unwesen treiben.

Funktion des Staates

Greer betrachtet auch den amerikanischen Bundesstaat, wie er von den Vätern der amerikanischen Verfassung gesehen und gedacht war.

Dazu geht er auch auf das Essay Tragedy of the Commons [10]  (dt. Tragik der Allmende) von Garett Hardin [11] ein sowie auf die Arbeit von Elino Ostrom [12], die das Problem etwas relativiert habe.

Das Ergebnis ist, dass die Funktion des Staates in erster Linie darin besteht, die Rechte der Almende [13], als der Allgemeingüter, zu erhalten und einige Aufgaben wie Landesverteidigung, Post und Seuchenbekämpfung zu regeln.

Der Sozialstaat, der für alles aufkommt und bezahlt und der mit Subventionen um sich werfende Bundesstaat,  ist für Greer eher eine Erscheinungsform des Empires, bzw. Großreiches, das so den von anderswo ins Land geströmten Reichtum verteilt. Wenn der zu verteilende Reichtum geringer wird oder ganz weg bleibt, kann diese Art Staat nicht mehr funktionieren. Öffentliche Ausgaben und Sozialstaatsfunktionen werden dann entweder zunehmend nicht oder wie früher in den USA üblich, von lokalen Gruppen und Initiativen übernommen, die das kostengünstiger und gezielter tun können.

Alles, was irgendwie lokal geregelt werden könne, sollte und wird man in Zukunft, wenn Energie und echtes Kapital knapper und teuer werden, vernünftigerweise besser lokal regeln. Die Nutzung der gemeinsamen Viehweide eines Dorfes (der europäische Klassiker der Almende), ebenso wie die Schulen, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Sherif, bzw. Polizei usw. werden z.B. besser und kostengünstiger von lokalen Institutionen geregelt, bei denen die Verantwortlichen von der lokalen Bevölkerung gewählt und bei Bedarf, bzw. bei Amtsmissbrauch oder Unfähigkeit, auch abgewählt werden.

Man brauche eine gewisse Aufsicht durch Landesbehörden und Landespolitiker, aber diese sollten so wenige wie möglich zu sagen haben. Je mehr weiter weg entschieden und verordnet wird, je größer sind die Kosten und die Fehlermöglichkeiten.

Dazu ein Witz, den meine Frau mir kürzlich erzählte:

Ein italienischer und ein griechischer Bürgermeister treffen sich und laden sich gegenseitig ein. Erst kommt der Grieche zu dem Italiener, der ein pompöses Essen auffährt und mächtig protzt. Auf die Frage, wie der dass den alles finanziere, nimmt der Italiener den Griechen mit ans Fenster, zeigt ihm eine Brücke und sagt, die hat die EU bezahlt. Wir haben eine 4-spurige Brücke beantragt und bezahlt  bekommen, aber nur eine 2-spurige Brücke gebaut. Als dann der italienische Bürgermeister bei dem Griechen zu Gast ist, ist das Essen noch besser und der der Grieche protzt noch mehr. Auf die Frage wie der Grieche das bezahlt habe, geht er mit dem Italiener zum Fenster und bittet ihn hinaus zusehen. Als der Italiener nichts Besonderes sieht sagt der Grieche “eben, wir haben eine 6-spurige Brücke beantragt und bezahlt bekommen, aber wir haben überhaupt keine Brücke gebaut.”

Solche, nicht ganz ohne Grund entstehende Witze zeigen auch, warum große, komplexe Organisationen ineffizienter sind als kleinere lokale Organisationen. Greer erwähnt z.B. dass Corporation, also der Begriff, den man heute für Konzerne verwendet, in den USA früher eine ganz anderer Bedeutung hatte. Man habe oft lokal Aktiengesellschaften oder Kooperationen gegründet, um nur ein Bauwerk, wie z.B. eine Kirche oder vielleicht auch eine Brücke oder einen Kanal zu bauen. Es ist klar, dass bei so etwas sparsamer gewirtschaftet und ganz sicher nicht wie bei EU-Projekten betrogen wird, weil die unmittelbar betroffenen Geldgeber lokal vor Ort sind und weil das Geld eben nicht aus irgendwelchen weit entfernten, anonymen Quellen kommt.

Grund zur Hoffnung

Greer gibt mit seinem Buch Decline and Fall nicht nur den Gegnern der EU Grund zur Hoffnung. Er schreibt auf S. 238 auch

Einer der wenigen positiven Aspekte an wirklich schlechter Politik ist, dass sie selbstbegrenzend ist. Ein System, das darauf besteht sie beizubehalten, wird früher oder später zusammenbrechen und verbrennen. Wenn dann der Rauch erst einmal verzogen ist, ist es für die Leute, die um den Krater herum zu stehen nicht allzu schwer zu erkennen, dass etwas sehr falsch gelaufen ist. In dieser Zeitperiode der Klarheit ist es möglich eine große Zahl Veränderungen durchzuführen, vor allem wenn es klare Alternativen und Leute, die sie befürworten, gibt.

Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich nach Greer, sich schon jetzt Gedanken über alternative Problemlösungen für die Zukunft zu machen und diese zu diskutieren, auch wenn die Mehrheit davon derzeit nichts davon wissen will.

Insgesamt ist Greers Buch Decline and Fall: The End of Empire and the Future of Democracy in 21st Century America [2] (dt. Niedergang und Fall: Das Ende des Reiches und die Zukunft der Demokratie im Amerika des 21. Jahrhunderts) wieder eines, das es wert ist, wie ein Examensskript 2 1/2 mal gelesen zu werden und von dem ich mir das Erscheinen einer guten deutschen Übersetzung  wünsche, damit auch Wähler, Politiker mit geringen Englischkenntnissen es lesen können.

Kelberg, den 6. Februar 2016

Christoph Becker

 

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