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Warum Religion?

Lesedauer 7 Minuten
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In manchen Foren finden sich zu Artikeln über Religionen immer wieder üble Kommentare naiv-militanter-Atheisten, die der Theologe, Journalist und Autor Chris Hedges [2] zusammenfassend in einer bemerkenswerten Rede über den neuen Atheismus, die Gottesdebatte, Wissenschaft, Religion und Selbsttäuschung [3]  im Jahr 2008, als gefährliche,  “kulturelle, geschichtliche und linguistische Analphabeten und weltliche Spiegelbilder naiver religiöser Fundamentalisten” bezeichnet und in dieselbe Schublade wie die massenmörderischen Jakobiner der französischen Revolution und die großen massenmörderischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts gepackt hat.  Ich möchte hier  nicht nur auf diese Rede hinweisen, sondern vor allem auch  Gründe für die evolutionäre Ursache und für den praktischen Nutzen von Religion anführen und dann am Beispiel von Max Planck [4] und dem 2. Hauptsatz der Wärmelehre [5] zeigen, das Religion und Naturwissenschaft sich nicht ausschließen, sondern lediglich ergänzen.

 Religion bildet Sozialkapital und spart Kosten

Der amerikanische Moralpsychologe Jonathan Haidt [6] erklärt den psychologischen Hintergrund der Religiosität recht gut in seinem Buch  The Righteous Mind: Why Good People are Divided by Politics and Religion [7]  (dt. etwa Der selbstgerechte Geist: Warum gute Menschen über Politik und Religion zerstritten sind)

Als schönes Beispiel für den praktischen Nutzen von Religion führt Haidt  in diesem Buch u.a. die Dominanz der Orthodoxen Juden im Diamanthandel an.   Die Dominanz der orthodoxen Juden im Diamanthandel erklärt er damit, dass diese sich untereinander aufgrund ihrer Religion und Gruppenzugehörigkeit vertrauen können. Das habe die Notwendigkeit teurer Sicherheitsmaßnahmen im Vergleich zu möglichen multikulturellen oder weniger offensichtlich streng religiösen Konkurrenten reduziert, so dass diese orthodoxen Juden gegenüber anderen einen immensen Wettbewerbsvorteil aufgrund ihrer Mischung aus Religion und Ethnie hatten.

Religiösität als evolutionärer Vorteil der Gruppenselektion

Haidt erklärt in seinem Buch, dass der Mensch wie er sagt nur zu 90 % Schimpanse, also Individualist und 10  % Schwarmtier (wie Armeisen oder Bienen) ist. Religion erklärt er, sei ein Teamsport und habe sich in der Evolution als vorteilhaft für die Überlebenschancen von Gruppen erwiesen.  Die Menschen können dadurch, grundsätzlich und damit eben auch  in bestimmten, für das Überleben der Gruppe entscheidenden Momenten über sich hinauswachsen und ihre egoistischen Eigeninteressen dem Gruppeninteresse unterordnen. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass naive Gutmenschen einen engen Zusammenhang zwischen Religion und Krieg erkennen. Wir sind halt alle auch das Ergebnis einer Evolution, in deren Verlauf die  Gruppen, Stämme und Völker, deren Mitglieder für Religion empfänglicher waren, eher zu den Siegern und Überlebenden  von Katastrophen und Kriegen gehört haben.

Haidt erklärt seine Sichtweise über den evolutionären Vorteil der Religion auch in dem folgenden, mit deutschen Untertiteln versehenen TED-Talk:

 

 

Religion und die für die Gesellschaft negativen Folgen beruflicher Spezialisierung

Der amerikanische Soziologe William Catton weist in seinem Buch Bottleneck : Humanity’s Impending Impasse [8] daraufhin, dass die berufliche Spezialisierung in den modernen Industriegesellschaften zwar einerseits zu extremen Leistungssteigerung geführt habe, ohne die die modernen Industriegesellschaften nicht denkbar wären, dass sie anderseits aber auch zu neuen Betrugsmöglichkeiten und zu einer inzwischen alle Gesellschaftsschichten und Berufe erfassenden allgemeinen, dehumanisierenden  “Taschendiebmentalität” geführt habe, was dazu beitrage, die Zukunftschancen und die Überlebensfähigkeit der Gesellschaften zu reduzieren. Es ist diese Taschendiebmentalität, bzw. eben auch das Fehlen einer allgemein akzeptierten Religion und Gläubigkeit, die zu immer mehr Misstrauen, Gesetzen und damit zu immer mehr Komplexität führt, die ihrerseits Kosten verursacht und die Gesellschaft unweigerlich zum Kollaps oder zu einem sehr schmerzhaften Sachrumpfprozess führt. Siehe dazu das von mir übersetzte Interview mit Joseph Tainter und meinen Artikel Dem Engergiedilemma auf den Grund gegangen, [9] über das Buch Drilling Down: The Gulf Oil Debacle and Our Energy Dilemma [10] von Joseph Tainter und Tadeusz (Tad) Patzek.  Catton zeigt ausserdem, dass die berufliche Spezialisierung zu einer Dehumanisierung des Menschen führe und bewirke, dass Mitmenschen immer mehr eben nicht mehr als Menschen, sondern nur noch als austauschbare  Objekte wahrgenommen werden. Eine weitere logische Folge und Steigerung ist dann, dass Menschen auch sich selbst oder andere als überflüssig wahrnehmen können und dass dies dann zu einer Ursache für Terrorismus und zu Massenmorden, wie denen im 20. Jahrhundert führen kann.

Chris Hedges sieht in seiner eingangs erwähnten Rede  eine klare Entwicklung von Teilen der Aufklärung im späten Mittelalter über die atheistischen Jakobiner und die ebenfalls durchweg atheistischen Massenmörder des 20. Jahrhunderts (Stalin, Mao, Pol Pot. )1 [11]  zu den modernen neuen Atheisten.

Eine einheitliche Religion kann bei alledem, zumindest innerhalb einer Gruppe, mit gleicher Religion als Sicherung gegen Betrug und Verbrechen wirken, wie das oben angeführte Beispiel von den Orthodoxen Juden zeigt.  Man muss dabei bedenken, dass Spezialisten, wie z.B. Ärzte und Zahnärzte, Diamanthändler und viele andere nicht, kaum oder wenn dann überhaupt, nur mit immensem Aufwand wirklich sinnvoll kontrollierbar sind. Oft sind Kontrollen nur eine Illusion, vor allem dann, wenn der Durchschnitt einer Berufsgruppe sich entschließen sollte, seine durch die Spezialisierung gegebenen Möglichkeiten zum Vorteil seiner Mitglieder und zu Lasten der Bevölkerung zu nutzen. Religion kann in allen diesen Fällen eine kostengünstige Kontrolle ausüben, deren Reichweite sehr viel größer ist als jede Kontrolle durch Menschen und Gesetze. Schließlich gibt es das Problem des im Menschen lauernden Bösen, das der Schweizer Eugen Sorg in seinem Buch  Die Lust am Bösen: Warum Gewalt nicht heilbar ist [12] beschreibt. Religion kann grundsätzlich, weil sie nicht an das Funktionieren staatlicher Institutionen gebunden ist, den Anteil derjenigen, die sich an Gewalttaten bei einem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung beteiligen reduzieren und vielleicht auch hier  Einzelpersonen und Gruppen zum Widerstand gegen Gewalt und Terror motivieren.

 Religion eher nicht Kriegsursache aber sie hilft Kriege zu gewinnen

Wie oben schon erwähnt, haben Religiosität und Religion in Kriegen einen die Kampfkraft steigernden Effekt.  Gute Beispiele sind die Erfolge und der  Glauben der Wikinger [13] und die erstaunlichen, ohne die Religion undenkbaren resultierenden Erfolge der Islamisten etwa in Afghanistan.   Bei auch nur annähernd gleicher Bewaffnung wären die Soldaten der Nato in Afghanistan den Taliban hoffnungslos unterlegen gewesen, weil die Nato-Soldaten viel mehr an ihrem Leben hängen. Selbst mit all ihrer extremen materiellen Übermacht und trotz der langen Dauer des Krieges konnte die Nato keinen wirklichen Sieg erringen. Die Alternativen zu einen unendlichen Abnutzungskrieg waren nur vollständige Vernichtung der Bevölkerung Afghanistans oder Rückzug – oder Bekehrung der Afghanen zu Atheismus und westlichem Hedonismus.

Bei der Suche nach möglichst allgemeinen Ursachen für Kriege sollte man, wenn man an der Wahrheit und echten Problemlösungen interessiert ist, eher Ressourcenmangel und  Überbevölkerung, bzw. einen Überschuss an jungen Männern betrachten. Siehe dazu z.B. das Buch Söhne und Weltmacht: Terror im Aufstieg und Fall der Nationen [14] von Gunnar Heinsohn.  Die folgenden Artikel  auf dieser Webseite könnten ebenfalls das Verständnis vor allem für künftige Kriegsursachen verbessern:

  1. Weltweite  Verschlechterung der Bodenqualität [15]
  2.  Unsichtbare Nutzflächen [16]
  3. Die Grenzen und das Ende des Wachstums [17]
  4. Ökologischen Überschwingen – Interview mit Prof. William Catton [18]
Physik als Grund zur Religiösität?

Es häufen sich Bücher und Artikel von “Wissenschaftlern”,  die behaupten oder glauben machen wollen, dass Religion mit den Naturwissenschaften unvereinbar sei.

Hierzu möchte ich zunächst auf den hier verlinkten, von Max Planck im Mai 1937 im Baltikum gehaltenen Vortrag  Religion und Naturwissenschaft [19] hinweisen. Max Planck dürfte jedem der heutigen religionsfeindlichen “Wissenschaftler” um einiges überlegen gewesen sein. Trotzdem war er ein tief religiöser Mensch und sah in der Wissenschaft eher einen Weg, um den Glauben an Gott zu bestätigen und zu bestärken. Dasselbe scheint für solche Größen wie Isaac Newton [20] und Gottfried Wilhelm Leibniz [21] gegolten zu haben.

Für mich selbst ist der 2. Hauptsatz der Wärmelehre [22] ein hinreichender Beweis dafür, dass das Weltall in letzter Konsequenz eine übernatürliche, göttliche Ursache hat und dass Atheisten einem naiven Aberglauben anhängen.  Das Problem mit dem Weltall und dem Ursprung des Universums ist nämlich, dass es ganz real, für uns jeden Tag sichtbar und fühlbar diesen Ursprung gegeben haben muss, obwohl das, nach allen was wir wissen, insbesondere wegen des 2. Hauptsatzes der Wärmelehre überhaupt hätte passieren können. Die Entstehung des Universums ist der einzige, sicher nachgewiesene Verstoß gegen den 2. Hauptsatz der Wärmelehre. Egal, mit welchen Gedankenknäuel ein Stephen Hawkins und andere es zu verbergen und zu leugnen versuchen, zu irgendeinem Zeitpunkt muss all diese gewaltige Energie, die am Anfang im Keim des Universum gesteckt hat “aus dem Nichts” entstanden sein. Das ist ein unvorstellbar krasser Verstoß gegen den zweiten Hauptsatz der Wärmelehre und setzt zwingend einen übernatürlichen und damit göttlichen Ursprung des Universums voraus. Wenn das nicht so wäre, könnte man Maschinen bauen, die aus dem Nichts hochwertige Energie erzeugen können. Es hat viele Versuche in dieser Richtung gegeben, aber alle sind misslungen. Siehe dazu den Wikipedia-Artikel über das Perpetum-Mobile [23].

Die Kraft, die aus dem Nichts das Universum geschaffen hat, war jedenfalls übernatürlicher Natur. Es war Gott.  Ob und wieweit dieser Gott sich für diesen vor dem Hintergrund des Weltalls extrem winzigen Planeten Erde interessiert, ist ein anderes Thema.

Noch ein anderes Thema ist, wieweit und in welchen Fällen religiöse Effekte, Erlebnisse und Vorstellungen auf Funktionen des  menschlichen Gehirns beruhen.

In jedem Fall aber sind Religion und Religiosität  Phänomene, die sich in der Evolution bewährt haben und die für den Fortbestand einer Gesellschaft vorteilhaft sind und die man pflegen und sicher nicht verachten sollte.   Dabei ist zu bedenken, dass wir die Nachfahren von Menschen sind, die jede Menge Hungersnöte und Kriege überlebt haben. Religion und Religiosität  waren und sind wertvolle Überlebenshilfen in schweren und gefährlichen Zeiten und sie sind selbst in satten Friedenszeiten auf Dauer, zumindest für Gruppen gemeinsamen Glaubens, aber oft auch für die diese umgebende, anders oder nicht gläubige Gesellschaft, ein Wettbewerbsvorteil oder zumindest wünschenswert, wie das Beispiel mit den jüdischen Diamanthändlern und auch Cattons Beobachtungen über die  heute allgemein verbreitete “Taschdiebmentalität” zeigt. Die Übel, die Atheisten der Religion zuschreiben, haben oft völlig andere Ursachen.

10. April 2015 Christoph Becker


  1.  Hitler, bzw. die Nazis erwähnt Hedges nicht ausdrücklich. Sie sind aber auch  kein so ganz klarer Fall von Atheismus.  Vielleicht auch, weil die evangelischen Kirche auch damals ihr Fähnchen in den Wind der Politischen Korrektheit des Zeitgeistes gehängt hat. Anderseits sind die Nazis ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie man diesen 10 % Schwarmtieranteil im Menschen mit einer politischen Pseudoreligion nutzen kann.  Religionen wie das Christentum haben anderseits, gerade auch in diesem Zusammenhang,  teilweise dämpfend und lindernd gewirkt.   [24]

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