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Atomwaffeneinsatz – ethisch vertretbar oder verbrecherisch?

Lesedauer 7 Minuten
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Am Donnerstag vor Ostern, dem 2.4.2015 ,  wurde auf Heise.de\Telepolis ein Interview mit dem Bundesrichter Dieter Deiseroth [2] unter dem Titel Wer den Einsatz von Atomwaffen anordnet, handelt verbrecherisch [3] veröffentlicht.  Hat der Richter wirklich recht?Hintergrund des Interviews war, dass “Die deutsche Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms [4] (IALANA) einen Brief [5] an den russischen Botschafter in Berlin geschickt hat. Sie fordert Klarstellungen bezüglich einer Aussage von Wladimir Putin, wonach dieser zum Höhepunkt der Ukraine-Krise bereit gewesen sein soll, Atomwaffen einzusetzen.”

Zuerst möchte ich dazu auf Jack Donovans grundlegenden Artikel Violence is  Golden [6] verweisen,  von dem ich eine deutsche Übersetzung mit dem Titel Gewalt ist Gold wert [7] angefertigt habe. Vor diesem Hintergrund wirkt es dann schon etwas komisch und weltfremd, dass eine Anwaltsorganisation ausgerechnet Putin, dem Oberbefehrlshaber einer Streitmacht mit einigen tausend Atomwaffen,  die in  einem realen Krieg heute wohl die mit Abstand schlagkräftigste  Armee Europas sein dürfte, mit irgendwelchen nichtssagenden Rechtsnormen kommt. In welcher Traumwelt leben diese Anwälte und Richter eigentlich? Alles, was Anwälte und Richter beschließen, ist nur dann und nur insoweit mehr als das Papier wert auf dem es steht, als es notfalls auch mit polizeilicher oder militärischer Gewalt durchsetzbar ist.

Wenn Russland, wie das ein hochrangiger russischer Vertreter gegenüber dem amerikanischen Abgeordneten Roscoe Bartlett [8]  einmal gesagt hat, den USA (oder/und Europa) etwas Böses will, dann  zündet es eine Atomwaffe weit oberhalb der Atmosphäre und schon sitzen die Anwälte und Richter im Umkreis von weit über 1000 km vor voraussichtlich für immer schwarzen Bildschirmen und werden ihre liebe Not haben, in der Folgezeit nicht zu verhungern oder von durchziehenden Gewalttätern ihrer eigenen Gesellschaft geplündert und ermordet zu werden. Zu mehr Literatur zu diesem Problem siehe die verschiedenen Artikel unter http://www.freizahn.de/category/emp/ [9] . Mit nur fünf Atomsprengköpfen insgesamt könnten die Russen, aber auch die Chinesen, die Inder, die Pakistanis, oder von wem auch immer mit solchen Waffen versorgte Terroristen, den USA und Europa weitestgehend die Stromversorgung und die Elektronik zerstören. Dabei würde wahrscheinlich sogar zu verheimlichen sein, wer den Angriff ausgeführt hat.

Wäre so ein Angriff ein Verbrechen? Die Antwort ist, es kommt darauf an, aus wessen Sicht und es kommt darauf an, ob sich je ein Kläger und ein Richter, und eine zur Durchsetzung eines möglichen Urteils dann noch fähige Macht finden würde.

Deiseroth meint allen Ernstes:

Atomwaffen können wegen ihrer spezifischen Wirkungen nicht ohne Verstoß gegen die Genfer Konventionen und damit nur unter Verletzung des humanitären Völkerrechts eingesetzt werden. Was man nicht einsetzen darf, darf man nach dem Völkerrecht, wie der Internationale Gerichtshof festgestellt hat, auch nicht androhen.

Der Einsatz einer einzigen modernen Atomwaffe würde in seinen Wirkungen das Ausmaß der Zerstörung und Verwüstung von Hiroshima und Nagasaki im August 1945 weit übertreffen. Vor allem aber gilt es zu beachten: Die “Logik” der atomaren Abschreckungssysteme der Atomwaffenstaaten ist strukturell auf Eskalation ausgerichtet.

Zunächst würde ein EMP-Angriff lediglich elektronische Bauteile und Bestandteile der Stromversorgung ruinieren. Er wäre also ein Angriff auf die zivile und militärische Infrastruktur, wie sie die Amerikaner z.B. auch in Serbien und in Vietnam, und die Briten und Amerikaner im 2. Weltkrieg in Deutschland durchgeführt haben. DAS kann ja wohl nicht völkerrechtswidrig sein, denn es wurde nie ein Amerikaner oder Brite wegen so etwas angeklagt, geschweige denn verurteilt. Und dann ist die Frage, wer denn in Den Haag noch Recht sprechen soll, wenn Europa- und USA-weit die Stromversorgung und Elektronik weitgehend irreparabel zerstört ist, wie z.B. in den Romanen One Second After – Die Welt ohne Strom [10] von William Forstchen und SS-18: The Satan Legacy [11] von Patrick Lowrie. Man geht davon aus, dass in westlichen Industriestaaten nach so einem Angriff zwischen 60 bis über 90 Prozent der Bevölkerung binnen eines Jahres an Hunger, Krankheiten und der durch Gewalttaten hungriger, plündernder Mitbürger ums Leben kommen, wenn nicht zusätzlich noch ausländische Streitkräfte angreifen und, die Schwäche und das Chaos nutzend noch größere Verluste verursachen. Es würde aber durch den Einsatz ansich kaum jemand zu schaden kommen. Bei einem EMP-Angriff hört man von der Atomwaffe keinen Knall und die Waffe selbst verusacht auch keine radioaktive Strahlung. Es könnte sein, dass ein Teil des radioaktiven Materials im Laufe der Jahre weit verteilt auf die Erde sinkt, aber diese Strahlenbelastung wäre voraussichtlich extrem gering bis vernachlässigbar, zumal nur sehr wenige Atomwaffen reichen würden – wie gesagt ein bis zwei für Europa und nur zwei bis drei für die USA.

Ein russischer oder chinesischer Jurist könnte sich zudem zurücklehnen und sagen, dass einzig und allein die Naivität und fehlenden Vorbereitung der Europäer und Amerikaner die Verluste verursacht hat und dass ein schwerer Sonnensturm ähnliche Schäden hätte verursachen können, und dass ein solcher schwerer Sonnensturm als auf Dauer sowieso unvermeidbar wäre.

Ein Gott, oder eine die ganze Weltbevölkerung und künftige Generationen wirklich fair vertretender Internationaler Gerichtshof  könnte, würde davon abgesehen die Täter eines solchen EMP-Angriffes frei sprechen müssen. Der EMP-Angriff würde zwar einig hundert Millionen Menschen in Europa und den USA das Leben kosten, und er würde die Wirtschaft weltweit zusammenbrechen lassen. ABER, wenn ich der Anwalt der Täter wäre, würde ich den Richtern unter anderem die Bücher: Overshoot: The Ecological Basis of Revolutionary Change [12] und Bottleneck : Humanity’s Impending Impasse [13]
von William R. Catton vorlegen und daraus zitieren.  Ein Interview mit Catton aus dem Jahre 2008 habe ich neulich übersetzt und auf meiner Webseite veröffentlicht: http://www.freizahn.de/2015/03/ueberschwingen-interview-mit-william-catton/ [14]

Mit nur einigen wenigen Atomwaffen , die so wie sie eingesetzt wurden kaum Umweltschäden verursacht hätten, hätten die Täter gezielt die für die Erde, die Umwelt und für künftige Generation unerträgliche, kriminell handelnde Spezis “Homo Colossus [15]“, wie Catton sie nennt, weitgehend beseitigt oder zumindest extrem reduziert. Sicher, einige hundert Millionen Menschen in den Industrieländern wären an ihrer Abhängigkeit von moderner Technik gestorben.  Aber was wäre das schon bei einer Weltbevölkerung von jetzt schon weit über 7 Milliarden. Alleine die Afrikaner machen diese Verluste binnen weniger Jahre wieder wett, und, um es mal ganz hart zu sagen, es sind heute, 2015, schätzungsweise gut 6 Milliarden Menschen mehr auf der Welt als die Welt wahrscheinlich nur dauerhaft tragen kann. Die für die EMP-Angriffe verwendeten Atomwaffen hätten aber vor allem gezielt die Menschen und Gesellschaften getroffen, die für die Erde und damit auch den Rest der Weltbevölkerung und für künftige Generation  die mit sehr weitem Abstand, pro Kopf gerechnet, größten Schäden verursachen.  Das kann doch kein Verbrechen sein, und es kann auch kein Verstoß gegen ein Völkerrecht sein, dass diesen Namen wirklich verdient.

Ich denke daher die Täter würden freigesprochen.

Aber kommen wir nun zu konventionellen Atomwaffeneinsätzen, an die der Richter Deiseroth und seine Atomwaffengegner-Organisation wohl eher gedacht haben dürften.  Zunächst muss Deiseroths Behauptung verneint werden, dass ein nuklearer Schlagabtausch voraussichtlich eskalieren würde.  Die Logik der nuklearen Abschreckung ist nämlich nicht logisch. Logisch heißt für mich, dass man zunächst das historische Verhalten der beteiligten Völker analysiert und nicht nur das, was man den Schulkindern erzählt. Wenn wir die Geschichte betrachten sehen wir, dass kollektiver Selbstmord nicht einmal bei den sehr fanatischen Nazis und Japanern 1945 ein Thema war. Alle Mächte die heute Atomwaffen haben, haben bei offensichtlichen Niederlagen kapituliert und einen kollektiven Selbstmord vermieden. Ausnahme sind höchstens Teile der Juden – aber auch da nur Teile. D.h., wenn es zu einem nuklearen Schlagabtausch käme, dann würde eine Seite relativ schnell kapitulieren oder zumindest die Eskalation einfach abbrechen. Der amerikanische Luftwaffenoberst der Reserve Drew Miller [16]hat in seinem Roman Rohan Nation: Reinventing America After the 2020 Collapse [17] über einen 3. Weltkrieg, neben einem verdeckten, anonymen nuklearen EMP-Angriff der Chinesen auch Atomwaffenangriffe auf  amerikanische Flottenverbände,  den Einsatz biologischer Waffen und einen “normalen” Schlagabtausch mit herkömmlichen Atomwaffen durchgespielt. Er lässt die USA die atomare Eskalation abbrechen, als klar wird, dass die Chinesen nun anfangen amerikanische Städte zu zerstören.

 Vor dem Hintergrund der Geschichte ist die Behauptung, dass die Logik der atomaren Abschreckung im Ernstfall tatsächlich zu einer Eskalation führen würde, jedenfalls schlicht unlogisch.

Schließlich bleibt die Frage nach dem Nutzen atomarer Gefechtsfeldwaffen und taktischer Atomwaffen.  Angenommen man will sich im Kriege überhaupt verteidigen und vielleicht auch überleben1 [18], dann empfiehlt sich zunächst nüchtern, etwas mit dem Atomwaffensimulator Ground Zero II zu spielen, den ich  unter http://www.freizahn.de/2014/10/atomwaffensimulatoren/ [19] verlinkt habe. Und dann empfiehlt sich z.B. die Lektüre meines Artikels: http://www.freizahn.de/2015/03/neues-vom-nahen-und-fernen-osten/ [20]

Die Zerstörung durch moderne Atomwaffen ist jedenfalls bei weitem nicht so groß wie die Atomwaffengegner das uns immer eingeredet haben.  Hiroschima und Nagasaki waren nicht vorgewarnte, sorgfältig mit Blick auf eine Maximierung der Schäden ausgewählte  Städte.   Ich war jedenfalls sehr überrascht, wie relativ harmlos konventionelle Atomwaffenangriffe offenbar heute nur sind. Natürlich ist die Wirkung schrecklich, aber weder die Menschheit noch die Welt ginge durch Atomwaffeneinsätze unter.

Jedenfalls kann ich mir schon vorstellen, dass es sehr sinnvoll sein könnte, wenn man in einem realen Krieg taktische Atomwaffen hat, mit denen man z.B. größere Truppenkonzentrationen auflösen oder Militärbasen der Gegenseite zerstören kann.  Der oben erwähnte amerikanische Autor Drew Miller bedauert jedenfalls in seinem Roman, dass die Amerikaner, als sie in Texas mit chinesischen Invasionstruppen fertig werden müssen, keine Atomartillerie mehr haben und das stattdessen Milizen zu Pferde mit halbautomatischen Gewehren zum Gegenangriff reiten müssen. In Deutschland hätten wir nicht einmal mehr das.

Eine interessante Frage ist natürlich, ob und inwieweit die Atomwaffen des Westens überhaupt noch einsatzbereit wären wenn der Gegner, wie das in einem realen Krieg zu erwarten wäre, zunächst den oben erwähnten EMP-Effekt nutzt. Anderseits, wenn der EMP-Effekt genutzt wird, würde jedes der westlichen Industrieländer derart geschwächt, dass einsetzbare taktische Atomwaffen zumindest in Europa überlebenswichtig werden könnten, weil man für die Abwehr konventioneller Angriffe voraussichtlich viel zu schwach wäre.

Zum Schluß noch eine denkwürdiges Stück Geschichte der Ethik von Waffeneinsätzen:

Auf Wikipedia fand ich unter Armbrust:

In Europa wurde die Verwendung von Bögen und Armbrusten in Kämpfen zwischen Christen durch das Zweite Lateranische Konzil [21] 1139 verboten[4] [22], da sie wegen ihrer Reichweite und ihrer Durchschlagskraft gegen Rüstungen als unritterlich galten.

Offensichtlich ändern sie die Meinungen zum Thema Ethik und Waffen mit der Zeit erheblich.

5.4.2015 Christoph Becker

 


  1. zumindest bei den Deutschen habe ich da sehr ernste Zweifel   [23]

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