Unkonventionelle Kommentare zur Wahl Donald Trumps – James H. Kunstler

Lesedauer 5 Minuten
image_print

James Howard Kunstler,  der  Autor   der Sachbücher  The Long Emergency: Surviving the End of Oil, Climate Change, and Other Converging Catastrophes of the Twenty-First Century und Too Much Magic: Wishful Thinking, Technology, and the Fate of the Nation, sowie der insgesamt vier Romane der World Made by Hand Reihe,hat in seinem wöchentlich  Montags   unter Clusterfuck Nation  erscheinendem Blogbeigtrag, am 14. November 2016 die Wahl Donald Trumps kommentiert: kunstler.com/clusterfuck-nation/what-now/

Zum Hintergrund: Kunstler ist selbst seit langem als Mitglieder der Demokraten registriert, verachtet aber deren Politik und Vertreter. Kunstler schildert in seinen futuristischen Romanen, die wohl irgendwann in den 20er oder 30er Jahren des 21. Jahrhunderts spielen, dass  die USA einen Krieg im Nahen Osten verloren haben,  dass  die  Industriegesellschaft in der nahen Vergangenheit kollabiert ist und dass die USA, deren Bevölkerung  um  mehr als die Hälfte geschrumpft ist,  in sich teilweise erbittert bekriegende Staaten zerfallen sind.  Kunstler ist einer von denen die die Tendenzen und Fakten der Vergangenheit und Gegenwart kaltblütig analysieren und unerschrocken über deren absehbare Konsequenzen für die Zukunft nachdenken und schreiben.

Sein Rat an seine Partei:  “werft die dämliche Identitätspolitik über Bord und kommt zur Realität zurück. Leider ist das  wohl zu  viel verlangt.” 

Für Kunstler war Frau Clinton die “Chefin der Betrüger” (racketeer-in-chief ).

Zu Trump schreibt er:

Herr Trump dürfte es noch nicht wissen, aber seine  Hauptaufgabe wird darin bestehen die Schrumpfung  zu  managen.  Das dürfte problematisch erscheinen, weil sein Hauptversprechen – “Amerika wieder groß und großartig zu machen”  –  darauf  gegründet ist, die  epische  Expansion des 19. und 20. Jahrhunderts   neu zu starten. Nun, die Dinge haben sich verändert. Dies ist nicht länger ein jungfräulicher Kontinent gefüllt mit mächtigen Erzardern, noch  nicht angezapften Öl-Bonanzas und fabelhaften Mutterböden die darum betteln ausgebeutet zu werden. Faktisch sind sind wir kurz davor ausgespielt zu haben, was diese Ressourcen angeht. Und die techno-industrielle Wirtschaft die aus diesen Vermögenswerten geschaffen wurde wackelt schlimm.

Es gibt da den großen Wunsch diese System möge gerade noch Rechtzeitig mit einer derzeit  noch nicht realisierten Grün-Alternativen-Wirtschaft mit mit Solarstrom  geladenen, führerlosen Elektroautos ersetzt werden  — aber, natürlich, sollte ihnen die nicht in Frage gestellte pathetische Idiotie der angenommenen Autoabhängigkeit, die im Zentrum dieser Phantasie steht sagen, wie exakt irreal sie ist.   Die Schrumpfung  die uns  erwartet  hat ihre  eigenen   Vollmachten  und Rechte,  und diese  beinhalten in keinster Weise  die  Fortsetzung des  glücklichen   Autofahrens.  Ich bin ziemlich sicher, dass das Lager von Trump sich das noch nicht einmal vorgestellt haben.

Das war auch mein Eindruck, nachdem ich mir die  Rede Donald Trumps zur Annahme der Wahl angehört habe. Frau Clinton und die Politiker praktisch aller Parteien in Deutschland und Europa sind, soweit ich das beurteilen kann, aber genauso ahnungslos und naiv. Zu den meines Erachtens absurden Vorstellungen und Phantasien über die Zukunft in Deutschland siehe meinen  Artikel 100 Prozent erneuerbare Energie bis 2030?.  Es sieht nicht danach aus, dass deutsche irgendwelche deutschen Parteien bzw. Politiker sich realisieren wir verzweifelt die Lage wirklich ist – was die Lage und die Folgen sehr verschlimmert, weil kostbare Zeit und Ressourcen verloren werden.

Kunster weiter:

Ich schlage  vor drei  Meta-Bereiche zu bedenken, um Wege zu finden wie Amerika die Unordnung der Zeit des  Langen Notfalls überleben kann:  Die Finanzierung der Wirtschaft, die Lasten des Empires und das Fiasko unseres  Vorstadt-Lebens-Arrangement.  (suburban living arrangement)

Finanzierung der Wirtschaft:

Man wird sehr, sehr viele Ansprüche  wie z.B. Renten, Pensionsansprüche, Geldvermögen, Leistungsansprüche an den Sozialstaat, Zahlungsansprüche   und vieles mehr abschreiben müssen. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland und im Rest Europas. Innere Unruhen, Bürgerkrieg und auch  Krieg sind zu erwartende Folgen.  Meines Erachtens wir es in solchen Situationen auch wieder zur Verfolgung von Minderheiten und  zu “Hexenverfolgungen”, sowie zum  Zusammenbruch der heute in Deutschland extrem fragilen Nahrungsmittelversorgung und  Nahrungsmittelproduktion kommen.

Lasten des Empires

Die USA werden ihre Empire und damit auch ihren Beitrag zur Nato und zur Sicherung der Seewege nach Europa aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr aufrecht erhalten können. Sie werden sich zurückziehen müssen. Dem steht aber Trumps Vorstellung und Traum von der neuen Größe Amerikas im Weg. Anderseits ist Trump ein sehr erfolgreicher Unternehmer der selbstständig denken kann und dem offenbar wirklich an Amerikas Zukunft gelegen ist.

An diese Stelle möchte ich aber auch das im Sommer 2016 erschienene, englischsprachige Buch des israelischen Militärhistorikers  Martin van Creveld hinweisen: Pussycats: Why the Rest Keeps Beating the West. Wie van Creveld darin unterhaltsam und gut recherchiert belegt, sind die westlichen Industriegesellschaften, also die USA, aber ganz sicher auch Deutschland und die anderen alten EU-Staaten heute physisch und vor allem psychisch nicht mehr in der Lage gegen wirklich entschlossene, ernst zu nehmende Gegner Krieg zu führen.

Das Fiasko des  Vorstadt-Lebens-Arrangements  (suburban living arrangement)

Kunstler bezieht sich dabei auf die riesigen amerikanischen Vorstädte. Meines Erachtens betrifft das aber auch die ländlichen Räume in Deutschland, wie z.B. die Eifel und den Hunsrück. Auch hier fahren die Menschen oft zig Kilometer zur Arbeit oder zum Einkaufen und sie werden auch hier ohne Autos den bisherigen Lebensstil nicht mehr fortsetzen können. In Deutschland kommt dazu die insgesamt sehr hohe Bevölkerungsdichte.

Kunstler  für die USA vor, dass Trump, statt  die  in Zukunft mangels Treibstoff für die Autos ohnehin nicht  mehr  nutzbaren  Autobahnen und Straßen zu  Reparieren und weiter  auszubauen,   versuchen könnte das Eisenbahnnetz zu verbessern. Das wäre vielleicht auch für die Eifel und viele andere ländliche Gegenden in Deutschland ein interessanter Vorschlag, an den ich schon oft gedacht habe.  Man könnte und sollte die alten Eisenbahntrassen, die es hier früher gab, vielleicht doch wieder  nutzbar machen und teilweise auch neue Trassen bauen solange man noch relativ preiswert die nötige Energie dazu bekommen kann. Bei den Brücken sollte man statt schnell alternder Spannbetonbrücken besser wieder wie früher Viadukte mit sehr hoher Lebenserwartung mauern.

Ein andere Infrastrukturproblem, das mir hierzu mit Blick auf die Zukunft einfällt, ist die Wasserversorgung für Menschen und Tiere und auch die Produktion und Verteilung der Lebensmittel.  Es ist nicht nur das von Kunstler angesprochene “Happy Motoring”, sondern  es ist auch die Befriedigung so grundlegende Bedürfnisse wie essen und trinken, die heute auch für zig Millionen Deutsche von der Funktion sehr fragiler, nicht nachhaltigen Systemen abhängig gemacht worden sind. Selbst die angeblich zukunftsträchtigen  Bestrebungen etwa des Landkreise Cochem-Zell, sind letztlich nur naiver Aktionismus, weil sie eine mit fossilen Energieträgern  betriebene technische Infrastruktur und Industriegesellschaft benötigen um  erhalten und auf Dauer betrieben zu werden. Die deutsche Energiewende ist daher wohl genauso wenig zukunftsfähig wie  das von Kunstler angeprangerte, automobil gestützte Vorstadtleben-Arrangement in den USA und auch in weiten Teilen Deutschlands.

Eine beispielhafte praktische Frage zu der mich Kunstlers Blogbeitrag zu Donald Trumps Sieg in Verbindung mit Richard Heinbergs schon über 10 Jahre alten Interview zu dem Film What a Way To Go bringt ist die nach den Schuhen: Was machen die Leute in Deutschland wenn der Nachschub an billigen Schuhen aus China ausfällt? Einige Monate später haben immer mehr Leute nur noch kaputte Schuhe. Wer kann dann noch Schuhe herstellen und reparieren? Wer kann noch Leder, Nähgarn, Schnürsenkel und Nägel für die Schuhe herstellen? Das Wissen von Gerbern und Schustern ist fast verloren.  Man weiß auch kaum noch wie die Vormaterialien herzustellen sind und es fehlt dann die Ausrüstung.  Der Fluch der Globalisierung und der Industrialisierung wird irgendwann in nicht all zu ferner Zukunft  nicht nur Essen und Trinken, sondern auch Bekleidung und Schuhwerk betreffen. Das als praktisches Beispiel für die Inhalte der in Zukunft wieder lokaler werdenden Wirtschaft.

Kunstler schreibt:

Drittens kommt die Frage wie die Amerikaner ihr Land bewohnen: Das Vorstadtfiasko und all seine Zusätze und Einrichtungen. Man kann einfach eine Gabel hineinstecken. Das große Projekt das dieses Land erwartet ist, wie wir unsere Leute neu verteilen teilen können, in neu  skalierte, d.h., kleinere, zu Fuß begehbare Gemeinden, mit re-lokalisierten Wirtschaften, einschließlich einer neu skalierten, d.h., wieder mit kleineren Betriebsgrößen arbeitenden Landwirtschaft. Es wird geschehen, unabhängig davon, ob es uns passt oder nicht.  Die Frage ist nur wie geordnet dieser Prozess sein wird.

Kelberg, den 17.  November 2016
Christoph Becker

Share
0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments